Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 15 Verg 1/11

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 26.01.2011 - 1 VK 70/10, 1 VK 71/10, 1 VK 72/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf …EUR festgesetzt.

Gründe

 
l.
Die Antragstellerin wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer.
Die Antragsgegnerinnen Ziffer 1, 2 und 3 haben europaweit im offenen Verfahren Dienstleistungen über die Beseitigung und Behandlung von Siedlungsabfällen ausgeschrieben, wobei die Veröffentlichung bezüglich der Antragsgegnerin Ziffer 1 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom … bezüglich der Antragsgegnerin Ziffer 2 ebenfalls im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom … sowie bezüglich der Antragsgegnerin Ziffer 3 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom … erfolgten. Submissionstermin war jeweils der 11.01.2011. Die Vergabeunterlagen in allen drei Verfahren (1 VK 70/10, 1 VK 71/10 und 1 VK 72/10) enthielten in dem „Leitfaden und Bewerbungsbedingungen" unter dem Punkt 2.2. unter der Überschrift „Autarkieprinzip" folgende Bestimmung:
Autarkieprinzip
Die Vergabestelle weist auf die „Verordnung des Ministeriums für Umwelt und Verkehr über den Abfallwirtschaftsplan für Baden-Württemberg, Teilplan Siedlungsabfälle" vom 15. Februar 1999 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg vom 26. Februar 1999, S. 103) hin, deren Anlage zu § 1 eine rechtsverbindliche Vorgabe für dieses Vergabeverfahren darstellt. Diese Anlage geben wir im Wortlaut wie folgt wieder:
1.5.5.1 Benutzungspflichten
Die für Siedlungsabfälle Beseitigungspflichtigen haben sich der Abfallbeseitigungsanlagen in Baden-Württemberg zu bedienen.
1.5.5.2Bestehende Kooperationen
Nummer 1.5.5.1 gilt nicht für die Landkreise … (nur bezüglich der Sperrmüllbeseitigung), … und den …, soweit und solange diese sich im Rahmen der bei In-Kraft-Treten der Rechtsverordnung rechtsverbindlich vereinbarten Zusammenarbeit außerhalb von Baden-Württemberg gelegener thermischer Behandlungsanlagen bedienen,
1,5.5.3 Ausnahmen
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Die oberste Abfallrechtsbehörde kann Ausnahmen von Nr. 1,5.5.1 zulassen, wenn die Abweichung mit den öffentlichen Belangen (insbesondere Beseitigungsautarkie in Baden-Württemberg: entstehungsortnahe Beseitigung; Beseitigung in Anlagen, die geeignet sind, ein gleichwertiges Niveau des Ge-sundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten) vereinbar ist. Eine Ausnahme kann zugelassen werden,
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a) wenn der Abfall in einer Anlage beseitigt werden soll, die in geringerer Entfernung vom Bevölkerungsschwerpunkt des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, in dessen Gebiet die zu beseitigenden Abfälle anfallen, liegt, als die nächstgelegene verfügbare Beseitigungsanlage gleicher Art in Baden-Württemberg
12 
b) wenn die zur Gewährleistung der Entsorgungssicherheit des Beseitigungspflichtigen erforderliche Kapazität für die thermische Behandlung von Abfällen in keiner der in Baden-Württemberg gelegenen Anlagen verfügbar ist, oder
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c) wenn die Benutzungspflicht zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte für den Beseitigungspflichtigen führen würde. Eine Härte liegt nicht schon dann vor, wenn die Kosten der Beseitigung in einer Anlage in Baden-Württemberg die Kosten der Beseitigung in einer Anlage außerhalb von Baden-Württemberg übersteigen.
14 
Hieraus folgt, dass einem Angebot, das die Beseitigung von Abfällen des Auftraggebers in einer Anlage außerhalb des Landes Baden-Württemberg vorsieht, insoweit nur dann der Zuschlag erteilt werden kann, wenn die zuständige Landesbehörde zuvor eine Ausnahme zugelassen hat Auf diese Ausnahme, die nur vom Auftraggeber als beseitigungspflichtiger Körperschaft beantragt werden kann, besteht kein Rechtsanspruch. Diese Ausschreibung begründet eine Verpflichtung des Auftraggebers, eine etwa erforderliche Ausnahme zu beantragen, jedoch nicht die Verpflichtung, sie im Falle ihrer Ablehnung auf dem Rechtsweg durchzusetzen."
