Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 17 W 95/14
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 37. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 10.03.2014 – 37 OH 1/13 -wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Antragsgegnerin zur Last.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
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G r ü n d e :
2I.
3Mit ihrer Stellungnahme vom 05.02.2012 zu dem Antrag der Wohnungseigentumsgemeinschaft auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vom 21.12.2012 hat die Antragsgegnerin persönlich der Beteiligten zu 1. den Streit verkündet. Die Streitverkündungsschrift ist dieser am 14.02.2013 zugestellt worden. Ein Richter der zuständigen Kammer des Landgerichts hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 08.02.2013 „ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch im selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht grundsätzlich Anwaltszwang besteht und das Gericht Ausführungen der Parteien demgemäß grundsätzlich nicht berücksichtigen kann. Die Zustellung der Streitverkündung erfolgt, da es sich bei der Streitverkündung um eine ausnahmsweise vom Anwaltszwang befreite Prozesshandlung handelt.“ (47 GA)
4Mit Schreiben vom 15.02.2013 (85 GA) hat die Antragsgegnerin um nähere Erläuterung dieses Schreibens gebeten. Sie sei zur Stellungnahme auf den Antrag aufgefordert worden, ohne auf das Erfordernis eines Anwaltszwanges verwiesen worden zu sein; auch in anderen vor dem Landgericht Köln anhängigen selbständigen Beweisverfahren sei sie bislang nicht entsprechend hingewiesen worden.
5Darauf hat das Landgericht mit Schreiben vom 20.02.2013 (60 GA) „vorsorglich nochmals auf den auch im selbständigen Beweisverfahren – mit Ausnahme der An-tragstellung – für die Parteien grundsätzlich bestehenden Anwaltszwang“, das vorherige Schreiben vom 08.02.2013 und die Entscheidung des BGH vom 12.07.2012 (NJW 2012, 2810 ff.) hingewiesen.
6Mit einem ausführlichen Schreiben vom 11.03.2013 (63 f. GA) ging die Antragsgeg-nerin u.a. auf die Entscheidung des BGH ein und zitierte die Stelle, „ob für einzelne Verfahrenshandlungen eine analoge Anwendung des § 486 Abs. 4 ZPO möglich ist, muss der Senat an dieser Stelle nicht entscheiden“. Die Antragsgegnerin vertrat die Auffassung, dass sie neben Antragstellung und Streitverkündung auch eine Stellungnahme ohne Beauftragung eines Rechtsanwaltes rechtwirksam abgeben könne; dies sei bislang in anderen Verfahren – auch beim Landgericht Köln – ebensowenig ein Problem gewesen wie die Teilnahme an Ortsterminen. Nur für die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung bestehe Rechtsanwaltszwang. Weiterhin bat sie um eine rechtsmittelfähige Entscheidung.
7Die Beteiligte zu 1. persönlich hat mit Schreiben vom 27.02.2013 einer Vielzahl weiterer am Bauvorhaben beteiligter Personen und Firmen den Streit verkündet (65 – 96 GA) den Streit verkündet. In dem Übersendungsschreiben hat der Vorsitzende der Kammer folgenden Hinweis erteilt:
8„Es wird darauf hingewiesen, dass eine aktive Beteiligung am selbständigen Beweisverfahren durch Eingaben oder Anträge vor dem Landgericht nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, Beschluss vom 12.07.2012 – VII ZB 9/12, NJW 2012, 2810 ff., zitiert nach juris), mit Ausnahme der ersten An-tragstellung des Antragstellers, der Streitverkündung sowie dem Beitritt als Streithelfer nur mittels eines Rechtsanwaltes möglich sein dürfte.“
9Außerdem wies der Vorsitzende mit Schreiben vom 13. März 3013 (98 GA) die Beteiligte zu 1 auf Folgendes hin:
10„Im Zusammenhang mit einem anderen Verfahren sah sich die Kammer in einer Zeit nach der Eingangsverfügung im vorliegenden Verfahren veranlasst, sich mit der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Anwaltszwang in selbständigen Beweisverfahren auseinanderzusetzen.
