Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 3 Ws 461/20
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
1
Gründe:
2I.
3Das Landgericht Osnabrück verurteilte den Verurteilten am 6. November 2003 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie des versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren. Außerdem ordnete es die Sicherungsverwahrung an.
4Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Verurteilte am 20. April 2002 zwei elfjährige Jungen in einem Buswartehäuschen in sexueller Absicht unter dem Vorwand, sie nach Zigaretten durchsuchen zu wollen, abgetastet hatte, am 13. August 2002 einen elfjährigen Jungen in ein Waldstück gelockt hatte, um ihn in sexueller Absicht zu berühren, und am 4. Februar 2003 in die Wohnung eines Neunzehnjährigen eingedrungen zu sein, sich zu dem Geschädigten ins Bett gelegt zu haben, sexuelle Handlungen an diesem vorgenommen, einen Finger in den After des Geschädigten gesteckt und den Geschädigten gewürgt zu haben, bis der Geschädigte nackt aus der Wohnung fliehen konnte. Zum Tatzeitpunkt war der Angeklagte bereits neunmal vorbestraft, darunter wegen sexueller Nötigung in drei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit homosexueller Handlung, wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung, wegen homosexueller Handlungen in Tateinheit mit Nötigung in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, und hatte insgesamt bereits rund 17 Jahre – zum Teil nach Bewährungswiderrufen – in Strafhaft verbracht.
5Nach den Feststellungen des Tatgerichts besteht bei dem Verurteilten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit geringer Introspektionsfähigkeit und Selbstkritik, Egozentrizität, Mangel an Empathie, Gefühlskälte, Unter- und Fehlbesetzung sozialer Normen, vermutlich geringem Selbstwertgefühl mit intrapsychischen Spannungen und Affektkumulation, die er durch das Herbeiführen sexueller Konflikte abbaue, ohne dass ein Krankheitswert im Sinne der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB erreicht ist.
6Die Strafe aus dem Urteil wurde ab dem 4. März 2004 vollstreckt, die Sicherungsverwahrung wird seit dem 6. November 2011 vollstreckt, zur Vollstreckung einer weiteren Haftstrafe unterbrochen vom 8. September 2016 bis zum 8. November 2016. Eine mit Beginn der Maßregel angeordnete Überweisung in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde im Jahr 2013 beendet. Der Verurteilte hat ab Ende 2016 an der BPS-Gruppe teilgenommen, die er am 27. Januar 2016 regulär beendet hat. Außerdem erhielt er ab Ende 2014/Anfang 2015 zwei Einzelpsychotherapien von jeweils 80 Stunden. Seit April 2017 wird der Verurteilte mit einer antiandrogenen Medikation behandelt. Am 19. Juli 2017 wurde er auf eine sozialtherapeutische Abteilung verlegt. Die sozialtherapeutische Abteilung wurde im September 2020 aufgelöst und der Sozialtherapeutischen Anstalt in Bochum angegliedert. Den betroffenen Sicherungsverwahrten – darunter dem Verurteilten – ist angeboten worden, die sozialtherapeutische Behandlung durch Verlegung in die JVA Bochum fortzusetzen. Der Verurteilte hat eine Verlegung nach Bochum abgelehnt.
7Mit Beschluss vom 15. September 2020 hat die 1. große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg es abgelehnt, die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen. Eine Frist gem. § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB, innerhalb der dem Verurteiten eine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 1 anzubieten wäre, hat die Strafvollstreckungskammer nicht gesetzt. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner rechtzeitig mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. Oktober 2020 angebrachten sofortigen Beschwerde, die er insbesondere darauf stützt, dass in der JVA Werl keine sozialtherapeutische Behandlung mehr angeboten wird. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
8Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts, namentlich des Vorlebens des Verurteilten, der Tat, des Inhalts der regelmäßigen Führungsberichte der Vollzugsanstalten und der über den Verurteilten erstatteten Prognose- und Lockerungsgutachten sowie der Gründe, aus denen die Strafvollstreckungskammer eine Bewährungsaussetzung und Fristsetzung abgelehnt hat, wird auf die ausführliche Darstellung in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme der JVA Werl eingeholt, die diese unter dem 17. November 2020 vorgelegt hat und die den Beteiligten zur Kenntnis gebracht worden ist. Mit weiterer Stellungnahme seines Verteidigers vom 27. November 2020 hat der Verurteilte sein Beschwerdevorbringen im Hinblick auf das sozialtherapeutische Behandlungsangebot vertieft.
9II.
10Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
111.