15 
Die Antragstellerin, die über Verbrennungskontingente in : und verfügt, nimmt als Bieterin an allen drei Vergabeverfahren teil und rügte jeweils mit Schriftsatz ihres jetzigen Verfahrensbevollmächtigten vom 22. November 2010 (VK 70-72/10, jeweils Ast 3) den Regelungsgehalt gemäß Ziffer 2.2 des „Leitfadens und Bewerbungsbedingungen", wobei insbesondere die Anwendung der Autarkieverordnung des Landes Baden-Württemberg auf das jeweilige Ausschreibungsverfahren sowie die aus dem Autarkieprinzip hervorgehende Vorgabe, dass ein Bieter zu dessen Gunsten eine Ausnahme vom Autarkieprinzip durch die zuständige Landesbehörde abgelehnt wurde, keine Rechtsschutzmöglichkeit gegen die ablehnende Entscheidung habe. Die Antragsgegnerinnen, jeweils vertreten durch die jetzigen Verfahrensbevollmächtigten, haben der Rüge mit Schreiben vom 26.11.2010 (1 VK 70/10 - 72/10, jeweils Ast 4) nicht abgeholfen. Aufgrund dessen stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 10.12.2010 Nachprüfungsanträge gleichen Inhalts gegen die Antragsgegnerinnen Ziffer 1 - 3. Mit Verweisungsbeschluss vom 14.12.2010 (1 VK 71/10) und vom 15.12.2010 (1 VK 72/10) hat die jeweils zuständige Vergabekammer die Verfahren an die für das Verfahren 1 VK 70/10 zuständige Kammer verwiesen, die mit Verbindungsbeschluss vom 15.12.2010 die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Im Rahmen der Nachprüfungsanträge begehrte die Antragstellerin, die jeweilige Antragsgegnerin zu verpflichten, Angebote der Antragstellerin, die zur Erfüllung der ausgeschriebenen Leistung Abfallverbrennungsanlagen in … und/oder …berücksichtigen, ohne Ausnahmengenehmigung zur Wertung der Angebote zuzulassen; hilfsweise, die jeweilige Antragsgegnerin zu verpflichten, die Verdingungsunterlagen in Ziffer 2.2. „Leitfaden und Bewerbungsbedingungen" unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer neu zu fassen und das Vergabeverfahren in den Stand vor der Bekanntmachung zurückzuversetzen. Ihr Begehren stützt sie im Wesentlichen darauf, dass die in Ziffer 2.2. der Verdingungsunterlagen gemachten Vorgaben wegen des in § 97 Abs. 2 GWB enthaltenen Diskriminierungsverbotes vergaberechtswidrig seien. Das Erfordernis einer Ausnahmeerteilung durch die zuständige Landesbehörde bezüglich eines Angebots, das die Beseitigung von Abfällen des Auftraggebers in einer Anlage außerhalb des Landes Baden-Württemberg vorsehe, führe unter Berücksichtigung der weiteren Vorgabe, wonach auf eine derartige Ausnahme kein Rechtsanspruch bestehe, diese nicht einmal von dem betreffenden Bieter beantragt werden könne, geschweige denn im Falle ihrer rechtswidrigen Ablehnung auf dem Rechtsweg durchgesetzt werden könne, im Rahmen europaweiter Ausschreibung zu einer sachlich nicht gerechtfertigten, mithin willkürlichen Ungleichbehandlung.
