Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 20 U 24/20
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 12. Dezember 2019 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 O 220/19 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.604,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Juli 2019 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Klägerin zu 94% und die Beklagte zu 6%. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 91% und der Beklagten zu 9% auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache zu einem Teil Erfolg.
61.
7Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Auf Aufforderung des Senats hat die Klägerin als Anlagen B1 bis B4 Unterlagen zu der von ihr behaupteten Abtretung betreffend den früheren Versicherungsnehmer A vorgelegt, nämlich:
8das Angebot zum Abschluss eines Forderungskauf- und Abtretungsvertrages mit Erlösbeteiligung,
9die Abtretungsvereinbarung,
10die Zusatzvereinbarung zum Abschluss eines Forderungskauf- und Abtretungsvertrages mit Erlösbeteiligung,
11die AGB.
12Aus dem Gesamtgefüge dieser vertraglichen Vereinbarungen ergibt sich, dass von den Vertragsparteien - also der Klägerin und dem Zedenten - nicht lediglich eine Einziehung der sich aus dem Versicherungsvertrag ergebenden Forderung für den Zedenten beabsichtigt war, sondern die endgültige Übertragung der rechtlichen Inhaberschaft auf die Klägerin erfolgen sollte. Die Abtretung ist wirksam; insbesondere liegt keine Nichtigkeit nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen die Vorschriften des RDG vor. Die Abtretung ist auch nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig. Zur näheren Begründung und zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf seine den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten bekannten Urteile vom 2. Oktober 2020 (20 U 60/20) und vom 9. Oktober 2020 (20 U 35/20 sowie 20 U 105/20). Die dortigen Erwägungen gelten für den vorliegenden Fall entsprechend.
132.
14Der Vertrag konnte nicht im Antragsmodell zustande kommen, weil die Anlage GW erst mit dem Versicherungsschein übersandt worden ist (Anlage K 5). Dass der Kläger über das bei einem Vertragsschluss im Policenmodell bestehende Widerspruchsrecht belehrt worden ist, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
15Besonders gravierende Umstände, die der Ausübung des Widerspruchs ausnahmsweise nach Treu und Glauben entgegenstehen könnten (vgl. BGH, Beschl. v. 11. November 2015, aaO, Rz. 16; Urt. v. 1. Juni 2016 - IV ZR 482/14 -, VersR 2017, 275, Rz. 24; Beschl. v. 27. September 2017 - IV ZR 506/15 -, NJW-RR 2018, 161), sind entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht ersichtlich. Dazu reichen weder die Zeitspanne zwischen Vertragsschluss und Kündigung bzw. Widerspruchserklärung von über 10 Jahren (vgl. dazu Senat, Urt. v. 23. März 2018 - 20 U 108/17 -) noch die während der Vertragslaufzeit vorgenommenen Vertragsänderungen (etwa die Bezugsrechtsänderung bzw. der Widerspruch gegen Dynamikanpassungen) aus. Dass die Klägerin die an sie abgetretenen Ansprüche aus der Lebensversicherung gewerblich verwertet, steht der Berufung auf ein fortbestehendes Widerspruchsrecht schon deshalb nicht entgegen, weil nicht die Klägerin, sondern der frühere Versicherungsnehmer den Widerspruch erklärt hat. Der in seiner Person entstandene Rückabwicklungsanspruch kann nicht alleine deshalb entfallen, weil er diesen an einen Dritten abgetreten hat.
16Die Rückabwicklung ist wie folgt vorzunehmen:
17Nach entsprechender Klarstellung im Verhandlungstermin am 15. Januar 2021 ist nunmehr von Prämienzahlungen in einer Gesamthöhe von 26.327,92 € auszugehen.
18Risikokosten für die Hauptversicherung setzt die Beklagte nicht an. Die reinen Risikokosten für die BUZ schätzt der Senat im Anschluss an den Vortrag der Beklagten (GA 371) auf 4.550,95 €. Die Klägerin will gemäß der neuen Berechnung in der Anlage S 2 nur 3.185,67 € als „reine kalkulierte Risikokosten“ in Abzug bringen. Erläutert ist das nicht. Soweit damit angesprochen sein sollte, dass die Beklagte aus den ‑ gleichbleibenden - monatlichen Risikoprämien Rückstellungen bildet, um das mit dem Alter steigende Risiko des Eintritts eines Versicherungsfalls abzudecken, handelt es sich um eine Risikokalkulation; die Beklagte ist indes berechtigt, die gesamten kalkulierten Risikokosten in Abzug zu bringen.
