Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Ws 28/16
Tenor
Die Beschwerden des Angeklagten gegen die Verfügungen des Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 10 des Landgerichts Hamburg vom 5. Februar 2016 werden auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
Gründe
I.
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Der Angeklagte ist am 1. Oktober 2015 durch das Amtsgericht Hamburg wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden; zuvor war ihm auf ausdrücklichen Wunsch des Angeklagten unter Entpflichtung des bisherigen Verteidigers nunmehr Rechtsanwalt ... als Verteidiger beigeordnet worden.
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Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht dieses Urteil am 12. Februar 2016 im Rechtsfolgenausspruch geändert und den Angeklagten - unter Verwerfung seiner eingelegten Berufung - zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Verteidiger am 12. Februar 2016 Revision eingelegt.
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Nachdem der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung am 5. Februar 2016 erklärt hatte, dass er den „Rechtsanwalt wechseln“ möchte, denn „ich glaube ihm nicht mehr“, und der Vorsitzende dieses Begehren als Antrag auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers „abgelehnt“ hatte, hat der beigeordnete Verteidiger seine Entpflichtung beantragt. Diesen Antrag hat der Vorsitzende „zurückgewiesen“. Daraufhin hat der Verteidiger mit einem als Anlage zu Protokoll gereichten Schriftsatz Beschwerde „gegen die Anordnung des Vorsitzenden, mit der der Antrag auf Entpflichtung zurückgewiesen wurde“ eingelegt und zugleich beantragt, dem Angeklagten zur Begründung der Beschwerde einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Gegen den diesen Antrag zurückweisenden Beschluss hat der Verteidiger sodann “namens des Angeklagten“ Beschwerde eingelegt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Beschwerden beantragt.
II.
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Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.
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1. Die Beschwerden sind statthaft (§ 304 Abs. 1 StPO).
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a) § 305 S. 1 StPO steht der Zulässigkeit der Beschwerden nicht entgegen. Nach zutreffender herrschender Meinung handelt es sich, auch wenn ablehnende Entscheidungen zu § 140 StPO - wie hier - in der Hauptverhandlung ergangen sind, nicht um der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidungen im Sinne dieser Vorschrift (Senatsbeschluss vom 17. April 2013, Az.: 2 Ws 72/13; KK-Zabeck, StPO, 7. Auflage, § 305 Rn. 8; Meyer-Goßner, StPO, 58. Auflage, § 141 a Rn. 10a m.w.N.).
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b) Der Verteidiger, dem ein eigenes Beschwerderecht weder gegen die Ablehnung seiner gerichtlichen Bestellung (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 141 Rn. 10 m.w.N.) noch gegen die Ablehnung seiner Entpflichtung (Senatsbeschluss vom 17. November 1997, NJW 1998, 621; OLG Bamberg, MDR 1990, S. 460; OLG Hamm NJW 2006, 2712 f.) zusteht, hat die Beschwerden namens und im Auftrag des Angeklagten eingelegt.
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c) Hinsichtlich der gegen die „Zurückweisung“ der Entpflichtung gerichteten Beschwerde ist der Beschwerdegegenstand noch hinreichend bestimmbar. Insoweit ergibt die nach § 300 StPO gebotene Auslegung unter Berücksichtigung des weiteren Beschwerdevorbringens noch hinreichend klar, dass es sich der Sache nach um eine Beschwerde gegen die zeitlich vorangegangene, den Entpflichtungsantrag des Angeklagten ablehnende, Verfügung handelt.
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Zwar könnten sowohl der zeitliche Ablauf der Beschwerdeanbringung nach der „Zurückweisung“ seines auf Entpflichtung gestellten Antrags sowie die nachfolgende Bezeichnung des Beschwerdegegenstandes („gegen die Anordnung des Vorsitzenden, mit der der Antrag auf Entpflichtung zurückgewiesen [Hervorhebung durch Senat] wurde“) nahelegen, dass allein die Verfügung des Vorsitzenden angefochten sein soll, mit der die vom Verteidiger - der Sache nach bereits unzulässig (HansOLG NJW 1978, 1172) und damit mangels eigener Beschwer überdies einem eigenem Rechtsmittel entzogene (Senatsbeschluss vom 17. November 1997, NJW 1998, 621; OLG Bamberg a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 143 Rn. 7) - selbst beantragte Entpflichtung versagt wurde.
