Beschluss vom Oberlandesgericht Bamberg - 2 UF 23/22

Tenor

I. Auf die Beschwerden der Antragstellerin und des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts Gemünden a. Main vom 21.12.2021, Az. 4 F 524/18, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin rückständigen Ehegattengetrenntlebensunterhalt für den Zeitraum 01.10.2018 bis 02.03.2022 in Höhe von 17.965,99 Euro zu zahlen.

2. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

II. Im Übrigen werden die Beschwerden der Beteiligten zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin zu 45% und der Antragsgegner zu 55%.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

V. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.008,30 Euro festgesetzt. In Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung wird der Verfahrenswert für das Verfahren erster Instanz auf 10.296,00 Euro festgesetzt.

VI. Dem Antragsgegner wird Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ohne Zahlungsanordnung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. M. K., Ka., bewilligt.

Gründe

I.

Verfahrensgegenständlich sind Ansprüche auf Ehegattengetrenntlebensunterhalt zwischen den Beteiligten im Zeitraum 01.10.2018 bis 02.03.2022.

1. Die Beteiligten heirateten am ... 2003. Es war für beide Beteiligte die zweite Ehe. Gemeinsame Kinder gingen aus der Ehe nicht hervor. Seit dem 13.11.2017 lebten die Beteiligten getrennt, die Zustellung des Scheidungsantrags erfolgte am 23.10.2018. Nach beidseitigem Rechtsmittelverzicht ist der Endbeschluss des Amtsgerichts Gemünden a. Main vom 21.12.2021, mit dem die Ehe der Beteiligten geschieden wurde, mit Eingang der Verzichtserklärungen beim Beschwerdegericht im Laufe des 02.03.2022 rechtskräftig geworden.

Während der Ehezeit betrieb die Antragstellerin zuletzt in selbständiger Tätigkeit die Gaststätte „…“ in … Zu Beginn des Jahres 2018 gab die Antragstellerin diese Tätigkeit auf. Sie ist seitdem ohne eigene Einkünfte. Gemäß erstinstanzlich eingeholtem arbeitsmedizinischen Gutachten vom 12.07.2021 (Bl. 264 d.A.) ist die Antragstellerin dauerhaft erwerbsunfähig. Sie erhält Leistungen nach SGB II, die ihr zur gerichtlichen Geltendmachung vom Leistungsträger rückübertragen wurden (Bl. 213 d.A.).

Der Antragsgegner war während des Zusammenlebens der Beteiligten zuletzt als angestellter Koch in der Gaststätte der Antragstellerin tätig. Mit Wirkung zum 05.01.2018 führte er dann in selbständiger Tätigkeit die zuvor von der Antragstellerin betriebene Gaststätte „…“ fort.

Die Beteiligten führten im Verfahren 4 Ca 156/18 ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht Würzburg. In diesem machte die Antragstellerin gegen den Antragsgegner wegen des Vorwurfs unberechtigter Privatentnahmen des Antragsgegners eine Forderung von 10.887,64 € geltend. Mit Endurteil vom 08.08.2018 wurde der Antragsgegner verurteilt, an die Antragstellerin 387,64 € zu zahlen. In Höhe von weiteren 249,90 € wurde die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen, wobei die Klageabweisung in Höhe von 4.500,00 € aufgrund einer wirksamen Aufrechnung des Antragsgegners erfolgte. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Rechtsstreits wird auf die Entscheidungsgründe des Endurteils vom 08.08.2018 Bezug genommen (Bl. 13 d.A.). Weiterhin erteilte die Antragstellerin am 28.02.2018 dem Versorger „…“ mündlich einen Auftrag zur Belieferung mit Strom und Gas für die von ihr allein genutzte Wohnung (Bl. 35 d.A.), wobei sie ohne Wissen und Zustimmung des Antragsgegners in dessen Namen auftrat.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich im Wege der Stufenklage Getrenntlebensunterhaltsansprüche ab Oktober 2018 geltend gemacht, die sie nach Erledigung der Auskunftsstufe mit monatlich 792,00 € beziffert hat. Hierbei ist sie von monatlichen bereinigten Einkünften des Antragsgegners von 1.992,00 € ausgegangen.