19Bei einer kapitalbildenden Lebensversicherung ist es grundsätzlich zulässig, Nutzungen aus dem Sparanteil im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) unter Zugrundelegung der von dem Versicherer erzielten Nettoverzinsung der Kapitalanlagen zu ermitteln. Soweit die Beklagte demgegenüber ein Abstellen auf die zehnjährige Null-Kupon-Euro-Swaprate für vorzugswürdig hält, übersieht sie, dass es insoweit bereits an dem erforderlichen Bezug zur Ertragslage der Beklagten fehlt. Auch die übrigen Bedenken gegen die Heranziehung der Nettoverzinsung der Kapitalanlagen als Berechnungsgrundlage für gezogene Nutzungen aus dem Sparanteil hält der Senat nicht zuletzt auch mit Blick darauf, dass es sich lediglich um eine Schätzung handelt und insoweit einfach zu handhabende Kriterien maßgebend sein sollten, für nicht durchgreifend.
20Unter Zugrundelegung der Nettoverzinsung hat die Beklagte Nutzungen aus den Sparanteil an den Prämien mit 6.398,29 € errechnet. Die dem zugrunde gelegte Berechnung der Beklagten ist allerdings insoweit fehlerhaft, als darin aufgrund der angewandten Zillmerung der Abschlusskosten – über deren grundsätzliche Zulässigkeit hier nicht zu befinden ist - in den ersten beiden Vertragsjahren nicht nur keine bzw. geringere Sparbeiträge mit der Folge nicht vorhandener bzw. geringerer Nutzungen in Ansatz gebracht worden sind (was nicht zu beanstanden ist, weil nur tatsächlich gezogene Nutzungen zu erstatten sind), sondern unter Zugrundelegung der Nettoverzinsung errechnete Negativbeiträge bereicherungsmindernd in Abzug gebracht werden sollen. Hierzu ist die Beklagte nicht berechtigt. Etwaige „Verluste“, die die Beklagte durch eine Vorfinanzierung der angefallenen und (noch) nicht durch Prämienzahlungen gedeckten Abschlusskosten erlitten hat, muss sie tragen. Sie können nicht auf den Versicherungsnehmer, der dem Vertrag wirksam widersprochen hat, abgewälzt werden. Dies folgt schon daraus, dass die Abschlusskosten selbst von dem Prämienrückerstattungsanspruch nicht in Abzug gebracht werden können, weil insoweit dem Versicherer das Entreicherungsrisiko zugewiesen sind; das gebietet der mit der richtlinienkonformen Auslegung bezweckte Schutz des Versicherungsnehmers (vgl. BGH, VersR 2015, 1101 und 1104). Für etwaige Aufwendungen, die der Versicherer zur Finanzierung der Abschlusskosten getätigt hat, kann nichts anderes geltend. Daraus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Versicherungsnehmer, der eine fondsgebundene Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen hat, trotz wirksamem Widerspruchs das Risiko von Fondsverlusten trägt (BGH, VersR 2018, 535), lässt sich für die vorliegend zu beurteilende Frage nichts zugunsten der Beklagten herleiten. Dieses Verlustrisiko ist dem Versicherungsnehmer zugewiesen, weil er sich mit dem Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung bewusst für ein Produkt entschieden hat, das, was die Anlage des Sparanteils angeht, mit Verlustrisiken behaftet ist. Demgegenüber trägt die Versicherung bei wirksamem Widerspruch gegen eine Lebens- oder Rentenversicherung stets das alleine ihr zugewiesene Risiko, die Abschlusskosten tragen zu müssen, ohne sie auf den Versicherungsnehmer abwälzen zu können. Sie trägt insoweit auch das Risiko des Entstehens zusätzlicher Aufwendungen durch eine etwaige Vorfinanzierung der Abschlusskosten.
21Insoweit etwa entstandene Verluste kann die Beklagte dem Anspruch der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Entreicherung entgegenhalten. Die Abschlusskosten selbst können – wie ausgeführt - von dem Prämienrückforderungsanspruch nicht in Abzug gebracht werden (vgl. BGH, VersR 2015, 1101 und 1104); für die zu deren Finanzierung getätigten Aufwendungen kann nichts anderes gelten. Auch insoweit ist das Entreicherungsrisiko der Beklagten zugewiesen.
22Unter Berücksichtigung dessen schätzt der Senat die Nutzungen aus dem Sparanteil auf den von der Klägerin nunmehr gemäß der Anlage S 2 angegebenen Betrag von 6.521,19 €, der auf der Basis der Berechnungen der Beklagten ohne Negativnutzungen errechnet worden ist. Diese Berechnung greift die Beklagte nicht an.
23Für den von der Beklagten darüber hinaus gewünschten Abschlag von 8,6% mit Blick auf erzielte außerordentliche Kapitalerträge ist bei einer Schätzung der Nutzungen aus dem Sparanteil anhand der Nettoverzinsung, die – wie ausgeführt – sachgerecht erscheint, kein Raum.
24Weitere Nutzungen stehen der Klägerin nicht zu. Nach dem Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 20. Oktober 2020 und der dazu vorgelegten Berechnung Anlage S 2 beansprucht sie nunmehr nur noch Nutzungen aus den „nicht verbrauchten Verwaltungskosten“ in Höhe von 1.322,80 €, die sie anhand der laufenden Durchschnittsverzinsung berechnen will.
