Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (4. Senat für Familiensachen) - 7 WF 9/17

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die bisherige Verfahrensbehandlung nicht ausreichend dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 I FamFG entspricht.

2. Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben; eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

3. Der Kindesmutter wird Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung für das Beschwerdeverfahren bewilligt. Rechtsanwalt von B., Hamburg, wird beigeordnet.

Gründe

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1. Die gemäß § 155c I FamFG zulässige Beschleunigungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.

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a. Das Beschwerdegericht hat lediglich festzustellen, ob die bisherige Dauer des Verfahrens dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 I FamFG entspricht die Begründetheit der Beschwerde setzt daher nicht voraus, dass gerade zur Zeit der Beschleunigungsrüge (noch) konkrete Maßnahmen zur Beschleunigung zu ergreifen waren. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senates aus dem Wortlaut der §§ 155b, 155c FamFG, die sich mit der bisherigen Verfahrensdauer befassen. Dementsprechend heißt es auch im Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Bezug auf § 155c FamFG (BT-Drucksache 18/9092; Hervorhebungen durch den Senat): „Das Beschwerdegericht wird (...) darüber zu entscheiden haben, ob die Dauer des bisherigen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes entspricht, insbesondere ob das Ausgangsgericht die notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen getroffen hat.“ Eine Beschleunigungsrüge ist daher nicht etwa deshalb unbegründet, weil im Moment der Rüge gerade keine weiteren Maßnahmen zur vorrangigen und beschleunigten Durchführung zu treffen sind, z.B. weil das Ausgangsgericht auf die Rüge bereits Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung ergriffen hat (vgl. Keuter FamRZ 2016, 1817, 1820).

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b. Nach dem Ablauf des Verfahrens entspricht die bisherige Verfahrensbehandlung nicht in jeder Hinsicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 I FamFG. Dieses Gebot legt im Hinblick auf die besondere Bedeutung einer alsbaldigen Regelung der persönlichen Verhältnisse des Kindes in Bezug auf die Bindungen an seine Elternteil fest, dass unabhängig von der tatsächlichen Belastung eines Familienrichters die Kindschaftssachen stets vorrangig, gegebenenfalls unter Zurückstellung anderer wichtiger Verfahren, zu bearbeiten, in Bezug auf das Beschleunigungsgebot alsbald zu betreiben und insbesondere durch die Bestimmung eines Anhörungstermins zu einer alsbaldigen gerichtlichen Entscheidung zu bringen sind (Borth / Grandel in Musielak / Borth, FamFG, 5. Aufl., § 155 Rz.1). Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot steht dabei unter dem Grundsatz der Wahrung des Kindeswohls im Sinne des § 1671 I, II BGB. Generell gilt aber, dass das Vorrang- und Beschleunigungsgebot im Zweifelsfall Vorrang vor anderen Erwägungen hat (Borth / Grandel in Musielak / Borth, FamFG, 5. Aufl., § 155 Rz.3).

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aa. Allerdings ist eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren nicht beschleunigt durchgeführt wurde, nicht möglich. Ein Maßstab für diese Frage ist die Orientierung am Kindeswohl, welches das Beschleunigungsgebot sowohl prägt als auch begrenzt. Beschleunigung ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, dass die Entscheidung in der Sache nicht durch bloßen Zeitablauf faktisch präjudiziert wird. Diese Gefahr besteht, weil sich während des Verfahrens Bindungs- und Beziehungsverhältnisse – einschließlich der Kontaktabbruch – verfestigen oder verändern können und eine zu späte gerichtliche Entscheidung sich den geänderten tatsächlichen Bindungen und Beziehungen nur noch beschreibend anpassen, diese aber nicht mehr im Sinne des ursprünglichen Kindeswohls gestalten kann. Das Beschwerdegericht hat unter Zugrundelegung dieser Faktoren darüber zu entscheiden, ob die Dauer des bisherigen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes entspricht, insbesondere ob das Ausgangsgericht die notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen getroffen hat. Dabei ist nicht von dem Maßstab eines idealen Richters auszugehen, sondern es ist anhand des konkreten Einzelfalles ein objektiver Maßstab anzulegen. (zu allem s. die bereits genannte BT-Drucksache 18/9092).

