Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 10 U 19/19

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 31.07.2019 - 6 O 186/18 - wird verworfen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf der untersten Gebührenstufe (bis 500 EUR) festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Parteien streiten um die (Rück-)Zahlung von Anwaltshonorar.
Die Beklagte vertrat die Klägerin in mehreren Vorprozessen beim Landgericht X und ließ ihre anwaltlichen Vergütungsforderungen jeweils im vereinfachten Festsetzungsverfahren (§ 11 RVG) gegen die Klägerin titulieren. Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus diesen vorläufigen Titeln zahlte die Klägerin an die Beklagte insgesamt 8.064,49 EUR (einschließlich Zinsen). Anschließend wurden die Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse auf Beschwerde der Klägerin, mit der sie materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Gebührenforderungen geltend machte, aufgehoben.
Die Klägerin hat erstinstanzlich geltend gemacht, nach Aufhebung der Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse sei die Beklagte zur Rückzahlung der geleisteten 8.064,49 EUR verpflichtet. Eine Aufrechnung mit etwaigen Gebührenansprüchen sei gegenüber der Klage auf Ersatz des Vollstreckungsschadens (§ 717 Abs. 2 ZPO) unzulässig.
Sie hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 8.064,49 EUR zu verurteilen.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
Sie hat die Aufrechnung mit den von ihr geltend gemachten Gebührenforderungen erklärt.
Ausweislich des Verhandlungsprotokolls vom 01.07.2019 (AS I 181 i.V.m. 185 f.; insoweit im Tatbestand des angefochtenen Teilurteils nicht wiedergegeben, sondern lediglich in den Entscheidungsgründen erwähnt) hat die Beklagte überdies - hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit der Aufrechnung - Widerklage hinsichtlich der Gebührenforderungen erhoben und insoweit beantragt, die Klägerin zur Zahlung folgender Beträge an die Beklagte zu verurteilen:
- 444,46 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.09.2016,
- 223,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2017,
- 440,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.09.2016,
- 3.630,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.08.2016,
- 823,42 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.09.2016,
- 2.855,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.09.2016.
Die Klägerin hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.
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Diese sei verspätet und unzulässig.
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Durch das angefochtene Teilurteil vom 31.07.2019, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte gemäß dem Klagantrag zur Rückzahlung verurteilt, die Entscheidung über die Widerklage nebst der Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten und das Teilurteil gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Erlass eines Teilurteils sei hier prozessual zulässig, da nur die Klage, nicht jedoch die Widerklage entscheidungsreif sei. Eine Aufrechnung mit etwaigen Gebührenansprüchen sei gegenüber der Klage auf Ersatz des Vollstreckungsschadens (§ 717 Abs. 2 ZPO) unzulässig.
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Gegen dieses Teilurteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie macht geltend, die angefochtene Entscheidung widerspreche dem Zweck des § 717 Abs. 2 ZPO, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung bewirkte Vermögensverschiebung so schnell wie möglich rückgängig zu machen. Aufrechnung und Widerklage seien unzulässig. Die Beklagte sei deshalb vorbehaltlos zu verurteilen und ihr seien auch die Kosten aufzuerlegen. Auch die angeordnete Sicherheitsleistung sei mit dem Normzweck des § 717 Abs. 2 ZPO unvereinbar.
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Die Klägerin beantragt in der Berufungsinstanz,
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das angefochtene Teilurteil aufzuheben, die Beklagte zur Zahlung von 8.064,49 EUR an die Klägerin zu verurteilen und das Urteil ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
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Sie macht geltend, die Klägerin sei durch das angefochtene Urteil nicht beschwert.
II.
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Die Berufung war nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Denn wie die Beklagte zutreffend bemerkt (...), ist die Klägerin durch das angefochtene Urteil nicht beschwert.
