Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Ws 198 - 199/14

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 9, vom 17. Oktober 2014 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten in diesem entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

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Mit Beschluss vom 17. Oktober 2014 hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 9 als Strafvollstreckungskammer, die durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 5. Mai 2014 bewilligten Vollstreckungsaussetzungen hinsichtlich der Reste der Gesamtfreiheits-strafe von acht Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek vom 21. März 2012 sowie der Freiheitsstrafe von einem Jahr drei Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek vom 7. Dezember 2012 widerrufen. Gegen den ihm am 22. Oktober 2014 zugestellten Widerrufsbeschluss hat der Verurteilte mit am 29. Oktober 2014 beim Landgericht Hamburg eingegangenem Verteidigerschriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, die mit am 4. Dezember 2014 beim Senat eingegangenem weiteren Verteidigerschriftsatz begründet worden ist.

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Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hat darauf angetragen, auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 17. Oktober 2014 wegen verfahrensfehlerhafter Nichtdurchführung einer mündlichen Anhörung des Verurteilten aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Land-gerichts Hamburg zurückzuverweisen.

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Der angefochtenen Widerrufsentscheidung der Strafvollstreckungskammer ist Folgendes vorausgegangen:

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Mit dem Verurteilten am 8. Mai zugestellten und am 16. Mai 2014 rechtskräftig gewordenem Aussetzungsbeschluss der Strafvollstreckungskammer vom 5. Mai 2014 ist der Entlassungstermin auf den 21. Mai 2014 festgesetzt, die Bewährungszeit auf drei Jahre ab Rechtskraft bestimmt und die Bestellung eines Bewährungshelfers vorgesehen worden. Außerdem sind dem Verurteilten damit folgende Bewährungsweisungen auferlegt worden: 1) nach seiner Entlassung unter behördlicher Anmeldung einen festen Wohnsitz zu begründen und seine Anschrift sowie jede Änderung seiner Anschrift [zunächst: Z Straße , Hamburg] umgehend der Strafvollstreckungskammer und der Bewährungshilfe mitzuteilen, 2) geregelter Arbeit bzw. Ausbildung [Umschulung] nachzugehen und sich im Falle der Erwerbslosigkeit beim zuständigen Arbeitsamt zu melden sowie jeden Wechsel seines Arbeitsplatzes [derzeit: Fa. , Hamburg] oder Ausbildungsplatzes umgehend der Bewährungshilfe mitzuteilen, 3) Vorladungen der Kammer und Bewährungshilfe zu befolgen, 4) Verbot des Konsums alkoholischer Getränke und Weisung, sich zur Kontrolle dieses Verbotes zu diesbezüglichen Untersuchungen beim gerichtsärztlichen Dienst einzufinden, wenn dieser durch das Gericht beauftragt wird, 5) unmittelbar nach der Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt eine zumindest als ambulante Suchtmitteltherapie ausgestaltete Maßnahme bei der Einrichtung S., Ambulantes Suchtberatungs- und Behandlungszentrum, H.straße ..., 22089 Hamburg, aufzunehmen und diese bis zum ordnungsgemäßen Abschluss durchzuführen, 6) die Durchführung der Therapie der Bewährungshilfe gegenüber monatlich zu belegen, und zwar erstmals zum 1. Juli 2014. Der Nachtragsbeschluss mit der am 2. Juni 2014 erfolgten Bestellung eines namentlich benannten Bewährungshelfers ist dem Verurteilten am 19. Mai 2014 zugestellt worden.

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Unter dem 11. Juni 2014 hat der Bewährungshelfer geschrieben, die Ehefrau des Verurteilten habe berichtet, dass der Verurteilte aus der Ehewohnung ausgezogen und ihr sein Aufenthaltsort nicht bekannt sei sowie sie, weil der Verurteilte sich ihr gegenüber kompromittierend benommen habe, vermute, dass er „Drogen (Alkohol und illegale Drogen)“ zu sich nehme. Mit Schreiben vom 1. Juli 2014 hat der Bewährungshelfer berichtet, dass der Verurteilten einen für den 30. Juni 2014 vereinbarten Termin nicht eingehalten habe und nicht erreichbar sei.

