Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 9 AR 9/14

Tenor

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Lehrte bestimmt.

Gründe

 
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Maklerlohn in Höhe von 2.000,00 EUR in Anspruch. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH.
Am 16.08.2013 erließ das Amtsgericht Stuttgart - Mahnabteilung - auf Antrag der Klägerin einen Mahnbescheid gegen die Beklagte. Nach Widerspruch wurde das Mahnverfahren antragsgemäß an das Amtsgericht Offenburg abgegeben. Die Klägerin hatte für die Beklagte eine Geschäftsanschrift in Offenburg angegeben, wo der Mahnbescheid am 20.08.2013 zugestellt worden war. Die Zustellung der Anspruchsbegründung durch das Amtsgericht Offenburg schlug jedoch am 11.03.2014 fehl, weil der „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ sei.
Nach einem Hinweis des Amtsgerichts Offenburg gab die Klägerin eine neue Geschäftsanschrift der Beklagten in 31275 Lehrte an. Dort wurden die Anspruchsbegründung und die Verfügung des Amtsgerichts Offenburg vom 05.03.2014 der Beklagten am 03.04.2014 zugestellt. Das Amtsgericht Offenburg wies daraufhin die Parteien auf Folgendes hin:
„Da die Anspruchsbegründung der Beklagten an ihrem neuen Sitz in Lehrte zugestellt wurde, und die Streitsache nicht alsbald nach Erhebung des Widerspruchs hierher abgegeben wurde…, ist Rechtshängigkeit erst mit Zustellung der Anspruchsbegründung eingetreten (§ 696 Abs. 3 ZPO), weshalb eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Offenburg nicht ersichtlich ist.“
Das Amtsgericht Offenburg regte einen Verweisungsantrag an, den die Klägerin am 30.04.2014 stellte. Nach Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Verweisungsantrag erklärte sich das Amtsgericht Offenburg mit Beschluss vom 20.05.2014 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Amtsgericht Lehrte.
Das Amtsgericht Lehrte hat mit Beschluss vom 12.06.2014 die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Akte dem Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Die Verweisung durch das Amtsgericht Offenburg sei nicht bindend. Das Amtsgericht Offenburg habe nicht berücksichtigt, dass der Erfüllungsort für die Geldschuld der Beklagten in Offenburg liege, denn dort habe die Beklagte bei Eingehung des Maklervertrages ihren Sitz gehabt. Außerdem sei gemäß § 17 Abs. 1 ZPO nicht die Geschäftsanschrift der Beklagten maßgeblich, sondern der im Handelsregister eingetragene Sitz. Dieser liege jedoch nach wie vor in Offenburg, was sich aus einem vom Amtsgericht Lehrte eingeholten Handelsregisterauszug ergebe. In Lehrte habe die Beklagte nie einen Sitz gehabt.
II.
Als örtlich zuständiges Gericht ist das Amtsgericht in 31275 Lehrte zu bestimmen.
1. Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO liegen vor. Denn sowohl das Amtsgericht Offenburg als auch das Amtsgericht Lehrte haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt. Die örtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - ergibt sich aus § 36 Abs. 2 ZPO.
2. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Lehrte beruht auf § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Offenburg ist für das Amtsgericht Lehrte bindend. Nach der gesetzlichen Regelung kommt es nicht darauf an, ob die Verweisung rechtlich zutreffend war.
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3. Das Amtsgericht Lehrte hat allerdings zutreffend darauf hingewiesen, dass die Verweisung nach den in der Rechtsprechung zu § 281 ZPO entwickelten Grundsätzen - ausnahmsweise - dann als nicht bindend anzusehen wäre, wenn sie objektiv willkürlich wäre (vgl. dazu Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 30. Aufl. 2014, § 281 ZPO Rn. 17). Dies kann der Senat jedoch nicht feststellen. Dem Amtsgericht Offenburg ist zwar ein rechtlicher Fehler unterlaufen. Daraus folgt jedoch nicht, dass dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint (vgl. zum Begriff der objektiven Willkür BGH, NJW-RR 2011, 1364, 1365).
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a) Aus dem vom Amtsgericht Lehrte eingeholten Handelsregisterauszug ergibt sich, dass die Beklagte ihren satzungsgemäßen Sitz im Bezirk des Amtsgerichts Offenburg hat. Ein Sitz in einem anderen Gerichtsbezirk hat auch in der Vergangenheit nicht bestanden. Es war daher beim Amtsgericht Offenburg eine örtliche Zuständigkeit sowohl gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO, als auch - im Hinblick auf den geltend gemachten vertraglichen Anspruch - gemäß § 29 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 269 BGB gegeben.