12Die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung gem. § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB sind aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die der Senat vollumfänglich Bezug nimmt und die er zur Grundlage seiner eigenen Entscheidung macht, nicht erüllt. Das Beschwerdevorbringen steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist, dass die Sachverständige E in ihrem Lockerungsgutachten vom 15. März 2019 zu dem Ergebnis gelangt war, dass die wesentlichen Risikofaktoren – die dissoziale Persönlichkeitsstörung, die Dissexualität und Psychopathie – unverändert fortbestehen, es dem Verurteilten bisher nicht möglich ist, Signale früh zu erkennen und das Risiko neuer Straftaten zu vermeiden und die Auseinandersetzung mit der sexuellen Delinquenz und den persönlichkeitsimmanenten Risikofaktoren nach wie vor nicht begonnen hat, weshalb er einer Hochrisikogruppe zuzuordnen ist. Das Gutachten verhält sich damit ausreichend und auf der Grundlage einer ausführlichen Exploration des Verurteilten sowie Auswertung seines Lebenslaufs, der Tat und des Verlaufs der Haft und der Maßregel nachvollziehbar und überzeugend auch zu der hier relevanten Frage der Legalprognose. Inhaltliche Mängel des Gutachtens werden vom Verurteiltern nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich.Nach den Berichten der JVA vom 22. Januar 2020 und 22. Juli 2020 sind seit der Begutachtung durch die Sachverständige E keine wesentlichen Therapiefortschritte zu verzeichnen. Auch dies stellt der Verurteilte nicht in Abrede. Insofern war – entgegen der Aufassung des Beschuldigten – eine erneute Begutachtung nicht erforderlich; es ist auszuschließen, dass dies gegenüber dem Gutachten der Sachverständigen E zu einem Erkenntnisgewinn geführt hätte.
132.
14Es ist rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungskammer keine Frist gem. § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB gesetzt hat, innerhalb der die JVA dem Verurteilten eine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 1 anzubieten hat. Denn die angebotene Betreuung war ausreichend.
15Gemäß Vollzugsplan vom 8. Juli 2020 besteht die Indikation für eine sozialtherapeutische Maßnahme gem. § 12 StVVollzG NRW. Als Hilfs- und Behandlungsziele nennt der Vollzugsplan u. a. die „Fortführung der Psychotherapie auf der SothA mitsamt der Auseinandersetzung mit seiner Delinquenz, um Risikosituationen zu identifizieren und rückfallpräventive Maßnahmen zu verinnerlichen“. In der Gesamtübersicht der geplanten Behandlungsmaßnahmen sind u. a. Rückfallprophylaxegruppe, Basisgruppe, Psychotherapie, problemorientierte Einzel- und Gruppenmaßnahmen und Einzelfallhilfe genannt. Es handelt sich dabei um eine gem. § 66d Abs. 1 Nr. 1 StGB individuelle, intensive, auf den Verurteilten zugeschnittene psycho- oder sozialtherapeutische Behandlung, die geeignet ist, seine Mitwirkungsbereitschaft zu wecken und zu fördern, und die zum Ziel hat, seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder sie für erledigt erklärt werden kann.
16a.
17Unstreitig ist diese Behandlung dem Verurteilten bis zur Schließung der sozialtherapeutischen Abteilung angeboten worden.
18b.
19Eine ausreichende Betreuung in diesem Sinne ist dem Verurteilten auch nach der Schließung der sozialtherapeutischen Abteilung im September 2020 angeboten worden. Denn dem Verurteilten ist die Möglichkeit eingeräumt worden, seine Behandlung durch Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Bochum – eine Anstalt des Strafvollzugs – weiterzuführen. Das hat der Verurteilte abgelehnt.
20Seine Auffassung, eine Verlegung in den Strafvollzug sei mit dem Gesetz nicht vereinbar, teilt der Senat nicht. Denn die gesetzlichen Regelungen schließen eine sozialtherapeutische Behandlung von Sicherungsverwahrten in Anstalten des Strafvollzugs nicht aus. § 66c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB sieht vor, dass die Unterbringung von Sicherungsverwahrten grundsätzlich „vom Strafvollzug getrennt in besonderen Gebäuden oder Abteilungen“ erfolgt; eigene Anstalten für den Vollzug der Sicherungsverwahrung oder den Maßregelvollzug verlangt der Gesetzgeber nicht. Damit korrespondierend erlaubt § 13 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen (SVVollzG NRW) ausdrücklich, dass Untergebrachte ausnahmsweise in eine Anstalt des Strafvollzuges verlegt oder überstellt werden, wenn es die Behandlung nach § 66c Abs. 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches erfordert. Dies gilt, so der Wortlaut der Vorschrift, „insbesondere für eine Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt“.