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Mit dem Verurteilten am 9. Juli 2014 unter der vormaligen ehelichen Anschrift und erneut am 22. Juli 2014 unter einer aus einer neuen Anklageschrift ersichtlichen Anschrift zugestelltem Schreiben vom 4. Juli 2014 hat die Strafvollstreckungskammer ihn aufgefordert, sich umgehend bei seinem Bewährungshelfer zu melden sowie seinen Pflichten aus dem Bewährungsbeschluss vom 5. Mai 2014 einschließlich der Befolgung der Bewährungsweisungen nachzukommen.

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Unter dem 23. Juli 2014 hat der Bewährungshelfer mitgeteilt, der Verurteilte, der bis zu einem am 10. Juli 2014 ergangenen Verschonungsbeschluss in anderer Sache in Untersuchungshaft gewesen sei, habe den Kontakt zu ihm - dem Bewährungshelfer - wieder aufgenommen, er wohne wieder zusammen mit seiner Ehefrau in der Ehewohnung, sei derzeit arbeitslos und bemühe sich um eine ambulante Alkoholtherapie bei der Einrichtung ViVa in Hamburg-Wandsbek; bei dem am selben Tage erfolgten Besuch bei dem Bewährungshelfer habe er insoweit einen motivierten Eindruck gemacht.

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Auf ein an den Bewährungshelfer gerichtetes Schreiben der Strafvollstreckungskammer vom 29. Juli 2014 mit der Bitte um Bericht, warum der Verurteilte seinen Arbeitsplatz verloren und die Bewährungsweisungen aus dem Beschluss vom 5. Mai 2014 nicht erfüllt habe, hat der Bewährungshelfer unter dem 3. September erneut berichtet, ohne indes die vorstehend wiedergegebene Fragen der Strafvollstreckungskammer zu beantworten. Laut Bericht vom 3. September 2014 war der Verurteilte zwischenzeitlich aus der ehelichen Wohnung wieder ausgezogen und zu seiner Mutter gezogen. Außerdem hatte er danach zwar eine Empfehlung, sich einem klinischen Entzug zu unterziehen, nicht sofort umgesetzt, sich jedoch zwischenzeitlich am 2. September 2014 in die Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll in Hamburg zur Entgiftung begeben.

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Mit dem Verurteilten am 26. September 2014 zugestelltem Schreiben vom 22. September 2014 hat die Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten den Widerruf der ihm mit dem Beschluss vom 6. Mai gewährten Vollstreckungsaussetzungen wegen Verstoßes gegen die Bewährungsweisungen angedroht. Nach Wiederholung des Wortlautes sämtlicher Bewährungsweisungen heißt es in dem Schreiben: „An diese Anweisungen haben Sie sich nicht gehalten, obwohl sie durch gerichtliches Schreiben vom 4. Juli 2014 aufgefordert worden sind, die gerichtlichen Weisungen und Auflagen einzuhalten. Es besteht die Besorgnis, dass Sie erneut Straftaten begehen. Aktuell sind Sie bereits angeklagt, am 29. Juni 2014 einen Einbruchdiebstahl begangen zu haben (Verfahren vor dem Amtsgericht Hamburg-Wands-bek, Az.: 3405Js 238/14 = 725b Ds 253/14

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Sie können hierzu innerhalb von einer Woche ab Zustellung dieses Schreibens unter Angabe des Aktenzeichens schriftlich Stellung nehmen oder innerhalb dieser Frist telefonisch über die Geschäftsstelle (Tel.-Nr. 42843.2240 oder 3564) einen Termin für eine mündliche Anhörung vereinbaren“ (Unterstreichung durch den Senat).

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Am 9. Oktober 2014 ist laut landgerichtlichem Geschäftsstellenvermerk vom selben Tage der Verurteilte dort erschienen. Eine darüber gefertigte Gesprächsnotiz lautet wie folgt: „Es erscheint Herr Y in Begleitung seiner Lebenspartnerin! Es wurde eine Therapiebescheinigung vom 24.09.2014 eingereicht. Vom Original wurde eine Kopie gefertigt. Das Original wurde zurückgegeben. Eine Stellungnahme zum Anschreiben vom 22.09.2014 erfolgt über seine Rechtsanwältin “. Die angefügte Kopie einer Therapiebescheinigung der Fachklinik Hamburg-Mitte für Drogen- und Suchtmittelabhängige vom 24. September 2014 erbringt eine Bestätigung, dass der Verurteilte dort am 22. September 2014 eine Entwöhnungsbehandlung begonnen hat, die am 11. Dezember 2014 endet.