Der Antragsgegner ist erstinstanzlich der Zahlungspflicht entgegengetreten, wobei er auf pandemiebedingt gesunkene Einnahmen sowie zu berücksichtigende Zahlungen für Krankenversicherung und Altersvorsorge verwiesen hat. Er hat zudem eingewandt, dass die Antragstellerin ihre Unterhaltsberechtigung aufgrund falscher Angaben im arbeitsgerichtlichen Verfahren sowie den Abschluss des Strom- und Gaslieferungsvertrags auf seinen Namen verwirkt habe.

2. Mit Endbeschluss vom 21.12.2021 hat das Amtsgericht den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin monatlichen Trennungsunterhalt in Höhe von 757,00 € im Zeitraum Oktober bis Dezember 2018 und in Höhe von 773,73 € von Januar bis Dezember 2019 zu zahlen. Im Übrigen hat es den Antrag abgewiesen. Hierbei ist es im Jahr 2018 von einem Jahresnettoeinkommen des Antragsgegners von 20.211,64 € und im Jahr 2019 von einem solchen von 20.632,69 € ausgegangen. Ab dem Jahr 2020 sei der Antragsgegner bei einem bereinigten monatlichen Nettoeinkommen von 985,35 € nicht mehr leistungsfähig. Nachdem eine Behebung des pandemiebedingten Einkommensrückgangs beim Antragsgegner im Jahr 2021 nicht prognostiziert werden könne, sei weiterhin von Leistungsunfähigkeit auszugehen. Eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Antragstellerin nach §§ 1361 Abs. 3, 1579 BGB sei nicht anzunehmen, da es an einer vom Antragsgegner darzulegenden Feststellung eines schwerwiegenden Fehlverhaltens der Antragstellerin fehle. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen (Bl. 396 d.A.).

3. Gegen diese der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 23.12.2021 und dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 03.01.2022 zugestellte Entscheidung wenden sich beide Beteiligte mit ihren Beschwerden.

Die Antragstellerin begehrt mit ihrer am 21.01.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde, den Antragsgegner über die erstinstanzliche Entscheidung hinaus zu verpflichten, an die Antragsstellerin auch ab Januar 2020 fortlaufend einen monatlichen Trennungsunterhalt in Höhe von 793,00 € zu zahlen. Aus den vorgelegten Einkommensnachweisen des Antragsgegners ergäben sich durchschnittliche monatliche Einkünfte für die Jahre 2018 bis 2020 von 2.073,73 €. Bei einem Selbstständigen sei auf diesen Durchschnittswert und nicht konkrete Einkünfte in einzelnen Jahren abzustellen. Zahlungen auf Krankenversicherungen, Altersvorsorge sowie Einkommenssteuer habe der Antragsteller nicht bzw. nur lückenhaft nachgewiesen.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner am 02.02.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde insgesamt gegen das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum bis zur Rechtskraft der Scheidung. Das Amtsgericht habe nachgewiesene Verpflichtungen des Antragsgegners bzgl. Krankenversicherung, Lebensversicherung (Altersvorsorge) und Einkommenssteuer nicht einkommensmindernd berücksichtigt. Zudem sei der Gewinn des Jahres 2021 nur aufgrund einer Corona-Beihilfe (sog. Überbrückungshilfe III) in Höhe von 61.250,00 € erwirtschaftet worden, wobei über den endgültigen Verbleib beim Antragsgegner noch nicht abschließend entschieden sei. Schließlich sei aufgrund des erstinstanzlich unstreitig festgestellten Sachverhalts bezüglich des arbeitsgerichtlichen Verfahrens sowie des von der Antragstellerin auf seinen Namen abgeschlossenen Versorgervertrags eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Antragstellerin anzunehmen.

Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts im Beschwerdeverfahren wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten sowie die Feststellungen im Terminsprotokoll vom 17.03.2022 Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerden der Beteiligten sind jeweils gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere gemäß §§ 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 Nr. 1, 117 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 FamFG form- und fristgerecht eingelegt. Soweit die Antragstellerin das Fehlen einer qualifizierten elektronischen Signatur in der Beschwerdeeinlegungsschrift des Antragsgegners vom 02.02.2022 (Bl. 425 d.A.) moniert, übersieht sie, dass schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen zwar als elektronisches Dokument gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 130a ZPO einzureichen sind. Allerdings kann dieses gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 2. Alt., Abs. 4 S. 1 Nr. 3 ZPO auch durch einfache Signatur (Art. 3 Nr. 10 elDAS-Vo) der verantwortenden Person erfolgen, soweit das Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird (§ 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 130a Abs. 3 ZPO). Dieses ist vorliegend gemäß § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO bei dem vom sachbearbeitenden Antragsgegnervertreter genutzten eigenen besonderen elektronischen Anwaltspostfach der Fall. Die Beschwerdeschrift (pdf-Datei) trägt am Ende den Namen des Verwenders.

2. Die Beschwerden der Beteiligten sind jeweils nur teilweise begründet und im Übrigen abzuweisen. Der Antragsgegner ist der Antragstellerin gemäß § 1361 BGB entsprechend nachstehender Tabelle zur Zahlung von Ehegattengetrenntlebensunterhalt verpflichtet. Nachdem die Rechtskraft der Scheidung im Verfahren 4 F 517/18 (Amtsgericht Gemünden a. Main) aufgrund des Rechtsmittelverzichts beider Beteiligter im Laufe des 02.03.2022 eingetreten ist, endet die Trennungsunterhaltsverpflichtung des Antragsgegners mit Ablauf dieses Tages, so dass für März 2022 nur ein entsprechender Bruchteil zu leisten ist.

ab 10/2018

2019

bis 06/2020

ab 07/2020

2021

bis 02/2022

März 2022

1

Einkünfte

26.724,00 €

27.432,00 €

16.345,00 €

16.345,00 €

41.065,90 €

27.078,00 €

27.078,00 €

2

pro Monat

2.227,00 €

2.286,00 €

1.362,08 €

1.362,08 €

3.422,16 €

2.256,50 €

2.256,50 €

3

Steuer/Monat

0,00 €

0,00 €

0,00 €

0,00 €

643,64 €

65,00 €

65,00 €

4

KV/PV AOK

272,53 €

227,34 €

112,95 €

112,95 €

269,28 €

416,45 €

416,45 €

5

Zusatz-KV

58,00 €

58,00 €

58,00 €

58,00 €

58,00 €

59,29 €

59,29 €

6

Bayern LV

0,00 €

0,00 €

0,00 €

191,78 €

191,78 €

191,78 €

191,78 €

7

bereinigt

1.896,47 €

2.000,66 €

1.191,13 €

999,35 €

2.259,46 €

1.523,98 €

1.523,98 €

8

abzgl. ETB

1.706,82 €

1.800,59 €

1.072,02 €

899,42 €

2.033,51 €

1.371,58 €

1.371,58 €

9

Unterhalt ASt

853,41 €

900,30 €

536,01 €

449,71 €

1.016,76 €

685,79 €

685,79 €

10

SB Agg

1.200,00 €

1.200,00 €

1.280,00 €

1.280,00 €

1.280,00 €

1.280,00 €

1.280,00 €

11

Unterhalt n. SB

696,47 €

800,66

0

0

979,46

243,98 €

243,98 €

12

§ 1579 Nr. 3

522,35 €

600,50 €

0,00 €

0,00 €

734,59 €

182,99 €

182,99 €

Zur Erläuterung der Berechnung:

a) Zeile 1: Die unstreitigen Einkünfte des Antragsgegners in den Jahren 2018 bis 2020 ergeben sich aus den jeweiligen Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG (2018: Bl. 159 d.A.; 2019: Bl. 398 d.A.; 2020: Bl. 336 d.A.) sowie den entsprechenden Steuerbescheiden (Bl. 274, 359, 461 d.A.).

