Beschluss vom Oberlandesgericht Braunschweig (1. Strafsenat) - 1 Ws 21/16
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kassel vom 07. Dezember 2015 gegen den Beschluss der 54. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 02. Dezember 2015 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
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Der Verurteilte wurde durch das Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. März 2006 (Az.: 5 KLs 8860 Js 26777/04), welches seit demselben Tage rechtskräftig ist, wegen gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall in 12 Fällen und Betruges mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren belegt (Bd. I Bl. 2 ff. d. VH 8860 Js 26777/04). Nach Teilverbüßung dieser Freiheitsstrafe stellte die Staatsanwaltschaft Kassel mit Verfügung vom 19. Dezember 2007 die Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG mit Wirkung vom 22. Januar 2008 zurück und der Verurteilte absolvierte in der Zeit vom 22. Januar 2008 bis zum 12. Juni 2008 erfolgreich eine stationäre Drogenentwöhnungstherapie. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 04. August 2008 setzte das Landgericht Kassel in der Folge den noch offenen Strafrest von 487 Tagen aus dem eingangs genannten Urteil unter Anrechnung der Therapiezeit auf 3 Jahre gemäß § 36 BtMG zur Bewährung aus (Bd. I Bl. 110 ff. d. VH 8860 Js 26777/04). Die Bewährungszeit wurde sodann durch rechtskräftigen Beschluss des Landgerichts Kassel vom 21. Dezember 2010 auf 4 Jahre und 6 Monate verlängert (Bd. I Bl. 158 ff. d. VH 8860 Js 26777/04).
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Des Weiteren verhängte das Amtsgerichts Kassel durch Urteil vom 03. September 2007 (Az.: 266 Ls 3620 Js 28533/06) gegen den Verurteilten wegen Diebstahls im besonders schweren Fall in 6 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 07. Februar 2007 (Az.: 20 Ds 9832 Js 27917/06) eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren (Bl. 3 ff. d. VH 2660 Js 28533/06). Mit rechtskräftigem Beschluss vom 11.09.2008 entschied das Amtsgericht Kassel, dass ein weiterer Therapiezeitraum vom 13. Juni 2008 bis zum 24. Juni 2008 gemäß § 36 BtMG auf die Strafe aus dem Urteil vom 03. September 2007 angerechnet wird, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erreicht sind. Die Vollstreckung des Strafrestes wurde für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt (Bl. 60 d. VH 2660 Js 28533/06). Durch Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 01. November 2010 (Bl. 75 d. VH 2660 Js 28533/06) wurde die Strafaussetzung zur Bewährung zunächst rechtskräftig widerrufen, da der Verurteilte in der Bewährungszeit erneut straffällig geworden war (vgl. Urteil des Amtsgerichts Brilon vom 19. Oktober 2009 - 12 Ds 283 Js 57/09-590/09). Aufgrund einer abermals gewährten Zurückstellung nach § 35 BtMG wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 25. Oktober 2011 die Zeit einer weiteren Therapie des Verurteilten vom 04. Oktober 2010 bis 07. März 2011 nach § 36 BtMG auf die Strafe angerechnet und die Vollstreckung des Strafrestes erneut zur Bewährung ausgesetzt (Bl. 87 d. VH 2660 Js 28533/06).
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Der Verurteilte wurde jedoch abermals straffällig. Das Amtsgerichts Northeim (Az.: 9 Ls 62 Js 43929/11) verurteilte ihn am 04. Oktober 2012 rechtskräftig wegen Diebstahls sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten und ordnete zudem seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Im Hinblick auf dieser Nachverurteilung widerrief das Landgericht Göttingen mit Beschluss vom 27. Dezember 2012 (Bl. 95 ff. d. VH 2660 Js 28533/06), rechtskräftig seit dem 10. Januar 2013, die gewährte Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 03. September 2007 (Az.: 266 Ls 3620 Js 28533/06), des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. März 2006 (Az.: 5 KLs 8860 Js 26777/04) sowie des Restes der Freiheitsstrafe von 1 Jahr aus dem Urteil des Amtsgerichts Brilon vom 19. Oktober 2009 (Az.: 12 Ds 283 Js 57/09-59/09).
