Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 Ws 328/04

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin X. auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 28. Juli 2004 - Zs 1286/04 - wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe

 
I. Durch Bescheid vom 28.07.2004 hat die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe der Beschwerde der Anzeigeerstatterin gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 11.12. 2003 keine Folge gegeben. Hiergegen richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit der die Antragstellerin die Erhebung der öffentlichen Klage wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt gegen die Amtsträger, die für die Beschaffenheit der Autobahn BAB A 8 Stuttgart - Karlsruhe/ Karlsruhe - Stuttgart im Bereich der Gemarkung K-G verantwortlich sind, erstrebt.
Die Antragstellerin war am 24.10.2002 gegen 22.40 Uhr auf der BAB A 8, Richtungsfahrbahn Stuttgart - Karlsruhe, bei km 263,5 verunfallt. Sie war, nachdem sie einen Lkw überholt hatte, beim Wiedereinscheren auf die rechte Fahrbahn eingangs einer langgezogenen Linkskurve auf regennasser Fahrbahn ins Schleudern geraten und nach rechts von der Fahrbahn abgekommen. Ihr PKW, ein Daimler Chrysler SLK, war anschließend ca. 75 m dem Lärmschutzwall entlang geschleudert und hatte sich auf den Leitplanken überschlagen. Die Antragstellerin wurde hierbei schwer verletzt. Nach dem Antragsvorbringen fuhr sie „mit den Verkehrsverhältnissen angepasster Geschwindigkeit“, ohne diese auch nur bereichsweise zu beziffern. Von einem vor Schleudergefahr warnenden Verkehrszeichen ist im Antragsschreiben nicht die Rede.
II. Die Antragstellerin ist antragsberechtigt für die von ihr behauptete fahrlässige Körperverletzung im Amt, allerdings nur soweit sie selbst - und nicht etwa Dritte ( andere verunfallte Personen) - Verletzte ist.
Der zulässige Antrag ist in der Sache nicht begründet. Der ablehnende Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 28.07.2004 ist nicht zu beanstanden. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat das Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche für die BAB A 8 zu Recht gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Ein hinreichender Tatverdacht, dass sich die für die Verkehrssicherheit auf der BAB A 8 im Unfallbereich Verantwortlichen einer Tat nach §§ 340 Abs. 3, 229 StGB z. N. der Anzeigeerstatterin strafbar gemacht haben, besteht nicht. Ein sorgfaltswidriges Verhalten der Genannten hat zum Zeitpunkt des Unfalls der Antragstellerin nicht vorgelegen. Vielmehr haben die Verantwortlichen bis zum Unfall am 24.10.2002 mit den bis dahin getroffenen Maßnahmen der ihnen obliegenden Sorgfaltspflicht nach damaligen Kenntnisstand genügt und das nach damaligem Kenntnisstand Gebotene veranlasst.
1. Vom 01.01.2000 bis 21.08.2002 haben sich in dem Streckenabschnitt der BAB A 8, Richtungsfahrbahn Stuttgart - Karlsruhe, in dem die Antragstellerin am 24.10.2002 verunfallt war, zwischen km 263,000 und km 263,999 insgesamt 23 ins Unfall-Daten-Informationssystem aufgenommene Verkehrsunfälle ereignet, darunter 11 bei Nässe. Am 21.08.2002 wurde der Sachbereich Verkehr der Autobahnpolizeidirektion Karlsruhe, der für die örtliche Unfallursachenforschung zuständig ist, von dem Autobahnpolizeirevier Karlsruhe vorab schriftlich auf die Unfälle hingewiesen und um Überprüfung gebeten. Nach Auswertung der gemeldeten Verkehrsunfälle im fraglichen Streckenabschnitt und Ortsbesichtigung der Unfallstrecke auf Antrag der Autobahnpolizeidirektion Karlsruhe erging am 27.09.2002 die verkehrsrechtliche Anordnung des Regierungspräsidiums Karlsruhe zur Aufstellung der Verkehrszeichen 114 StVO (Schleudergefahr bei Nässe oder Schmutz) bei km 263. Die Beschilderung erfolgte am 30.09.2002 durch die Autobahnmeisterei Karlsruhe. Am selben Tag wurde von der Autobahnpolizeidirektion Karlsruhe die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 Km/h ca. ab km 260 beantragt. Am 08.10.2002 erfolgte deswegen eine Vorlage der Unfallhäufungsmeldung beim Ministerium für Umwelt und Verkehr durch das Regierungspräsidium.
