Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - III-3 RVs 79/16
Tenor
1. Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben
im Ausspruch über die beiden Einzelfreiheitsstrafen betreffend den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung und den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln
sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird mit der klarstellenden Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte der versuchten sexuellen Nötigung sowie des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung sowie des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig ist.
1
Gründe:
2Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen der im Beschlusstenor genannten, im Wesentlichen im Zusammenhang mit einem versuchten sexuellen Angriff auf eine 15-jährige Jugendliche begangenen Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.
3I.
4Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
5II.
61. Das angefochtene Urteil leidet im Kern unter einem sich aus §§ 32, 105 Abs. 1 JGG ergebenden Erörterungsmangel. Das Jugendschöffengericht hatte das Verfahren – wie sich aus der Sachverhaltsschilderung des angefochtenen Urteils ergibt – hinsichtlich einer dem Angeklagten als Heranwachsendem zur Last gelegten ersten Tat ohne nähere Begründung „gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf den verbleibenden Anklagevorwurf“ eingestellt und ihn nur wegen einer weiteren, von ihm als Erwachsenem begangenen Taten verurteilt.
7a) Der die Behandlung mehrerer Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen regelnde § 32 JGG ist zwar mangels „gleichzeitiger Aburteilung“ dieser mehreren Straftaten nicht unmittelbar anwendbar. Die Vorschrift ist in der vorliegenden Konstellation jedoch entsprechend anzuwenden. Die Möglichkeit der – bewussten oder unbewussten – Umgehung der Prüfungspflicht des § 32 JGG würde nämlich dem gesetzgeberischen Vereinheitlichungszweck der Vorschrift widersprechen. In der Literatur wird dies schon für den Fall der bereits von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Teileinstellung nach § 154 Abs. 1 StPO bejaht (vgl. HK-JGG-Schatz, JGG, 7. Aufl., § 32 Rn. 44; Eisenberg, JGG, 18. Aufl., § 32 Rn. 20). Erst recht greift dieser Gedanke, wenn die betreffende Tat – wie hier – durch Anklage zur „gleichzeitigen Aburteilung“ ansteht und der Kognitionspflicht erst durch einen tatrichterlichen Willensentschluss nachträglich wieder entzogen wird. Dass der Gesetzgeber diese Konstellation nicht vom Regelungsbereich des § 32 JGG umfasst sehen und dem Tatrichter gleichsam ein Instrument zu seiner Umgehung an die Hand geben wollte, schließt der Senat aus. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Teileinstellung bei mehreren Taten bei Schaffung des § 32 JGG nicht bedacht wurde und damit eine planwidrige Lücke vorliegt, die die analoge Anwendung der Vorschrift erfordert (vgl. neben den Vorgenannten: Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl., § 32 Rn. 1; Drees, NStZ 1995, 481; ablehnend allein Ostendorf, JGG, 10. Aufl., § 32 Rn. 5 „im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut“).
8Infolge dieser Analogie hätte der Tatrichter die vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangene erste Tat erst dann nach § 154 Abs. 2 StPO behandeln dürfen, wenn er nach Abwägung der angeklagten Taten im Rahmen des § 32 JGG das „Schwergewicht“ in den nach allgemeinem Strafrecht zu beurteilenden weiteren Straftaten gesehen und diese Wertung in den Urteilsgründen nachvollziehbar begründet hätte. Daran fehlt es in der angefochtenen Entscheidung, die nur die Teileinstellung als solche erwähnt (für das Vorgehen bei bereits durch die Staatsanwaltschaft erfolgter Teileinstellung nach § 154 Abs. 1 StPO: Drees, a.a.O., 482).
9Eine solche Erörterung erübrigte sich auch nicht mit Blick auf die inhaltlichen Anforderungen des § 154 StPO. Die vom Tatgericht offenbar angewandte Variante des „Nicht-Beträchtlich-Ins-Gewicht“-Fallens (Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1) weist zwar schon in ihrem sprachlichen Kern eine Kongruenz mit dem in § 32 JGG in Rede stehenden „Schwergewicht“ auf. Im Einzelfall erschiene deshalb denkbar, dass sich die Frage des anwendbaren Rechts schon aus der Teileinstellung als solcher beantworten ließe. Vorliegend ist jedoch weder plausibel belegt noch aus sich heraus erkennbar, dass die für die eingestellte Tat zu erwartende Strafe neben derjenigen für die abgeurteilte nicht beträchtlich ins Gewicht fiele. Die Anklage schildert die erste Tat als einen möglicherweise ebenso sexuell motivierten körperlichen Angriff auf eine junge Frau mit Griffen in deren Gesicht und Haare und anschließender Körperverletzung eines ihr zur Hilfe eilenden Passanten. Dieses Geschehen weist deutliche Parallelen zur abgeurteilten Tat auf, die der Tatrichter als Versuch des Angeklagten gewertet hat, „seinen Geschlechtstrieb in dreister Weise auszuleben“. Ohne nähere Begründung erschließt sich deshalb nicht, dass eine insofern zu erwartende Rechtsfolge deutlich hinter den für die übrigen Taten verhängten Strafen zurückbliebe.
10b) Auf dem aufgezeigten Erörterungsmangel beruht das angefochtene Urteil. Angesichts der in der Anklage anklingenden Qualität der dem Angeklagten als Heranwachsendem zur Last gelegten ersten Tat und ihrer möglicherweise auslösenden Bedeutung für die späteren Straftaten (vgl. hierzu im Einzelnen Eisenberg, a.a.O. Rn. 12. m.w.N.) kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil bei rechtsfehlerfreiem Vorgehen mit Blick auf die dann denkbare einheitliche Anwendung des Jugendstrafrechts mit seinen regelmäßig milderen Sanktionen anders ausgefallen wäre.
112. Die beiden verbleibenden, für den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung sowie für den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln verhängten einmonatigen Einzelfreiheitsstrafen unterliegen der Aufhebung, da der Tatrichter die in § 47 Abs. 1 StGB für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen geforderte „Unerlässlichkeit“ zwar behauptet, jedoch mit keinem Wort belegt hat. Da der Angeklagte zuvor nur einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten war (unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln), drängt sich diese tatbe-standliche Voraussetzung auch nicht auf.
12III.
13Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die damit auf der Rechtsfolgenseite allein rechtskräftige fünfmonatige Einzelfreiheitstrafe wegen versuchter sexueller Nötigung im Falle der einheitlichen Anwendung von Jugendstrafrecht ihre Wirkung verlieren würde und die Sanktion unter vorrangiger Orientierung an erzieherischen Gesichtspunkten vollkommen neu zu bestimmen wäre (vgl. zur entsprechenden Situation bei § 105 Abs. 2 JGG: BGHSt 37, 34, 39; Brunner/Dölling, a.a.O. Rn. 7).
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Referenzen
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