Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (3. Senat) - L 3 R 407/16 B

Tenor

Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. August 2016 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

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Die zulässige Beschwerde der Landeskasse ist unbegründet.

2

Das Rechtsmittel gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. August 2016, mit welchem die Vergütung für das Gutachten des Antragstellers auf insgesamt 2.275,99 EUR festgesetzt worden ist, wird von der Landeskasse im Wesentlichen auf folgende Gesichtspunkte gestützt: Bestritten werde die Höhe der nach § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (JVEG) geltend gemachten Leistungen. Gutachten und Rechnung seien nicht eigenhändig von dem Antragsteller unterzeichnet worden. Dieser könne eine Vergütung nach der für seinen Berufsstand allgemein geltenden Gebührenordnung (zum Beispiel der Gebührenordnung für Ärzte - GOÄ) nicht beanspruchen, wenn er ein gerichtliches Gutachten erstatte. Die Vergütung bestimme sich hier ausschließlich nach dem JVEG, an dessen Rahmen das Gericht selbst bei ganz besonderer Leistung gebunden sei. Ein Honorar sei für die Tätigkeit eines Sachverständigen, die eine bürgerliche Ehrenpflicht darstelle, nicht selbstverständlich. Ein Vergütungsanspruch bestehe nur, soweit ihn das JVEG ausdrücklich bestimme. Im vorliegenden Fall sei der zwischen dem Sachverständigen und dem Präsidenten des Landessozialgerichts geschlossene Vertrag vom 29./30. Januar 2007 maßgebend, dessen "ausgehandelte Höhe" nicht überschritten werden dürfe. Eine Vergütung von Aufwendungen sei im Rahmen der abschließenden Regelungen des JVEG nur nach § 10 Abs. 1 JVEG in Verbindung mit der Anlage 2 zum JVEG oder nach § 10 Abs. 2 JVEG nach Abschnitt O der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) für die dort aufgeführten Gebührentatbestände möglich. Jede Ausnahme von dem JVEG müsse ausdrücklich geregelt sein. Der Sachverständige müsse eine Bestimmung der Gebühr vornehmen. Nur die Nennung einzelner GOÄ-Ziffern sei nicht erstattungsfähig. Hier habe der Sachverständige als besondere Leistungen verschiedene GOÄ-Ziffern aufgeführt, die nicht unter die Anlage 2 zum JVEG subsumiert werden könnten. Bei der Bestimmung der Gebührenhöhe, hier nach den Nummern 300 bis 307 der Anlage 2 JVEG, seien Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit zu berücksichtigen, mit einer Begrenzung der Gebühren durch Mindest- bzw. Höchstgebühren. Die Gebührentatbestände der GOÄ könnten zwar als Leitlinien dienen, um die Ausfüllung der teilweise weit gespannten Rahmen vorzunehmen, seien aber nicht bindend im Sinne des § 10 Abs. 1 JVEG, sodass hiervon auch abgewichen werden könne. Es werde bestritten, dass die aufgeführten GOÄ-Ziffern Leistungen seien, die den Nummern 303 und 304 der Anlage 2 zum JVEG zuzuordnen seien. Es sei für das Gericht weder möglich noch notwendig, selbst eine Zuordnung zu den einzeln aufgeführten Nummern der Anlage 2 zu § 10 JVEG vorzunehmen. Soweit der Antragseller meine, die Untersuchung nach Nummer 302 sei im Sinne von Nummer 303 abrechenbar, fehle es an der Glaubhaftmachung, dass die besondere Leistung tatsächlich außergewöhnlich umfangreich oder schwierig gewesen sei. Eine allgemeine Annahme insoweit sei hier nicht gerechtfertigt. Beantragt werde die Festsetzung der Sachverständigen Vergütung in Höhe von 899,47 EUR.

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Die Argumente der Landeskasse führen nicht zu einer Rechtswidrigkeit der Vergütungsfestsetzung des Sozialgerichts.

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Eine eigenhändige Unterzeichnung der Rechnung durch den Sachverständigen verlangen weder das JVEG noch der mit dem Antragsteller geschlossene Vertrag im Sinne des § 14 JVEG. Im Übrigen ist die Rechnung vom 15. März 2016 mit dem Vertragsarztstempel des Antragstellers versehen, dem nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) auch eine Beurkundungsfunktion im Rechtsverkehr zukommt.

