Beschluss vom Oberlandesgericht Celle (1. Strafsenat) - 1 Ws 453/11

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Rechtsanwalt R. wird als Verteidiger des Angeklagten entpflichtet.

3. Dem Angeklagten wird Rechtsanwältin H. als Verteidigerin beigeordnet.

4. Hinsichtlich des Antrags auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins wird die Sache zur erneuten Entscheidung an den Vorsitzender der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

5. Die Kosten der Beschwerden und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

1

Der Angeklagte wurde am 6. Juli 2011 durch das Amtsgericht Hannover wegen Computerbetrugs in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte Berufung erhoben.

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Am 29. September 2011 terminierte der Vorsitzende der Kammer den Hauptverhandlungstermin zur Durchführung der Berufung auf den 7. Dezember 2011 um 9:00 Uhr. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2011 forderte der Vorsitzende den Angeklagten zur Benennung eines Verteidigers auf, da aufgrund einer gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung eine Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr im Raum stehe. Für den Fall, dass der Angeklagte nicht binnen einer Woche einen Verteidiger seiner Wahl benenne, werde das Gericht einen Verteidiger auswählen.

3

Nachdem eine entsprechende Erklärung des Angeklagten nicht eingegangen war, ordnete der Kammervorsitzende am 27. Oktober 2011 dem Angeklagten Rechtsanwalt R. als Verteidiger bei. Mit Datum vom 24. Oktober 2011, eingegangen bei Gericht am 31. Oktober 2011, benannte der Angeklagte Rechtsanwältin H. als Verteidigerin und teilte mit, dass die Aufforderung des Gerichts vom 13. Oktober 2011 ihm erst am 24. Oktober 2011 zugegangen sei. Rechtsanwältin H. beantragte am selben Tag ihre Beiordnung und stellte zudem Antrag auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins, weil sie am 7. Dezember 2011 bereits einen Hauptverhandlungstermin vor dem Jugendschöffengericht in Oldenburg wahrnehmen müsse.

4

Der Vorsitzende teilte daraufhin unter dem 2. November 2011 mit, dass für eine Beiordnung von Rechtsanwältin H. kein Raum mehr sei, nachdem bereits Rechtsanwalt R. dem Angeklagten beigeordnet worden sei. Eine Terminsverlegung sei aufgrund der Terminslage der Kammer nicht möglich.

5

Hiergegen richten sich die Beschwerden des Angeklagten. Die Beiordnung von Rechtsanwalt R. sei unter Missachtung der Frist erfolgt. Die Ablehnung des Terminsverlegungsantrags sei ermessensfehlerhaft. Der Antrag sei zeitig gestellt worden. Einer besonderen Beschleunigung bedürfe das Verfahren mangels Haft nicht.

6

Die Kammer hat den Beschwerden nicht abgeholfen und im Beschluss vom 10. November 2011 ausgeführt, dass das Gericht wegen des erfolgten Zeitablaufs davon ausgehen durfte, dass der Angeklagte keinen Verteidiger seiner Wahl mehr benennen werde. Zudem sei die Kammer bis Februar 2012 austerminiert. Lediglich am 28. Dezember 2011 und am 2. Januar 2012 finde keine anderweitige Hauptverhandlung statt. Eine Sitzung an diesen Tagen sei aber auch nicht geplant.

7

Rechtsanwalt R. hat zu den Beschwerden des Angeklagten Stellung nehmen können.

II.

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Die Beschwerden führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

9

1. Die Beschwerde gegen die Beiordnung von Rechtsanwalt R. ist zulässig und führt zur Entpflichtung des Verteidigers. Gleichzeitig war Rechtsanwältin H. zur Verteidigerin des Angeklagten zu bestellen.

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a. Die Zulässigkeit der Beschwerde ergibt sich aus § 304 StPO. § 305 Satz 1 StPO steht ihr nicht entgegen, weil es sich bei der Bestellung eines Verteidigers nicht ausschließlich um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung handelt. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers reicht in ihrer prozessualen Wirkung über den Zeitpunkt der Verkündung des Urteils hinaus (vgl. OLG Celle, NStZ 2009, 56). Die Beschwerde ist auch ausdrücklich im Namen des Angeklagten erhoben worden.

