Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 181/10

Tenor

Der Antrag des Anzeigeerstatters R. O. auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 21. April 2010 (9 Zs 804/10) wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe

 
I.
Am 24.12.2009 um 00.07 Uhr verübten die drei Heranwachsenden Y. K., C. M. und der später verstorbene B. O. einen Raubüberfall auf die Esso-Tankstelle in der S. Straße in L.. Bei dieser Tat war B. O. mit einer – defekten – Schreckschusspistole bewaffnet, die insgesamt neun Reizstoffkartuschen mit Pfefferreizstoff enthielt. Er bedrohte im Verkaufsraum die dortige Kassiererin mit der Waffe. Die Heranwachsenden nahmen aus der Kasse sodann 300,80 EUR an sich, die C. M. beim Verlassen des Verkaufsraums in einer Plastiktüte mit sich führte.
Die beschuldigten Polizeibeamten PHM S. und POM W., die die Tankstelle zufällig zum Erwerb eines Erfrischungsgetränkes anfuhren, konnten aus dem Dienstwagen heraus beobachten, wie die drei teilweise noch maskierten Täter den Verkaufsraum verließen. Die drei Täter flohen, wobei C. M. in nördlicher Richtung wegrannte, während seine beiden Komplizen Y. K. und B. O. sich nach Süden in Richtung auf die S. Straße wendeten. Die beiden Polizeibeamten nahmen sofort mit dem Pkw die Verfolgung des erkennbar bewaffneten B. O. auf. Nachdem sie ihm noch wenige Sekunden in ihrem Fahrzeug bis zu der der Tankstelle gegenüberliegenden Straßenseite der S. Straße gefolgt waren, er hier im Bordsteinbereich zu Fall gekommen war und sich wieder aufgerappelt hatte, setzte er seine Flucht mit der Waffe in der Hand fort. Nach dem Abstoppen ihres Fahrzeugs im Bordsteinbereich der S. Straße sprangen die Beschuldigten aus dem Dienstfahrzeug und rannten B. O. nunmehr zu Fuß hinterher, zunächst in die D. Straße, sodann – nach 98 Metern nach rechts abbiegend – in die B. Straße (hier hatte sich der B. O. voraus sprintende Y. K. noch vor dem Einbiegen der Polizeibeamten und von diesen unbemerkt auf die Rückbank des dort geparkten Fluchtfahrzeugs der Heranwachsenden geworfen) und schließlich – erneut nach 44 Metern rechts abbiegend – in den B. Weg. Bereits in der D. Straße und möglicherweise auch in der B. Straße kam es zur Abgabe von Warnschüssen durch beide Beamte – mindestens zwei durch den Beschuldigten POM W. und einen durch den Beschuldigten PHM S., die B. O. zudem schreiend mehrfach zum Stehenbleiben und Wegwerfen seiner Waffe aufforderten.
Im B. Weg wurden von den Polizisten – nach ihren Angaben aus vollem Lauf und aus einer Entfernung von acht bis fünfzehn Metern auf den vorwärts laufenden und zugleich rückwärts blickend mit der Waffe auf die Beamten zielenden B. O. - gezielte Schüsse abgegeben. Dabei gab der Beschuldigte PHM S. drei Schüsse, der Beschuldigte POM W. insgesamt sechs bis sieben Schüsse ab, von denen wahrscheinlich nur der jeweils letzte Schuss traf. Während PHM S. dem B. O. einen Durchschuss des linken Oberschenkels zufügte, traf POM W. ihn in der Rückenseite des Oberkörpers. Hierbei wurde das Rückenmark auf Höhe des achten Brustwirbels mit der Folge einer sofortigen Querschnittslähmung vollständig durchtrennt. Dieser Schuss, bei dem das Projektil auch äußerst rechts den Herzbeutel durchsetzte und die untere Hohlvene an ihrer Einmündung in den rechten Herzvorhof eröffnete, führte dazu, dass B. O. aufgrund der raschen und massiven Blutverluste innerhalb kurzer Zeit durch inneres Verbluten verstarb.
Zwischen dem ersten Funkspruch der Beschuldigten nach dem Tankstellenüberfall um 0.08 Uhr und 2 Sekunden, in dem sie Unterstützung anforderten, und ihrer Mitteilung über Funk, dass ein Schusswaffengebrauch stattgefunden habe, lagen 45 Sekunden.
In der Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalpistole des Herstellers „Umarex“ des Getöteten, die wie eine scharfe Waffe aussieht, befanden sich zwei einzelne Pfefferreizstoffkartuschen im Kartuschenlager bzw. im Bereich der Kartuschen-zuführung, wo sie sich verklemmt hatten.
Das auf die Strafanzeige des Vaters des Getöteten, R. O., hin gegen die beiden Polizisten eingeleitete Ermittlungsverfahren (40 Js 25307/09) stellte die Staatsanwaltschaft Y. mit Verfügung vom 30.03.2010 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Die Beschwerde des Vaters vom 13.04.2010 gegen diese Einstellungsentscheidung wies die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mit Bescheid vom 21.04.2010 - dem Verfahrensbevollmächtigten des Vaters am 28.04.2010 zugegangen – als unbegründet zurück. Mit Schriftsatz vom 26.05.2010 – beim Oberlandesgericht Karlsruhe eingegangen am selben Tage – stellte der Verfahrensbevollmächtigte des Vaters daraufhin Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, hat in der Sache jedoch gemäß § 174 Abs. 1 StPO keinen Erfolg.