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bb. Hier hat das Ausgangsgericht im angegriffenen Beschluss selbst konstatiert, dass die Dauer des Verfahrens das Maß des Wünschenswerten bei weitem übersteigt. Dem ist beizupflichten: Mit Beschluss vom 4.3.2015 war die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens angeordnet worden. Bereits im Juli und August 2015 kam es zu erfolglosen Versuchen telefonischer Kontaktaufnahme mit Rückrufbitten bei der Sachverständigen K.. Unter dem 1.2.2016 teilte die Sachverständige mit, dass die Begutachtung „weitgehend abgeschlossen“ sei, es erscheine aber sinnvoll, ergänzend eine „psychiatrische Diagnostik“ einzubeziehen; zu diesem Zeitpunkt waren bereits nahezu elf Monate seit dem Beweisbeschluss verstrichen. Sodann wurde der Beweisbeschluss unter dem 17.2.2016 entsprechend dem Vorschlag der Sachverständigen K. erweitert. Unter dem 6.6.2016 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter, die Sachverständige zu entpflichten, worauf das Ausgangsgericht die Sachverständige unter dem 18.6.2016 dringend um Sachstandsmitteilung und zügige Fertigstellung des Gutachtens bat. Im Juli erfolgten mindestens drei telefonische Rückrufbitten des Gerichts an die Sachverständige, ohne dass die Sachverständige darauf regiert hätte. Unter dem 26.7.2016 – ausgeführt erst in der zweiten Augusthälfte – wurde der Sachverständigen erstmals in Aussicht gestellt, dass es zur Androhung von Ordnungsmitteln kommen könne. Unter dem 16.8.2016 teilte die Umgangspflegerin dem Gericht mit, dass ihr die Sachverständige K. mitgeteilt habe, „kurz vor Abschluss“ des Gutachtens zu stehen. Weitere zwischenzeitliche telefonische Rückrufbitten bei der Sachverständigen waren ebenfalls ohne Erfolg geblieben. Unter dem 14.10.2016 setzte das Ausgangsgericht der Sachverständigen eine Nachfrist von drei Wochen für die Einreichung des Gutachtens unter Androhung von Ordnungsmitteln. Mit auf den 25.11.2016 datierten Schreiben – eingegangen bei Gericht am 6.12.2016 – und telefonisch nochmals am 20.1.2017 teilte die Sachverständige mit, dass die Vorlage des Gutachtens spätestens bis Ende Januar erfolgen werde.

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c. Nach allem ist festzuhalten, dass das Ausgangsgericht die offensichtlich schwierig zu motivierende Sachverständige jedenfalls ab Februar 2016 beständig zur Vorlage des Gutachtens angehalten hat. Bei der nach den obigen Darlegungen gebotenen Anlegung eines objektiven Maßstabes anhand des konkreten Einzelfalles erschließt sich jedoch nicht, weshalb der Sachverständigen zuvor – im Zeitraum von März 2015 bis Januar 2016 – nur wenig bis gar kein „Druck“ gemacht worden war. Im Lichte dessen hätte es nach den anzuwendenden objektiven Maßstäben nahegelegen, nach diesem langen nutzlos verstrichenen Zeitraum und angesichts der Tatsache, dass die Sachverständige durch Sachstandsanfragen offensichtlich nicht zu beeindrucken ist, nicht nochmals mehrere Monate zuzuwarten, bis ihr unter Fristsetzung Ordnungsmittel angedroht wurden. Nach den dargelegten Grundsätzen gehören insbesondere eine unterlassene oder zu großzügige Fristsetzung bei Gutachtenaufträgen wie auch eine unterlassene Erinnerung bei verzögerter Gutachtenerstellung zu den Umständen, aus denen sich eine verzögerte und nicht vorrangige, beschleunigte Bearbeitung ergeben kann (Keuter, FamRZ 2016, 1817, 1819). Nichts anderes kann indes gelten, wenn – wie hier – die Sachverständige zwar zahllose Male an die Erledigung ihres Gutachtens erinnert wurde, dies aber nicht die gewünschte Wirkung hatte, ohne dass dann energischere Maßnahmen folgten.

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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 I FamFG.

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3. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

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