21Diese Regelungen sind als solche auch mit dem verfassungsrechtlichten Trennungsgebot vereinbar. Denn dieses erfordert nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar eine vom Strafvollzug getrennte Unterbringung der Sicherungsverwahrten in besonderen Gebäuden oder Abteilungen, aber keine vollständige räumliche Ablösung vom Strafvollzug (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2333/08 –, Rn. 115, juris). Vielmehr kann, so das Bundesverfassungsgericht, die Anbindung an große Einrichtungen sinnvoll sein, um deren Infrastruktur und Sicherheitsmanagement nutzbar machen und ein differenziertes Arbeits- und Freizeitangebot gewährleisten zu können, das den individuellen Fähigkeiten und Neigungen der Untergebrachten hinreichend Rechnung trägt. Entscheidend ist, so das Bundesverfassungsgericht, dass die Gegebenheiten innerhalb der Einrichtung den therapeutischen Erfordernissen entsprechen und ausreichende Besuchsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung familiärer und sozialer Außenkontakte bereithalten; ferner müssen ausreichende Personalkapazitäten zur Verfügung stehen, um die Anforderungen eines freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung praktisch zu erfüllen (BVerfG, a. a. O.).
22Darüber hinaus gestattet § 66c Abs. 1 Nr. 2 b) ausnahmsweise sogar eine Durchbrechung des Grundsatzes der räumlichen Trennung, wenn die Behandlung im Sinne von § 66c Abs. 1 Nr. 1 dies erfordert. Nach der Gesetzesbegründung kommt dies zum Beispiel in Betracht, wenn eine im vorangehenden Strafvollzug durchgeführte Therapie in einer sozialtherapeutischen Anstalt kurz vor ihrem Abschluss steht oder wenn eine erforderliche besondere Gruppentherapie nur in einer Therapiegruppe mit Strafgefangenen umgesetzt werden kann (BT-Drs. 17/9874, S. 16). Auch der Landesgesetzgeber hält ausweislich der Begründung zu § 13 Abs. 2 SVVollzG NRW eine ausnahmsweise Durchbrechung des Trennungsgebots für zulässig, wenn die Behandlung dies erfordert (LT-Drs. 16/1435, S. 71). Auch hiergegen hat der Senat keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die Umsetzung des Abstandsgebots einschließlich des Ausmaßes der Besserstellung gegenüber dem Strafvollzug wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht im Detail vorgegeben, so dass den jeweiligen Landesgesetzgebern insofern ein Gestaltungsspielraum zukam (BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01 –, Rn. 122; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Januar 2014 – 2 Ws 449/13 –, Rn. 23; beide juris).
23Ob die vollzugliche Gestaltung der Sozialtherapie in der JVA Bochum den vorstehend umrissenen Anforderungen an das Trennungsgebot im Einzelnen genügt oder ob im Falle des Verurteilten nach vorstehenden Grundsätzen sogar Umstände bestehen, die eine ausnahmsweise Durchbrechung des Trennungsgebots erlauben würden, hat der Senat nicht zu entscheiden. Denn insoweit wäre maßgeblich, ob im Ergebnis ein Abstand zwischen dem allgemeinen Strafvollzug und dem Vollzug der Sicherungsverwahrung gewahrt ist, der den allein spezialpräventiven Charakter der Maßregel sowohl dem Verwahrten als auch für die Allgemeinheit deutlich macht, wobei sich das Ausmaß der Besserstellung am Gebot der Verhältnismäßigkeit zu orientieren hat (BVerfG, a. a. O., Rn. 122). Dies bestimmt sich im Wesentlichen nach den Umständen und der Ausgestaltung des Vollzugs im Einzelfall und ist einer Prüfung im Verfahren nach §§ 463, 454 StPO entzogen. Dies gilt umso mehr, als der Verurteilte bislang nicht nach Bochum verlegt ist, eine Abwägung der ihn betreffenden Umstände und Beurteilung deshalb noch gar nicht möglich ist. Sofern der Verurteilte mit der konkreten Ausgestaltung des Maßregelvollzugs – namentlich der Sozialtherapie in Bochum – nicht einverstanden ist, ist er an den jeweiligen Anstaltsleiter zu verweisen, gegen dessen Maßnahmen oder Unterlassungen er ggf. den Rechtsweg nach § 109 StVollzG beschreiten mag.
24c.
25Darauf, ob es sich bei den dem Verurteilten alternativ zu einer Verlegung in die JVA Bochum zur Fortsetzung der bisherigen Behandlung angebotenen Einzel- und Gruppenmaßnahmen gem. Bericht der JVA Werl vom 17. November 2020 um ein vergleichbar erfolgversprechendes, ausreichendes Betreungsangebot handelt, kann nach alledem dahinstehen.
263.
27Die Kostenentscheidung beruht auf (§ 473 Absatz 1 StPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- StPO § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung 1x
- 2 BvR 2333/08 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 67d Dauer der Unterbringung 3x
- StGB § 21 Verminderte Schuldfähigkeit 1x
- § 66d Abs. 1 Nr. 1 StGB 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen 1x
- 2 Ws 449/13 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 463 Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung 1x
- StVollzG § 109 Antrag auf gerichtliche Entscheidung 1x
- 2 BvR 2029/01 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 454 Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung 1x
- § 13 Abs. 2 SVVollzG 1x (nicht zugeordnet)
- § 12 StVVollzG 1x (nicht zugeordnet)