Aufgrund der Beweislage besteht gegen keinen der beiden Beschuldigten ein hinreichender Verdacht, sich im Rahmen des erfolgten polizeilichen Schusswaffeneinsatzes, bei dem der Sohn des Anzeigeerstatters zu Tode kam, strafbar gemacht zu haben. Jedenfalls im Hinblick auf den auch bei der Frage des Vorliegens von Rechtfertigungsgründen geltenden Zweifelsgrundsatz (vgl. zur Notwehr etwa BGH NStZ 2005, 85, 86; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 32 Rdnr. 3 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen), der zwar bei der Frage des hinreichenden Tatverdachts nicht unmittelbar gilt, hier indes mangels weiterer in der Hauptverhandlung zu erwartender neuer Erkenntnisse auf die Frage der Verurteilungswahrscheinlichkeit durchschlägt (vgl. Stückenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 203, Rdnr. 15; Schneider in KK, StPO, 6. Aufl., § 203 Rdnr. 5; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 203 Rdnr. 2, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen), ist das Strafverfahren gegen die beiden Beschuldigten zu Recht gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
1. Der Einsatz der Schusswaffe durch den Beschuldigten PHM S., bei dem er B. O. in den linken Oberschenkel traf, war bereits – jedenfalls wahrscheinlich - aufgrund des Festnahmerechts nach § 127 StPO in Verbindung mit § 54 PolG BW gerechtfertigt.
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Gemäß § 127 Abs. 1 StPO ist jedermann befugt, eine Person, die von ihm auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird, auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen, wenn sie der Flucht verdächtig ist oder ihre Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Für Polizeibeamte gilt diese Vorschrift mit der Maßgabe, dass die Grenzen der Festnahmemittel durch das Polizeirecht bestimmt werden (vgl. BGHSt 26, 99, 101; ferner Senat NJW 1974, 806, 807; Hilger in Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 127 Rdnr. 31; Schultheis in KK, a.a.O., § 127 Rdnr. 33; Meyer-Goßner, a.a.O., § 127 Rdnr. 20). Nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 a und b PolG BW dürfen Schusswaffen, sofern die allgemeinen Voraussetzungen der §§ 52 und 53 PolG BW (die Androhung des unmittelbaren Zwanges erfolgte hier über mehrere zuvor von den Polizeibeamten abgegebene Warnschüsse) vorliegen, gegen einzelne Personen eingesetzt werden, um eine Person, die sich der Festnahme oder der Feststellung ihrer Person durch die Flucht zu entziehen versucht, anzuhalten, wenn sie bei einer rechtswidrigen Tat betroffen wird, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt, oder sie eines Verbrechens dringend verdächtig ist.
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§ 54 Abs. 1 Nr. 2 a und b PolG erlaubt damit nicht jede Art des Schusswaffengebrauchs unterhalb der Ausnahmeregelung des finalen Todesschusses nach § 54 Abs. 2 PolG BW. Auch bei Vorliegen sämtlicher Zulässigkeitsvoraussetzungen darf von einer Schusswaffe allein in einer Weise Gebrauch gemacht werden, die den Flüchtenden (nur) fluchtunfähig macht (vgl. BGH NJW 1999, 2533 ff.), so dass insbesondere Schüsse im Beinbereich vom Festnahmerecht gedeckt sind (vgl. bereits BGHSt 26, 99, 103; BGH NStZ 2005, 31 f.; OLG Karlsruhe a.a.O.; Belz/Mußmann, PolG für Baden-Württemberg, 7. Aufl., § 54 Rdnr. 2). Gezielte Schüsse auf zentrale Bereiche des Menschen zum Zwecke der Festnahme sind dagegen wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar; sie sind unzulässig und daher nicht durch das Festnahmerecht gerechtfertigt (vgl. BGH NJW 1999, 2533; Meyer-Goßner a.a.O. § 127 Rdnr. 20; Belz/Mußmann a.a.O.). Die Ausnahmesituation eines finalen Todesschusses gemäß § 54 Abs. 2 PolG, bei dem seinem Wesen nach der handelnde Beamte den Tod des Störers billigend in Kauf nimmt oder diesen sogar will mit der Folge, dass Ziel des Schusses der Kopf oder das Herz ist (vgl. Belz/Mußmann a.a.O. Rdnr 22), lag hier nicht vor, da Zweck des polizeilichen Schusswaffeneinsatzes nicht die Tötung des B. O. war.