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Nur kurze Zeit später verhängte das Amtsgericht Herzberg (Az.: 3 Ls 62 Js 35753/12 (1/31)) mit Urteil vom 04. Oktober 2013 gegen den Angeklagten unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Northeim vom 04. Oktober 2012 u.a. wegen Diebstahls eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten.
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Der Verurteilte war auf der Grundlage des Urteils des Amtsgerichts Herzberg vom 04. Oktober 2013 in der Zeit vom 22. März 2013 bis zum 15. Juni 2015 im Maßregelvollzugszentrum Moringen (MRVZ) untergebracht. Die Zeit der Unterbringung wurde vollständig auf die parallele Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten angerechnet (vgl. Bd. II Bl. 19 d. VH 8860 Js 26777/04)
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In dem Verfahren 3620 Js 28533/06 notierte die Psychiatrische Klinik Lüneburg im Juni 2013 eine Überhaft von 593 Tagen aus dem widerrufenen Strafrest dieses Verfahrens (Bl. 110 d. VH 2660 Js 28533/06). Das MRVZ notierte ausweislich eines Schreibens an die Staatsanwaltschaft Kassel vom 20. Januar 2015 für das Verfahren 8860 Js 26777/04 außerdem eine Überhaft von 487 Tagen, die aus dem widerrufenen Rest der ursprünglich vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe aus diesem Verfahren resultierte (Bd. I Bl. 211 d. VH 8860 Js 26777/04).
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Mit Beschluss vom 11. Mai 2015 (Bl. 213-215 Bd. I 8860 Js 26777/04 VH) setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen schließlich die weitere Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Herzberg am Harz vom 26. Juni 2013 (Az.: 3 Ls 62 Js 35753/12 (1/31)) zur Bewährung aus und ordnete an, den Verurteilten am 15. Juni 2015 aus der Unterbringung zu entlassen (Bd. II Bl. 9 ff. d. VH 8860 Js 26777/04).
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Angesichts der angeordneten Entlassung des Verurteilten aus dem Maßregelvollzug und der Bewährungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 11. Mai 2015 beantragte die Staatsanwaltschaft Kassel mit Verfügung vom 23. November 2015 im Verfahren 8860 Js 26777/04, in dem bereits Zwei-Drittel der vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe durch Verbüßung bzw. Anrechnung als vollstreckt galten, den Strafrest von 487 Tagen zur Bewährung auszusetzen (Bd. II Bl. 36 d. VH 8860 Js 26777/04).
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Mit Beschluss vom 02. Dezember 2015 entsprach das Landgericht Göttingen dem Antrag und setzte die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. März 2006 (Az.: 5 KLs 8860 Js 26777/04) zur Bewährung aus. Zugleich setzte die Strafvollstreckungskammer in diesem Beschluss auch die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 03. September 2007 (Az.: 266 Ls 3620 Js 28533/06) unter Berufung auf § 57 StGB zur Bewährung aus (Bd. II Bl. 37 ff. d. VH 8860 Js 26777/04), obwohl in diesem von der ursprünglichen zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe noch 593 Tage nicht verbüßt waren oder infolge einer Anrechnung als verbüßt galten (vgl. Bl. 82 R d. VH 2660 Js 28533/06).
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Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft Kassel mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 07. Dezember 2015 (Bd. II Bl. 46 d. VH 8860 Js 26777/04). Zur Begründung führt sie aus, dass in dem Verfahren 3620 Js 28533/06 noch 593 Tage von einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren zu verbüßen seien, wonach weder der Halbstrafenzeitpunkt noch der Zweidrittelzeitpunkt erreicht seien, sodass eine Strafaussetzung nach § 57 StGB nicht in Betracht komme.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat beantragt, den Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 02. Dezember 2015 aufzuheben und es abzulehnen, die Vollstreckung der Reststrafen aus den Urteilen des Landgerichts Kassel vom 17. März 2006 und des Amtsgerichts Kassel vom 03. September 2007 zur Bewährung auszusetzen.
II.
