Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Ws 36/17

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 5, vom 27. Januar 2017 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Hamburg-Blankenese hat den Beschwerdeführer am 23. Juli 2014 wegen „vorsätzlicher“ Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt. Gegen das den Verfahrensbeteiligten aufgrund Verfügung des Vorsitzenden zugestellte Urteil haben der Angeklagte mit Schriftsatz seines damaligen Verteidigers vom 24. Juli 2014, bei Gericht eingegangen am 30. Juli 2014, und die Staatsanwaltschaft unter dem 25. Juli 2014, bei Gericht eingegangen am 28. Juli 2014, Berufung eingelegt.

2

Mit Verteidigerschriftsatz vom 3. Januar 2017 hat der Angeklagte die im Berufungsverfahren mit der Sache befasste Vorsitzende der Kleinen Strafkammer 6 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit Beschluss der geschäftsplanmäßig zuständigen Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 5 ist das Ablehnungsgesuch am 23. Januar 2017 verworfen worden.

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Diesen Beschluss hat der Angeklagte zum Anlass genommen, mit Schreiben vom 24. Januar 2017, bei Gericht eingegangen am selben Tag, nunmehr die Vorsitzende der Kleinen Strafkammer 5 wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Diesen Antrag hat die abgelehnte Vorsitzende mit Beschluss vom selben Tag, dem Verteidiger aufgrund Verfügung der Vorsitzenden am 26. Januar 2017 zugestellt, als unzulässig verworfen. Mit Schreiben vom 30. Januar 2017 hat der Verteidiger die Beendigung des Mandats des Angeklagten mitgeteilt.

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Gegen den Beschluss vom 25. Januar 2017 hat der Angeklagte mit Schreiben vom 2. Februar 2017, bei Gericht eingegangen am selben Tag, „Beschwerde“ eingelegt.

5

Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 15. Februar 2017 auf die kostenpflichtige Verwerfung des Rechtsmittels angetragen.

II.

6

Die nach § 300 StPO als gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde zu behandelnde, fristgerecht eingelegte „Beschwerde“ des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 25. Januar 2017 ist als unzulässig zu verwerfen.

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1. Die Unzulässigkeit ergibt sich nicht schon daraus, dass der Beschluss, durch den die Ablehnung eines erkennenden Richters als unzulässig verworfen wird, gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden kann. Erkennender Richter ist zwar auch, wer zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch berufen ist; allerdings nur solange, bis die Entscheidung erfolgt ist (HansOLG Hamburg, Beschluss vom 24. September 1998 – 1 Ws 189/98 –, zitiert nach juris). Da § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO nach der gesetzgeberischen Intention nur Verzögerungen des Beginns und des Verlaufs der Hauptverhandlung vermeiden soll, ist eine Perpetuierung der Sperrwirkung über den Zeitpunkt des Ausscheidens hinaus nicht vorgesehen.

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Vorliegend betrifft der angefochtene Beschluss die Vorsitzende der Kleinen Strafkammer 5, die zwar zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen die VRiinLG Kuschel berufen war, nach dessen Zurückweisung mit Beschluss am 23. Januar 2017 aber wieder aus dem Verfahren ausgeschieden ist.

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2. Es fehlt für die Zulässigkeit jedoch an der für jedes Rechtsmittel erforderlichen Beschwer des Angeklagten durch die angefochtene Entscheidung (vgl. L-R/Matt § 304 Rn. 41; HK-Rautenberg § 296 Rn. 12; Graf-Cirener § 296 Rn. 7; MüKo StPO/Allgayer § 296 Rn. 42; a.A.: KMR-Plöd Vor § 296 Rn. 14: Behauptung der Beschwer ist ausreichend).