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In der Folge ist vor Erlass des angefochtenen Widerrufsbeschlusses weder ein Termin zur mündlichen Anhörung anberaumt noch die angekündigte Stellungnahme der Verteidigerin, die nicht zu den Akten gelangt war und ist, abgewartet oder angefragt worden.

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Im Beschwerdeverfahren sind weitere Bescheinigungen eingegangen, die eine Fortführung der von dem Verurteilten begonnenen Therapie belegen.

II.

14

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten hat - jedenfalls vorläufigen - Erfolg.

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1. Die gemäß § 453 Abs. 2 S. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig und insbesondere fristgemäß eingelegt worden (§§ die 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO).

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2. Die sofortige Beschwerde ist wegen eines schweren formellen Mangels des landgerichtlichen Widerrufsanhörungsverfahrens, der zur Aufhebung der Widerrufsentscheidung und Zurückverweisung der Sache zu erneuter Entscheidung zwingt, begründet. Die Strafvollstreckungskammer hat vor dem auf Weisungsverstöße (§ 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB) gestützten Widerruf der Reststrafenaussetzung dem Verurteilten nicht im Sinne des § 453 Abs. 1 S. 4 StPO Gelegenheit zur mündlichen Anhörung gegeben; der von der Strafvollstreckungskammer geübte Verzicht auf eine mündliche Anhörung des Verurteilten vor dem Widerruf war rechtsfehlerhaft.

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a) Wird - wie hier - ein Bewährungswiderruf auf Auflagen- oder Weisungsverstöße gestützt, so soll das Gericht dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben (§ 453 Abs. 1 S. 4 StPO). Wann danach eine mündliche Anhörung zwingend durchzuführen und wann eine solche entbehrlich ist, ist uneinheitlich beurteilt worden.

18

Nach früherer Senatsrechtsprechung, die der Senat hiermit aufgibt, ist Gelegenheit zur mündlichen Anhörung im Sinne des § 453 Abs. 1 S. 4 StPO auch dann ausreichend gewährt worden, wenn einem Verurteilten unter Angabe von Anschrift und Telefonnummer des Gerichts mitgeteilt wird, er könne einen Besprechungstermin vereinbaren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. Februar 1992, Az.: 2 Ws 56/92, in NStE Nr. 12 zu § 453, 21, und 21. Februar 2000, Az.: 2 Ws 61/ 2000). Zur Begründung für diese Auslegung hat der Senat im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Wortlaut des § 453 Abs. 1 S. 4 StPO („Gelegenheit zur mündlichen Anhörung“) weiter gefasst ist als in der Entscheidungen über Reststrafaussetzungen betreffenden Vorschrift des § 454 Abs. 1 S. 3 StPO („der Verurteilte ist mündlich zu hören“) und in § 453 Abs. 1 S. 2 StPO bezüglich der grundsätzliche Pflicht zur Anhörung bestimmter Verfahrensbeteiligter („ Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte sind zu hören“). Daraus hat der Senat auf eine bewusste Differenzierung durch den Gesetzgeber geschlossen.