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Indes ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen und der Verknüpfung, wonach dem Angeklagten zur Begründung der - gemeint: seiner - Beschwerde ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen sei, dass es sich allein um ein Rechtsmittel des Angeklagten gegen die erste ergangene Verfügung des Vorsitzenden handeln soll.
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2. Die Beschwerden des Angeklagten sind aber unbegründet.
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a) Die Beschwerde des Angeklagten gegen die unterlassene Bestellung eines (weiteren) Pflichtverteidigers für das Beschwerdeverfahren ist unbegründet, weil der Angeklagte hierauf keinen Anspruch hat.
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aa) Mit dem Institut der notwendigen Verteidigung und mit der Bestellung eines Verteidigers sichert der Gesetzgeber das Interesse, das der Rechtsstaat an einem prozessordnungsgemäßen Strafverfahren hat (BVerfG NJW 1984, 113 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 140 Rn. 1): das Institut gewährleistet vorrangig den Anspruch des Beschuldigten auf effektive Verteidigung. Zugleich soll aber die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens garantiert werden (Senatsbeschluss vom 17. November 1997, NJW 1998, 621; Kett-Straub, NStZ 2006, S. 361, 362); insofern ist auch eine Bestellung gegen den Willen des Beschuldigten möglich (BVerfG a.a.O.).
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bb) Gemessen hieran besteht keine Notwendigkeit einer weiteren Beiordnung eines weiteren Verteidigers.
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Der Senat lässt es dahingestellt, unter welchen Voraussetzungen überhaupt ein weiterer Pflichtverteidiger zu bestellen ist; jedenfalls gebietet das Institut der notwendigen Verteidigung keine weitere Beiordnung in Fällen, in denen der Angeklagte, der bereits pflichtverteidigt ist, mit einem lediglich pauschal vorgetragenem Vorwurf ohne jede Substantiierung die Entpflichtung seines beigeordneten Verteidigers begehrt: ebenso wenig wie es der Angeklagte in der Hand hat, durch unsubstantiierte Behauptungen seinen Pflichtverteidiger „abzuschießen“ (zum Begriff und Phänomen s. Kett-Straub, a.a.O. S. 365), ist das Gericht veranlasst, einen zweiten Verteidiger auf Zuruf gleichsam „ins Blaue“ hinein zu bestellen.
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Vorliegend erschöpft sich das gesamte Vorbringen in der Äußerung des Angeklagten, wonach er seinem Rechtsanwalt „nicht mehr glaube“; im weiteren Beschwerdevorbringen ist pauschal von einem „schwerwiegenden Vertrauensverlust“ die Rede sowie davon, dass von einem Angeklagten, der der deutschen Sprache nicht mächtig und juristischer Laie sei, nicht verlangt werden könne, fundiert vorzutragen. Der Senat vermag nicht zu erkennen, warum der Angeklagte - dem überdies ein Dolmetscher zur Verfügung stand - nicht in der Lage sein soll, in eigenen Worten Umstände darzulegen, weshalb er seinem auf eigenen Wunsch hin beigeordneten Verteidiger nicht mehr „glauben“ - was immer das bedeuten mag - könne.
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Ebenso erschließt sich dem Senat nicht, dass der bisher beigeordnete Verteidiger gehindert sein soll, substantiiert für den Angeklagten dieses vorzutragen: auch unter Berücksichtigung des Mandatsverhältnisses und der hieraus resultierenden Verschwiegenheitsverpflichtung hat es der Angeklagte in der Hand, den notwendigen Vortrag beizubringen.
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b) Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung des Widerrufs der Bestellung von Rechtsanwalt ... hat in der Sache ebenfalls keinen Erfolg, weil ein wichtiger Grund, der einen Widerruf rechtfertigen könnte, nicht vorliegt und auch vorrangige Interessen entgegenstehen.
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Bei dieser Entscheidung sind die unter II.2.a)aa) nebeneinanderstehenden Zwecke der notwendigen Verteidigung zu beachten.
