Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 AK 20/04

Tenor

Der am ... geborene italienische Staatsangehörige X, derzeit wohnhaft in … ist zum Zwecke seiner Auslieferung nach Italien zur Strafverfolgung in Auslieferungshaft zu nehmen.

Gründe

 
Der Verfolgte ist Bezugsperson einer Ausschreibung der italienischen Justizbehörden im Schengener Informationssystem (SIS). Nach den hierzu nach Art. 95 Abs. 2 SDÜ erstellten Begleitpapieren liegt dem Verfolgten aufgrund eines Haftbefehls des Untersuchungsrichters beim Gericht in P./Italien vom 08.06.2004 zur Last, seit Juni 2003 als Mitglied einer kriminellen und der internationalen Kfz-Verschiebung nachgehenden Vereinigung als Mittelsmann zwischen A. und B. für den Verkauf der Fahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland zuständig zu sein, was sich nach italienischem Recht entsprechend Art. 416, 110, 81, 646 des italienischen Strafgesetzbuches (Höchststrafe zwölf Jahre) als schwere kriminelle Verabredung zum internationalen Handel mit Kraftfahrzeugen illegaler Herkunft, gemeinschaftlich begangene schwere Unterschlagung und Kfz-Hehlerei sowie als Unterschlagung echter Dokumente darstellt.
II.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Anordnung der Festnahme des Verfolgten konnte durch Erlass eines Auslieferungshaftbefehls entsprochen werden.
1. Aufgrund des zum 23.08.2004 in Kraft getretenen Gesetzes vom 21.07.2004 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 13.06.2002 (RbEuHb, Europäisches Haftbefehlsgesetz, EuHbG, BGBl. 2004,I, 1748 ff.) beurteilen sich die Anforderungen an die Vorlage von Auslieferungsunterlagen bei einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union nunmehr nach §§ 1 Abs. 4, 83 a IRG n.F.
Danach ist eine Auslieferung nur zulässig, wenn die in § 10 IRG genannten Unterlagen oder ein Europäischer Haftbefehl übermittelt wird, welcher die in § 83 a Abs. 1 Nr. 1 bis 6 IRG n.F. enthaltenen Angaben aufweist. Enthält eine Ausschreibung zur Festnahme im SIS diese Bestandteile, so gilt sie als Europäischer Haftbefehl (§ 83 a Abs. 2 IRG n.F.). Die Vorschrift enthält damit eine Fiktion, so dass es nach deutschem Recht im Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union lediglich auf die erfolgte Ausschreibung im SIS und nicht darauf ankommt, ob der ersuchende Staat, wovon vorliegend nicht auszugehen wäre, seine Ausschreibung auch als Europäischen Haftbefehl bezeichnet hat. Auch ist unerheblich, ob der Staat bereits den Rahmenbeschluss in nationales Recht umgesetzt hat, was bei Italien bislang nicht der Fall ist (vgl. RiVASt Stand: 23.07.2003).
Dies entspricht der Intention des nationalen Gesetzgebers, einer möglichst umfassenden und auslieferungsfreundlichen Unterstützung ausländischer Strafverfahren, welches dieser durch das EuhbG zum Ausdruck bringen wollte. Danach soll der neu eingefügte achte Teil des IRG im Rahmen eines stufenmäßigen Prüfungssystems immer dann als vorrangig anzuwenden sein, wenn er gegenüber dem früheren Recht das auslieferungsrechtlich gesehen Günstigere darstellt. Soweit die bisherigen Regelungen verdrängt werden, sollen sie zur Begründung der Zulässigkeit herangezogen werden können, falls ihre Zulässigkeit nicht aus dem neu eingefügten achten Teil des IRG folgt (BT-Drucksache 15/1718 unter A.V.: Verhältnis zu anderen Übereinkommen, S. 13; B I.1. Grundzüge des Gesetzentwurfs - zu § 1 Abs. 4, S 13 f. und B.I.4.: zu § 78 -Vorrang des achten Teils, S. 15). Aus diesem Grund findet das neue Recht über die Regelungen im Rahmenbeschluss der Mitgliedsstaaten hinausgehend z.B. auch auf sog. Altfälle uneingeschränkt Anwendung (vgl. hierzu aber Art. 32 RbEuHb; siehe BT-Drucksache 15/1718, S. S. 13 unten, S. 15; vgl. RiVASt Stand: 23.07.2003 unter B.: Eingehende Ersuchen).
Da die Ausschreibung des Verfolgten im SIS die in § 83 a Abs. 1 Nr. 1 bis 6 IRG n.F. vorgesehenen Mindestangaben enthält, konnte deshalb - über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Erlass eine vorläufigen Auslieferungshaftbefehls hinausgehend - sogleich ein Auslieferungshaftbefehl erlassen werden, da - es vorbehaltlich von besonderen Fragen im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung - in Abweichung von §§ 15 ff. IRG - keiner Vorlage weiterer Auslieferungsunterlagen zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls mehr bedarf. Insbesondere ist ein formelles Auslieferungsersuchen der italienischen Justizbehörden entbehrlich, weshalb auch (BT-Drucksache 15/1718, S. 13) deshalb die 40 -Tage Frist des Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk vorliegend nicht zu beachten ist.
2. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 13.09.2004 (1 AK 6/04, abgedruckt in: StV 2004, 547 ff.) ausgesprochen hat, beurteilen sich bei einer Auslieferung eines Verfolgten nach Italien als einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union die sachlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Auslieferung und damit auch des Erlasses eines Auslieferungshaftbefehl nunmehr nach neuem Recht (§§ 1 Abs. 4, 78 ff. IRG n.F.).
Da die dem Verfolgten zur Last gelegten Tatvorwürfe zu den in Art. 2 Abs. 2 des RbEuhG gehörenden Deliktsgruppen gehören (Handel mit gestohlenen Fahrzeugen), findet eine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht mehr statt (§ 81 Nr. 4 IRG n.F.).
Die Auslieferung erscheint auch nicht von vornherein unzulässig, da Auslieferungshindernisse (83 IRG n.F.) nach derzeitiger Beurteilung nicht ersichtlich sind. Der Verfolgte ist zwar in Italien geboren und besitzt die dortige Staatsangehörigkeit, lebt aber mit seiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland, wo ihm das zuständige Ausländeramt mit Datum vom 10.08.2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Nach § 80 Abs. 3 Nr. 3 IRG n.F. wäre damit eine Auslieferung nur zulässig, wenn gesichert ist, dass der ersuchende Mitgliedsstaat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich diese Gesetzes zurück zu überstellen. Dass die italienischen Justizbehörden eine solche Erklärung bislang nicht abgegeben haben, steht dem Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nicht entgegen, vielmehr wird diese Frage im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu klären sein.
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3. Es besteht auch die erhebliche, anderweitig nicht abwendbare Gefahr, dass der Verfolgte versuchen würde, sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung zu entziehen.

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