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Die Antragsgegnerinnen Ziffer 1 - 3 sind der Auffassung, dass die Nachprüfungsanträge bereits unstatthaft bzw. unzulässig seien, eröffneten doch die §§ 102 ff. GWB keinen Raum für die Nachprüfung der Vereinbarkeit nicht vergaberechtlicher Rechtsnormen mit höherrangigem Recht. Zur Anwendung der Autarkieverordnung seien die Vergabestellen zwingend verpflichtet. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag auch unbegründet, erfolge doch eine Wertung auch solcher Angebote von Bietern, die eine Entsorgung in Abfallverbrennungsanlagen außerhalb Baden-Württembergs vorsähen. Lediglich die Beauftragung durch Zuschlagserteilung sei von der Ausnahmegenehmigung abhängig. Im Übrigen stünde die Autarkieverordnung sowohl mit nationalen als auch europarechtlichen Vorgaben des Abfallrechts (§ 29 Abs. 1 KrWVAbfG sowie der EG Abfallrahmenrichtlinie 2006/12 vom 05.04.2006 bzw. der EG Abfallrahmenrichtlinie 2008/98 vom 19.11.2008) in Einklang.
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Die Vergabekammer hat die Anträge als unzulässig zurückgewiesen. Zwar sei das Vergabenachprüfungsverfahren insoweit statthaft, als es um die Frage gehe, ob das Vergaberecht bei einschränkenden abfallwirtschaftlichen Normen Geltung beanspruchen könne. Jedoch sei das Vergabenachprüfungsverfahren insoweit unstatthaft, als es um die Frage gehe, ob die Autarkieverordnung des Landes Baden-Württemberg gegebenenfalls nicht durch die Rechtsgrundlage des § 29 Abs. 1 KrW-/AbfG gedeckt und damit rechtswidrig sei, und deshalb einzelne Bieter, die nicht über Verbrennungskontingente in einer baden-württembergischen Abfallverbrennungsanlage verfügten, diskriminiert und in ihren Bieterschutzrechten verletzt seien. Bei der Autarkieverordnung handle es sich nicht um eine Bestimmung über das Vergabeverfahren im Sinne von §§ 97 Abs. 7, 107 Abs. 2 GWB.
18 
Für die Einzelheiten wird auf den Beschluss der Vergabekammer vom 26.01.2011 Bezug genommen.
19 
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag weiter und beantragt,
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1. die Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 26.01.2011, Aktenzeichen 1 VK 70/10, 1 VK 71/10 und 1 VK 72/10, aufzuheben;
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2. den Beschwerdegegnerinnen zu untersagen, in den streitgegenständlichen Vergabeverfahren einen Zuschlag zu erteilen;
22 
3. die Beschwerdegegnerinnen zu verpflichten, die Angebote der Beschwerdeführerin, die zur Erfüllung der ausgeschriebenen Leistungen Abfallverbrennungsanlagen in … und/oder … berücksichtigen, bei der Wertung der Angebote Ziff. 2.2 der Verdingungsunterlagen „Leitfaden und Bewerbungsbedingungen" nicht anzuwenden;
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4. hilfsweise: die Beschwerdegegnerinnen zu verpflichten, die Verdingungsunterlagen in Ziff. 2.2 „Leitfaden und Bewerbungsbedingungen" unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu fassen und das Vergabeverfahren in den Stand vor der Bekanntmachung zurückzuversetzen;
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5. die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten durch die Beschwerdeführerin für notwendig zu erklären.