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1. Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt eine Beschwer des Rechtsmittelführers voraus (vgl. BGH NJW 1994, 2697).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dabei zwischen klagender und beklagter Seite zu differenzieren. Auf Seiten der klagenden Partei ist die so genannte formelle Beschwer erforderlich, die nur dann vorliegt, wenn eine gerichtliche Entscheidung von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag der Klagepartei zu ihrem Nachteil abweicht, ihrem Begehren also nicht voll entsprochen worden ist (BGH NJW-RR 2015, 1203 m.w.N.). Demgegenüber bedarf es für die Zulässigkeit des Rechtsmittels eines Beklagten der so genannten materiellen Beschwer. Für diese kommt es nicht darauf an, in welcher Weise er zu dem Klagevorbringen Stellung genommen hat, sondern es reicht aus, ist aber auch notwendig, dass ihm die angefochtene Entscheidung ihrem Inhalt nach nachteilig ist (BGH a.a.O. m.w.N.). Letzteres kann auch bei einer klageabweisenden Entscheidung der Fall sein, etwa wenn ein Prozess- statt einem Sachurteil ergangen (vgl. BGH NJW 1959, 436) oder die Klage als „derzeit unbegründet“ abgewiesen worden ist (BGH NJW 2000, 2988). Die Beschwer muss sich dabei aus der Entscheidung selbst ergeben, wofür der rechtskraftfähige Inhalt der angefochtenen Entscheidung maßgebend ist (BGH NJW-RR 2015, 1203; NJW-RR 1996, 828 m.w.N.).
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2. Vorliegend besteht die Besonderheit, dass der Rechtsstreit die Klägerin in doppelter Weise betrifft, nämlich zum Einen als Klägerin, zum Anderen als Wider-Beklagte. In keiner der beiden Parteirollen wird sie allerdings durch das angegriffene Teilurteil beschwert:
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a) In ihrer Rolle als Klägerin fehlt es an der erforderlichen formellen Beschwer. Das Landgericht hat dem Klagantrag in vollem Umfang entsprochen. Die Klage ist insbesondere nicht teilweise abgewiesen worden.
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b) In ihrer Rolle als Wider-Beklagte ist sie nicht materiell beschwert. Über die Widerklage (und den diesbezüglichen Abweisungsantrag der Klägerin/Wider-Beklagten) hat das Landgericht vielmehr noch gar nicht entschieden. Solange es an einer Entscheidung hierüber fehlt, kann es auch keinen für die Klägerin/Wider-Beklagte nachteiligen Entscheidungsinhalt geben. Gegen eine „Noch-nicht-Entscheidung“ ist keine Berufung eröffnet.
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c) Erst recht ergibt sich für die Klägerin keine Beschwer aus der Kombination beider Gesichtspunkte, also aus dem Umstand, dass das Landgericht nur über die Klage durch Teilurteil entschieden und zugleich die noch nicht entscheidungsreife Widerklage dem Schlussurteil vorbehalten hat. Vielmehr wirkt sich die „vorgezogene“ Entscheidung über die Klage im Wege des Teilurteils ausschließlich zugunsten der Klägerin aus, weil ihr das Teilurteil sofort zur Rückzahlung der unter Vorbehalt geleisteten Gelder verhelfen kann, ohne dass sie das weitere Verfahren über die Widerklage abwarten muss. Das verkennt die - anwaltlich vertretene - Klägerin offenbar.