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Die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur lässt einen solchen Hinweis auf die Möglichkeit telefonischer Vereinbarung eines Besprechungstermins nicht genügen. Danach ist vielmehr die Vorschrift des § 453 Abs. 1 S. 4 StPO dahin zu verstehen, dass trotz Formulierung als Sollvorschrift die mündliche Anhörung eines Verurteilten zwingend ist, wenn und soweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass dies mündliche Anhörung zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen wird und der mündlichen Anhörung keine schwer wiegenden Gründe entgegenstehen oder ein Verurteilter wirksam auf eine mündliche Anhörung verzichtet hat (vgl. OLG Köln in NStZ-RR 2011, 220; OLG München in StV 2009,540, 541; LR-Graalmann-Scheerer, § 453 Rn. 16; Meyer-Goßner/ Schmitt § 453 Rn. 7; jeweils m.w.N.). Diese Auffassung wird im Wesentlichen damit begründet, dass es Ziel des 23. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 13. April 1986, durch welches die Regelung des jetzigen § 453 Abs. 1 S. 4 StPO in das Gesetz eingefügt worden ist, war, in Fällen der Entscheidung über einen Bewährungswiderruf wegen Auflagen- oder Weisungsverstoßes eine verbesserte Sachaufklärung zu fördern, weil Verurteilte möglicherweise beachtenswerte Gründe für eine Nichterfüllung von Auflagen oder Weisungen haben, ohne in der Lage zu sein, diese ausreichend überzeugend schriftlich darzustellen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Strafrechtsänderungsgesetz vom 14. Januar 1985 in BT-Drs. 10/2720, S. 14, in dem es zur Begründung der Einführung des im Entwurf noch als „Satz 3“ bezeichneten jetzigen § 453 Abs. 1 S. 4 StPO heißt: „Der neue Satz 3 gewährt dem Verurteilten Gelegenheit zur mündlichen Anhörung, wenn über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden ist. Als Weisungsverstoß wird dabei von § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO-Entw. auch der Fall erfasst, daß sich jemand beharrlich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers entzieht [vgl. § 56d Abs. 2 StGB]. Im übrigen trägt die Vorschrift dem Umstand Rechnung, dass der Verurteilte beachtenswerte Gründe für die Nichterfüllung haben mag, etwa in eine unvorhergesehene und unverschuldete Notlage geraten, aber nicht in der Lage ist, diese Gründe schriftlich in einer das Gericht überzeugenden Weise darzustellen. Die Ausgestaltung als Soll-Vorschrift eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, von der mündlichen Anhörung aus schwerwiegenden Gründen abzusehen, etwa wenn der Auflagenverstoß als Widerrufsgrund neben neuen Straftaten des Verurteilten nicht ins Gewicht fällt. Kommt dem Auflagen- oder Weisungsverstoß neben einem anderen Widerrufsgrund Bedeutung zu, bleibt es bei der Gelegenheit zur mündlichen Anhörung. In welcher Weise dem Verurteilten die Gelegenheit zur mündlichen Anhörung gewährt wird - zu einem bestimmten Termin oder während festgelegter Sprechzeiten -, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Selbstverständlich ist das Gericht nicht gehindert, den Verurteilten auch in anderen Fällen mündlich anzuhören).

20

Die frühere Senatsrechtsprechung ist demgegenüber davon ausgegangen, dass dem Sinn und Zweck der Regelung des § 453 Abs. 1 S. 4 StPO durch die unter Angabe von Anschrift und Telefonnummer des Gerichts erfolgende Mitteilung an den Verurteilten, einen Besprechungstermin telefonisch vereinbaren zu können, Genüge getan ist. Der Senat hat dazu in seiner Grundlagenentscheidung vom 26. Februar 1992 ausgeführt, eine fehlende Befähigung, inhaltlich zu den Gründen einer Nichterfüllung von Auflagen und Weisungen Stellung zu nehmen, schließe grundsätzlich nicht die Untüchtigkeit ein, sich telefonisch oder schriftlich bei dem Gericht zu melden, um einen Anhörungstermin zu beantragen oder zu vereinbaren; zu einer solchen Handlung bedürfe es weder besonderer intellektueller Fähigkeiten noch eines besonderen inneren Antriebs, wenn das Gericht auf diese Möglichkeit unter Angabe von Anschrift und Telefonnummer der Geschäftsstelle ausdrücklich hingewiesen habe (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Februar 1992, a.a.O.).

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Auch nach der früheren Senatsrechtsprechung sollte allerdings eine mündliche Anhörung des Verurteilten dann nicht entbehrlich sein, wenn sie weitere Aufklärung versprach und ihr keine schwer wiegenden Gründe entgegenstanden (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Februar 2000 (Az.: 2 Ws 61/2000).

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b) Nach diesen Grundsätzen war vorliegend sowohl nach der weiteren als auch nach der engeren Auslegung des § 453 Abs. 1 S. 4 StPO eine mündliche Anhörung des Verurteilten geboten, so dass eine Entscheidung, ob an der bisherigen Senatsrechtsprechung festgehalten werden soll, hier nicht erforderlich wäre. Im Interesse der Rechtsklarheit und -sicherheit weist der Senat jedoch darauf hin, dass er von der bisherigen Rechtsprechung abrückt.