12 
Vorliegend haben die beiden Beschuldigten den Heranwachsenden B. O. unmittelbar nach einem von diesem und zwei Mittätern begangenen Verbrechen (gemeinschaftlicher bewaffneter Raubüberfall) verfolgt. Der Beschuldigte PHM S., der insgesamt drei Schüsse auf den flüchtenden B. O. im B. Weg abgab (eine der vier von ihm insgesamt erfolgten Schüsse ist einem zuvor abgegebenen Warnschuss zuzuordnen), hat diesem einen Durchschuss des linken Oberschenkels zugefügt. Der Beschuldigte hat ferner in seiner polizeilichen Vernehmung vom 28.12.2009 nachvollziehbar erklärt, er habe zu keinem Zeitpunkt eine Tötungsabsicht gehabt. Es sei ihm nur darum gegangen, den Täter flucht- oder kampfunfähig zu schießen. Da der Beschuldigte PHM S. somit – was schlüssig erscheint und zumindest nicht auszuschließen sein wird - auch mit dem Motiv handelte, B. O. durch den Schusswaffengebrauch fluchtunfähig zu machen, hat er überdies den erforderlichen subjektiven Rechtfertigungswillen gemäß § 127 StPO dargelegt (vgl. für ein mögliches Nebeneinander von Festnahme- und Verteidigungswillen BGHR StGB § 32 Abs.1 Putativnotwehr 1 Verteidigungswille; zur Möglichkeit von Motivbündeln bei der Prüfung von Rechtfertigungsgründen vgl. auch BGH NStZ 2000, 365, 366 u. NStZ 1983, 500). Zwar hat sich PHM S. nicht ausdrücklich dahingehend eingelassen, dass er bei seinen Schüssen auf B. O. nur auf den Beinbereich gezielt hat. Gleichwohl wird ihm bei der geschilderten Beweislage jedenfalls nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden können, dass er B. O. bei seinen drei Schüssen „zentral“ treffen wollte, zumal es neben dem in den Oberschenkel des Flüchtenden eindringenden Schuss keine dem Beschuldigten zuzuordnenden Einschüsse im B. Weg gibt, die auf einen höheren Zielbereich hindeuten.
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Dagegen scheidet für den Beschuldigten POM W. der Rechtfertigungsgrund des § 127 Abs. 1 StPO aus. Allerdings folgt dies nicht ohne weiteres daraus, dass er B. O. „zentral“ in den Rücken getroffen hat. Denn wenn er nur auf den Beinbereich gezielt hätte, hätte sein Verhalten trotz des dann erfolgten Fehlgehens des fraglichen Schusses vom Festnahmerecht gedeckt sein können. Die Abgabe eines gezielten Schusses auf das Bein eines nach einem Raubüberfall flüchtenden Tatbeteiligten wäre nicht deshalb unzulässig, weil sie mit dem Risiko der Tötung behaftet ist. Jeder Schusswaffengebrauch, insbesondere wenn er mit einer Faustfeuerwaffe erfolgt, beinhaltet ein solches Risiko. Wenn der Schusswaffengebrauch zur Erreichung des angestrebten Zwecks notwendig und sachlich gerechtfertigt ist, so ist er auch trotz des damit verbundenen Risikos statthaft (vgl. BGHSt 26, 99, 103 f. für die Abgabe eines durch einen Polizisten auf das Bein gezielten Schusses, der den Flüchtenden tödlich im Rücken traf; ferner BGH NStZ 2005, 31 f. im Rahmen des § 32 StGB für einen auf die Beine gezielten Schuss durch einen Polizeibeamten, der den sich gerade nach einem Stein als Wurfgeschoss bückenden Täter tödlich im Rückenbereich verletzte). Denn ein von einer Erlaubnisnorm gestatteter, beispielsweise auf die Beine gezielter Schuss verliert nicht dadurch seine Rechtmäßigkeit, weil er fehlgeht und auf diese Weise eine tödliche Verletzung ungewollt und unvermeidbar hervorruft (vgl. BGH NJW 1999, 2533, 2534).
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Der Beschuldigte POM W. hat sich indes in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 29.12.2009 und anlässlich der am 04.01.2010 am Tatort erfolgten Videorekonstruktion weder dahingehend eingelassen, nur auf die Beine des B. O. geschossen zu haben noch dass es ihm - jedenfalls auch - darum gegangen sei, den Getöteten fluchtunfähig zu machen. Vielmehr hat der Beschuldigte angegeben, er habe im B. Weg „gezielt auf die Person geschossen“, weil er sich in Lebensgefahr befunden habe und die Warnschüsse keine Reaktion erbracht hätten. Er habe den Täter nur kampfunfähig machen und nicht töten wollen. Die Schüsse seien in die Zeit gefallen, als die Waffe auf ihn und seinen Kollegen gerichtet gewesen sei. Er habe keine andere Wahl gehabt, als zu schießen, um das Leben von PHM S. und ihm zu retten (vgl. S. 8 der Beschuldigtenvernehmung vom 29.12.2009). Diese Einlassung des Beschuldigten POM W. spricht demgemäß dafür, dass er B. O. – wie letztlich auch geschehen – „zentral“ treffen wollte, so dass sein Handeln nicht vom Festnahmerecht gemäß § 127 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 54 Abs. 1 PolG BW gedeckt ist.
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2. Der Schusswaffeneinsatz der Beschuldigten POM W. und PHM S. war überdies nicht gemäß § 32 StGB durch Notwehr gerechtfertigt.