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aa) Soweit anerkannt ist, dass neben dem Ausschließungsverfahren nach §§ 138a ff. StPO und über die ausdrücklich normierten Fälle der §§ 143, 145 Abs.1 StPO hinaus die Bestellung eines Verteidigers aus wichtigem Grund aufgehoben werden kann (BVerfG NJW 1975, 1015; BGH NStZ 1993, 600; OLG Bremen NStZ 14, 358; Senatsbeschluss a.a.O.), muss eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem Pflichtverteidiger vorliegen (OLG Karlsruhe NStZ 1988, 239 f.) und deshalb zu besorgen sein, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann (BVerfG NJW 2001, 3695 ff; KK-Laufhütte/Willnow, 7. Auflage, § 143 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 143 Rn. 5). Allerdings reicht der bloße Hinweis auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis nicht aus, da der Angeklagte keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers hat, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt (so aber MüKo StPO/Thomas/Kämper § 143 Rn. 9). Voraussetzung ist vielmehr, dass konkrete Umstände substantiiert dargelegt werden, die vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus die Sorge rechtfertigen, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann (ganz HM, vgl. BGH NStz-RR, 2005, 240; StV 2004, 302; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. m. w. N.).
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Hieran fehlt es aus den bereits unter II.2.a)bb) dargelegten Gründen.
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bb) Im Übrigen merkt der Senat an, dass auch widerstreitende verfahrenssichernde Interessen einer Entpflichtung des bisherigen Verteidigers entgegenstanden und -stehen.
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So befand sich der Angeklagte im Beschlusszeitpunkt seit fast sechs Monaten in Untersuchungshaft und hatte damit die erstinstanzlich ausgesprochene Haftstrafe bereits faktisch vollverbüßt, die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren hatte bereits an vier Hauptverhandlungstagen (5. Januar 2016, 12. Januar 2016 und 15. Januar 2016 und 5. Februar 2016) stattgefunden und war weitgehend abgeschlossen. Nach Antragstellung und ablehnender Verbescheidung durch den Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer am 5. Februar 2016 stand der abschließende Hauptverhandlungstermin am 12. Februar 2016 an, an welchem nach Einvernahme von zwei weiteren Zeugen - die jeweils nach wenigen Minuten entlassen wurden - der Angeklagte zu seinen persönlichen Verhältnissen gehört und die Beweisaufnahme geschlossen wurde. Nach den Plädoyers und dem letzten Wort ist das Urteil verkündet und der Haftbefehl aufgehoben worden. Der vom Angeklagten unzulänglich begründete Wunsch nach Austausch des Verteidigers hätte unter den gegebenen Umständen zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung geführt und dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten besonderen Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen widersprochen (vgl. zur Beachtung des Beschleunigungsgebots im Rahmen des § 142 Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 142 Rn. 9a); hinzu kommt, dass ein zur Verteidigung bereiter Rechtsanwalt vom Angeklagten noch nicht einmal benannt worden war.
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Gegenwärtig ist der Angeklagte überdies für das Gericht nicht erreichbar, wie seine Entlassung aus der Untersuchungshaft „o.f.W.“ belegt. Deshalb sprechen auch Gründe der Verfahrenssicherung - vgl. nur § 145 a, 345 StPO - dagegen, den lediglich mit einem pauschalen Vorwurf belegten Verteidiger selbst gegen den Willen des Angeklagten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 10) - auf den Willen des Verteidigers kommt es insoweit nicht an (vgl. LR/Lüderssen/Jahn, 26. Auflage, § 142 Rn. 30)- zu dieser Unzeit zu entpflichten.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
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Referenzen
- StPO § 145 Ausbleiben oder Weigerung des Pflichtverteidigers 2x
- 2 Ws 72/13 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 138a Ausschließung des Verteidigers 1x
- StPO § 140 Notwendige Verteidigung 1x
- StPO § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung 1x
- StPO § 300 Falschbezeichnung eines zulässigen Rechtsmittels 1x
- StPO § 143 Zurücknahme der Bestellung eines Pflichtverteidigers 1x
- StPO § 304 Zulässigkeit 1x
- StPO § 305 Nicht der Beschwerde unterliegende Entscheidungen 1x