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Dem Antragsteller stehen hier zunächst, davon geht auch die Landeskasse aus, gemäß der Vereinbarung im Sinne des § 14 JVEG das Honorar in Höhe von 700,00 EUR nebst Schreibkosten und Umsatzsteuer aus § 12 JVEG in Höhe von 18,00 EUR bzw. 136,42 EUR sowie Porto aus § 7 Abs. 1 JVEG in Höhe von 5,20 EUR, d.h. in der Summe 859,62 EUR zu.

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Bezüglich der vom Antragsteller geltend gemachten Schreibaufwendungen für 60 Seiten, welche die Landeskasse auch in Anbetracht des Ausführungen des Sozialgerichts auf einen Ersatz für 32 Seiten kürzen will, ergibt sich hier aus der Beweisanordnung vom 14. Dezember 2015 eine Pflicht des Sachverständigen, das Gutachten in dreifacher Ausfertigung zu übersenden. § 7 Abs. 1 JVEG sieht für die Anfertigung von Ablichtungen und Ausdrucken 0,50 EUR je Seite für die ersten 50 Seiten und 0,15 EUR für jede weitere Seite vor. Eine Regelung, dass nur Kosten für von dem Sachverständigen mit einer Seitenzahl versehene Seiten erstattet werden, wie die Landeskasse meint, ist nicht erkennbar. Ausgehend von 30 Seiten Gutachten ergibt sich hier entsprechend ein zu ersetzender Betrag nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JVEG in Höhe von 31,00 EUR (90 Seiten = 50 x 0,50 EUR + 40 x 0,15 EUR = 25,00 EUR + 6,00 EUR), die in Höhe von 26,00 EUR von dem Antragsteller gefordert worden sind.

7

Soweit der Beschwerdeführer meint, das JVEG sei für die Vergütung sämtlicher Leistungen, die durch das Gericht veranlasst seien, abschließend, lässt sich dies § 1 Abs. 1 Satz 2 JVEG nur in Bezug auf die eigentliche Tätigkeit des Sachverständigen in dieser Funktion entnehmen. Die Pflicht zur Gutachtenerstattung, die von § 407 Zivilprozessordnung (ZPO), dem JVEG und den Verträgen nach § 14 JVEG erfasst ist, bezieht sich zunächst nur auf die eigene Sachkunde des Sachverständigen einschließlich der von diesem selbst mit seiner Arbeitskraft durchzuführenden Untersuchungen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz i.V.m. § 404a ZPO; vgl. hierzu z.B. Katzenmeier in Prütting/Gehrlein, ZPO Kommentar, § 404a RdNr. 8 f und Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 404a RdNr. 3). Von der Pauschalvergütung können nur häufig wiederkehrende Verrichtungen des Sachverständigen, nicht aber Kosten für technische oder labormedizinische Dienstleistungen, die nur im Einzelfall im Rahmen der Sachverhaltsermittlung entstehen, erfasst sein. Den dem Gutachten zugrunde liegenden Sachverhalt muss regelmäßig das Gericht selbst ermitteln (vgl. z.B. Zimmermann, a.a.O., § 404a RdNr. 5). Würde man auf konkrete Weisung des Gerichts im Einzelfall durchzuführende Ermittlungsmaßnahmen des Sachverständigen als vom Pauschalhonorar nach § 14 JVEG abgedeckt sehen, würde die Vereinbarung nach § 14 JVEG nicht die Vergütung nach dem JVEG pauschalieren, sondern eine Umgestaltung der Vergütungsgrundsätze des JVEG bewirken. § 14 JVEG bietet keine gesetzliche Grundlage, eine Vergütung in Abweichung der Grundsätze des JVEG durch Vertrag zu regeln. Bei den Verträgen nach § 14 JVEG handelt es sich im Übrigen um öffentlich-rechtliche Verträge, die nach § 56 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) eine den gesamten Umständen nach angemessene Gegenleistung vorsehen müssen. In Bezug auf die Durchführung technischer und labormedizinischer Untersuchungen entheben Sachverständige mit dem Angebot, solche Untersuchungen selbst zu veranlassen, das Gericht von der Verpflichtung, im Rahmen der Justizgewährung die entsprechenden Befunde für die Begutachtung bereitzustellen. In der Praxis machen Sachverständige die Erstattung eines Gutachtens auch regelmäßig von der Vorlage bestimmter bildgebender Befunde etc. abhängig, insbesondere wenn sie selbst nicht über die apparativen Einrichtungen verfügen, diese Vorleistungen für das Gutachten durchzuführen. Die "Ehrenpflicht" der Sachverständigen bezieht sich auf die eigene Arbeitsleistung, nicht aber auf die Freistellung der Landeskasse von Zahlungen für technische oder labormedizinischen Dienstleistungen, die allein im Interesse der Justizgewährung erforderlich sind (vgl. zu den Grenzen des Einsatzes des Vermögens im Sinne des Gemeinwohls z.B. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Juli 1981 - 1 BvL 24/78 -, juris). Sollen technische oder labormedizinische Leistungen eines bestimmten Sachverständigen, anders als bei diesem in der Vergangenheit praktiziert, nicht mehr von einem Sachverständigen erbracht, sondern von dem Gericht selbst "eingekauft" werden, ist eine Änderung dieser Praxis dem Vertragsgutachter im Sinne des § 14 JVEG im Rahmen der Vertragsbeziehung vor der Beauftragung mit einem Gutachten zur Kenntnis zu geben. Nach § 62 Satz 2 VwVfG finden auf die Vereinbarungen nach § 14 JVEG ergänzend die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches Anwendung. Damit wirkt insbesondere eine langjährig geübte Abrechnungspraxis konkretisierend auf diese Vereinbarungen.