Nachdem es zu weiteren Unfällen gekommen war, wurden in der Folgezeit weitere Maßnahmen ergriffen; so wurden am 11.11.2002 Blinklichter auf die Verkehrszeichen 114 StVO (Schleudergefahr bei Nässe oder Schmutz) montiert. Am 12.11.2002 wurden durch die Autobahnmeisterei Karlsruhe ca. ab km 260 Schilder für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 Km/h aufgestellt.
2. Die Verantwortlichen für die BAB A 8 mussten bis zum Unfall der Antragstellerin am 24.10.2002 keine weitergehenden Sofortmaßnahmen als die oben geschilderten treffen. Für die ihnen von der Antragstellerin zur Last gelegte fahrlässige Körperverletzung im Amt fehlt es bereits an einem sorgfaltswidrigen Verhalten.
Bundesfernstraßen sind in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu unterhalten oder sonst zu verbessern; soweit die Träger der Straßenbaulast unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit zur Durchführung von Maßnahmen außerstande sind, haben sie auf einen nicht verkehrssicheren Zustand durch Verkehrszeichen hinzuweisen (§ 3 FStrG). Art und Maß der hierbei anzuwendenden Sorgfalt bestimmen sich nach den Anforderungen, die bei (objektiver) Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen, der für die Verkehrssicherheit der BAB verantwortlich ist, in der konkreten Lage zu stellen waren. Hierbei war auf den Kenntnisstand bis zum Unfall der Antragstellerin am 24.10.2002 abzustellen. Ein erst nach dem Unfall der Antragstellerin erlangtes Wissen war dagegen für die Prüfung, ob zum Zeitpunkt des Unfalls eine Sorgfaltspflichtverletzung vorgelegen hat, nicht maßgeblich.
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3.a Ziffer 8. 4 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums, Justizministeriums und des Verkehrsministeriums über die Aufgaben der Polizei bei Verkehrsunfällen vom 12.12.1995 (GABl. 1996, Bl. 352 ff) befasst sich mit untersuchungsrelevanten Straßenstellen. Solche liegen vor, wenn sich auf einer Außerortstrecke von maximal einem Kilometer Länge sechs oder mehr Unfälle gleichen Typs oder gleicher Sondermerkmale bzw. mindestens 12 Unfälle innerhalb von 2 Jahren ereignen. Die genannten Unfallgrenzwerte gelten bis zu einer mittleren Verkehrsbelastung von 10.000 Kraftfahrzeugen pro Tag. Sie können bei höherer Belastung angepasst werden. Da in dem hier relevanten Bereich der BAB täglich ca. 34.000 Kraftfahrzeuge in eine Richtung verkehren, sind die Unfallgrenzwerte entsprechend zu erhöhen, so dass an dieser Stelle erst bei 20 oder mehr Unfällen gleichen Typs oder gleicher Sondermerkmale bzw. bei mindestens 39 Unfällen eine Straßenstelle anzunehmen ist, die zu untersuchen ist.
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Für die Beurteilung der untersuchungsrelevanten Straßenstellen werden die Statistikdaten des Unfall-Daten-Informationssystems (UDIS) herangezogen. Vom 01.01.2000 bis 21.08.2002 hatten sich in dem Streckenabschnitt der BAB A 8, Richtungsfahrbahn Stuttgart - Karlsruhe, in dem die Antragstellerin am 24.10.2002 verunfallt war, zwischen km 263 und km 263,9 insgesamt 23 UDIS-Verkehrsunfälle ereignet, darunter 11 bei Nässe. Danach wäre nur dann von einer untersuchungsrelevanten Stelle auszugehen, wenn es sich bei den registrierten Unfällen um solche gleichen Typs oder gleicher Sondermerkmale gehandelt hätte, was schon deswegen nicht ohne weiteres auf der Hand liegt, weil sich von den genannten Unfällen ein Teil bei Nässe, der andere Teil bei trockener Fahrbahn ereignet hatte. Diese Voraussetzung kann dennoch unterstellt werden, weil das für die Meldung zuständige Autobahnpolizeirevier Karlsruhe mit Schreiben vom 21.08.2002 den Sachbereich Verkehr bei der Autobahnpolizeidirektion Karlsruhe über die Unfallzahlen informiert hat, was nach Auswertung der Unfälle und einem entsprechenden Antrag beim Regierungspräsidium Karlsruhe am 27.09.2002 zu einer verkehrsrechtlichen Anordnung zur Aufstellung des Verkehrszeichens 114 StVO (Schleudergefahr bei Nässe oder Schmutz) und einer Aufstellung der Beschilderung am 30.09.2002 führte. Die Autobahnpolizei hat zudem am 30.09.2002 die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 120 Km/h beantragt.