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Sie macht geltend, zur Begründung könne sich die Vergabekammer nicht auf die Entscheidung der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 22.07.2004 (VK - SH 21/04) berufen, seien die Sachverhalte doch nicht vergleichbar, da im dortigen Verfahren die Zustimmung zur Entsorgung außerhalb des Landesgebietes gerade erteilt und für die Begründung gerade nicht angeführt worden sei, dass es an einer Verletzung von Vergabevorschriften fehle, sondern die Unzulässigkeit des Antrags im dortigen Verfahren allein wegen Nichteinhaltung des Formerfordernisses des § 108 Abs. 2 GWB erfolgt sei. Nichts anderes ergäbe sich aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig vom 24.09.2004 (Az. 6 Verg 3/04), in dem es auf die vorliegend zu entscheidende Frage der Verletzung des Diskriminierungsverbots nach § 97 Abs. 2 GWB nicht angekommen sei. Auch der zur Begründung angeführte Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 03.12.2003 (Az. 37/03) beträfe einen abweichenden Sachverhalt. Zu Unrecht sei die Vergabekammer auch davon ausgegangen, dass sie keine Normverwerfungskompetenz habe. Im Übrigen enthalte Ziffer 2.2 der Verdingungsunterlagen nicht lediglich eine informatorische Wiedergabe der Anlage zu § 1 der Autarkieverordnung, sondern gehe darüber hinaus, indem sie die Zuschlagserteilung von einer vorherigen Ausnahmegenehmigung abhängig mache, die nur vom Auftraggeber beantragt und begründet werden könne. Desweiteren sei im Falle einer Versagung der Ausnahme keine Verpflichtung zur Einlegung eines Rechtsmittels vorgesehen. Damit verletzten die Beschwerdegegnerinnen den Anspruch derjenigen Bieter, die die ausgeschriebene Beseitigung in einer Anlage außerhalb der Landesgrenzen von Baden-Württemberg zu erbringen beabsichtigen, auf Gleichbehandlung im Verhältnis zu denjenigen Bietern, die auf eine Beseitigungsanlage innerhalb des Landesgebiets von Baden-Württemberg zurückgreifen könnten und deshalb keiner Ausnahmengenehmigung bedürften. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag auch begründet, da sich aus den Vorgaben nach Ziffer 2.2 der
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Verdingungsunterlagen eine Ungleichbehandlung ergebe, weil die Ausnahme nur von der beseitigungspflichtigen Körperschaft beantragt werden könne, sowie kein Rechtsanspruch auf Erteilung der Ausnahme bestehe. Demgegenüber benötigten Bieter, deren Angebot die Beseitigung von Abfällen innerhalb des Landes Baden-Württemberg vorsähen, keine derartige Ausnahmegenehmigung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der sofortigen Beschwerde vom 09.02.2011 verwiesen.
28 
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
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die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer zurückzuweisen.
30 
Zu Recht sei die Vergabekammer in der angegriffenen Entscheidung von der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags ausgegangen, da eine etwaige Rechtswidrigkeit der Bestimmungen der Autarkieverordnung sowie deren Rechtsgrundlagen im europäischen und nationalen Recht nicht im Rahmen des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens geltend gemacht werden könne. Der vergaberechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz könne nicht dazu herangezogen werden, um vermeintliche Ungleichbehandlungen durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen der zur Beachtung gesetzlicher und untergesetzlicher Normen verpflichteten öffentlichen Auftraggeber auszutragen. Zu Recht habe die Vergabekammer auch ihre Normverwerfungskompetenz verneint, sage doch die Tatsache, dass die Vergabekammer durch § 105 GWB mit einer besonderen Unabhängigkeit ausgestattet sei, über deren Einordnung als Behörde nichts aus. Darüber hinaus beziehe sich eine mögliche Normenverwerfungskompetenz nur auf diejenigen Vorschriften, die in der Zuständigkeit der Vergabekammer lägen, wozu die hier gerügten öffentlich-rechtlichen Vorschriften gerade nicht zählten. Auch aus der Ausgestaltung der Vergabeunterlagen, insbesondere den Hinweisen zur Autarkieverordnung ergebe sich keine Vergaberechtswidrigkeit, gäben diese doch lediglich die bestehende Rechtslage und die sich daraus ergebenden Konsequenzen wieder. Eine Einschränkung der Rechte der Bieter sei damit gerade nicht verbunden.
31 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
32 
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.
33 
1. Die Beschwerde ist zulässig, da die Voraussetzungen der §§ 116, 117 GWB vorliegen, insbesondere die Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 117 Abs. 1 - 3 GWB. Auch die im Verfahren der sofortigen Beschwerde zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 98 - 100, 102, 107, 108 GWB) sind gegeben.
34 
2. Allerdings ist die Beschwerde nicht begründet. Der Vergabesenat hat im Rahmen der Begründetheit zu prüfen, ob die allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Vergabenachprüfungsverfahrens erfüllt sind (Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl., § 123 Rn. 3).
35 
Zu Recht hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen. Weder durch die in den Ausschreibungsunterlagen unter Ziffer 2.2 des „Leitfaden und Bewerbungsbedingungen" wiedergegebenen Anlage 1 zur Verordnung des Ministeriums für Umwelt und Verkehr über den Abfallwirtschaftsplan für Baden-Württemberg, Teilplan Siedlungsabfälle vom 15. Februar 1999 (a) noch durch den eingefügten, darüber hinausgehenden Hinweis „hieraus folgt..." (b) kann die Antragstellerin die Verletzung bieterschützender Vorschriften des Vergabeverfahrens geltend machen.
