Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 13 W 7/22 Lw

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners wird Ziffer 3 des Beschlusses des Amtsgerichts Freiburg im Breisgau vom 23.11.2021, Az. 4 XV 11/21, dahingehend abgeändert, dass der Geschäftswert auf 70.486,25 EUR festgesetzt wird.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

2. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

 
I.
Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners im eigenen Namen nach § 32 RVG richtet sich gegen die Geschäftswertfestsetzung in erster Instanz in einer Landwirtschaftssache.
Der Antragsteller, der im Jahr 2007 den väterlichen landwirtschaftlichen Betrieb übernommen hatte, pachtete mit Vertrag vom 23.06.2010 vom Antragsgegner weitere landwirtschaftliche Flächen und Gebäudeteile hinzu. Vertragsbeginn war der 01.07.2010, das Pachtende war auf den 31.12.2023 vereinbart. Die Jahrespacht belief sich auf 9.095,00 EUR. Mit Schreiben vom 20.06.2018 kündigte der Antragsgegner den Vertrag ordentlich zum 30.06.2020; der Antragsteller bestreitet die Wirksamkeit der Kündigung.
Aufgrund dieser Kündigung hat der Antragsgegner gegen den Antragsteller Klage auf Herausgabe der Pachtgegenstände erhoben (Amtsgericht Freiburg, 4 XV 5/21). Mit der Klageerwiderung hat der Antragsteller widerklagend die Fortsetzung des Pachtverhältnisses gemäß § 595 Abs. 6 BGB bis zum 31.12.2029 geltend gemacht. Das Landwirtschaftsgericht hat die Widerklage abgetrennt und im Ausgangsverfahren fortgeführt. Mit Beschluss vom 23.11.2021 hat es den Pachtschutzantrag zurückgewiesen, wobei es die Wirksamkeit der Kündigung zum 30.06.2020 offengelassen hat, und den Gegenstandswert auf Grundlage von § 36 Abs. 1 GNotKG mit dem Betrag für eine Zweijahrespacht bemessen und auf 18.190,00 EUR festgesetzt (AS. 71 ff.).
Gegen diese Geschäftswertbestimmung richtet sich die von den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners in eigenem Namen eingelegte Beschwerde.
Die Geschäftswertfestsetzung des Landwirtschaftsgerichts sei fehlerhaft. Sie richte sich nach § 36 Abs. 1 GNotKG. § 41 Abs. 1 GKG finde keine Anwendung. Die Regelungen in § 41 Abs. 3 und 5 GKG beträfen eindeutig nur Wohnraummietverhältnisse, woraus im Umkehrschluss zu folgern sei, dass auch § 41 Abs. 1 GKG nicht auf Pachtverhältnisse nach § 595 BGB zu erstrecken sei. Auch fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke im Hinblick auf die Aufhebung des § 35 Abs. 1 Nr. 3 LwVfG a.F. Ferner sei eine vergleichbare Interessenlage nicht gegeben, weil § 41 GKG sozialpolitische Erwägungen zugrunde lägen, die eine Privilegierung des Landwirts als Unternehmer nicht begründen könnten. Für die Ermessensentscheidung nach § 36 Abs. 1 GNotKG sei das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an der Pachtfortsetzung maßgeblich. Der Antragsteller trage vor, die wirtschaftliche Existenz des Betriebs mit Umsatzerlösen und Förderung von insgesamt jährlich 48.500,00 EUR stehe auf dem Spiel. Dies stelle sein Interesse am Rechtsstreit dar. Dieses bemesse sich überdies an der begehrten Verlängerung des Pachtverhältnisses ab Wirksamkeit der Kündigung zum 30.06.2020 bis Ende 2029, mithin um 9,5 Jahre. Es ergebe sich ein Geschäftswert von 460.750,00 EUR (9,5 mal 48.500,00 EUR). Sofern eine zeitliche Begrenzung vorgenommen werde, könne diese allenfalls an § 52 Abs. 2 GNotKG orientiert sein, was hier auch nicht zu einem anderen Ergebnis führe.