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1. Die statthafte (§ 454 Abs. 3 S. 1 StPO), form- und fristgerecht eingelegte (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig.
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2. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. März 2006 sowie die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 3. September 2007 zur Bewährung auszusetzen, ist im Ergebnis nichts zu erinnern.
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a) Zwar weist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 21. Januar 2016 zu Recht darauf hin, dass im Verfahren 3620 Js 28533/06 noch 593 Tage der mit Urteil des Amtsgericht Kassel vom 03. September 2007 verhängten Gesamtfreistrafe von zwei Jahren zu verbüßen sind, mithin die Voraussetzung des § 57 Abs. 1 und Abs. 2 StGB nicht vorliegen, weil noch nicht wenigstens die Hälfte der Strafe erledigt ist. Dennoch kann hier auch insoweit über die Vollstreckungsaussetzung des unerledigten Strafrestes entschieden werden. Das folgt aus einer entsprechenden Anwendung des Rechtsgedankens des § 36 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 BtMG.
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Auf diesen kann der Senat seine Beschwerdeentscheidung stützen, weil die Strafvollstreckungskammer unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles auch für die Reststrafenaussetzung in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 BtMG zuständig gewesen wäre, das Beschwerdegericht daher eine eigene Sachentscheidung zu treffen hat, und die Voraussetzung für eine analoge Anwendung dieser Norm gegeben sind.
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Grundsätzlich begründet § 36 Abs. 5 S. 1 BtMG für Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 3 dieser Vorschrift zwar die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges. Hier führt jedoch das Nebeneinander der erforderlichen Entscheidungen nach § 57 StGB – in Bezug auf den Strafrest von 487 Tagen aus dem Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. März 2006 – einerseits und nach § 36 BtMG – hinsichtlich des Strafrestes von 593 Tagen aus dem Urteil des Amtsgericht Kassel vom 03. September 2007 – anderseits in Anwendung der Konzentrationsmaxime der §§ 462 a, 454 b StPO zur alleinigen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer. Die Zuständigkeitsbestimmung des § 36 Abs. 5 BtMG wurde für Vollstreckungsfälle geschaffen, in denen gegen den Verurteilten keine Vollstreckung im Vollzug stattfindet, sondern dieser sich aufgrund einer vorangegangenen Zurückstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft in eine ambulante oder stationäre Therapie außerhalb des Vollzugs begeben konnte. Da er sich dann rechtlich betrachtet in Freiheit befindet, ist im Erfolgsfall seine Entlassung aus einer stationären Therapieeinrichtung nicht von einer Strafaussetzungsentscheidung nach § 36 Abs. 1 S. 3 BtMG abhängig. Ein Zuständigkeitskonflikt mit anderen Spruchkörpern, zuvorderst der Strafvollstreckungskammer, besteht in den in §§ 35, 36 BtMG vom Gesetzgeber geregelten Vollstreckungskonstellationen folglich nicht. Eine solche Konstellation liegt hier indes gerade nicht vor. Bei der gegebenen Vollstreckungslage kommt dem in der Hauptverhandlung von dem Verurteilten gewonnenen Eindruck des Tatrichters nur noch eine geringe Bedeutung für die zu treffende Aussetzungsentscheidung zu. Die maßgeblichen Umstände ergeben sich vielmehr aus der Entwicklung des Verurteilten im Vollzug. Mit dieser Entwicklung ist allein die Strafvollstreckungskammer wegen der Notwendigkeit meist mehrerer Fortdauerentscheidungen befasst gewesen, nicht jedoch der damalige Tatrichter. Dies spricht deutlich für eine Anwendung der genannten Konzentrationsmaxime und damit für eine alleinige Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 07. August 2012 – Ws 216 + 246 bis 248/12, nicht veröffentlicht; OLG Celle StV 1993, 317).