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Auch für Polizisten ist das Notwehrrecht unabhängig von den Vorschriften der §§ 52 ff. PolG BW zu prüfen (vgl. § 52 Abs. 4 PolG BW für das Recht zum Gebrauch von Schusswaffen auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften sowie BGH NStZ 2005, 31 f.; Perron in Schönke-Schröder, StGB, 28. Aufl., § 32 Rdnr. 42b u. 42c). Durch die landesrechtlichen Vorschriften zum Schusswaffengebrauch wird das individuelle Notwehrrecht für Polizeibeamten demgemäß nicht eingeschränkt (BGH a.a.O.; Perron a.a.O.).
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Objektiv lag jedoch keine Notwehrlage vor, die den Schusswaffeneinsatz der beiden Beschuldigten hätte rechtfertigen können. Denn abgesehen davon, dass es sich bei der Waffe des B. O. lediglich um eine Schreckschusswaffe mit Pfefferreizstoffmunition handelte, die auf den hier zu den Polizeibeamten bis zuletzt bestehenden Abstand von jedenfalls mehr als fünf Metern (vgl. hierzu unten 3.e.) nicht wirkungsvoll ist, war die Pistole zudem – jedenfalls nachdem B. O. sie, obwohl sich bereits eine Pfefferreizstoffkartusche im Kartuschenlager befand, nochmals manuell durch Zurückziehen und Vorschnellenlassen des Schlittens zu laden versucht und sich eine zweite mit der ersten Kartusche verkeilt hatte - funktionsunfähig, so dass objektiv von ihr keine Lebens- bzw. Leibesgefahr für die Polizeibeamten ausging. Die Bedrohung mit einer Scheinwaffe stellt zwar einen tatsächlichen Angriff auf die Willensfreiheit des Bedrohten dar (vgl. Perron a.a.O. § 32 Rdnr. 27; Rönnau/Hohn in LK, StGB, 12. Aufl., § 32 Rdnr. 94). Gegen diesen ist allerdings keine Waffengewalt zur Verteidigung erforderlich (vgl. Perron a.a.O. ).
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3. Beide Beschuldigten - auch POM W. - handelten jedoch möglicherweise in Putativnotwehr und damit aufgrund eines vorsatzausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtums (vgl. Fischer, a.a.O., § 32 Rdnr. 50 f.), ohne dass in einer Hauptverhandlung ein weiterer Aufklärungsgewinn zu erwarten wäre, mit der Folge, dass keine Verurteilungswahrscheinlichkeit besteht, zumal auch eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ausscheidet.
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a. Putativnotwehr ist gegeben, wenn der Täter irrig die tatsächlichen Voraussetzungen der Notwehr annimmt, also insbesondere entweder irrtümlich glaubt, dass er angegriffen werde oder dass seine Verteidigung erforderlich und geboten sei. Dabei kommt ein den Vorsatz ausschließender Tatsachenirrtum insbesondere im Falle einer – wie hier – nicht im Nahbereich eingesetzten Schreckschusswaffe in Betracht, die den Anschein einer scharfen Schusswaffe erweckt (vgl. BGH StV 1999, 143, 145). Nach der Aussage des Waffensachverständigen, die aufgrund der vorliegenden Lichtbilder ohne weiteres plausibel ist, erweckt die hier von B. O. mitgeführte Waffe den Anschein einer echten, „scharfen“ Schusswaffe, wovon die Polizeibeamten nachvollziehbar auch ausgegangen sind (und die B. O. im Hinblick auf diesen äußeren Schein auch für den Einsatz in der Tankstelle als geeignet befand).
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b. Zu den entscheidenden Sekunden im B. Wege haben sich die Beschuldigten wie folgt eingelassen:
21 
Der Beschuldigte PHM S. gab in seiner polizeilichen Vernehmung vom 28.12.2009 insbesondere an, sie hätten sich etwa zehn bis zwölf Meter hinter dem Täter befunden, als sie in den B. Weg eingebogen seien. Als sie ihn im B. Weg verfolgt hätten, habe die Person während des Vorwärtsrennens seinen Oberkörper nach hinten in ihre Richtung gedreht und im Weiterlaufen die Waffe mit seiner rechten Hand auf sie gerichtet. Er, PHM S., habe nochmal laut gerufen „Waffe weg, Waffe weg“ und habe zeitgleich während des Rennens auf die Person viermal in vollem Lauf und sehr schnell hintereinander geschossen. Die Person habe nach dem ersten Schuss keine Reaktion gezeigt, weiter die Waffe auf ihn gerichtet, auch nach seinem zweiten und dritten Schuss. In dem Moment, als die Person gestürzt und die Waffe nicht mehr auf sie gerichtet gewesen sei, habe er, S., aufgehört zu schießen. Ob der Täter auf sie geschossen habe, könne er nicht sagen. Die Person habe die Waffe auf sie gerichtet und es habe für ihn den Anschein gehabt, als ob dieser das Feuer eröffne. Die Angaben des Beschuldigten im Rahmen der Videorekonstruktion vom 04.01.2010 haben keine wesentlichen Abweichungen oder Ergänzungen zu dieser Einlassung ergeben.
