Beschluss vom Oberlandesgericht Braunschweig (1. Strafsenat) - Ws 84/13

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 13. Februar 2013 wird kostenpflichtig verworfen.

Gründe

1

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2

Der Angeklagte ist am 2. Mai 2012 in Braunschweig vorläufig festgenommen worden. Er befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Braunschweig vom 3. Mai 2012 (Bd.II Bl.45) wegen zwei Straftaten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§§ 29 Abs.1 Nr.1 BtMG) wegen Wiederholungsgefahr in Sicherungshaft, die indes im Zeitraum vom 18. Juli 2012 bis zum 26. August 2012 zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitstrafe unterbrochen worden ist. Wegen der genannten Straftaten, die nach dem Anklagevorwurf am 18. April 2012 und am 2. Mai 2012 begangen wurden, ist der Angeklagte inzwischen sowohl erstinstanzlich vom Amtsgericht Braunschweig als auch zweitinstanzlich vom Landgericht Braunschweig verurteilt worden. Die Kammer hat beide Taten in Übereinstimmung mit dem Haftbefehl als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und jene vom 2. Mai 2012 zudem als tateinheitlich verübtes Vergehen der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs.1 Nr.1 BtMG) bewertet. Sie hat im Berufungsurteil vom 13. Februar 2012 (Bd. I Bl. 193 ff.) - jeweils unter der Annahme einer gewerblichen Begehungsweise (§ 29 Abs.3 Nr.1 BtMG) - Einzelstrafen von 11 Monaten (Tat vom 18. April 2012) sowie von 1 Jahr und 1 Monat (Tat vom 2. Mai 2012) verhängt. Aus diesen Einzelstrafen und einer weiteren Einzelstrafe von 8 Monaten (unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) hat sie sodann eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten gebildet und gemäß § 268 b StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Die Einzelstrafe von 8 Monaten ist nach Verfahrensverbindung im Berufungsverfahren wegen einer im Haftbefehl nicht enthaltenen Tat vom 10. Oktober 2011 verhängt worden.

3

Gegen die getroffene Haftfortdauerentscheidung richtet sich das Rechtsmittel des Angeklagten. Er beantragt die Aufhebung des Haftbefehls und bringt hierzu vor, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht vorliege, weil eine Katalogtat nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Ws 188/08 und Ws 316/11) nur dann als Anlasstat in Betracht komme, wenn jeder Einzeltat eine Straferwartung von mehr als einem Jahr zukomme. Daran fehle es, weil die Kammer für die Tat vom 18. April 2012 nur 11 Monaten verhängt habe. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass er bereits erhebliche Zeit in Sicherungshaft verbracht habe.

4

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen. Sie hält es insbesondere für ausreichend, wenn die zu erwartende Gesamtstrafe 1 Jahr übersteige.

II.

5

Das Rechtsmittel ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

6

(…)

7

Es besteht ferner der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Die Taten vom 18. April 2012 und 2. Mai 2012 sind gleichartige Katalogtaten, die jeweils die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigen. Der Senat verweist insoweit und hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen der Sicherungshaft auf den Beschluss vom 22. Oktober 2012 (Bd.III Bl.48 ff.), in dem diese Voraussetzungen bereits umfassend geprüft wurden. Dass die Kammer im Berufungsurteil lediglich Einzelstrafen von 11 Monaten sowie von 1 Jahr und 1 Monat verhängt hat, steht der Einordnung der Straftaten als schwerwiegend i.S.d. § 112 a Abs.1 S.1 Nr.2 StPO nicht entgegen. Denn die gegenüber der Erwartung des Senats im genannten Beschluss vom 22. Oktober 2012 (BA S.6) vergleichsweise niedrigen Einzelstrafen beruhen nach den Urteilsfeststellungen maßgeblich auf dem Geständnis der Angeklagten und der Tatsache, dass die Kammer eine verminderte Schuldfähigkeit nicht ausschließen konnte und den Strafrahmen deshalb gemäß §§ 21, 49 StGB gemildert hat. Diesen Umständen kommt bei der am „Erscheinungsbild“ der Anlasstaten (Graf in Karlsruher Kommentar, StPO, 6.Aufl., § 112 a Rn.14) und jedenfalls nicht am späteren Prozessverhalten zu orientierenden Bewertung einer Tat als schwerwiegend i.S.d. § 112 a StPO keine maßgebliche Bedeutung zu.

8

Im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers ist es für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht erforderlich, dass für jede Einzeltat, die als Anlasstat herangezogen wird, eine Straferwartung von mehr als 1 Jahr besteht. Zwar muss die erforderliche schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung bei tatmehrheitlicher Begehung von Straftaten für jede Einzeltat vorliegen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.01.2000, 1 Ws 161/99, juris, Rdnr. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.04.2001, 3 Ws 31/01, juris, Rdnr. 12). Die Straferwartung bezieht sich jedoch nicht auf die jeweilige Einzeltat, sondern bei Tatmehrheit auf die Gesamtstrafe (OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2010, 3 Ws 161/10, juris, Rn.27 = StV 2011, 291). Das OLG Hamm hat mit Hilfe der Gesetzesmaterialen überzeugend dargelegt, dass sich der Begriff der Freiheitsstrafe i.S.d. § 112 a StPO an jenem des § 56 StGB orientiert, der nach allgemeiner Meinung die Gesamtstrafe meint, sofern bei Tatmehrheit eine solche gebildet wurde. Denn die erforderliche Straferwartung wurde nach der amtlichen Gesetzesbegründung, die ausdrücklich auf § 23 Abs.3 StGB a.F. (= § 56 Abs.2 StGB n. F.) Bezug nimmt, deshalb mit mehr als 1 Jahr bemessen, weil eine solche Strafe nur bei Vorliegen besonderer Umstände zu Bewährung ausgesetzt werden kann (Bundestags Drucksache VI/3248 S.4).

9

Soweit der Senat im Beschluss vom 07. November 2011 (Ws 316/11 = StV 2012, 352) - nicht tragend (die Haftbefehlsaufhebung erfolgte in jenem Fall mangels schwerwiegend beeinträchtigender Straftaten) - für die notwendige Straferwartung auf die Einzeltat abgestellt hat, wird daran nicht festgehalten. Der Beschluss des Senats vom 29. Mai 2008 (Ws 188/08, juris = StV 2009, 84), auf den sich der Beschwerdeführer ebenfalls stützt, hat für die gebotene Entscheidung ohnehin keine Bedeutung, weil es in jenem Beschluss (es ging um die Einbeziehung von Nichtkatalogtaten in eine Einheitsjugendstrafe) allein darum geht, dass die Straferwartung von mehr als einem Jahr, wie das vorliegend der Fall ist, nur auf Katalogtaten gestützt werden darf (juris, Rn.6).

 


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