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In der Sache ist für eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 StGB Raum, weil die Vorschriften der §§ 57 ff. StGB eine Regelung für den besonderen Fall der Strafaussetzung nach erfolgreichem Abschluss einer Entziehungsbehandlung gar nicht vorsehen und auch § 67 Abs. 5 S. 1 StGB nur eine (Teil-) Regelung für den Fall trifft, dass ein Strafrest zugleich mit der Vollstreckung einer in derselben Sache angeordneten Maßregelunterbringung zur Bewährung ausgesetzt wird, für die hier gegebene Konstellation mithin eine Regelungslücke besteht, die – wie gleich noch darzulegen sein wird – ungewollt ist.
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Zudem trifft die Vorschrift des § 36 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 StGB den Sachverhalt, über den vorliegend zu entscheiden ist. Danach kann das Gericht auch in Fällen, in denen – wie hier – nach erfolgter Entziehungsbehandlung noch (Anschluss-) Freiheitsstrafe von nicht mehr als 2 Jahren aus einem anderen Verfahren wegen einer aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen Straftat aussteht, die Vollstreckung dieses Strafrestes auch schon vor Verbüßung von zwei Dritteln oder der Hälfte der Strafe zur Bewährung aussetzen, wenn die Weiterbehandlung in der Therapieeinrichtung schon vor Erreichen der genannten Fristen nicht mehr erforderlich ist und wenn weiter die Vollstreckungsaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Mit § 36 Abs. 1 S. 3 BtMG hat der Gesetzgeber eine Sonderbestimmung für Straftäter geschaffen, bei denen die Ursache der Straffälligkeit in ihrer Drogenabhängigkeit liegt. Anders als § 57 StGB sieht diese Norm eine Mindestverbüßungsfrist, die einer bedingten Entlassung vorausgehen muss, nicht vor (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Auflage, § 36 Rn. 67). In Fällen, in denen eine Restfreiheitsstrafe von nicht mehr als 2 Jahren zur Vollstreckung ansteht, hat der Gesetzgeber den erfolgreichen Therapiebemühungen eines Verurteilten einen klaren Vorrang vor dem Vollzug der Freiheitsstrafe eingeräumt. Eine Strafaussetzung soll schon dann möglich sein, wenn die Behandlung in der Therapieeinrichtung nicht mehr erforderlich ist. Darauf, ob zu jenem Zeitpunkt schon ein Teil der verwirkten Freiheitsstrafe verbüßt ist, kommt es nicht an. Die Zukunftsprognose orientiert sich abweichend von § 57 Abs. 1 StGB nur wenig am Vorleben und den Tatumständen, sondern an der vorausgegangenen Behandlung, an der Persönlichkeit des Verurteilten, an dem Verhalten während der Therapie und dem aufgrund der Therapie zu erwartenden zukünftigen Verhalten des Verurteilten (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, a.a.O., § 36 Rn. 70). Grund hierfür ist die Annahme des Gesetzgebers, dass eine Therapie, die trotz Erfolges in eine Strafvollstreckung mündet, keine ernsthaften Erfolgsaussichten bietet. Denn die Therapie ist darauf angelegt, von einem bestimmten Zeitpunkt an ein Üben und Bewähren in Freiheit zu umfassen. Die Staatsanwaltschaft kann deshalb auch nicht die Zurückstellung allein deshalb ablehnen, weil im Zeitpunkt der Entscheidung eine weitere Strafe zu vollstrecken ist, sondern hat zunächst zu prüfen, ob bei der weiteren Verurteilung die Voraussetzungen des § 35 BtMG gegeben sind (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, a.a.O., § 36 Rn. 125).