23

Dass selbst nach früherer Senatsrechtsprechung hier auf eine mündliche Anhörung des Verurteilten nicht verzichtet werden konnte, ergibt sich daraus, dass bezüglich der dem Verurteilten zur Last gelegten und den Widerruf allein begründenden Weisungsverstöße weitere Aufklärung erforderlich war und einer mündlichen Anhörung des Verurteilten weder schwerwiegende Gründe entgegenstanden, noch der Verurteilte darauf wirksam verzichtet hatte.

24

Auf den alternativen Widerrufsgrund erneuter Straftatbegehung innerhalb der Bewährungszeit nach § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB konnte und kann der Widerruf trotz erneuter Anklageerhebung gegen den Verurteilten schon deshalb nicht gestützt werden, weil sich weder aus der bei den Akten befindlichen neuen Anklageschrift vom 15. Juli 2014 noch aus sonstigen Aktenbestandteilen ausreichende Tatsachen für eine Überzeugungsbildung von der Begehung der ihm vorgeworfenen neuen Tat durch den Verurteilten ergeben. Demgemäß hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss den Bewährungswiderruf allein auf Weisungsverstöße gestützt.

25

Einer mündlichen Anhörung des Verurteilten standen auch keine schwer wiegenden Gründe wie insbesondere dessen Unerreichbarkeit entgegen. In dem entscheidenden Zeitraum vor der Widerrufsentscheidung waren der Strafvollstreckungskammer die jeweiligen Aufenthaltsorte bzw. Anschriften des Verurteilten bekannt, so dass eine Ladung zu einem Anhörungstermin ohne weiteres hätte erfolgen können. Mit Bericht des Bewährungshelfers vom 23. Juli 2014 war der Strafvollstreckungskammer mitgeteilt worden, dass der Verurteilte nach am 10. Juli 2014 erfolgter Haftverschonung wieder an die der Strafvollstreckungskammer bekannte Anschrift in der Z Straße in Hamburg zu seiner Ehefrau zurückgezogen war. Unter dem 3. September 2014 hatte der Bewährungshelfer der Strafvollstreckungskammer mitgeteilt, dass der Verurteilte zwischenzeitlich in die Wohnung seiner Mutter in die Straße in Hamburg gezogen war und sich seit dem 2. September 2014 in der Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll in Hamburg befand, deren genaue Anschrift sich aus einer beigefügten Aufenthaltsbescheinigung der Klinik ergab. Damit war der Verurteilte für eine Ladung zu einer mündlichen Anhörung erreichbar.

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Der Verurteilte hat auch nicht wirksam auf eine mündliche Anhörung verzichtet. Bei seinem am 9. Oktober 2014 erfolgten Aufsuchen des Gerichts hat er ausweislich des Geschäftsstellenvermerks vom selben Tage eine Therapiebescheinigung vorgelegt und eine Stellungnahme seiner Verteidigerin zu dem Anschreiben vom 22. September 2014, mit welchem der Bewährungswiderruf angedroht worden war, angekündigt. Eine ausdrückliche Verzichtserklärung ist nicht erfolgt. Ein Verzicht auf eine mündliche Anhörung kann auch nicht im Wege der Auslegung aus dem in dem Vermerk wiedergegebenen Geschehen geschlossen werden, zumal der Geschäftsstellenvermerk keine Angaben dazu enthält, ob der Verurteilte sich bei dem Besuch vom 9. Oktober 2014 zu der ihm als möglich in Aussicht gestellten mündlichen Anhörung geäußert hat. Nicht ausgeschlossen ist deshalb, dass der Verurteilte am 9. Oktober 2014 etwa mit der Vorstellung bei Gericht erschienen ist, dass eine mündliche Anhörung auf sein Erscheinen sogleich stattfinden könne, dieses jedoch nicht möglich war. Der Geschäftsstellenvermerk lässt zudem die Möglichkeit offen, dass mit der beim Erscheinen des Verurteilten bei Gericht am 9. Oktober 2014 erfolgten Ankündigung einer Stellungnahme seiner Verteidigerin etwa eine mündliche Anhörung des Verurteilten durch die Strafvollstreckungskammer noch hätte beantragt oder angeregt werden sollen.