36 
Nach § 107 Abs. 2 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das neben einem Interesse am Auftrag eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB geltend machen kann. Zu den Bestimmungen des Vergaberechts zählen die Regelungen des 4. Abschnitts des GWB, die Vergabeordnung (VgV), die europäischen Vergaberichtlinien, allgemeine Verwaltungsgrundsätze sowie die Vergabebedingungen der öffentlichen Auftraggeber in den Vergabeunterlagen (Summa in jurisPK-VergR, 3. Auflg. 2011, §97 Rn. 274).
37 
Ob im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens auch die in § 104 Abs. 2 GWB genannten sonstigen Ansprüche zu prüfen sind, ist umstritten. Während zum Teil vertreten wird, § 107 Abs. 2 GWB erweiternd dahin auszulegen, dass auch die Geltendmachung sonstiger Ansprüche zur Begründung der Antragsbefugnis genügt, ist die Gegenauffassung der Ansicht, dass die ausschließliche Zuständigkeit der Vergabekammer nach § 107 Abs. 2 GWB nur soweit reiche, wie ein Nachprüfungsantrag nach § 104 Abs. 2 GWB zulässigerweise gestellt werden könne (zum Diskussionsstand: Reidt/Stickler/Glahs a.a.O., § 104 Rn. 9 mit z.w.N.). Welche der vorgenannten Auffassungen der Vorzug zu geben ist, kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben, da selbst unter Anwendung der für die Antragstellerin günstigsten Version, wonach § 107 Abs. 2 GWB erweiternd dahin auszulegen ist, dass auch die Geltendmachung sonstiger Ansprüche zur Begründung der Antragsbefugnis genügt, vorliegend nicht zur Bejahung derselben führt. Denn zu sonstigen Ansprüchen gehören nicht solche öffentlich-rechtlichen Normen, die ohne Wettbewerbsbezug den Interessen der Altgemeinheit dienen. Diese haben auch dann keine bieterschützende Wirkung, wenn ihre Nichteinhaltung im konkreten Einzelfall Auswirkungen auf eine Auftragsvergabe haben kann (Summa, a.a.O., § 104 GWB Rn. 18). So liegt der Fall hier.
38 
a) Die Antragstellerin begründet ihre Antragsbefugnis damit, dass die Antragsgegnerinnen in ihren Ausschreibungsunterlagen in Ziffer 2.2 auf die Anlage 1 zur Verordnung des Ministeriums für Umwelt und Verkehr über den Abfallwirtschaftsplan für Baden-Württemberg, Teilplan Siedlungsabfälle vom 15. Februar 1999 (im Folgenden: Autarkieverordnung) hingewiesen haben; durch den Hinweis habe sie deutlich gemacht, dass die Verordnung zur rechtsverbindlichen Vorgabe für das Vergabeverfahren gemacht werde.
39 
Weder beim Landesabfallgesetz Baden-Württemberg noch dem auf dessen Grundlage erlassenen Abfallwirtschaftsplan Baden-Württemberg, Teilplan Siedlungsabfälle handelt es sich jedoch um Regelungen über das Vergabeverfahren im Sinne von § 97 Abs. 7, 107 Abs. 2 GWB.
40 
Zu den Vergabevorschriften gehören, wie bereits ausgeführt, alle Regelungen, die mit dem formellen und materiellen Vergaberecht in Zusammenhang stehen. (Vergabekammer Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.07.2004 - VK-SH 21/04 - zitiert nach Juris Rn. 43; OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.09.2004 -6 Verg 3/04 - zitiert nach Juris Rn. 17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.2002 - Verg 6/02 = NZBau 2002, 583 - zitiert nach Juris Rn. 17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.09.2002 - Kart 26/02 - zitiert nach Juris Rn. 31).