- 19
Eine der Annahme des Gesetzgebers bei Schaffung der §§ 35, 36 BtMG entsprechende Einschätzung findet sich auch in dem am 27. März 2012 ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - 2 BvR 2258/09 – (BVerfGE 130, 372), der die hier nicht entscheidungserhebliche Frage der Anrechnung einer nach § 67 Abs. 4 StGB nicht berücksichtigungsfähigen Unterbringungsdauer auf andere Strafen zum Gegenstand hat. Darin hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass der Maßregelvollzug wie auch der Vollzug von Freiheitsstrafen jeweils auf das Ziel der Resozialisierung ausgerichtet sein muss. Die erfolgreiche Resozialisierung diene auch dem Schutz der Rechtsgemeinschaft, die ein unmittelbares Interesse daran hat, dass der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut andere und die Gemeinschaft schädigt. Den Staat treffe bei der Vollstreckung die Pflicht, im Vollzug von Anfang an geeignete Konzepte bereit zu stellen, um die Gefährlichkeit des Untergebrachten für die Allgemeinheit nach Möglichkeit zu beseitigen und ihn auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Aus dem verfassungsrechtlich fundierten Resozialisierungsauftrag und aus der Pflicht, den Maßregelvollzug wegen des damit verbundenen Sonderopfers in besonderer Weise freiheitsorientiert und therapiegerichtet anzulegen, folge zudem, dass nur gewichtige Gründe es rechtfertigen können, im Maßregelvollzug erzielte Therapieerfolge durch eine anschließende Strafvollstreckung zu gefährden. In der Praxis des Maßregelvollzuges seien die Therapieprogramme demgemäß regelmäßig darauf angelegt, den Verurteilten nach Eintritt des Therapieerfolgs keiner weiteren Freiheitsentziehung auszusetzen. Die Aussicht auf Wiedererlangung der Freiheit mit Bewährungsmöglichkeit werde als grundlegend für einen therapeutischen Erfolg angesehen, eine nachfolgende Strafvollstreckung einer nicht erledigten, verfahrensfremden Freiheitsstrafe dagegen durchweg als für den Behandlungserfolg überaus nachteilig beurteilt.
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Die skizzierten Resozialisierungsüberlegungen haben ebenfalls in der Regelung des § 44 b Abs. 1 S. 2 StVollstrO ihren Niederschlag gefunden. Für die Staatsanwaltschaft als zuständige Vollstreckungsbehörde bedeutet dies, dass im Zeitpunkt der Vollstreckungseinleitung durch die Anordnung einer entsprechenden Reihenfolge der Straf- und Maßregelvollstreckung sicherzustellen ist, dass zum Zeitpunkt des voraussichtlichen Beginns des Maßregelvollzuges alle Strafen aussetzungsreif sind, also mindestens zu zwei Dritteln, in Sonderfällen wenigstens zur Hälfte vollstreckt sind mit der Folge, dass trotz eines drängenden Heilungsbedürfnisses die Notwendigkeit bestehen kann, den Vorwegvollzug einer Freiheitsstrafe aus einem Verfahren anzuordnen (vgl. Wolf, Kommentar zur Strafvollstreckungsordnung, 8. Auflage, § 44 b Rn. 2).
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Probleme stellen sich hierbei für die Staatsanwaltschaft allerdings in den Fällen der vorliegenden Art, in denen die die Unterbringung anordnende Entscheidung den Grund für die erst später in Rechtskraft erwachsene Widerrufsentscheidung bietet. Wegen § 67 Abs. 1 StGB befinden sich die betroffenen Straftäter zum Zeitpunkt der Vollstreckungseinleitung regelmäßig schon geraume Zeit im Maßregelvollzug, d.h. die Therapie hat längst begonnen. Bei der ihr obliegenden Anordnung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 44 b StPO hat die Staatsanwaltschaft dann nur die Wahl zwischen einem Abbruch der bereits begonnenen Therapie zum Zwecke der Vollstreckung der widerrufenen Strafen bis zur Aussetzungsreife und einem Absehen von der Vollstreckung bis zum Abschluss der schon begonnenen Therapie. Letztere Wahl hat allerdings den Nachteil, der Zielsetzung des Gesetzgebers zuwider zu laufen, denn im Falle eines erfolgreichen Therapieverlaufs kann eine Entlassung nicht in Freiheit, sondern nur in Strafhaft erfolgen. Dass dies den Resozialisierungserfolg gefährden kann, wurde bereits dargelegt.
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Das Oberlandesgericht Celle (StV 1993, 317) hat diesen Konflikt, in dem sich die Vollstreckungsbehörde bei Einleitung der Vollstreckung aus den dargelegten Gründen befindet, durch eine Gleichsetzung der von der Staatsanwaltschaft im Rahmen des § 44 b StVollstrO getroffenen „Zurückstellungsentscheidung“ mit einer solchen im Sinne von § 35 BtMG gelöst.