27

Schließlich war hier weitere Aufklärung zu den dem Verurteilten vorgeworfenen und dem angefochtenen Widerrufsbeschluss zu Grunde gelegten Weisungsverstößen erforderlich. Die Strafvollstreckungskammer hatte selbst mit Schreiben vom 29. Juli 2014 den Bewährungshelfer um Aufklärung gebeten, warum der Verurteilte seinen Arbeitsplatz verloren und die Bewährungsweisungen aus dem Beschluss vom 5. Mai 2014 nicht erfüllt habe. Eine Beantwortung dieser im Hinblick auf eine Widerrufsentscheidung wesentlichen Fragen war weder durch den Bewährungshelfer noch anderweitig erfolgt. Nicht geklärt und erwogen worden ist des Weiteren, ob und inwieweit eine bisherige Weisungsuntreue des Verurteilten auf der laut der neuen Anklageschrift vom 15. Juli 2014 seit dem 29. Juni 2014 bis zum 10. Juli 2014 andauernden Polizei- und Untersuchungshaft in dem neuerlichen gegen den Verurteilten geführten Strafverfahren beruhte. Die in dem ersten Bericht des Bewährungshelfers vom 11. Juni 2013 wiedergegebenen Mutmaßungen der Ehefrau des Verurteilten, dieser würde „Drogen (Alkohol und illegale Drogen)“ zu sich nehmen, was sie aus ihr gegenüber kompromittierendem Verhalten geschlussfolgert haben soll, genügt für sich genommen weder für die Annahme eines Verstoßes gegen das Alkoholkonsumverbot gemäß Ziffer III.4) des Bewährungsbeschlusses noch für die Annahme einer diesbezüglichen Gröblichkeit oder Beharrlichkeit und zudem Schuldhaftigkeit von Verstößen. Entsprechendes gilt für die übrigen Bewährungsweisungen. Der ungeklärten Tatsachengrundlage entsprach die mit dem Schreiben der Strafvollstreckungskammer vom 29. Juli 2014 an den Bewährungshelfer gerichtete Bitte um Aufklärung. Eine solche ist indes, wie dargelegt, nicht erfolgt. Soweit nach der Bitte der Strafvollstreckungskammer um Aufklärung weitere Tatsachen bekannt geworden sind, betrafen diese aktuelle Wohnanschriften des Verurteilten und seine Aufenthalte in einer Entgiftungsklinik sowie einer Therapieeinrichtung. Es handelte sich damit um Tatsachen, die der Annahme einer Fortdauer zunächst möglicherweise gegebener Weisungsuntreue und damit eines gröblichen oder beharrlichen sowie schuldhaften Verstoßens gegen Bewährungsweisungen sowie der Annahme einer dadurch begründeten Besorgnis, dass der Verurteilte erneut Straftaten begehen werde (§ 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB), tendenziell entgegenstanden und nicht die Voraussetzungen für einen Bewährungswiderruf wegen Weisungsverstößen begründen konnten.

28

Eine mündliche Anhörung des Verurteilten vor einer allein auf Weisungsverstöße gestützten Widerrufsentscheidung war und ist deshalb geboten.

29

3. Folge des rechtsfehlerhaften Unterlassens einer mündlichen Anhörung des Verurteilten vor dem Bewährungswiderruf ist hier die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer zu erneuter Entscheidung.

30

Zur Nachholung der mündlichen Anhörung gibt der Senat die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurück, die nach Behebung des Verfahrensmangels eine erneute Sachentscheidung zu treffen hat. Dem Fehlen der gesetzlich vorgeschriebenen mündlichen Anhörung kommt ein derartiges prozessuales Gewicht zu, dass entgegen dem Grundsatz des § 309 Abs. 2 StPO eine eigene Sachentscheidung des Senats als Beschwerdegericht ausscheidet (ständige fortgeltende Rechtsprechung des Senats, vgl. für viele: Beschluss vom 27. Mai 2010, Az.: 2 Ws 61/10; vgl. OLG Köln, a.a.O.; KK-Appl § 453 Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt § 453 Rn. 15, jeweils m.w.N.).

III.

31

Die Kosten der erfolgreichen Beschwerde des Verurteilten trägt die Staatskasse (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 473 Rn. 2).

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