Für das Jahr 2021 ergibt sich aus der Gewinnermittlung (Bl. 463 d.A.) ein betrieblicher Gewinn von 41.065,90 €. In diesem ist eine Leistung entsprechend der Richtlinie über die Gewährung von Überbrückungshilfe des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen (Überbrückungshilfe III) in Höhe von 61.250,99 € enthalten. Diese Leistung ist gewinnerhöhend bei der Ermittlung des unterhaltsrechtlichen Einkommens des Antragsgegners zu berücksichtigen (in Abgrenzung dazu OLG Frankfurt, Beschluss v. 26.04.2021, Az. 8 UF 28/20 für die in den ersten Monaten der Pandemie ausgezahlte Corona-Soforthilfe; dazu auch jurisPK-BGB-Viefhues, Stand 10.03.2022, § 1361 BGB, Rn. 370.1).

Überbrückungshilfe III dient in Form einer Billigkeitsleistung als freiwillige Zahlung der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz bei Coronabedingt erheblichen Umsatzausfällen. Förderfähig sind dabei enumerativ aufgezählte betriebliche Fixkosten. Der Einbeziehung der Überbrückungshilfe in die Gewinnermittlung und damit in das unterhaltsrechtliche Einkommen steht dieses nicht entgegen. Indem durch die staatliche Hilfe betriebliche Festkosten durch die Beihilfeleistung übernommen werden, erspart sich der Beihilfebezieher eigene Aufwendungen in gleicher Höhe. Anders als Corona-Soforthilfen, die in den ersten Monaten der Pandemie als reine Billigkeitsleistung nicht an entgangene Umsätze anknüpften, sondern allein der Hilfe in existentieller Notlage dienten, bestimmt sich die Höhe des Überbrückungsgeldes III nach betrieblichen Kennzahlen zum Ausgleich erheblicher Umsatzausfälle. Der gesetzgeberische Zweck der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz (vgl. hierzu Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vom 18. Februar 2021, Az. PGÜ-3560-3/2/304, zur Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfe des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen - Phase 3 in BayMBl. Nr. 132) erfasst nach Sinn und Zweck die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beihilfebeziehers und damit sekundär auch die wirtschaftlich von diesem abhängigen Unterhaltsberechtigten. Demgegenüber diente die Corona-Soforthilfe nicht dem Ersatz entgangener Umsätze und Gewinne (vgl. https://www.stmwi.bayern.de/foerderungen/soforthilfe-corona/).

Ausweislich der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 3 EStG hätte der Antragsgegner ohne die Überbrückungshilfe im Jahr 2021 einen Verlust in Höhe von 18.519,69 € erlitten. Durch die (steuerfreien) Betriebseinnahmen der Überbrückungshilfe III konnte er jedoch das Jahr mit einem Gewinn von 41.065,90 € abschließen. Dieser Gewinn lag damit höher als das Jahresergebnis der vor der Corona-Pandemie liegenden Jahre 2018 (26.724,00 €) und 2019 (27.432,00 €). Eine Nichtberücksichtigung der Überbrückungshilfe III bei der Gewinnermittlung würde vorliegend daher dazu führen, dass trotz objektiv höherer Leistungsfähigkeit und besseren wirtschaftlichen Verhältnissen des Unterhaltsberechtigten im Jahr 2021 kein Unterhaltsanspruch bestehen würde. Dieses ist offensichtlich unbillig. Vielmehr ist aufgrund der einnahmenersetzenden Wirkung des Überbrückungsgeldes III dieses als gewinnerhöhend anzusetzen.

Der Berücksichtung der vom Antragsgegner vereinnahmten Überbrückungshilfe steht auch nicht entgegen, dass diese bis Ende des Jahres über einen prüfenden Dritten schlussabzurechnen ist. Einerseits hat der Antragsgegner bereits nicht substantiiert Umstände vorgetragen, aus denen sich eine eventuelle Rückzahlungsverpflichtung ergeben kann. Nachdem bereits die Antragstellung durch einen Steuerberater auf Grundlage vorliegender betrieblicher Kennzahlen zu erfolgen hatte, besteht zunächst eine Vermutung dahingehend, dass die Höhe der erhaltenen Abschlagszahlung dem tatsächlich bestehenden Anspruch angenähert ist. Gegenteiliges hat der Antragsgegner nicht dargelegt. Andererseits sind Zu- und Abflüsse bei Vereinnahmung und Abrechnung des Überbrückungsgeldes nach dem In-Prinzip jeweils bezogen auf den Zeitpunkt ihres Anfalls zu berücksichtigen, mithin für 2021 das vom Antragsgegner bezogene Überbrückungsgeld. Damit verbleibt es beim Antragsgegner für das Jahr 2021 bei Gesamteinkünften von 41.065,90 €.