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Für diese Betrachtungsweise spricht, dass die Staatsanwaltschaft für beide Entscheidungen zuständig ist und ihr bei drogenabhängigen Straftätern, bei denen die materiellen Voraussetzungen des § 35 BtMG vorliegen, die Möglichkeit eröffnet ist, bei dem in einer Entziehungsanstalt untergebrachten Verurteilten nachzufragen, ob er einen Antrag nach § 35 BtMG stellen will bzw. eine Therapiezusage erteilt. Der Maßregelvollzug ist als Behandlung im Sinne des § 35 BtMG anzusehen und ermöglicht deshalb die Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG (vgl. BGH NStZ 84, 57). Im Falle des Vorliegens eines Antrags oder einer Therapiezusage des untergebrachten Verurteilten wäre keine andere ermessensfehlerfreie Entscheidung der Vollstreckungsbehörde denkbar als die förmliche Bewilligung der Zurückstellung. Selbst eine – bei dieser Sachlage nicht zu erwartende – Verweigerung der Zustimmung des Gerichts erster Instanz wäre von der Staatsanwaltschaft mit Erfolg angreifbar. Dass das Oberlandesgericht Celle die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach § 44 b StVollstrO bei dieser Sachlage mit einer förmlichen Zurückstellungsentscheidung gleichgesetzt hat, erscheint deshalb nachvollziehbar. Letztlich kommt es hierauf aber auch nicht entscheidend an, da es allein um die Beantwortung der Frage geht, ob eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 S. 3 BtMG bei der gegebenen Vollstreckungslage geboten ist. Solche Erwägungen drängen sich nur dann auf, wenn – wie hier – die Voraussetzungen der maßgeblichen Norm tatsächlich nicht vorliegen, der Fall aber dazu Anlass gibt, gerade wegen der darin zum Ausdruck kommenden Zielsetzung des Gesetzgebers auf eben diese Regelung zuzugreifen. Nach Auffassung des Senates genügt nur die analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 S. 3 BtMG in Fällen der vorliegenden Art der Zielsetzung des Gesetzgebers, von ihrer Drogensucht geheilte Straftäter in Freiheit zu entlassen, um den Therapieerfolg dauerhaft zu festigen. Eine Anwendung der allgemeinen Strafaussetzungsregel des § 57 StGB steht dem entgegen. Es kann angenommen werden, dass der Gesetzgeber eine vergleichbare Regelung für die vorliegende Vollstreckungslage geschaffen hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass dasselbe Ziel sich nicht in jedem Fall durch eine Bestimmung der Vollstreckungsreihenfolge i.S. des § 44 b StVollstrO erreichen lässt.
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Einer an Sinn und Zweck des § 36 Abs. 1 S. 3 BtMG ausgerichteten analogen Anwendung dieser Norm ist auch der Vorrang vor einem Gnadenerweis einzuräumen (vgl. LG Zweibrücken, Beschluss vom 27. August 2008 – Qs 108/08, Qs 110/08, juris). Fraglich ist insofern schon das Vorliegen eines Gnadengrundes. Vor allem aber hat ein Gnadenerweis den schwerwiegenden Nachteil, dass vielfach verschiedene Staatsanwaltschaften beteiligt sind, mit der Folge, dass unterschiedliche Entscheidungen nicht ausgeschlossen werden können und eine Rechtssicherheit nicht gegeben ist.
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b) Die Voraussetzungen einer Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Kassel vom 17. März 2006 gemäß § 57 Abs. 1 StGB und des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 03. September 2007 gemäß § 36 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 StGB analog sind gegeben.
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Insbesondere übersteigt der aus der Verurteilung des Amtsgerichts Kassel verbliebene Strafrest die Dauer von 2 Jahren nicht. Desgleichen erscheint die Vollstreckungsaussetzung hinsichtlich der Strafreste aus den beiden vorgenannten Urteilen – was auch seitens der Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung nicht in Zweifel gezogen wird – unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit für verantwortbar. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der Strafvollstreckungskammer im angefochtenen Beschluss.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 2 StPO.
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