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Dass die Geschwindigkeitsbeschränkung von 120 Km/h nicht sofort angeordnet wurde, sondern deren Erforderlichkeit erst geprüft wurde und im Rahmen dessen die Baustoff- und Bodenprüfstelle Karlsruhe mit einer Griffigkeitsmessung beauftragt wurde, ist nicht zu beanstanden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, das im Einfahrtsbereich der Anschlussstelle Karlsbad der Fahrbahnbelag (offenporiger Asphaltbeton - Flüsterbeton -) - es handelte sich um den gleichen Fahrbahnbelag wie an der Unfallstelle, an der die Antragstellerin verunfallt ist - im Jahr 2001 erneuert wurde, nachdem eine damals von der Baustoff- und Bodenprüfstelle Karlsruhe durchgeführte Griffigkeitsmessung zu dem Ergebnis kam, dass die Warnwerte erreicht wurden. Nach der mittleren Verkehrsbelastung und den vorliegenden Unfallzahlen (am Unfalltag ein Unfall bei 34.000 Verkehrsteilnehmern) mussten die Behörden zum damaligen Zeitpunkt nicht von einer solch dringlichen Gefahrenlage ausgehen, die über die getroffenen Maßnahmen hinaus weitere Sofortmaßnahmen erforderlich gemacht hätte, so dass das Ergebnis der in Auftrag gegeben Griffigkeitsmessungen abgewartet werden und die Anordnung weiterer Maßnahmen von dem Ergebnis dieser Messungen abhängig gemacht werden konnte.
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b. Die Baustoff- und Bodenprüfstelle Karlsruhe führte am 07.11.2002 Griffigkeitsmessungen (Griptester-Messungen) im fraglichen Bereich der BAB A 8 durch. Aus ihrem Schreiben vom 22.11.2002 ergibt sich, dass die Griffigkeit des offenporigen Asphaltbetons insgesamt unterhalb der des alten Betondeckenbereichs vor km 260+000 liegt. Nach den Messungen stellte sich der 1. Fahrstreifen als der griffigste dar. Es gibt einen leichten Abfall bei dem 2. Fahrstreifen und einen deutlichen Abfall bei dem 3. Fahrstreifen in den Durchschnittswerten. Warnwertunterschreitungen gibt es auf dem 3. Fahrstreifen im Bereich um 263+000 bis 263+500 bzw. km 264+000 - also in dem Bereich, in dem die Anzeigeerstatterin verunglückte - auf einer Länge von mehreren 100 m. Der Schwellenwert wird nicht unterschritten.
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In dem o.g. Schreiben wurde zudem daraufhin hingewiesen, dass bei einer Unterschreitung des Warnwertes bauliche Maßnahmen noch nicht erforderlich werden, jedoch die weitere Beobachtung der Fahrbahnfläche in Verbindung mit Reibwert-Wiederholungsmessungen in regelmäßigen Abständen angezeigt ist. Bei Unterschreitung des Schwellenwertes sind grundsätzlich bauliche Maßnahmen zur Erhöhung der Fahrbahngriffigkeit angezeigt.