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Der Beschuldigte POM W. gab in seiner polizeilichen Vernehmung vom 29.12.2009 an, der Abstand habe während der gesamten Verfolgung zwischen 8 und 15 Metern betragen. Als sich die Person etwa im zweiten Drittel des B. Wegs (übersehbare Strecke ca. 55 Meter) befunden habe, habe sie sich während des Rennens mit dem Oberkörper nach hinten gedreht und mit dem ausgestreckten Arm mit der Waffe in der Hand auf sie gezielt. Er sei der Überzeugung, dass der Täter zu diesem Zeitpunkt abgedrückt habe. Er könne sich allerdings nicht erinnern, einen Knall oder das Klacken des Hahnes gehört zu haben. Er habe nur noch die Schusshand des Täters gesehen. Das ganze habe in vollem Lauf stattgefunden. Weder sie noch der Täter seien stehengeblieben. Er, W., habe abgedrückt, aber auch sofort aufgehört, als der Täter nicht mehr auf sie schießen habe können. Während er geschossen habe, habe sich der Täter irgendwie gedreht und sei dann in sich zusammengesackt und nach hinten gefallen. Wie viele Schüsse er, W., abgegeben habe, könne er nur schätzen. Mehr als ein Schuss dürfte es gewesen sein. Er habe aber nicht sein Magazin leer geschossen. Er habe im B. Weg gezielt auf die Person geschossen, weil er sich in Lebensgefahr befunden habe. Er habe den Täter nur kampfunfähig machen und nicht töten wollen. Der Abstand zum Täter habe „um die 10 Meter“ betragen. Im Rahmen der Videorekonstruktion vom 04.01.2010 hat der Beschuldigte insbesondere ergänzend erklärt, die von ihnen verfolgte Person habe sich mit seiner Waffe nach rechts umgedreht. In dem Moment, als es zum „Schusswechsel“ gekommen sei, gehe er davon aus, dass sie und der Täter langsamer geworden seien. Er, W., habe fünf bis sechs Schüsse in ganz kurzer Folge abgegeben, bevor er eine Wirkung gesehen habe. Für eine Deckung habe keine Zeit bestanden.
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c. Dafür, dass die übereinstimmende Aussage der beiden beschuldigten Polizeibeamten, B. O. habe im B. Weg die (scharf erscheinende) Pistole auf sie gerichtet, zutrifft, sprechen zum einen die örtlichen Verhältnisse im B. Weg. Dieser wirkt (obwohl die Straße, wenn man aus der B. Straße kommt, am Ende rechtwinklig nach links führt) wie eine Sackgasse, wobei dieser Eindruck insbesondere durch die - auch in der fraglichen Nacht dort abgestellten - an der Stirnseite vor einer Betonmauer geparkten Pkws (vgl. das Foto 53 im KT-Band, AS 74), die bewachsene Böschung über dieser Betonmauer und dem links neben den parkenden Autos aus der Perspektive des Täters nur noch sichtbaren Garagenbereich hervorgerufen wird (vgl. DVD Videorekonstruktion Gliederungspunkt 2. zu den örtlichen Verhältnissen im B. Weg). Es liegt daher - zumal angesichts der Dunkelheit und der schlechten Ausleuchtung der Straße zum Zeitpunkt des Geschehens – nahe, dass B. O., der zuvor weder auf die (durch die Zeugenaussagen zahlreicher Anwohner bzw. deren Besucher in der fraglichen Nacht jeweils belegten) Zurufe zum Stehenbleiben und Wegwerfen der Waffe noch auf die Warnschüsse reagiert, sondern seine Flucht fortgesetzt hatte, sich nunmehr angesichts einer augenscheinlichen Sackgasse im B. Weg „in die Enge getrieben“ fühlte und die Polizisten daher durch das Drohen mit seiner (auch bereits in der Tankstelle als angeblich echt eingesetzten) Waffe auf Distanz zu halten versuchte. Für einen Waffeneinsatz durch den Getöteten spricht daneben auch ein Vergleich des Zustandes der von ihm mitgeführten Pistole in der Tankstelle (hier war sie ausweislich der durch die Überwachungskamera gefertigten Aufnahmen, vgl. Foto 17 im KT-Band, AS 56, noch geschlossen) und der Auffindesituation der Waffe im B. Weg mit ca. zur Hälfte geöffnetem, in rückwärtiger Position befindlichem Verschluss der Waffe und einer im Kartuschenlager sowie einer im Bereich der Auswurföffnung „verklemmten“ Kartusche. Daraus folgt, dass B. O. versucht hat, die Waffe, die er möglicherweise aufregungsbedingt noch nicht für geladen hielt, auf der Flucht erneut manuell durchzuladen, was zwanglos mit den Einlassungen der beschuldigten Polizeibeamten vereinbar ist, dass er die Waffe im B. Weg dann auch auf sie richtete.