Für das Jahr 2022 kann nach Auffassung des Senats aufgrund der voraussichtlichen sukzessiven Aufhebung pandemiebedingter Einschränkungen zur Schätzung der Einkünfte des Antragsgegners an den Durchschnitt der Einkünfte in den Jahren 2018 und 2019 angeknüpft werden. Es ist daher von Jahreseinkünften in Höhe von 27.078,00 € auszugehen.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist für den hier gegenständlichen, in der Vergangenheit liegenden Unterhaltszeitraum nicht von einem den gesamten Unterhaltszeitraum umfassenden Mehrjahresschnitt der Einkünfte des Unterhaltspflichtigen auszugehen. Maßgeblich bei nach Zeitabschnitten bestimmten rückständigem Unterhalt sind stets die in dieser Zeit tatsächlich erzielten Einkünfte, wobei zur Vereinfachung der Berechnung von einem Jahresdurchschnitt ausgegangen werden kann (vgl. BGH, Urteil v. 04.07.2007, Az. XII ZR 141/05). Dementsprechend hat der Senat die in den Jahren 2018 bis 2022 jeweils tatsächlich erzielten Einkünfte des Antragsgegners der Bestimmung des Unterhaltsanspruchs der Antragstellerin zugrunde gelegt.

b) Zeile 3: Steuerzahlungen sind grundsätzlich ebenfalls nur für den unterhaltsrechtlichen Zeitraum zu berücksichtigen, in dem sie tatsächlich geleistet werden (“In-Prinzip“, vgl. BGH, Urteil v. 02.06.2004, Az. XII ZR 217/01). Maßgeblich sind daher die vom Antragsgegner in den Jahren 2018 bis 2022 jeweils tatsächlich erbrachten Einkommensteuerzahlungen. Nachdem der Antragsgegner nicht nachgewiesen hat, dass er zwischen 2018 und 2020 trotz Anforderung von Vorauszahlungen durch die Finanzbehörde Leistungen erbracht hat, kann das Bestehen der Zahlungspflicht allein nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden.

Im Jahr 2021 ist nach Ergehen der Steuerbescheide für die Jahre 2018, 2019 und 2020 (Bl. 274, 359, 461 d.A.) jeweils mit Fälligkeit im Jahr 2021 eine konkret fällige Steuerschuld des Antragsgegners von 7.723,67 € festzustellen. Dieses entspricht einer monatlichen Belastung von 643,64 €. Für das Jahr 2022 setzt der Senat als Steuerbelastung die mit Bescheid vom 12.07.2021 (Bl. 461 d.A.) angeordneten Vorauszahlungen in Höhe von monatlich 65,00 € an.

c) Zeile 4 und 5: Die in den jeweiligen Unterhaltszeiträumen vom Antragsgegner gezahlten Krankenversicherungsbeiträge entnimmt der Senat den Zahlungsaufstellungen der AOK Bayern (Bl. 107, 377, 379, 381, 488 d.A.). Zwar fehlen für das Jahr 2022 Zahlungsnachweise. Allerdings hatte der Antragsgegner bereits in der Vergangenheit Krankenkassenbeiträge nicht in festen monatlichen Beträgen gezahlt, sondern - wie bei Selbständigen nicht unüblich - in unregelmäßigen Abständen in verschiedener Höhe entsprechend seiner Einkommenslage. Vor diesem Hintergrund ist für das Jahr 2022 prognostisch von der Zahlung des aktuell geschuldeten Beitrags des Antragstellers bei der AOK Bayern zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 416,45 € auszugehen (vgl. Beitragsbescheid Bl. 580 d.A.).