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d) Es kommt danach nicht mehr darauf an, dass das Landgericht hier zu Recht durch Teilurteil entschieden hat, § 301 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 ZPO. Insbesondere stand nicht entgegen, dass die Beklagte dieselbe Gegenforderung sowohl gegenüber der Klage im Wege der Aufrechnung als auch hilfsweise im Wege der Widerklage geltend macht. Eine solche Antragstellung ist ohne weiteres möglich, wenn - wie hier - die Zulässigkeit der Aufrechnung im Streit steht (vgl. BGH MDR 2007, 1394; MDR 1961, 932). Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht über die Klage vorab durch Teilurteil entschieden, nachdem die Aufrechnung hier an der Aufrechnungsfeindlichkeit der Klagforderung aus § 717 Abs. 2 ZPO scheiterte. Anders als die Klägerin offenbar meint, führt diese Aufrechnungsfeindlichkeit nämlich nicht dazu, dass auch die - davon zu unterscheidende - Widerklage unzulässig wäre. Vielmehr hat auch das OLG Hamm in der von der Klägerin angeführten Entscheidung (Teilurt. v. 19.01.2012 - 24 U 32/11, juris) in einer gleichgelagerten Konstellation gerade durch Teilurteil entschieden (ebenso nachgehend BGH ZInsO 2016, 2203; auch BGH MDR 2007, 1394) und die Entscheidung über die Widerklage dem Schlussurteil vorbehalten.
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3. Nichts anderes gilt, soweit die Klägerin sich offenbar dagegen wenden will, dass das Landgericht die vorläufige Vollstreckbarkeit des Teilurteils nur gegen Sicherheitsleistung angeordnet hat.
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a) Einen Antrag nach § 718 Abs. 1 ZPO, in der Berufungsinstanz vorab über die vorläufige Vollstreckbarkeit zu entscheiden, hat die Klägerin nicht gestellt. Ohnehin hätte ein solcher Antrag eine zulässige Berufung vorausgesetzt (vgl. MünchKomm-ZPO/Götz, 5. Aufl., § 718 Rn. 3; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 718 Rn. 2). Wie ausgeführt ist die Berufung jedoch unzulässig.
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b) Nach § 537 ZPO kann das Berufungsgericht bei einem für vorläufig vollstreckbar erklärten erstinstanzlichen Urteil die angeordnete Sicherheitsleistung aufheben, soweit das Urteil nicht durch die Berufungsanträge angefochten wird. Auch diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil die - anwaltlich vertretene - Klägerin das zusprechende erstinstanzliche Teilurteil mit ihrer (sei es auch unzulässigen) Berufung angreift und ausdrücklich dessen Aufhebung beantragt.
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c) Letztlich würde einem isolierten Antrag gegen die Anordnung der Sicherheitsleistung hier ohnehin das Rechtsschutzbedürfnis fehlen: Denn hätte die Klägerin nicht selbst Berufung eingelegt, wäre das angefochtene Teilurteil mittlerweile rechtskräftig und damit nach § 704 Alt. 1 ZPO ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar.
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d) Nach allem kommt es nicht mehr darauf an, dass ohnehin auch keine Zweifel an der Richtigkeit der landgerichtlichen Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung bestehen können. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung nach § 708 ZPO lagen offensichtlich nicht vor, so dass das Landgericht zutreffend die Regelung des § 709 ZPO angewendet hat, die die vorläufige Vollstreckbarkeit im Grundsatz von einer Sicherheitsleistung abhängig macht. Anders als die Klägerin offenbar meint, spielte dafür auch keine Rolle, ob durch Teil- oder Schlussurteil entschieden wurde. Denn die §§ 708, 709 ZPO unterscheiden für die vorläufige Vollstreckbarkeit nicht zwischen Teil- und Schlussurteilen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Einer eigenen Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Berufungsentscheidung bedarf es nicht, weil die Vollstreckbarkeit unmittelbar aus dem Gesetz folgt, § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Die Regelung des § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO, wonach in Zurückweisungsbeschlüssen nach § 522 Abs. 2 ZPO die vorläufige Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils ohne Sicherheitsleistung auszusprechen ist, gilt nicht für Verwerfungsbeschlüsse nach § 522 Abs. 1 ZPO (MünchKomm-ZPO/Götz, 65. Aufl., § 708 Nr. 17; vgl. auch BGH, Beschl. v. 27.08.1993 – IV ZB 14/93 –, juris).
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Mangels Beschwer war der Streitwert für das Berufungsverfahren auf der untersten Gebührenstufe, d.h. bis 500 EUR, anzusetzen (vgl. BGH NJW-RR 2016, 1150).

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