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b. Die Beschwerde ist auch begründet. Ist eine Bestellung eines Verteidigers erfolgt, ohne dass dem Beschuldigten die nach § 142 Abs. 1 StPO erforderliche Gelegenheit zur Benennung eines Verteidigers seiner Wahl gegeben worden ist, ist die Bestellung aufzuheben und der nunmehr bezeichnete Rechtsanwalt beizuordnen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 142 Rn. 19 m.w.N.). Dass der Vorsitzende der Kammer Rechtsanwalt R. vor Ablauf der dem Angeklagten gesetzten Frist zur Benennung beigeordnet hat, stellt somit ebenfalls einen Verstoß gegen § 142 Abs. 1 StPO dar. Es ist dabei unerheblich, dass der Kammervorsitzende zum Zeitpunkt der Bestellung aufgrund des eingetretenen Zeitablaufs davon ausgehen durfte, dass der Angeklagte keinen Verteidiger seiner Wahl benennen wird. Der Vortrag des Angeklagten, das Schreiben vom 13. Oktober 2011 erst am 24. Oktober 2011 erhalten zu haben, ist jedenfalls nicht zu widerlegen. Das Gericht hätte die Möglichkeit gehabt, mittels förmlicher Zustellung des Schreibens den Zeitpunkt des Zugangs beim Angeklagten nachzuweisen. Mit der Benennung von Rechtsanwältin H. am 31. Oktober 2011 hat der Angeklagte innerhalb der laufenden Wochenfrist eine Rechtsanwältin seiner Wahl benannt, gegen deren Beiordnung keine Gründe bestehen.

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2. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Terminsverlegungsantrags ist ebenfalls zulässig und führt zur Aufhebung und Zurückweisung der Sache.

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a. Die Beschwerde ist zunächst zulässig. Zwar ist eine solche gegen die Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung grundsätzlich nach § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen. Der Senat schließt sich aber der im Vordringen befindlichen Auffassung an, wonach eine Anfechtung ausnahmsweise für zulässig zu erachten ist, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessensausübung getroffene Entscheidung für einen Angeklagten eine besondere, selbständige Beschwer beinhaltet, weil sein Recht, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, beeinträchtigt worden ist, dies leicht zu vermeiden gewesen wäre und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung offensichtlich ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2011, 1 Ws 434/11 - juris -; KG, StV 2009, 577; OLG Dresden, NJW 2004, 3196; OLG Frankfurt/Main, StV 2001, 157; Hans. OLG, StV 1995, 11; OLG Karlsruhe, StV 1991, 509; OLG München, StV 2007, 518; OLG Nürnberg, StV 2005, 491; LR-Jäger, StPO, 26. Aufl., § 213 Rn. 16; KK-Gmel, 6. Aufl., § 213 StPO, Rn. 6; Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 54. Aufl., § 213 Rn. 8). Dies ist vorliegend der Fall. Der Entscheidung des Vorsitzenden ist nicht zu entnehmen, dass er diese auf der Grundlage einer sachgerechten Abwägung zwischen den Interessen des Angeklagten und denen am Aufrechterhalten des Termins getroffen hat. Vielmehr stellt er einseitig auf die Terminslage der Kammer ab, ohne die sachgerecht vorgetragenen Erwägungen des Angeklagten zu berücksichtigen. Dies ist insbesondere deshalb rechtsfehlerhaft, weil sich aus der Nichtabhilfeentscheidung der Kammer ergibt, dass am 28. Dezember 2011 und am 2. Januar 2012 Sitzungstage für eine Durchführung der Hauptverhandlung in zeitlicher Nähe zum ursprünglich bestimmten Termin zur Verfügung stehen würden.

14

b. Die Beschwerde ist aus diesem Grund auch in der Sache erfolgreich. Eine Festsetzung des Termins durch den Senat anstelle des Vorsitzenden kam nicht in Betracht (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.), weshalb die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen war.

III.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

 


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