Die regelmäßige Zahlung der jeweils fälligen Beiträge zur Krankenzusatzversicherung bei der R+V Versicherung ist mit Versicherungsschreiben vom 10.01.2021 (Bl. 382 d.A.) nachgewiesen und daher fortzuschreiben. Der ab dem 01.01.2022 leicht erhöhte Beitrag von 59,29 € ist ebenfalls nachgewiesen.

d) Zeile 6: Der Antragsteller ist als Selbständiger berechtigt, mindestens in Höhe des Rentenversicherungsbeitrags für abhängig Beschäftigte (18,6% des Bruttoeinkommens) eine private Altersvorsorge zu betreiben. Gemäß der Bestätigung der B. L. AG vom 19.11.2021 (Bl. 386 d.A.) hat der Antragsgegner im Zeitraum 01.07.2021 bis 19.11.2021 Zahlungen von 3.259,38 € geleistet, dieses entspricht monatlich 191,78 €. Dieses befindet sich innerhalb des nach vorstehenden Grundsätzen zu akzeptierenden Rahmens privater Altersvorsorge.

e) Zeile 7 bis 11: Nachdem die Antragstellerin aufgrund ihrer unstreitigen Erwerbsunfähigkeit über keine zu berücksichtigenden Einkünfte verfügt, bestimmt sich der angemessene Unterhalt (Zeile 9) gemäß § 1361 Abs. 1 BGB nach dem Halbteilungsgrundsatz allein nach den um den Erwerbstätigenbonus bereinigten Einkünften des Antragsgegners (Zeile 8). Soweit nach Abzug des Unterhaltsanspruchs der Antragstellerin der notwendige Selbstbehalt des Antragsgegners nach 21.4 SüdL von 1.200,00 € in den Jahren 2018 und 2019 bzw. 1.280,00 € seit dem Jahr 2020 unterschritten wird, ermäßigt sich der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin entsprechend (Zeile 11).

f) Zeile 12: Gemäß § 1361 Abs. 3 i.V.m. § 1579 Nr. 3 BGB ist der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin um 25% herabzusetzen, da sie sich eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den unterhaltsverpflichteten Antragsgegner schuldig gemacht hat.

Nach den im Verfahren getroffenen Feststellungen hat die Antragstellerin vorsätzlich im arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen den Antragsgegner falsche Angaben gemacht, um eine tatsächlich nicht in voller Höhe bestehende Forderung durchzusetzen. Es wurde im Termin vor dem Senat eingeräumt und ergibt sich überdies auch aus dem Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 08.08.2018 (Az. 4 Ca 156/18), dass die Antragstellerin behauptet hat, dass der Antragsgegner Privatentnahmen über 10.877,64 € getätigt und diese in den Kassenbestandsblättern auch gezeichnet hat. Tatsächlich wurden die über 4.887,64 € hinausgehenden Entnahmen von der Antragstellerin selbst gezeichnet, so dass eine gegen ihren Willen unrechtmäßig durch den Antragsgegner erfolgte Privatentnahme ausschied.

Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht hat die Antragstellerin nach Erklärung einer Aufrechnung durch den Antragsgegner in Höhe von 4.500,00 € ferner abgestritten, dass ihr ein solcher Betrag in mehreren Teilsummen zuvor vom Antragsgegner zur Verfügung gestellt und von ihr zur Begleichung eigener Verbindlichkeiten eingesetzt wurde. Tatsächlich wurde nach den eindeutigen Feststellungen des arbeitsgerichtlichen Endurteils der Nachweis eines solchen Zusammenhangs geführt (Bl. 26 d.A.).

Auch der im Termin vor dem Senat unstreitig gestellte mündliche Abschluss des Versorgungsvertrags durch die Antragstellerin auf den Namen des Antragsgegners am 28.02.2018 für die Strom- und Gaslieferung in der allein von ihr genutzten Wohnung zeigt, dass die Antragstellerin nach der Trennung der Eheleute keine Hemmungen hatte, sich deliktisch auf Kosten des Antragsgegners zu bereichern. Dass der Antragsgegner einen umfangreicheren Schadenseintritt insoweit bei ihm durch Forderungszurückweisung und Sachverhaltsaufklärung gegenüber dem Versorgungsunternehmen verhindern konnte, steht Vorstehendem jedenfalls nicht entgegen.