Die Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners beantragen,
den Streitwert von 18.190,00 EUR auf 460.750,00 EUR heraufzusetzen.
Der Antragsteller verteidigt die Entscheidung des Landwirtschaftsgerichts. Nach Wegfall der spezialgesetzlichen Regelung des § 35 Abs. 1 LwVfG a.F. finde § 41 Abs. 1 GKG wieder unmittelbar Anwendung. Systematische Gründe oder der Gesetzeszweck stünden einer Anwendung des § 41 GKG im vorliegenden Fall nicht entgegen. Sollte man demgegenüber von einer Ermessensentscheidung nach § 36 GNotKG ausgehen, müssten auch die schlechten Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Antragstellers Berücksichtigung finden. Im Übrigen habe der Pachtschutzantrag nach dem Verständnis des Antragstellers auf eine Verlängerung des Pachtverhältnisses nicht über den in der seiner Ansicht nach unwirksamen Kündigung genannten Zeitpunkt, sondern über das vertraglich vereinbarte Pachtende hinaus abgezielt. Auch sei die Ermessensentscheidung des Landwirtschaftsgerichts über die Kosten gemäß §§ 44 f. LwVfG zu berücksichtigen, wonach der Antragsteller die Kosten allein zu tragen habe. Bei einer Heraufsetzung des Streitwerts wie in der Beschwerde beantragt, würde eine Kostenlast von mehr als 30.000,00 EUR bewirkt, was nicht dem billigen Ermessen entsprechen könne.
Das Landwirtschaftsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 24.01.2022 nicht abgeholfen (AS. 95 f.). Der Geschäftswert sei gemäß § 36 Abs. 1 GNotKG nach billigem Ermessen zu bestimmen, weil anderweitige konkrete Regelungen fehlten. Unter Berücksichtigung der Wertung des § 48 Abs. 1 GNotKG erachte es das Gericht als sachgerecht, den Geschäftswert hier mit der doppelten Jahrespacht anzusetzen. Eine Festsetzung auf den 9,5-fachen Jahresertrag entspreche nicht dem billigen Ermessen und läge weit über dem Geschäftswert im Fall einer Eigentumsübertragung.
II.
10 
Die gemäß § 83 Abs. 1 GNotKG, § 32 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
11 
Der Geschäftswert für das Pachtschutzverfahren war gemäß § 36 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GNotKG auf 70.468,25 EUR festzusetzen.
12 
1. In gerichtlichen Verfahren nach § 1 Nr. 1 LwVfG – also auch in Pachtschutzverfahren betreffend Entscheidungen nach § 595 Abs. 6 BGB wie vorliegend – ist der Geschäftswert nach den Vorschriften des GNotKG zu bestimmen (vgl. von Selle, in: von Selle/Huth, LwVG, 2017, § 1 Rn. 63 ff.).
13 
a) Grundnorm für die Wertfestsetzung ist § 36 Abs. 1 GNotKG. Danach ist der Wert in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit nach billigem Ermessen zu bestimmen, soweit sich der Geschäftswert aus den Vorschriften des Gesetzes nicht ergibt. Die Vorschrift ist keine (generell) subsidiäre Bewertungsvorschrift, wird aber von vorrangigen Sonderregelungen verdrängt (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 20.02.2017 – 3 W 47/15, juris Rn. 22 ff.). Eine Entscheidung nach billigem Ermessen kommt auch dann nicht in Betracht, wenn es zwar an einer vorrangigen Geschäftswertvorschrift fehlt, der Wert der Angelegenheit aber aus sonstigen Gründen feststeht, sich insbesondere nach den Bewertungsvorschriften der §§ 46 bis 54 GNotKG bestimmen lässt (vgl. Zivier, in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2021, GNotKG § 36 Rn. 8; Heinemann, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, GNotKG § 36 Rn. 9, 17; Bormann, in: Korintenberg, GNotKG, 21. Auflage 2020, § 36 Rn. 6; vgl. auch Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drs. 17/11471, S. 138). Spezialität besteht dabei nur innerhalb des Anwendungsbereichs der jeweiligen Spezialvorschrift, und § 36 Abs. 1 GNotKG bleibt anwendbar, soweit daneben Bewertungslücken zu schließen sind. Die Norm eignet sich aber nicht als Grundlage von „Kulanzbewertungen“ oder eines sonstigen Entgegenkommens gegenüber dem Kostenschuldner (vgl. Diehn, in: Bormann/Diehn/Sommerfeld, GNotKG, 4. Auflage 2021, § 36 Rn. 4, 27; Bormann, a.a.O.; hierzu unten bb) (2)).
