Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 1 Vollz (Ws) 314/14
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die sofortige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch den angefochtenen Beschluss wird als unzulässig verworfen.
Das Prozesskostenhilfegesuch für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird mangels Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung zurückgewiesen, §§ 120 Abs. 2 StVollzG, 114 S. 1 ZPO.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Betroffenen zur Last (§ 121 Abs. 2 StVollzG).
1
Gründe
2I.
3Der Betroffene wurde am 16. Dezember 2013 – nach vorheriger Strafhaft – in eine Therapiestätte nach § 35 BtMG überstellt.
4Mit Schreiben vom 20. Dezember 2013 machte er einen Ausgleichsanspruch nach § 43 Abs. 11 StVollzG für freigestellte Werktage gegenüber der Antragsgegnerin geltend. Mit schriftlichem Bescheid vom 27. Dezember 2013 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag ab. Einen erneuten Antrag vom 24. Februar 2014 lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 4. März 2014 ebenfalls ab.
5Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Betroffene beantragt, die Ablehnung der Ausgleichsentschädigung aufzuheben, über die Ausgleichsentschädigung eine Abrechnung zu erteilen und den Antragsgegner zu verpflichten, die Ausgleichsentschädigung an den Antragsteller zur Auszahlung zu bringen. Die Strafvollstreckungskammer hat diese Anträge zurückgewiesen.
6Gegen die seinem Verteidiger am 9. April 2014 zugestellte Entscheidung wendet sich der Betroffene mit seiner vom 9. Mai 2014 datierenden und am selben Tag bei Gericht eingegangenen Rechtsbeschwerde. Der angefochtene Beschluss sei aufzuheben, da die Versagung der Auszahlung des geltend gemachten Ausgleichsanspruchs unrechtmäßig sei. Der Gesetzgeber habe bei der Schaffung von § 43 Abs. 10 StVollzG eine Reihe von Konstellationen nicht bedacht, insbesondere sei die Zurückstellung der Strafe nach § 35 BtMG nicht genannt. Der Betroffene vertritt insofern die Rechtsansicht, dass in diesem Fall eine analoge Anwendung von § 43 Abs. 10 StVollzG geboten sei.
7Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde jedenfalls für unbegründet.
8II.
91.
10Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 116 Abs. 1 StVollzG), da der Fall Anlass gibt, Leitsätze für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften aufzustellen.
11Die Frage der analogen Anwendung von § 43 Abs. 10 StVollzG auf Fälle der Zurückstellung nach § 35 BtMG hat in der Rechtsprechung der Obergerichte bislang lediglich am Rande Erwähnung gefunden (KG Berlin, Beschluss vom 25. Oktober 2014, 5 Vollz (Ws) 560/04 – juris). In der Kommentarliteratur wird die Notwendigkeit einer Analogie teilweise bejaht (Feest/Lesting, StVollzG, 6. Auflage, § 43 RN 18).
12Darüber hinaus ist die Rechtsbeschwerde auch im Übrigen zulässig.
132.
14Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
15Die Strafvollstreckungskammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsentschädigung zum jetzigen Zeitpunkt nicht besteht. Auch der erkennende Senat hält es nicht für angezeigt, § 43 Abs. 10 StVollzG auf den Fall einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG analog anzuwenden.
16Zunächst kann dahinstehen, ob es sich bei der Aufzählung der Fälle, in denen eine Anrechnung gemäß § 43 Abs. 10 StVollzG ausgeschlossen ist, um eine abschließende Aufzählung handelt (so Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Auflage,
17§ 43 RN 4 sowie Feest/Lesting, StVollzG, 6. Auflage, § 43 RN 17 a.A. Schwind/Böhme/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 6. Auflage, § 43 RN 28, Arloth, StVollzG, 3. Auflage, § 43 RN 26).
18Eine analoge Anwendung der Norm auf die vorliegende Konstellation kommt aber nach Überzeugung des Senats nicht in Betracht, da es bereits an einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte fehlt. Die Vollstreckung der Strafe ist im Falle ihrer Zurückstellung nicht beendet, vielmehr wird die Vollstreckung der Strafe auf dem Weg therapeutischer Maßnahmen fortgesetzt. Das Leben des Verurteilten ist weiter nachhaltig geregelt und verläuft überwacht (KG a.a.O.). Dies unterscheidet die Zurückstellung nach § 35 BtMG zunächst von dem Absehen von der Vollstreckung nach § 456a StPO oder der Entlassung aus der Haft im Gnadenwege (§ 43 Abs. 10 Nr. 4 und 5).
19Aber auch mit der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung ist eine Vergleichbarkeit aufgrund der in diesem Fall geringeren Kontrolldichte nicht gegeben.
20Die weiteren in § 43 Abs. 10, Nr. 2 und 3 StVollzG genannten Tatbestandsmerkmale zeigen zudem, dass selbst im Fall der Strafaussetzung zur Bewährung kein Automatismus besteht, vielmehr nur den besonderen Umständen bestimmter Konstellationen Rechnung getragen wird, namentlich ist eine Anrechnung nur dann ausgeschlossen, wenn diese aufgrund des bis zur Entlassung verbleibenden Zeitraums nicht mehr möglich ist (Nr. 2) oder weil die Aussetzung die Vollstreckung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfordert (Nr. 3). Beiden Fällen liegen damit ersichtlich Praktikabilitätserwägungen zugrunde, um ganz bestimmter Fallgestaltungen Herr zu werden (vgl. zu den gesetzgeberischen Erwägungen auch BT-Drucksache 14/4452).
21Hat der Gefangene zum Zeitpunkt der Zurückstellung der Vollstreckung des Strafrests Freistellungstage angespart, so liegt zwar eine Parallele zum Fall des § 43 Abs. 10 Nr. 2 StVollzG auf der Hand. Die insoweit für eine ins Feld geführte Erwägung, dass die Justizvollzugsanstalt im Falle der Zurückstellung nach § 35 BtMG im Hinblick auf eine mögliche Ausgleichszahlung oder die Übertragung von Freistellungstagen das weitere Schicksal des ehemaligen Gefangenen im Auge behalten müsste (vgl. dazu im Einzelnen Feest/Lesting, StVollzG, 6. Auflage, § 43 RN 18), ist aber gleichwohl keineswegs zwingend: Wenn nach einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG, erfolgreicher Therapie und einer anschließenden Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung ein Fall des § 43 Abs. 10 Nr. 2 StVollzG vorliegt, wird die Justizvollzugsanstalt hierüber zwar nicht von Amts wegen unterrichtet, es ist dem Betroffenen in einer derartigen Situation aber durchaus zumutbar, eigenständig aktiv zu werden und die Ausgleichszahlung zu beantragen.
223.
23Die als sofortige Beschwerde gemäß § 127 Abs. 2 ZPO auszulegende „Beschwerde“ des Betroffenen gegen die Zurückweisung des von der Strafvollstreckungskammer gestellten Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt J aus J2 ist unzulässig, da diese Entscheidung nicht anfechtbar ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. Mai 2014 – III- 1 Vollz (Ws) 158/14 -,
247. Mai 2013 – III-1 Vollz (Ws) 157/13 und vom 27. März 2012 – III-1 Vollz (Ws) 89 u. 139/12).
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