41 
Bestimmungen aus dem Bereich der Abfallwirtschaft zählen hierzu nicht (Vergabekammer Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.07.2004 - VK-SH 21/04 - zitiert nach Juris Rn. 43; OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.09.2004 - 6 Verg 3/04 - zitiert nach Juris Rn. 17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.09.2002 - Kart 26/02 - zitiert nach Juris Rn. 31). Durch den Hinweis auf die Autarkieverordnung in Ziffer 2.2 der Verdingungsunterlagen wird diese nicht zu einer Vergabevorschrift. Vielmehr wird im Vergabeverfahren auf ein zusätzliches öffentlich-rechtliches Erfordernis hingewiesen (vgl. Vergabekammer Schleswig-Holstein a.a.O. Rn. 44). Für die Beurteilung dieser Frage macht es keinen Unterschied, dass der von der Vergabekammer Schleswig-Holstein und dem Oberlandesgericht Schleswig-Holstein entschiedene Fall insoweit anders gelagert war, als dort der Vergabenachprüfungsantrag von einem Bieter im Hinblick auf eine erteilte Ausnahmegenehmigung gestellt wurde. Maßgeblich ist, dass dort wie vorliegend das Nachprüfungsverfahren deshalb nicht eröffnet ist, weil die gerügten Normen keine Bestimmungen über das Vergabeverfahren darstellen.
42 
Aus dem Zusammenspiel zwischen dem Vergaberecht und den öffentlichrechtlichen Bestimmungen zur Abfallwirtschaftsplanung ergibt sich vielmehr ein Normenkonflikt zwischen den vergaberechtlichen Bestimmungen einerseits und den abfallrechtlichen Bindungen des Entsorgungsträgers an einzelne Müllverbrennungsanlagen andererseits. Sowohl die Pflicht zur Ausschreibung einzelner Entsorgungsdienstleistungen als auch die rechtsverbindliche Vorgabe einzelner Beseitigungsanlagen beruhen auf bundesrechtlichen Vorschriften (§ 97 ff. GWB; § 29 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 KrW-/AbfG), die ihre Grundlage im europäischen Recht haben. In Folge dessen gebührt keinem der Normen der prinzipielle Vorrang. Vielmehr schränkt das Abfallrecht die Ausschreibungspflicht des öffentlichen Entsorgungsträgers ein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.09,2002, a.a.O. Rn. 31). Dies wird auch nicht durch das Urteil vom EuGH vom 21.01.2010 (Az: C-17/09 = IBR 2010, 1051) in Frage gestellt. In den Gründen heißt es hierzu: ..."Zwar bedeuten, wie der Gerichtshof bereits im Urteil vom 09. Juli 1992, Kommission/Belgien (C-2/90, Slg. 1992, 1-4431 dort Rn. 34) ausgeführt hat, die Besonderheit der Abfälle und der Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen nach Möglichkeit an ihrem Ursprung zu bekämpfen, dass es Sache jeder Region, Gemeinde oder anderen Gebietskörperschaft ist, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Aufnahme, Behandlung und Beseitigung ihrer eigenen Abfälle sicherzustellen, und dass diese daher möglichst nah am Ort ihrer Erzeugung zu beseitigen sind, um ihre Verbringung so weit wie möglich einzuschränken." Allerdings sei der öffentliche Auftraggeber nicht daran gehindert, einen Vertrag mit Bietern zu schließen, die in der Lage sind, die Abfälle möglichst nah am Ort ihrer Erzeugung zu beseitigen. Damit bringt der EuGH wie schon das Oberlandesgericht Düsseldorf in der Entscheidung vom 04.09.2002 das Nebeneinander von Vergaberecht und rechtlichen Regelungen zur Abfallwirtschaftsplanung zum Ausdruck.
43 
Dieses Nebeneinander von Vergaberecht und Abfallwirtschaftsplanung führt jedoch nicht dazu, dass abfallrechtliche Bestimmung damit zu Bestimmungen des Vergaberechts werden, auf die sich der einzelne Bieter berufen kann. Insbesondere kommt derartigen Abfallwirtschaftsplänen keine drittschützende und damit auch keine bieterschützende Wirkung zu.