14 
b) Für Verfahren über Pachtschutzanträge nach § 595 Abs. 6 BGB bestehen keine speziellen Geschäftswertvorschriften, insbesondere ist die besondere Geschäftswertregelung des § 99 GNotKG nicht anwendbar (aa). Die Bewertung des Anspruchs auf Verlängerung des Pachtvertrages ist allerdings anhand der speziellen Regelung des § 52 GNotKG vorzunehmen. Eine gemäß § 36 Abs. 1 GNotKG zu schließende Bewertungslücke besteht vorliegend nur insoweit, als unklar ist, ob die Kündigung des Pachtverhältnisses zum 30.06.2020 wirksam ist, und mithin nicht feststeht, ab wann der Pachtschutzantrag zu einer Verlängerung des Pachtverhältnisses hätte führen können (bb).
15 
aa) Eine speziellere Geschäftswertvorschrift gibt es für die vorliegende Konstellation nicht: Vorrangige Regelungen sind insbesondere die in Abschnitt 7 Unterabschnitt 3 zusammengefassten und für Gerichte und Notare gleichermaßen geltenden besonderen Geschäftswertvorschriften der §§ 40 bis 45 GNotKG und die nur für die Gerichtskosten geltenden besonderen Geschäftswertvorschriften in Kapitel 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2, §§ 63 bis 76 GNotKG, sowie für die Notarkosten die besonderen Regelungen in Kapitel 3. Eine speziellere Geschäftswertregelung für Verfahren betreffend Pachtschutz findet sich nicht. Insbesondere hat der Gesetzgeber in § 76 GNotKG, in dem für bestimmte Verfahren vor dem Landwirtschaftsgericht der Geschäftswert geregelt ist, keine Bestimmung des Werts für Verfahren gemäß § 595 Abs. 6 BGB getroffen.
16 
In § 99 GNotKG ist der Geschäftswert zwar für die Beurkundung eines Pachtvertrags besonders geregelt, die Norm findet allerdings nur auf die notarielle Tätigkeit Anwendung, nicht auf das gerichtliche Verfahren. Ein Fall des § 36 Abs. 4 GNotKG, in dem sich die Gerichtsgebühren nach den für Notare geltenden Vorschriften bestimmen, ist hier nicht gegeben. Voraussetzung hierfür wäre, dass das Gericht – anders als im vorliegenden Fall – notarielle Tätigkeiten wie Beurkundungen ausübt, etwa für Erbausschlagungen und Anfechtungserklärungen, oder die Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses (vgl. Soutier, in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, 35. Edition, Stand 01.10.2021, GNotKG § 36 Rn. 36; Waldner, in: Rohs/Wedewer, HK-GNotKG, 117. Aktualisierung August 2017, § 36 Rn. 75).
17 
bb) Der geltend gemachte Pachtverlängerungsanspruch ist nach § 52 GNotKG zu bewerten (1). Die Wertbestimmung nach dieser Norm führt – bis auf die dargestellte Frage des Beginns des Pachtschutzverlangens – zu einem klaren Ergebnis, weshalb für eine ergänzende Anknüpfung an die Bewertungskriterien des § 36 Abs. 1 GNotKG nur betreffend dieser Frage Raum ist (2).
18 
(1) § 52 Abs. 1 GNotKG erfasst nach seinem klaren Wortlaut nicht nur dingliche, sondern auch schuldrechtliche Ansprüche auf wiederkehrende oder dauernde Nutzungen oder Leistungen, worunter auch Pachtansprüche fallen (vgl. Kawell, in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2021, GNotKG § 52 Rn. 4 Stichwort „Pachtvertrag“; Leiß, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, GNotKG § 52 Rn. 10). Die Regelung gilt nicht nur für die erstmalige Begründung der von ihr erfassten Rechte, sondern auch für deren spätere Veränderung (vgl. Leiß, a.a.O., Rn. 11; Schwarz, in: Korintenberg, GNotKG, 21. Auflage 2020, § 52 Rn. 23).