11Der Bundesgerichtshof hat sich in der genannten Entscheidung nämlich eingehend mit den Auffassungen verschiedener Oberlandesgerichte, u.a. auch des OLG Köln befasst, die bislang für das gesamte selbstständige Beweisverfahren einen solchen Anwaltszwang ausgeschlossen haben. Als Begründung wurde dabei u.a. auf die entsprechende Anwendung von § 486 IV ZPO Bezug genommen.
12Der Bundesgerichtshof hat jetzt aber in seiner sehr ausführlichen Begründung dargelegt, dass eine solche Analogie nicht zulässig sei, sondern dass dessen Anwendung als Ausnahmevorschrift grundsätzlich auf den ersten Antrag des Antragstellers beschränkt bleiben müsse. Soweit er in Rn 20 feststellt, dass für einzelne Verfahrenshandlungen ggf. ebenfalls eine analoge Anwendung in Betracht komme, so versteht die Kammer den BGH aufgrund der weiteren Ausführungen allerdings dahin, dass dies allenfalls für solche Handlungen gelten kann, die einer Partei die (passive) Beteiligung an dem Verfahren ermöglicht. Denn in der Rn 27 wird hierzu ausgeführt, dass der Antragsgegner ja nicht gezwungen sei, aktiv an dem Verfahren teilzunehmen. In diesem Sinne kann dann natürlich das Verfahren auch ohne Anwalt durchgeführt werden. Ansonsten ist in Rn 22 der klare Grundsatz formuliert: „Die Parteien müssen sich in einem selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht grundsätzlich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, es sei denn, § 486 Abs. 4 ZPO erlaubt in Verbindung mit § 78 Abs. 3 ZPO hiervon eine Ausnahme“. Dies dürfte also insbesondere für alle Eingaben und Anträge gelten, die inhaltlich auf den Verfahrensverlauf einwirken wollen.
13Ausgenommen hiervon sind hingegen jedenfalls:
14– die Streitverkündung, da diese auch ansonsten nicht dem Anwaltszwang unterliegt (Zöller/Vollkommer, ZPO, § 73 Rn 2 mwN) sowie
15– der nachfolgende Beitritt des Streithelfers laut BGH, weil dies nur die passive Beteiligungsmöglichkeiten gewährleistet.
16Soweit Sie also diverse Streitverkündungen ausgebracht haben, sind diese durch die BGH Entscheidung nicht tangiert. Die Kammer wird daher ihren Vorschlag aufgreifend in zukünftigen Fällen den Hinweis präziser fassen.
17Im Übrigen würde auch die Kammer eine grundlegende Entscheidung des Oberlandesgerichts zu diesem Punkt begrüßen, um eine einheitliche Handhabung zu gewährleisten. Zur Zeit besteht im vorliegenden Verfahren jedoch, soweit ersichtlich, noch keine Veranlassung zu einer Ihre Prozesshandlung abweisenden Entscheidung.“
18In der Folgezeit bestellten sich für einige der 16 (weiteren) Streitverkündeten Rechtsanwälte als Verfahrensbevollmächtigte; eine von ihnen trat dem Verfahren auf Seiten der Antragsgegnerin als Streithelferin bei (123a GA). Die Antragsgegnerin persönlich teilte auf Rückbriefnachricht des Landgerichts von 2 Streitverkündeten deren aktuelle Anschrift mit. Auf die Bitte des Verfahrensbevollmächtigten einer Streitverkündeten um Information an den Sachverständigen, zu allen Terminen geladen zu werden, teilte der Vorsitzende mit Schreiben vom 04.04.2013 (127 GA) mit, dass ein Recht auf förmliche Ladung erst im Falle des Beitritts zum Verfahren bestehen dürfte; dennoch solle der Sachverständige um Übersendung einer Terminsnachricht an alle Streitverkündeten gebeten werden, auch soweit sie (noch) nicht beigetreten seien. Die Antragsgegnerin wurde vom Landgericht und den Sachverständigen im gleichen Umfang wie die Antragstellerin beteiligt und nahm auch Stellung wegen Vorlage von Unterlagen, zum weiteren Vorgehen usw. (216 f., 222 f. GA).