24 
d. Zwar hat die waffenrechtliche Untersuchung der Waffe des B. O. ergeben, dass mit dieser, nachdem dieser sie manuell durchgeladen und sich eine zweite Kartusche aufgrund des defekten Ausziehers des Kartuschenlagers im Bereich der Auswurföffnung verkeilt hatte, nicht mehr geschossen werden konnte und zudem alle neun sichergestellten Pfefferreizstoffkartuschen (davon sieben im Magazin und zwei im Kartuschenlager bzw. davor) noch funktionsfähig waren, so dass die - auch in einem Funkspruch um 0.10 Uhr und 31 Sekunden getätigte -Aussage des Beschuldigten POM W., die von ihnen verfolgte Person habe auf sie geschossen, objektiv nicht zutrifft. Auch wenn er nach eigenen Angaben weder einen Knall oder das Klacken des Hahnes gehört und zudem keine Abzugsbewegung durch B. O. geschildert hat, wird die Glaubhaftigkeit seiner zum Ausdruck gebrachten subjektiven Überzeugung, der Täter habe „abgedrückt“, allerdings dadurch gestützt, dass er sich nach Angaben des kurz nach dem fraglichen Geschehen am Tatort erscheinenden Zeugen PHM S. immer wieder selbst nach Verletzungen absuchte. In rechtlicher Hinsicht ist es im Übrigen für die Frage der Zulässigkeit des Schusswaffeneinsatzes gemäß § 32 StGB nicht entscheidend, dass B. O. nicht geschossen hat. Denn wenn dieser – wie beide Beschuldigten glaubhaft angeben – die echt wirkende Waffe auf sie gerichtet hat, waren die Polizeibeamten nicht gehalten, zunächst den ersten, für sie bereits lebensgefährlichen Schuss abzuwarten, sondern sie durften in dieser Situation direkt das Feuer zu Verteidigungszwecken eröffnen und B. O. dabei auch zentral anvisieren (vgl. auch unten g.).
25 
e. Dass B. O. nach den Einlassungen der beiden Beschuldigten, obwohl er sich nach ihren Angaben im Vorwärtsrennen mit dem Oberkörper nach hinten gedreht und mit der Waffe auf sie gezielt hat, nicht langsamer geworden sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Der Beschuldigte POM W. hat seine Aussage allerdings insoweit im Rahmen der Videorekonstruktion am 04.01.2010 relativiert, dass er davon ausgehe, dass sowohl er und sein Kollege sowie die flüchtende Person, als es zum „Schusswechsel“ gekommen sei, ein bisschen langsamer geworden seien. Der Senat hält es für wahrscheinlich, dass es zu einer spürbaren Tempoverringerung sowohl bei B. O. als auch bei den - nunmehr ja konkret bedrohten - Beschuldigten gekommen ist, als B. O. die Waffe auf sie richtete. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich nach der Spurenlage im B. Weg in Verbindung mit den akustischen Wahrnehmungen durch die Anwohner gleichwohl immer noch um ein - von den Beschuldigten offenbar auch so empfundenes - sehr dynamisches Geschehen handelte. Dafür, dass die Beschuldigten auch im B. Weg in schneller Vorwärtsbewegung agierten, ohne dabei B. O. vollends einzuholen, sprechen die aufgefundenen, aufgrund von Schussversuchen mit den Polizeipistolen durchschnittlich ca. 3,20 Meter in einem Winkel von ca. 45 Grad nach hinten ausgeworfenen Patronenhülsen in Verbindung mit der hiervon immer noch einige Meter entfernten Stelle, an der B. O. ausweislich der maßstabsgetreuen Tatortskizze (vgl. KT-Band AS 117) zu Boden sank. Auch wenn die im B. Weg nach den Schüssen ausgeworfenen Hülsen durch „Hindernisse“ (hier insbesondere parkende Kraftfahrzeuge) abgelenkt oder die Endlage der Hülsen auch durch die Einsatz- und Rettungskräfte verändert worden sein können, so kommt der hier maßstabsgetreu verzeichneten Lage der Patronenhülsen im Rahmen der Tatortsicherung dennoch ein nicht nur unerheblicher Beweiswert zu. Angesichts dessen, dass B. O. 47 Meter nach Beginn des B. Wegs zu Boden ging, die Patronenhülsen aber nur in einer Entfernung von ca. 10 Metern zur Endlage des Getöteten aufgefunden wurden, bestand offenbar bis zuletzt ein Abstand von jedenfalls mehr als fünf Metern zwischen den Polizisten und B. O.. Überdies fand der polizeiliche Schusswaffeneinsatz (ausgehend von dem Auffindeort der sichergestellten Hülsen) auf einer Strecke von ca. 28 Metern und – entsprechend den akustischen Wahrnehmungen vieler Anwohner – innerhalb weniger Sekunden statt, so dass dies mit der offenbar das subjektive Empfinden widerspiegelnden Einlassung der beiden Polizeibeamten, sie hätten sich während der Schussabgabe „in vollem Lauf“ befunden, durchaus im Einklang steht, zumal dies auch zu der Aussage des die B. Straße gut überblickenden Zeuge A. passt, nach der zwei Polizisten den rennend in den B. Weg abbiegenden Mann in einem Abstand zwischen 10 und 20 Metern rennend verfolgten.