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Bei der Prüfung, ob die Verantwortlichen für die BAB A 8 zum Zeitpunkt des Unfalls der Antragstellerin am 24.10.2002 die ihnen obliegende Sorgfaltspflicht verletzt haben, waren die durch das Schreiben der Baustoff- und Bodenprüfstelle Karlsruhe vom 22.11.2002 vermittelten Erkenntnisse nicht rückwirkend als bereits zum Unfallzeitpunkt bekannt zu unterstellen, sondern es war zu prüfen, ob sich aus den Feststellungen der Baustoff- und Bodenprüfstelle Karlsruhe konkrete Anhaltspunkte dafür ergaben, dass die Verantwortlichen für die BAB A 8 zum Unfallzeitpunkt bereits über weitergehende Erkenntnisse verfügten, die sie bereits damals zu weiteren Maßnahmen - als den bereits getroffenen - verpflichtet hätten. Dies war zu verneinen. Aus dem Schreiben der Baustoff- und Bodenprüfstelle Karlsruhe vom 22.11.2002 ergab sich zwar, dass auf einem Fahrbahnstreifen in dem Bereich, in dem die Antragstellerin verunfallte, die Warnwerte unterschritten waren; allerdings wurde gleichzeitig in dem Schreiben dargelegt, dass bei einer Unterschreitung der Warnwerte noch keine baulichen Maßnahmen erforderlich werden, jedoch die weitere Beobachtung der Fahrbahnfläche in Verbindung mit Reibwert-Wiederholungsmessungen in regelmäßigen Abständen angezeigt sind. Es handelte sich hierbei um die Mitteilung neuer, erst durch die Griffigkeitsmessung gewonnener Fakten. Diese Feststellungen ließen aber keinen Rückschluss dahingehend zu, dass die Verantwortlichen für die BAB A 8 zum Unfallzeitpunkt über weitere Erkenntnisse verfügt hätten, die sie zu weitergehenden als den damals bereits getroffenen - Aufstellen der Warnschilder 114 StVO (Schleudergefahr bei Nässe oder Schmutz) und der Prüfung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 Km/h - Maßnahmen verpflichtet hätten.
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Anzeichen dafür, dass die Verantwortlichen zum damaligen Zeitpunkt nicht auf die Richtigkeit der durchgeführten Messungen und deren Ergebnisse vertrauen durften, liegen nicht vor.
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c. Auch aus dem Gutachten des Instituts für Materialprüfung - Dr. Y. vom 05.02.2003 - die Richtigkeit des Gutachtens kann dahingestellt bleiben - ergab sich ebenfalls kein Hinweis auf etwaige weitere Erkenntnisse der Verantwortlichen zum Unfallzeitpunkt, die sie zu weiteren - als den bereits getroffenen Maßnahmen - verpflichtet hätte.
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d. Soweit die Antragstellerin die Beauftragung eines unabhängigen Sachverständigen mit der Begutachtung des Fahrbahnbelags im fraglichen Bereich fordert, war dem nicht nachzugehen. Denn selbst wenn ein Gutachter jetzt zu dem Ergebnis käme, dass die Griffigkeitswerte zum Unfallzeitpunkt schlechtere Werte als die in dem Schreiben der Baustoff- und Bodenprüfstelle Karlsruhe vom 22.11.2002 mitgeteilten aufgewiesen hätten, ließen sich aus dieser erst nachträglich gewonnenen Erkenntnis keine erhöhten Sorgfaltspflichten der Verantwortlichen für die BAB A 8 für die Vergangenheit - 24.10.2002 - ableiten.
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e. Soweit die Antragstellerin im übrigen vorgetragen hat, dass zum Unfallzeitpunkt auf die Schleudergefahr nicht hingewiesen worden sei, ist dies nicht zutreffend; denn bereits seit dem 30.09.2002 waren die Verkehrszeichen 114 StVO (Schleudergefahr bei Nässe oder Schmutz) aufgestellt worden. Die Antragstellerin hat diesen Warnhinweis offensichtlich übersehen oder schlicht ignoriert. Sie teilt zudem nicht mit, mit welcher Geschwindigkeit sie an der Unfallstelle gefahren ist. Bei dieser Sachlage wäre die Kausalität einer etwa unterlassenen Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung für den Unfall der Anzeigeerstatterin fraglich. Zudem hätte in einem etwaigen Strafverfahren nach dem Zweifelssatz von einer möglicherweise überhöhten Geschwindigkeit und der Möglichkeit eines Übersehens des Verkehrsschildes ausgegangen werden müssen. Hierauf kam es jedoch mangels Sorgfaltspflichtverletzung zum Unfallzeitpunkt nicht mehr an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 174, 177 StPO.

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