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b) Das Amtsgericht Offenburg hat eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Lehrte angenommen, weil es möglicherweise unterstellt hat, dass mit der Veränderung des Verwaltungssitzes der Beklagten auch eine Verlegung des satzungsgemäßen Sitzes erfolgt sei (vgl. die Verfügung des Amtsgerichts Offenburg vom 24.04.2014). Dies war, wie aus dem Handelsregisterauszug ersichtlich, unzutreffend. Der Registerauszug lag dem Amtsgericht Offenburg allerdings nicht vor. Außerdem hat das Amtsgericht Offenburg, worauf das Amtsgericht Lehrte zutreffend hinweist, einen eigenen Gerichtsstand des Erfüllungsorts, der sich aus dem Sitz der Beklagten zum (früheren) Zeitpunkt der Begründung der Verpflichtung ergab, nicht geprüft und übersehen.
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c) Ein Verweisungsbeschluss kann dann als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar angesehen werden - mit der Konsequenz eines Entfallens der Bindungswirkung -, wenn das verweisende Gericht eine seine Zuständigkeit begründende Norm nicht zur Kenntnis genommen oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat (vgl. BGH, a.a.O.). Eine solche Konstellation ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Die Fehler, die dem Amtsgericht Offenburg unterlaufen sind, können den Vorwurf der Willkür nicht begründen.
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Eine Prüfung der Zuständigkeit anhand von § 29 ZPO mag nahegelegen haben, weil der Inhalt der Anspruchsbegründung darauf hindeutete, dass der Sitz der Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Offenburg lag. Eine Befassung mit dieser Frage drängte sich dennoch nicht derart auf, dass die getroffene Verweisungsentscheidung als schlechterdings nicht auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann. Dabei ist vor allem darauf abzustellen, dass weder die Klägerin noch die Beklagte - die sich im streitigen Verfahren bislang nicht gemeldet hat - die Frage des Erfüllungsorts thematisiert und dazu vorgetragen hatten. Das Amtsgericht Offenburg war dadurch zwar nicht gehindert, die Frage von sich aus aufzugreifen und die dafür maßgeblichen tatsächlichen Umstände durch Erteilung geeigneter Hinweise einer Klärung zuzuführen. Der Umstand, dass es von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, stellt jedoch lediglich einen einfachen Rechtsfehler dar, der die getroffene Entscheidung nicht als offensichtlich unhaltbar erscheinen lässt (ebenso in einem gleichartigen Fall BGH, NJW-RR 2011, 1364, 1365).
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Auch das weitere Versehen des Amtsgerichts Offenburg, das die Veränderung der Geschäftsanschrift - unzutreffend - mit einem neuen Sitz im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO gleichgesetzt hat, bewertet der Senat als einfachen Rechtsfehler, der an der Bindung der Verweisung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO nichts ändert. Das Amtsgericht Offenburg hat übersehen, dass die Änderung der Geschäftsanschrift einer GmbH im Hinblick auf § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht die gleichen Wirkungen hat, wie die Änderung der Wohnanschrift einer natürlichen Person im Hinblick auf § 13 ZPO. Bei der Bewertung dieses Versehens ist zum einen zu berücksichtigen, dass nach der früher geltenden Rechtslage Geschäftssitz und satzungsgemäßer Sitz einer GmbH normalerweise zusammen fielen (vgl. die bis zum 31.10.2008 geltende Regelung in § 4 a Abs. 2 GmbHG a.F.). Zum anderen kann die Verfahrensweise des Amtsgerichts Offenburg auch deshalb nicht als objektiv willkürlich angesehen werden, weil es seine Auffassung (der „neue Sitz“ der Beklagten sei in Lehrte) beiden Parteien mitgeteilt hat. Keine der Parteien hat dieser Auffassung in der Frist zur Stellungnahme widersprochen. Zwar kann der Senat im Nachhinein nicht sicher feststellen, welche Überlegungen das Amtsgericht Offenburg vor der Verweisung tatsächlich angestellt oder - versehentlich - unterlassen hat; es erscheint jedoch zumindest verständlich, wenn das Amtsgericht Offenburg aus dem Verhalten der Parteien eine Bestätigung der eigenen - objektiv fehlerhaften - Auffassung zum Sitz der Beklagten in Lehrte abgeleitet hat (vgl. zu diesem Gesichtspunkt - mögliche Stellungnahmen der Parteien zur Zuständigkeit - BGH, a.a.O.).

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