Die Bestimmung der Rechtsfolgen bei Verwirklichung eines Härtefalltatbestandes, die von Beschränkung in Form von Herabsetzung und Befristung bis zum Ausschluss des Anspruchs, ggf. auch in Kombination, reichen, ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in tatrichterlicher Verantwortung vorzunehmen (BGH, Beschluss v. 15.02.2012, Az. XII ZR 137/09; OLG Hamm, Beschluss v. 09.03.2015, Az. 8 UF 41/14). Dabei spricht gegen einen vollständigen Ausschluss des Unterhaltsanspruchs neben der nicht unerheblichen Ehedauer von ca. 14 Jahren bis zur Trennung vorliegend, dass die in wirtschaftlich sehr schwierigen Verhältnissen lebende erwerbsunfähige Antragstellerin in besonderem Maße auf Unterhaltszahlungen angewiesen ist. Auch war das eheliche Zusammenleben gemäß den Feststellungen im Urteil des Arbeitsgerichts bereits auf Seiten beider Beteiligter von einem „flexiblen Umgang mit der bestehenden Rechtsordnung“ (Bl. 26 d.A.) geprägt, indem zur Umgehung von Pfändungen finanzielle Mittel zwischen ihnen verschoben wurden. Zudem ist dem Antragsgegner letztlich auch kein Schaden entstanden, nachdem die Klage der Antragstellerin vor dem Arbeitsgericht weitgehend abgewiesen wurde. Nachdem allerdings auch beim Antragsgegner der Antragstellerin bekannt finanziell schwierige Verhältnisse bestehen, stellt sich das vorstehend dargelegte Verhalten der Antragstellerin nichtsdestoweniger als schwere vorsätzliche Verfehlung dar, die unter Abwägung aller Umstände eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs um 1/4 rechtfertigt.

g) Es ergeben sich daher für die einzelnen Unterhaltszeiträume folgende Ansprüche der Antragstellerin auf Trennungsunterhalt gemäß § 1361 BGB:

ab 10/2018

2019

bis 06/2020

ab 07/2020

2021

bis 02/2022

März 2022

12

§ 1579 Nr. 3

522,35 €

600,50 €

0,00 €

0,00 €

734,59 €

182,99 €

182,99 €

13

Monate

3

12

6

6

12

2

0,065

14

Rückstand

1.567,06 €

7.205,94 €

0,00 €

0,00 €

8.815,13 €

365,97 €

11,89 €

15

Gesamter

Rückstand

17.965,99 €

Aufgrund der Rechtskraft der Ehescheidung am 02.03.2022 besteht im März 2022 der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin lediglich für zwei Tage. Der Gesamtrückstand für den Zeitraum 01.10.2018 bis 02.03.2022 beträgt danach 17.965,99 €.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 FamFG unter Berücksichtigung des Obsiegens der Beteiligten in der jeweiligen Instanz.

4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert. Die bezeichnete Rechtsprechung des OLG Frankfurt (Beschluss v. 26.04.2021, Az. 8 UF 28/20) betrifft mit der Frage der Anrechnung der Corona-Soforthilfe als unterhaltsrechtliches Einkommen einen anderen Gegenstand als das vorliegend vom Antragsgegner vereinnahmte Überbrückungsgeld III, dessen Bewilligung im Gegensatz zur zum Anfang der Pandemie gezahlten Soforthilfe direkt an bestimmte betriebliche Fixkosten anknüpft und einkommensersetzenden Charakter aufweist.

5. Die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 40, 51 Abs. 1, Abs. 2 FamGKG. Der Verfahrenswert des Verfahrens erster Instanz ist gemäß § 51 Abs. 1, Abs. 2 FamGKG entsprechend durch den Senat abzuändern.

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