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a) Nach dem richterrechtlich entwickelten Erfordernis der Beschwerdeberechtigung muss der Rechtsmittelführer durch die von ihm angegriffene Maßnahme in seinen Rechten – der Freiheit, dem Vermögen oder einem sonstigen Recht – verletzt sein (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 304 Rn. 6 m.w.N.). Die Beschwer und der in dieser vorausgesetzte Nachteil sind allerdings normativ definiert (vgl. SK-StPO/Frisch, Vor § 296 Rn. 128, Vor § 304 Rn. 13, jeweils m.w.N.). Es genügt nicht, dass der Rechtsmittelführer eine bestimmte Entscheidung subjektiv als beschwerend empfindet oder ein bestimmter Entscheidungsinhalt verbreitet als weniger günstig als ein anderer erachtet wird. Der der normativen Beschwer zu Grunde liegende Nachteil ist vielmehr eine nachteilige Diskrepanz zwischen der Entscheidung und dem für die Entscheidung maßgebenden Recht (Frisch, a.a.O.). Dabei ist die Frage, ob eine Abweichung tatsächlich gegeben ist, eine Frage der Begründetheit des Rechtsmittels, während es für die Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung reicht, dass die angefochtene Entscheidung möglicherweise zum Nachteil des Rechtsmittelführers vom Recht abweicht. Das setzt allerdings voraus, dass es überhaupt Normen gibt, die das vom Rechtsmittelführer als Nachteil Empfundene bei richtiger Auslegung nicht zulassen bzw. dem Rechtsmittelführer Günstigeres zuerkennen, die also die angestrebte Entscheidung tragen könnten, so dass nur die Frage in Streit steht, ob die Voraussetzungen dieser Normen gegeben sind. Fehlt es hingegen bereits an Normen, die als Folge die erstrebte Entscheidung vorsehen, so fehlt es an der normativen Beschwer (vgl. HansOLG Hamburg in NStZ 2008, 479; Senat, Beschlüsse vom 10. April 2014, Az.: 2 Ws 68/14; vom 15. September 2016, Az.: 2 Ws 194/16; Frisch, a.a.O. Vor § 296 Rn. 128).

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b) Vorliegend enthalten die Vorschriften der Strafprozessordnung keine Regelung, welche die vom Angeklagten mit seiner Beschwerde angestrebte Rechtsfolge – nämlich den Ausschluss der Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 5 wegen Besorgnis der Befangenheit zum jetzigen Zeitpunkt im konkreten Verfahren – ermöglicht.

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aa) Die Richterablehnung ist gem. § 24 StPO aus einem der Ausschließungsgründe der §§ 22, 23 StPO und wegen der Besorgnis der Befangenheit zulässig. Zur Verfahrensvereinfachung ermächtigt § 26 a StPO das Gericht, über unzulässige Ablehnungsgesuche, auch wenn mit ihnen der Ausschluss des Richters nach §§ 22, 23 StPO behauptet wird, unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zu entscheiden.

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Bei Ablehnungen außerhalb der Hauptverhandlung kann ein Richter jederzeit abgelehnt werden, die zeitlichen Grenzen des § 25 StPO gelten nicht (MüKoStPO/Conen/Tsambikakis § 25 Rn. 27). Allerdings zieht – ohne dass § 26a StPO dieses ausdrücklich erwähnt – eine absolute Grenze stets die gerichtliche Entscheidung: danach kann ein Ablehnungsgesuch nie erfolgreich angebracht werden (BGH NStZ 2007, 416; NStZ 1993, 600). Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der Ablehnung, wonach an bevorstehenden Entscheidungen nur unbefangene Richter mitwirken sollen.

14

Daraus folgt, dass verspätete Ablehnungsanträge entsprechend § 26a Abs. 2 Satz 1 StPO als unzulässig zu behandeln sind (Conen/Tsambikakis a.a.O. § 26a Rn. 23; L-R/Siolek § 26a Rn. 34).

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Gleichermaßen unzulässig ist es, Ablehnungsgesuche gegen Richter, die nicht ausschließbar in der Zukunft zuständig werden könnten, vorzeitig anzubringen: Das Stellen von Ablehnungsanträgen „auf Vorrat“ ist unzulässig (RGSt 66, 391; KG Berlin, NStZ 1983, 44). Insoweit sind die Fälle verspäteter bzw. verfrühter Ablehnungsanträge so zu behandeln, wie die Fälle, in denen ein Ablehnungsgesuch gegen einen von vornherein nicht mit der Sache befassten Richter erhoben wird (vgl. HansOLG Hamburg, Beschluss vom 24. September 1998, a.a.O.; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. April 1989, Az.:1 Ws 194/89, NStE Nr. 2 zu § 25 StPO).

16

bb) Aus diesen Grundsätzen folgt, dass das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers gegen die Vorsitzende der Kleinen Strafkammer 5 unzulässig ist, da die abgelehnte Richterin gegenwärtig nichts zu entscheiden hat: das Ablehnungsgesuch vom 3. Januar 2017 betreffend die Vorsitzende der Kleinen Strafkammer 6 ist bereits beschieden, das Verfahren mit einer Beteiligung der Vorsitzenden Richterin der Kleinen Strafkammer 5 in diesem Ablehnungsverfahren ist mithin beendet.

17

Soweit der Beschwerdeführer ein weiteres Ablehnungsgesuch betreffend die Vorsitzende der Kleinen Strafkammer 6 unter dem 31. Januar 2017 angebracht hat, betrifft dieses einen neuen Verfahrensabschnitt, in dem überdies die Mitwirkung der Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 5 völlig ungewiss ist.

III.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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