Beschluss vom Oberlandesgericht Oldenburg (1. Strafsenat) - 1 Ws 159/12

Tenor

Auf die weitere Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Wildeshausen vom 28. Januar 2012 aufgehoben. Der Angeklagte ist in dieser Sache aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

1

Das Amtsgericht Wildeshausen hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 28. Januar 2012 gegen den Beschuldigten gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr angeordnet. Der Beschuldigte ist am selben Tage festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Durch Beschluss vom 1. März 2012 hat das Landgericht Oldenburg die Haftbeschwerde des Beschuldigten vom 22. Februar 2012 zurückgewiesen. Hiergegen - und somit auch gegen den Haftbefehl dem Amtsgerichts Wildeshausen - hat der Beschuldigte mit Schreiben vom 13. März 2012 weitere Beschwerde eingelegt, der das Landgericht durch Beschluss vom 22. März 2012 nicht abgeholfen hat.

2

Die weitere Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Haftbefehls.

3

Das Amtsgericht hat den Haftgrund der Wiederholungsgefahr darauf gestützt, dass der Beschuldigte zweier Taten nach §§ 242, 243 StGB dringend verdächtig sei. Insbesondere im Hinblick auf die Schadenshöhe (> 100.000 Euro) und das strukturierte Vorgehen handele es sich um die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Taten, für die der strafrechtlich bereits auch einschlägig in Erscheinung getretene Beschuldigte eine Freiheitsstrafe von deutlich über einem Jahr erwarten dürfe. Aufgrund der zeitlichen Reihenfolge dieser beiden Taten bestehe hinreichender Grund zu der Annahme, dass der derzeit arbeitslose Beschuldigte derlei Straftaten zur Bestreitung des Lebensunterhalts auch weiterhin begehen werde. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände erscheine die Untersuchungshaft zur Abwendung der Wiederholungsgefahr auch erforderlich und nicht unverhältnismäßig.

4

Diese Erwägungen sind nicht geeignet, eine Wiederholungsgefahr im Sinne von § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu begründen. Es liegen keine Tatsachen vor, die die Gefahr begründen, der Angeklagte werde vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche gleichartige Straftaten begehen.

5

Die wegen Wiederholungsgefahr angeordnete Untersuchungshaft stellt kein Mittel der Verfahrenssicherung, sondern - als Ausnahme im System der Strafprozessordnung - eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft dar. Die Vorschrift ist deshalb und weil sie in besonderem Maße Grundrechte tangiert (vgl. BVerfGE 19, 349) eng auszulegen. Insbesondere sind strenge Anforderungen an die Voraussetzungen zu stellen, die zur Annahme einer Wiederholungsgefahr berechtigen.

6

Die Wiederholungsgefahr muss durch bestimmte Tatsachen begründet werden. Diese müssen eine so starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Taten erkennen lassen, dass die Besorgnis begründet ist, er werde die Serie gleichartiger Taten noch vor einer Verurteilung wegen der Anlasstat fortsetzen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 112a Rn. 14 mit weiteren Nachweisen).

7

Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

8

Zunächst kann dahin stehen, ob vorliegend ein dringender Tatverdacht wegen zweier Diebstahlsfälle „im besonders schweren Fall“ (Anlasstaten) anzunehmen ist oder es sich bei der Wegnahme des Lkw - wie der Verteidiger meint - nur um einen unbefugten Gebrauch eines Fahrzeugs nach § 248b StGB handelt. Das ist von den Umständen des Einzelfalls und den weiteren Ermittlungen abhängig. Denn selbst wenn insoweit ein Diebstahl nach § 243 StGB zu bejahen und damit die formellen Voraussetzungen des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO gegeben wären, fehlte es hier an dem Vorliegen zusätzlicher bestimmter Tatsachen, die die Gefahr begründen, dass der Beschuldigte vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten von gleicher Art begehen wird und die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich ist.

9

Der Beschuldigte hat die letzte Tat nach § 243 StGB am 13. Juni 2007 begangen. Das Verfahren ist seinerzeit nach § 47 JGG eingestellt worden. Danach ist er noch fünfmal strafrechtlich in Erscheinung getreten. In einem Fall erfolgte wiederum eine Einstellung nach § 47 JGG, in zwei Fällen wurden erzieherische Maßnahmen nach Jugendrecht festgesetzt. In einem weiteren Fall (Verurteilung vom 31. März 2011) wurde der Beschuldigte wegen Hehlerei mit Strafvorbehalt verurteilt. Die letzte Verurteilung datiert vom 25. Juli 2011. Dort wurde der Beschuldigte wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.

10

Da nicht einmal die Verhängung von Jugendstrafen erfolgt ist und darüber hinaus die Verurteilungen nach Erwachsenenstrafrecht keine Katalogtaten i. S. v. 112a Absatz 1 Nr. 1 oder 2 StPO sind, fehlt es an einer Tatsachengrundlage für die Annahme einer Wiederholungsgefahr. Eine starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Straftaten, wie sie eine Wiederholungsgefahr im Sinne von § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO voraussetzt, kann dem jedenfalls noch nicht entnommen werden.

11

Auch aus den konkreten Umständen der Begehung der Anlasstaten kann diese Gefahr nicht hergeleitet werden, weil beide Taten nicht unabhängig voneinander begangen worden sind, sondern die Wegnahme des Lkw ersichtlich nur der Ermöglichung der Wegnahme der weiteren Gegenstände diente, die Taten also auf einem einheitlichen Tatentschluss beruhten und die kurze Zeitspanne zwischen den beiden Taten eine Wiederholungsgefahr gerade nicht begründet.

12

Die Kostenentscheidung entspricht § 467 StPO.

 


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