8

Bezüglich der Vergütung der einzelnen Leistungen wird im Übrigen auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Bezug genommen. Die Abrechnung entsprechend den Bestimmungen der GOÄ führt im vorliegenden Einzelfall nicht dazu, dass die Vergütung versagt werden muss. Denn bei den beanstandeten Abrechnungspositionen handelt es sich um Befunde, die dem Sachverständigen andernfalls von Seiten des Gerichts als Grundlage seiner Begutachtung zur Verfügung zu stellen oder durch externe Dienstleister, Fremdlabore etc. zu erstellen gewesen wären. Vom Grundsatz her regelt § 7 Abs. 1 JVEG im Rahmen des Abschnitts 2 zu den gemeinsamen Vorschriften auch für die Sachverständigen, dass die in den §§ 5, 6 und 12 JVEG nicht besonders genannten Auslagen ersetzt werden, soweit diese notwendig sind. Dies stellt § 10 Abs. 2 Satz 2 Teilsatz 2 JVEG für strahlenmedizinische Untersuchungen und Magnetresonanztomografien nochmals ausdrücklich klar. Die Regelung in § 10 Abs. 1 JVEG gilt nur, "soweit" der Sachverständige die dort im Einzelnen genannten Leistungen erbringt, schränkt damit ebenfalls die Geltendmachung weiterer Auslagen, die nicht in der Anlage 2 genannt sind, nicht ein. Damit kann dahinstehen, dass die Landeskasse scheinbar eine Forderung von pauschal 1.000,00 EUR nach Ziffer 303 mit einer Textbegründung "außergewöhnlich umfangreich oder schwierig", nicht aber bei einer Begründung mit 61 erbrachten Einzelpositionen für ausreichend hält. Allein durch die Pauschalen von 1.000,00 EUR nach Ziffer 303 und von 250,00 EUR für die DNA-Untersuchung nach der Ziffer 304 der Anlage 2 nebst Umsatzsteuer wäre der Gesamtbetrag der abgerechneten Aufwendungen deutlich überschritten. Der an Formvorgaben geknüpfte Ausschluss der Vergütung von erbrachten Leistungen bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Der hier verwendete Vordruck für den Antrag auf Vergütung nach dem JVEG ist, anders z.B. als der Vordruck nach § 117 Abs. 4 ZPO, kein gesetzlich geregelter Vordruck. Um eine Vergütung deshalb zu versagen, weil der Vordruck nicht genau nach den dortigen Vorgaben ausgefüllt ist, bedarf es einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall. Die Kürzung muss erforderlich sein, um den Verwaltungsaufwand in Grenzen zu halten, und muss im Einzelfall angemessen sein, um den Gegenleistungscharakter der Vergütung nicht entfallen zu lassen. Es bedarf insoweit hier keiner Korrektur der erstinstanzlichen Entscheidung.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.

10

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG.


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