44 
§ 29 Abs. 1 S. 4 KrW-/AbfG sowie § 15 des Landesabfallgesetzes und der Abfallwirtschaftsplan für Baden-Württemberg, Teilplan Siedlungsabfälle stellen allein auf die im allgemeinen Interesse liegenden Grundsätze der umweltverträglichen und ortsnahen Beseitigung sowie der Entsorgungssicherheit ab, wobei schon nach dem Wortlaut der jeweiligen Bestimmungen Normadressaten die jeweiligen obersten Abfallrechtsbehörden sowie die Beseitigungspflichtigen sind. Nach der Begründung zum Gesetzesentwurf (BT-Drs. 12/5672, S. 48) zum KrW-/AbfG liegt Sinn und Zweck der Pflicht zur Aufstellung von Abfallwirtschaftsplänen in der vorausschauend gestalteten Planung, die durch eine großräumige Betrachtungsweise zu einer zentralen Steuerung der Abfallströme unter Berücksichtigung ökologischer und wirtschaftlicher Aspekte sowie der Ziele der Raumordnung und der Landesplanung führt. Etwaige subjektiv-rechtliche Qualität weist eine derartige großräumige zukunftsweisende Planung nicht auf. Private Interessen, insbesondere der Schutz vor Konkurrenz werden nicht vom Schutzzweck der Abfallwirtschaftsplanung erfasst (vgl. Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 27.08.2004, 12 B 47/04, zitiert nach Juris Rn. 63).
45 
Das Nebeneinander von Vergaberecht und abfallrechtlichen Bestimmungen führt auch dazu, dass sich die Antragstellerin nicht auf das in § 97 Abs. 2 GWB normierte Diskriminierungsverbot berufen kann. Zwar zielt der Gleichbehandlungsgrundsatz darauf ab, dass alle potentiellen Bewerber die gleichen Chancen auf Erlangung des Auftrags erhalten, wobei dies sowohl für die Angebots- als auch für Wertungsphase gilt (Reidt/Stickler/Glahs, a.a.O. § 97; Summa in juris/PK-VergR, a.a.O. § 97 Rn. 74). Eine mögliche Ungleichbehandlung von Bietern, die über Entsorgungskapazitäten in Baden-Württemberg verfügen gegenüber denjenigen wie der Antragstellerin, bei denen dies nicht der Fall ist, ist nicht durch das Vergabeverfahren bedingt, sondern durch zwingend anzuwendende Vorschriften des Abfallrechts. Diese haben, wie bereits festgestellt, keine bieterschützende Wirkung, sondern dienen den Interessen der Allgemeinheit. Dass dies im Einzelfall Auswirkungen auf die spezielle Auftragsvergabe haben kann, führt nicht dazu, dass sich der einzelne Bieter hierauf berufen kann (vgl. Summa in juris/PK-VergR, a.a.O. § 104 GWB Rn. 18).
46 
Die Frage, ob die Autarkieverordnung, das Landesabfallgesetz sowie § 29 Abs. 1 S. 4 KrW-/AbfG in der jetzigen Form mit der EU-Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG vom 19.11.2008 (ABI.EG 2008 L 312 Seite 3 ff.) in Einklang stehen, ist nicht im Rahmen des Vergabeverfahrens zu prüfen.
47 
Im übrigen sei darauf hingewiesen, dass vom BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e.V. bei der europäischen Kommission Beschwerde gegen die in Baden-Württemberg geltende Beseitigungsautarkie für Siedlungsabfälle eingereicht wurde.
48 
b) Der Umstand, dass in Ziffer 2.2 der Verdingungsunterlagen nicht nur die Autarkieverordnung wiedergegeben wurde, sondern in einem angefügten Absatz weitere Angaben hierzu gemacht werden, führt zu keiner anderen Beurteilung.
49 
In den Verdingungsunterlagen wurde über den reinen Verordnungstext hinaus folgendes ausgeführt:
50 
„Hieraus folgt, dass einem Angebot, das die Beseitigung von Abfällen des Auftraggebers in eine Anlage außerhalb des Landes Baden-Württemberg vorsieht, insoweit nur dann der Zuschlag erteilt werden kann, wenn die zuständige Landesbehörde zuvor eine Ausnahme zugelassen hat. Auf die Aus-nähme, die nur vom Auftraggeber als beseitigungspflichtige Körperschaft beantragt werden kann, besteht kein Rechtsanspruch. Diese Ausschreibung begründet eine Verpflichtung des Auftraggebers, eine etwa erforderliche Ausnahme zu beantragen, jedoch nicht die Verpflichtung, sie im Falle ihrer Ablehnung auf dem Rechtsweg durchzusetzen."