19 
Soweit vereinzelt vertreten wird, § 52 GNotKG finde im Hinblick auf die speziellere Regelung in § 99 GNotKG auf Miet-, Pacht- und Dienstverträge keine Anwendung (so Diehn, in: Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 4. Auflage 2021, § 52 Rn. 7; Lutz/Mattes, in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, 35. Edition, Stand 01.10.2021, GNotKG § 52 Rn. 2), überzeugt dies im Hinblick auf den beschränkten Anwendungsbereich des § 99 GNotKG (s.o. aa)) nicht. Wie stets gilt auch hier: Nur soweit § 99 GNotKG als lex specialis reicht, kann er § 52 GNotKG verdrängen (vgl. Leiß, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, GNotKG § 52 Rn. 10).
20 
(2) Nach § 52 Abs. 1 GNotKG ist bei einem Anspruch auf wiederkehrende oder dauernde Nutzungen der Wert anzusetzen, den diese für den Berechtigten haben. Bei auf eine bestimmte Zeit beschränkten Rechten – wie es hier der Fall ist –, ist gemäß § 52 Abs. 2 S. 1 GNotKG der auf die Dauer des Rechts, gemäß § 52 Abs. 2 S. 2 GNotKG jedoch maximal der auf die ersten 20 Jahre entfallende Wert maßgebend.
21 
Während der Gesetzgeber in §46 GNotKG für bewegliche und unbewegliche Sachen konkrete Vorgaben zur Wertbestimmung gemacht hat, fehlen entsprechend detaillierte Regelungen in §52 GNotKG. Dass der Gesetzgeber für die grundsätzliche Wertfindung zu Nutzungsrechten von den anerkannten Maßstäben abweichen wollte, ist nicht ersichtlich, weshalb für die Wertfindung auf die allgemein gültigen und insbesondere in §46 GNotKG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken zurückzugreifen ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 17.10.2018 – 34 Wx 238/17, juris Rn. 9). Danach ist der für § 52 GNotKG maßgebliche Jahreswert nach objektiven Kriterien zu bestimmen, wobei – entsprechend § 46 GNotKG – der Verkehrswert maßgeblich ist. Ist eine Gegenleistung in Geld für das Recht vereinbart, so spiegelt diese regelmäßig auch den objektiven Wert des Anspruchs wider. Fehlt es an der Vereinbarung einer Gegenleistung, ist die ortsübliche Vergleichsmiete/-pacht zu bestimmen. Führt auch dies zu keinem Ergebnis, ist der Jahreswert hilfsweise gemäß § 52 Abs. 5 GNotKG mit 5 % des Verkehrswerts des zu nutzenden Gegenstands zugrunde zu legen (vgl. Kawell, in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2021, GNotKG § 52 Rn. 16 ff.; Lutz/Mattes, in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, 36. Edition, Stand 01.01.2022, GNotKG § 52 Rn. 3; Leiß, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, GNotKG § 52 Rn. 20).
22 
Für die Wertbestimmung kommt es nicht darauf an, welchen Umsatz der Berechtigte aus der Nutzung generiert oder welchen Schaden der Entzug der Nutzung für ihn verursachen würde (im Ergebnis ebenso OLG Rostock, Beschluss vom 05.10.2020 – 3 W 98/20, juris Rn. 10, wonach nicht auf den Ertrag einer auf gepachteten Dachflächen installierten Photovoltaikanlage abzustellen ist). Denn der erzielte Umsatz bildet weder den Verkehrswert noch den objektiven Wert der Nutzung für den Berechtigten ab, sondern den Wert der vom Berechtigten an Dritte erbrachten Leistungen. Dieser wird zwar durch Nutzung der verpachteten Flächen erzielt, ist aber wesentlich geprägt durch den Arbeitseinsatz des Berechtigten.