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f. Dass der Beschuldigte PHM S. dem B. O. von hinten den linken Oberschenkel durchschoss, steht nicht im Widerspruch mit der Schilderung einer sich bis dahin weiterhin vorwärts bewegenden, jedoch im Oberkörperbereich mit der Waffe rückwärts gewendeten Fluchtperson. Mithin lag bei seinen Schüssen – jedenfalls wäre ihm dies voraussichtlich auch nach Durchführung einer Hauptverhandlung nicht zu widerlegen - aus seiner Sicht ein gegenwärtiger und lebensbedrohlicher Angriff durch B. O. vor, so dass er beim Schusswaffeneinsatz in Putativnotwehr und damit wegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums vorsatzlos handelte. Da es auch keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass er diesen Irrtum im tatsächlichen Bereich hätte vermeiden können, besteht auch kein hinreichender Verdacht einer fahrlässigen Körperverletzung.
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g. Dagegen ist der Umstand, dass eine der Waffe des Beschuldigten POM W. zuzuordnende Kugel den Sohn des Anzeigeerstatters zentral in die Rückenseite des Oberkörpers auf Höhe des achten Brustwirbelkörpers traf, mit der von den Beschuldigten geschilderten Körperhaltung des B. O. während der gesamten Zeit des polizeilichen Schusswaffeneinsatzes (ihnen zugewandt durch Drehen des Oberkörpers mit der auf sie gerichteten Waffe) nicht mehr zu vereinbaren. Vielmehr muss B. O. diesen zum Zeitpunkt der Abgabe des tödlichen Schusses wieder den Rücken zugekehrt haben, zumal der Senat es im Einklang mit der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten des Anzeigeerstatters als ausgeschlossen ansieht, dass sich B. O. während des vor dem tödlichen Schuss erfolgten - hier durchgängig sehr schnellen - Fingerkrümmens am Abzug trotz der enormen Geschwindigkeit einer abgeschossenen Kugel noch „blitzschnell“ wieder nach vorne gedreht haben könnte.
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Allerdings ist davon auszugehen, dass B. O. erst durch den letzten vom Beschuldigten POM W. abgegebenen Schuss in den Rücken getroffen wurde, da dieser zu einer sofortigen Querschnittslähmung mit der Folge eines umgehenden Niedergehens verbunden war (vgl. auch den Obduktionsbericht des rechtmedizinischen Instituts des Universitätsklinikums Y. vom 28.12.2009, wonach deshalb der Oberschenkeldurchschuss zuerst oder nahezu zeitgleich erfolgt sein muss). Wann B. O. sich zuvor nach Beginn des polizeilichen Schusswaffeneinsatzes wieder nach vorne gedreht hat oder ob dies gar erst die Folge eines Strauchelns aufgrund des zuerst erfolgenden Oberschenkeltreffers war (vgl. zu dieser Möglichkeit auch BGH NJW 1999, 2533, 2535), wird auch in einer Hauptverhandlung nicht mehr aufzuklären sein. Dafür, dass sich B. O. nach Beginn der Schüsse schnell wieder nach vorn drehte, spricht zwar einerseits, dass dadurch noch einmal verstärkt Angst bei ihm aufgekommen sein dürfte und seine – zudem funktionsunfähige – Pfefferreizstoffwaffe auf die bestehende Distanz wirkungslos ist. Auf der anderen Seite wurden die Schüsse auf ihn jedoch – wie sowohl die beschuldigten Polizeibeamten übereinstimmend angeben als auch durch die akustischen Wahrnehmungen der Anwohnerzeugen bestätigt wird – innerhalb weniger Sekunden abgegeben, so dass es – auch aufgrund Erschreckens durch B. O. – möglich erscheint, dass er nicht unmittelbar, sondern erst verzögert reagierte.
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In rechtlicher Hinsicht bleibt ein Angriff zudem gegenwärtig im Sinne des § 32 StGB, solange die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung oder deren Vertiefung andauert (Fischer a.a.O. § 32 Rdnr. 18). Notwehr ist deshalb so lange möglich, bis die Angriffsgefahr endgültig beseitigt ist, also auch eine unmittelbare Wiederholung des Angriffs nicht mehr befürchtet werden muss (vgl. BGH NStE Nr. 15 zu § 32 StGB; BGH NStZ 2006, 152 ff.; Perron in Schönke-Schröder, a.a.O., § 32 Rdnr. 15 f.; verneint von BGH Beschluss vom 31.01.2007 – 5 StR 404/06 -, zitiert nach juris, Rdnr. 15 für eine unbewaffnete Person, die sich bereits wieder abgewendet hatte). Aus der Sicht eines objektiv und umfassend über den Sachverhalt orientierten Dritten in der Tatsituation (vgl. zur gebotenen objektiven ex-ante-Betrachtung der konkreten „Kampfeslage“ BGH StV 1999, 143, 144; Fischer a.a.O. § 32 Rdnr. 30; Rönnau/Hohn a.a.O. § 32 Rdnr. 150) stand es indes keineswegs fest, dass sich der weiterhin mit einer offenbar scharfen Schusswaffe bewaffnete B. O. nicht erneut umdrehen und sofort schießen würde. Für die Frage des Vorsatzes des Beschuldigten POM W. kommt es zudem nicht darauf an, ob ein Angriff durch B. O. zum Zeitpunkt des tödlichen Schusses nicht mehr vorlag, sondern darauf, ob der Beschuldigte annahm, der Angriff sei endgültig abgeschlagen (vgl. BGH NStE Nr. 15 zu § 32 StGB; ferner BGHR StGB § 32 Abs. 1 Putativnotwehr 1 für den Fall, dass sich die zunächst mit einem Wagenheber bzw. einem Eisenrohr angreifende Person „etwa zeitgleich mit der Schussabgabe zu erneuter Flucht abgewendet“ hatte).