51 
Durch diesen Zusatz wird die Verordnung weder verändert noch eingeschränkt, so dass auch diesbezüglich ein Vergabeverstoß nicht vorliegt. Vielmehr wird mit diesem Hinweis nur einer etwaigen Fürsorgepflicht des öffentlichen Auftraggebers gegenüber potentiellen Bietern Rechnung getragen.
52 
Der Zusatz erklärt lediglich die sich für die Bieter aus der Verordnung ergebenen Konsequenzen näher. Satz 1 des Zusatzes dokumentiert, dass neben der Einhaltung der Vergabebestimmungen der Vertragsschluss von einem weiteren, öffentlich-rechtlichen Erfordernis, nämlich der Erteilung der Ausnahmegenehmigung durch die zuständige Landesbehörde abhängig ist. Dass es einer solchen bedarf, ergibt sich aus der Anlage zu § 1 der Autarkieverordnung unter 1.5.5.3. Satz 2 des Zusatzes verdeutlicht zutreffend (siehe oben unter a), dass die Bestimmungen nicht drittschützender Natur sind. Satz 3 des Zusatzes, in dem zwar ein Anspruch auf Beantragung der Ausnahmegenehmigung durch die Auftraggeber dargestellt wird, jedoch eine solche auf Durchsetzung im Falle der Ablehnung auf dem Rechtswege nicht, ist nur Ausgestaltung der zuvor genannten Bestimmung, die keine drittschützende Wirkung für die Bieter hat, sodass auch hierdurch weitergehende Bieterrechte nicht eingeschränkt werden.
53 
Ob etwa dann, wenn im Einzelfall vom öffentlichen Auftraggeber missbräuchlich die Genehmigung nicht beantragt wird, oder ihm ein diesem Sachverhalt gleichkommendes Verhalten vorgeworfen werden kann, ein Vergabeverstoß unter dem Gesichtspunkt fehlerhaften Verwaltungshandelns in Betracht käme, kann vorliegend offen bleiben, da hierzu jeglicher Sachvortrag und die entsprechende Rüge eines derartigen Verstoßes fehlen.
54 
c) Ob und in welchem Umfang den Vergabekammern eine Normverwerfungskompetenz zukommt, braucht vorliegend nicht entschieden werden, da jedenfalls der Prüfungsumfang durch § 97 Abs. 7 GWB begrenzt ist, der vorliegend nicht eröffnet ist.
55 
Hinzu kommt, worauf schon die Vergabekammer in ihrer Entscheidung zutreffend hingewiesen hat, dass das Nachprüfungsverfahren vom in § 113 GWB enthaltenen Gebot der Beschleunigung geprägt ist, mit dem nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsänderungsgesetz (BT-Drucks. 13/9340) vor allem Investitionsblockaden verhindert werden sollen (Reidt/ Stickler/Glahs, a.a.O., § 113 GWB Rn. 2). Mit diesem wäre es schwerlich in Einklang zu bringen, im Rahmen des Vergabeverfahrens derartige, an sich der Fachgerichtsbarkeit zugewiesene Fragestellungen umfassend zu klären.
56 
Im Hinblick darauf, dass der Antragstellern bereits die Antragsbefugnis fehlt, sind Ausführungen zur Begründetheit des Antrags nicht veranlasst.
57 
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 120 Abs. 2, 78 Satz 2 GWB. Der Gegenstandswert wurde entsprechend § 50 Abs. 2 GKG festgesetzt. Da eine Auftragserteilung bisher nicht erfolgt ist, ist maßgeblich die Bruttoangebotssumme der Angebote der Antragstellerin ( vgl. BGH Beschluss vom 25.10.2005, X ZB 15/05 = NZV2006, 392 - zitiert nach Juris).

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