23 
Maßgeblich ist vielmehr regelmäßig die zuletzt vereinbarte Jahrespacht, hier in Höhe von 9.095,00 EUR. Gemäß § 52 Abs. 2 GNotKG ist der auf die Dauer des Rechts entfallende Wert für den Gegenstandswert zugrunde zu legen. Die Dauer des Verlängerungsanspruchs lässt sich hier allerdings noch nicht abschließend bestimmen, weil unklar ist, ab wann die beantragte Verlängerung gegriffen hätte. Insbesondere hat der Antragsteller die Widerklage nicht nur für den Fall des Obsiegens im Herausgabeprozess gestellt, weshalb nicht ohne Weiteres auf den Zeitpunkt des ordentlichen Pachtendes abgestellt werden kann. Der Beginn hängt von der im Parallelprozess zu entscheidenden Frage ab, ob die Kündigung des Pachtvertrags durch den Antragsgegner zum 30.06.2020 wirksam war. Diese Unklarheit ändert nichts daran, dass es sich um ein auf eine bestimmte Zeit beschränktes Recht im Sinn des § 52 Abs. 2 GNotKG handelt, weil der Endzeitpunkt feststeht. Allerdings trifft § 52 GNotKG keine Regelung für den Fall, dass der Zeitpunkt des Beginns des Rechts durch eine anderweitige Entscheidung bedingt ist und deshalb nicht feststeht. Diese Bewertungslücke ist gemäß § 36 Abs. 1 GNotKG zu schließen, indem nach billigem Ermessen für den Zeitraum zwischen Pachtende bei unterstellt wirksamer Kündigung und vertraglich vereinbartem Pachtende der Geschäftswert herabgesetzt wird. Entscheidend kommt es insoweit auf den Grad der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts, mithin auf den prognostischen Ausgang des Parallelrechtsstreits an (vgl. allgemein hierzu bei bedingten Ansprüchen: Elzer, in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2022, GKG § 48 Anh. I (§ 3 ZPO), Rn. 11 Stichwort „bedingter Anspruch“; vgl. auch BGH, Urteil vom 25.06.1981 – III ZR 96/80, juris Rn. 14). Geboten ist insoweit allerdings nur eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten, weil eine volle Prüfung zu einer Verlagerung des Parallelrechtsstreits in das Verfahren über den Geschäftswert führen würde. Es ist aber nicht Zweck der Entscheidung über den Geschäftswert, die Hauptsacheentscheidung in einem anderen Rechtsstreit zu präjudizieren. Solange der Parallelrechtsstreit nicht entscheidungsreif ist in der Instanz, die über den Geschäftswert entscheidet, ist es daher regelmäßig angemessen, von einem offenen Ausgang auszugehen und den Geschäftswert für den Zeitraum zwischen Pachtende bei unterstellt wirksamer Kündigung und vertraglich vereinbartem Pachtende auf 50 % zu reduzieren.
24 
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend von einem offenen Ausgang des Parallelverfahrens auszugehen, weshalb für den streitigen Zeitraum vom 30.06.2020 bis zum 31.12.2023 (3,5 Jahre) der hälftige Geschäftswert zugrunde zu legen ist, für die restlichen sechs Jahre vom 01.01.2024 bis zum 31.12.2029 den vollen. Danach ergibt sich ein Betrag von 70.486,25 EUR (= 3,5 Jahre * 9.095,00 EUR / 2 + 6 Jahre * 9.095,00 EUR). Die sonstigen in § 36 Abs. 2 GNotKG für die Ermessensausübung bei nichtvermögensrechtlichen Angelegenheiten angeführten Ermessenskriterien spielen jedenfalls für die hier nach § 36 Abs. 1 GNotKG zu treffende, auf diese Teilfrage reduzierte Ermessensentscheidung keine Rolle.