25Der Verwaltungskostenanteil an den Prämien kann zwar grundsätzlich zur Berechnung von Nutzungszinsen herangezogen werden, soweit der Versicherer auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel erspart hat, die er zur Ziehung der Nutzungen verwenden konnte (BGH, VersR 2018, 1367). Dahinstehen kann, ob die Klägerin vorliegend ausreichend dargelegt hat, dass die Beklagte aus den genannten Prämienanteilen Nutzungen gezogen hat, denn jedenfalls ist deren Höhe nicht schlüssig berechnet, weil insoweit nicht auf die laufende Durchschnittsverzinsung abgehoben werden kann. Es fehlt schon jeder Vortrag dazu, inwieweit diese zur Berechnung der Nutzungen aus den Verwaltungskosten geeignet sein soll. Auch laufende Durchschnittsverzinsung erfasst – im Ansatz nicht anders als die Nettoverzinsung – die Erträge bzw. Aufwendungen aus Kapitalanlagen (vgl. Thode, VersR 2020, 937, 946). Der Prämienanteil, der auf die Verwaltungskosten entfällt, wird aber gerade nicht bestimmungsgemäß zur Kapitalanlage eingesetzt (vgl. BGH, Urt. v. 24. Februar 2016 aaO.; KG, Urt. v. 28. Februar 2017 - 6 U 65/16 -, juris-Rz. 24). Der Senat berücksichtigt aber die von der Beklagten zugestandenen Nutzungen aus dem Verwaltungskostenanteil in Höhe von zuletzt 18,43 € (GA 385, 453).
26Damit ergibt sich folgende Abrechnung:
2726.327,92 € (Prämien gemäß neuem Vortrag) - 4.550,95 € (Risikokosten BUZ gemäß Angabe der Beklagten) + 6.521,19 € (Nutzungen aus dem Sparanteil gemäß Angabe der Klägerin) + 18,43 € (zugestandene Nutzungen aus Verwaltungskostenanteil) – 24.711,65 € (Auszahlung nach Kündigung gemäß Vortrag der Beklagten unter Berücksichtigung der Verrechnung eines rückständigen Beitrags, wie in der Verhandlung am 15. Januar 2021 erörtert)
28= 3.604,94 €
293.
30Zinsen verlangt die Beklagte ab dem 20. Februar 2018 (Zugang des Ablehnungsschreibens der Beklagten, Anlage K 7). Das Schreiben kann indes nicht als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung gewertet werden. Daran sind strenge Anforderungen zu stellen. Die bloße Leistungsablehnung unter Darlegung der dafür maßgebenden tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen reicht dazu alleine noch nicht aus (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 883). Mehr kann dem Schreiben der Beklagten nicht entnommen werden, zumal dort vor allem auf eine fehlende Vollmacht hingewiesen wurde und Zweifel an der Wirksamkeit der Abtretung geäußert wurden. Geschuldet sind damit nur Rechtshängigkeitszinsen.
314.
32Es besteht auch kein Anspruch auf eine Verzugskostenpauschale gemäß § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB in Höhe von 40,- €. Die Beklagte befand sich vor Klageerhebung nicht in Verzug. Im Übrigen handelt es sich bei der Geltendmachung von Bereicherungsansprüchen nicht um eine Entgeltforderung (BGH, NJW 2018, 458, Rz. 46).
335.
34Die Klägerin kann auch keine vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangen. Die Anwälte wurden vor Verzugseintritt beauftragt. Soweit die Klägerin die Kosten als Schadensersatzforderung wegen unzureichender Widerspruchsbelehrung geltend machen will (s. GA 28/29), ist ein solcher Anspruch nicht schlüssig dargelegt. Es fehlt jedenfalls ein in diesem Zusammenhang erforderlicher Vortrag zur Schadensursächlichkeit. Die Klägerin hat nicht dargetan, dass der frühere Versicherungsnehmer bei ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. zur Notwendigkeit eines solchen Vortrags: BGH, Beschl. v. 3. Mai 2018 ‑ IV ZR 162/17 -, juris-Rz. 4; auch ständige Rechtsprechung des Senats). Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens gilt insoweit nicht (so ausdrücklich BGHZ 169, 109 f., Rz. 42). Dass der Versicherungsnehmer sich bei ordnungsgemäßer Belehrung zu einem fristgerechten Widerspruch entschlossen hätte, liegt auch fern, denn augenscheinlich wollte er sich vertraglich binden und den Vertrag denn auch bis zur Kündigung fast 19 Jahre lang durchgeführt.
356.
36Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
37Bei der Quote für die Kosten des Berufungsverfahrens ist berücksichtigt, dass die Teilberufungsrücknahme vor der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat erfolgt ist.
38Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; die Zulassung ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
39Berufungsstreitwert:
40bis 9. August 2020: 55.877,34 €
41danach: 10.378,98 €
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Referenzen
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- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
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- 9 O 220/19 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 162/17 1x (nicht zugeordnet)
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