30 
Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass B. O. den Beschuldigten möglicherweise bis kurz vor dem Abwenden mit seiner echt wirkenden Schusswaffe bedroht hatte und diese weiterhin in der Hand hielt. Es handelte sich zudem in der entscheidenden Phase um ein dynamisches, innerhalb von wenigen Sekunden ablaufendes und - was die Drehung des Oberkörpers des B. O. nach vorne angeht - möglicherweise noch einmal bis kurz vor dem tödlichen Schuss zeitlich verengtes Geschehen. Unabhängig davon, ob POM W. angesichts seiner schnellen Schussfolge das - eventuell erst spät erfolgte - Abwenden des B. O. überhaupt bereits bewusst registriert hatte, wird sich daher eine bis zum tödlichen Schuss subjektiv angenommene gegenwärtige Notwehrlage durch den Beschuldigten POM W. jedenfalls nicht widerlegen lassen. Dies gilt umso mehr, als der Beschuldigte - selbst wenn er das Abwenden durch B. O. noch vor dem tödlichen Schuss wahrgenommen hätte - weiterhin von der Gegenwärtigkeit des Angriffs ausgehen konnte. Denn da der Sohn des Anzeigeerstatters weiterhin die Waffe in der Hand hielt, war es nicht fernliegend, dass er sich erneut umdrehen und sofort das Feuer eröffnen würde, zumal er sich in einer stark bedrängten und offenbar ausweglosen Situation befand.
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h. Der in Putativnotwehr Handelnde darf zur Verteidigung zwar ferner nicht mehr tun, als wenn er sich in einer tatsächlichen Notwehrlage befände (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 1 Putativnotwehr 2; BGH NStZ 1988, 269 f.; Fischer a.a.O. Rdnr. 51 a.E. mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Die Grenzen der erforderlichen Verteidigung wurden hier jedoch durch den Beschuldigten POM W. nicht überschritten.
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Zwar kann der lebensgefährliche Einsatz einer Schusswaffe nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. Jedoch gilt auch für die Verwendung einer Schusswaffe der allgemeine notwehrrechtliche Grundsatz, dass der Verteidiger berechtigt ist, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; unter mehreren Abwehrmöglichkeiten ist er auf die für den Angreifer minder einschneidende nur dann verwiesen, wenn ihm Zeit zur Auswahl sowie zur Abschätzung der Gefährlichkeit zur Verfügung steht und die für den Angreifer weniger gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und sofort auszuräumen (vgl. BGH StV 1999, 143, 144). Ein nicht bloß geringes Risiko, dass das mildere Mittel fehlschlägt und dann keine Gelegenheit mehr für den Einsatz des stärkeren bleibt, braucht der Verteidiger zur Schonung des rechtswidrig Angreifenden nicht einzugehen (vgl. BGH a.a.O.). Vor dem Hintergrund eines weiterhin aus Sicht des Beschuldigten POM W. drohenden Einsatzes einer „scharf“ wirkenden Schusswaffe, die B. O. zuvor auch als Drohmittel eingesetzt hatte, war der Schuss, der B. O. nach dem Willen des Beschuldigten „kampfunfähig“ machen, jedoch nicht töten sollte, auch im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich.
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Da der Beschuldigte POM W. angesichts der täuschend echt wirkenden Waffe des B. O. schließlich nicht erkennen konnte, dass ein bloßer (auch bei Abgabe des tödlichen Schusses noch gegenwärtiger) Scheinangriff vorlag, war der Erlaubnistatbestandsirrtum auch für ihn - jedenfalls wird dies voraussichtlich auch nach einer Hauptverhandlung nicht zu widerlegen sein - unvermeidbar, so dass er wahrscheinlich auch nicht wegen fahrlässiger Tötung verurteilt würde und der gegen ihn gerichtete Klageerzwingungsantrag daher insgesamt als unbegründet zu verwerfen war.
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4. Auch wenn insbesondere die Kritik des Verfahrensbevollmächtigten an der fehlenden Protokollierung der Angaben des Beschuldigten PHM S. im Vorgespräch vom 27.12.2009 berechtigt ist, weist der Senat abschließend darauf hin, dass es keine Anhaltspunkte für eine Verschleierung von Ermittlungsmaßnahmen oder eine Einflussnahme auf das Aussageverhalten der beiden Beschuldigten gibt.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 177 StPO.

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