19Unter dem 26.02.2014 erstellte der Untersachverständige Dr. Ing. Ridly sein Gutachten (233 – 286 GA). Dieses übersandte das Gericht den Parteien mit Beschluss vom 10.03.2014. Darin gewährte die Kammer den Parteien die Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von 4 Wochen unter Hinweis auf §§ 411, 296 I und IV ZPO. Wegen der weiteren Begründung und Belehrung wird auf den Beschluss (287 GA) Bezug genommen.
20Gegen diesen der Antragsgegnerin am 12.03.2014 zugestellten Beschluss hat diese, (nur) insoweit vertreten durch Rechtsanwalt N aus C, mit Schriftsatz vom 20.03.2014 sofortige Beschwerde wegen der streitigen Frage eingelegt, ob Stellungnahmen der Antragsgegnerin im selbständigen Beweisverfahren dem Anwaltszwang unterliegen. Auf die ausführliche Begründung (296 ff. GA) wird Bezug genommen.
21Die Kammer hat mit Beschluss vom 14.04.2014 die Beschwerde dahin ausgelegt, dass sie sich gegen den Beschluss vom 10.03.2014 in Verbindung mit dem Hinweis vom 08.02.2013 richtet, ihr nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt (315 f. GA):
22„Das Landgericht steht auf dem Rechtsstandpunkt, dass Stellungnahmen zu einem Sachverständigengutachten im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht dem Anwaltszwang unterliegen. Daran hält das Landgericht fest und stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.
23Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 12.07.2012, Az. VII ZB 9/12, veröffentlicht in BGHZ 194, 68, ausgeführt, dass sich die Parteien in einem selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht grundsätzlich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen. Dies gelte nur dann nicht, wenn § 486 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 78 Abs. 3 ZPO davon eine Ausnahme zuließe. Das Landgericht pflichtet der durch den Bundesgerichtshof gegebenen Begründung bei, die dahin lautet, dass das selbständige Beweisverfahren ein Prozess im Sinne der amtlichen Überschrift „Anwaltsprozess“ ist. Antragsteller und Antragsgegner sind Parteien im Sinne dieser Vorschrift. Es handelt sich um einen abgekoppelten, eigenständigen und vorweggenommenen Teil eines etwa nachfolgenden Hauptsacheprozesses. Dies begründet und rechtfertigt es, auch Stellungnahmen einer Partei zu einem Sachverständigen-gutachten im selbständigen Beweisverfahren dem Anwaltszwang zu unterwerfen. Im Übrigen unterlägen die gleichen Stellungnahmen in einem Hauptsacheprozess ebenfalls dem Anwaltszwang. Eine Differenzierung ist nicht geboten. Ferner wird dies dadurch gestützt, dass der Antragsgegner an einem selbständigen Beweisverfahren ohne anwaltlichen Beistand teilnehmen kann, solange er es nur passiv beobachtet. Die Durchführung und Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens bedürfen keiner Handlungen des Antragsgegners. Anders verhält es sich indes, wenn der An-tragsgegner aktiv Einfluss auf das selbstständige Beweisverfahren nehmen will. Dann bedarf es der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes, weil das selbstständige Beweisverfahren ein Verfahren ist, dass systematisch im Abschnitt „Anwaltsprozess“ der ZPO angesiedelt ist und mithin eine aktive Teilnahme an einem solchen Verfahren grundsätzlich der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes bedarf.“
24II.
25Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist gemäß §§ 567 ff. ZPO zulässig. Insbesondere ist sie nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft. Die Antragsgegnerin möchte höchstpersönlich, d.h. ohne Beauftragung eines Rechtsanwaltes in dem selbständigen Beweisverfahren zu dem Sachverständigengutachten Stellung nehmen, sich also selbst aktiv beteiligen. Dies wird ihr durch die Entscheidung der Kammer verwehrt. Dagegen kann sie sich mit der sofortigen Beschwerde, die zudem durch einen eigens für diesen Umstand beauftragten Rechtsanwalt eingelegt worden ist, wenden (vgl. auch OLG Köln, MDR 2012,934 f. = juris Rn 1; BGHZ 194, 68 ff. = juris Rn 2 und 3).
26Die Beschwerde hat jedoch aus den zutreffenden Gründen des Landgerichts im Nichtabhilfebeschluss, der die Rechtsansicht des Bundesgerichtshofes nach Auffassung des Senats zutreffend wiedergibt, keinen Erfolg. Eine Wiederholung dieser Begründung ist entbehrlich, weil sie oben wörtlich wiedergegeben ist. Damit hat sich der BGH gegen die zuvor u.a. auch vom OLG Köln (Beschlüsse vom 1. März 2012 – 15 W 78/11 – in juris Rn 17 ff. und vom 15. März 2012 – 3 W 16/12 – MDR 2012, 934 f. = juris Rn 3) vertretene Ansicht ausgesprochen, dass die Regelung in § 486 Abs. 4 ZPO die Befreiung vom Anwaltszwang nicht lediglich auf die Verfahrenseinleitung beschränkt, sondern auf das gesamte sich anschließende Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung entsprechend anzuwenden ist, ausgesprochen (zustimmend Zöller/Herget, 30. Aufl., vor § 485 ZPO Rn 4; Musielak/Weth, 11. Aufl., § 78 ZPO Rn 24; Hüßtege in Thomas/Putzo, 34. Aufl., § 78 ZPO Rn 14). Der erkennende Senat schließt sich dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung an, auch wenn sie zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen kann und im Einzelfall zu problematischen Rechtsfolgen. Die Aufforderung eines Sachverständigen, bestimmte Unterlagen oder ähnliches vorzulegen oder konkrete Nachfragen zu beantworten, wird eine Partei wohl auch ohne Beauftragung eines Rechtsanwaltes hierzu selbst vornehmen können. Auch dürfte es einer Partei persönlich wohl nicht verwehrt werden können, unter Hinweis auf § 486 Abs. 4 ZPO im laufenden selbständigen Beweisverfahren Gegenanträge zu stellen. Es wäre jedenfalls nicht prozessökonomisch, dass man diese Partei auf ein neues, weiteres selbständiges Beweisverfahren verweisen müsste, welches sie unstreitig durch einen Antrag zu Protokoll der Geschäftsstelle einleiten könnte. Parteien, insbesondere solche mit eigener Rechtsabteilung oder – wie offenbar im hier vorliegenden Fall - mit sehr großer Erfahrung bei der Teilnahme an selbständigen Beweisverfahren gerade in Baustreitigkeiten, könnten dann versucht sein, ihre Stellungnahmen zu den Gutachten in Gegenanträge „zu kleiden“.
27Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
28Die Rechtsbeschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zugelassen. Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob und inwieweit es sich bei persönlichen Stellungnahmen der Partei eventuell um einzelne Verfahrenshandlungen handelt, für die eine analoge Anwendung des § 486 Abs. 4 ZPO möglich ist (vgl. BGHZ 194, 68 ff. = juris Rn 20 aE), nicht ausdrücklich entschieden, wenn auch aus den vorangehenden Ausführungen (aaO Rn 19) der Schluss nahe liegt, dass gerade insoweit eine Befreiung vom Anwaltszwang nicht in Betracht kommen soll.
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Referenzen
- ZPO § 485 Zulässigkeit 1x
- §§ 567 ff. ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- § 486 IV 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 486 Zuständiges Gericht 6x
- 37 OH 1/13 1x (nicht zugeordnet)
- 15 W 78/11 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 567 Sofortige Beschwerde; Anschlussbeschwerde 1x
- VII ZB 9/12 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 78 Anwaltsprozess 4x
- ZPO § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde 1x
- 3 W 16/12 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x