25 
Die Bewertung des Gegenstands nach § 52 GNotKG lässt hier keine weiteren Bewertungslücken, so dass eine ergänzende Anwendung der Bewertungsgrundsätze des § 36 Abs. 1 GNotKG im Übrigen nicht zu erfolgen hat. Nach der Gesetzesbegründung soll der rechtssuchende Bürger im Gerichts- und Notarkostengesetz „über die genaue Höhe der für die Gebühren maßgebenden Geschäftswerte möglichst vollständig im Gesetz Auskunft erhalten“, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich auch bei der Anwendung des § 36 GNotKG die Bewertung von Ansprüchen nach den Bewertungsvorschriften in den §§ 46 bis 54 GNotKG richtet (Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drs. 17/11471, S. 138). Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, wenn wie hier nach den speziellen Bewertungsvorschriften ein Geschäftswert ermittelt werden kann, § 36 Abs. 1 GNotKG als Grundlage für eine Abänderung im Sinn einer „Kulanzbewertung“ oder eines sonstigen Entgegenkommens gegenüber dem Kostenschuldner heranzuziehen (vgl. Bormann, in: Korintenberg, GNotKG, 21. Auflage 2020, § 36 Rn. 6; Diehn, in: Bormann/Diehn/Sommerfeld, GNotKG, 4. Auflage 2021, § 36 Rn. 4, 27, 39).
26 
2. Eine Korrektur des Ergebnisses ist auch nicht mit Blick auf § 48 GNotKG geboten.
27 
Nach § 48 Abs. 1 GNotKG ist der Geschäftswert bei Verfahren „im Zusammenhang mit der Übergabe oder Zuwendung eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs mit Hofstelle“ höchstens mit dem Vierfachen des letzten Einheitswerts zu bemessen. Die Voraussetzungen dieses Kostenprivilegs für die Landwirtschaft, das als Ausnahmetatbestand eng auszulegen ist, sind hier offensichtlich nicht gegeben. § 48 GNotKG privilegiert nicht generell die Landwirte oder sämtliche gerichtliche oder notarielle Verfahren, die land- oder forstwirtschaftlichen Grundbesitz betreffen, sondern unter engen Voraussetzungen allein die im Zusammenhang mit der Übergabe oder Zuwendung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes stehenden Verfahren. Voraussetzung ist, dass ein land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb mit einer Hofstelle betroffen ist, nicht lediglich land- und forstwirtschaftliche Grundstücke. Erforderlich ist weiter, dass der Betrieb unmittelbar nach der Übergabe durch den Erwerber fortgeführt wird und nicht nur einen unwesentlichen Teil der Existenzgrundlage des Erwerbers bildet (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11.08.2016 – I-10 W 23/16, juris Rn. 8). Überdies setzt die Kostenprivilegierung, wie sich aus den beiden genannten Alternativen „Übergabe und Zuwendung“ ergibt und worauf es hier entscheidend ankommt, die Übertragung des Eigentums durch den Übertragenden voraus (vgl. Fackelmann, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, GNotKG § 48 Rn. 21; Kawell, in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2021, GNotKG § 48 Rn. 4 Stichwort „Eigentum“; Soutier, in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, 36. Edition, Stand 01.01.2022, GNotKG § 48 Rn. 7; Tiedtke, in: Korintenberg, GNotKG, 22. Auflage 2022, § 48 Rn. 46; ebenso bereits zu § 19 Abs. 4 KostO: BayObLG, Beschluss vom 08.01.1996 – 3Z BR 278/95, juris Rn. 14; OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.07.2009 – 20 W 328/07, juris Rn. 8). Auch aus der amtlichen Überschrift des § 48 GNotKG folgt, dass die Norm die Bewertung von Verfahrensgegenständen im Zusammenhang mit land- und forstwirtschaftlichem Vermögen regelt, was ebenfalls nahelegt, dass es um Eigentum und nicht um bloße Nutzungsrechte geht. Überdies bezweckt das Gesetz wie schon die Vorgängervorschrift des § 19 Abs. 4 KostO die Erhaltung und Fortführung leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe in Familienbesitz (Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drs. 17/11471, S. 169), mithin von Betrieben im Familieneigentum.
28 
Vor dem Hintergrund dieses begrenzten Anwendungsbereichs und des Gesetzeszweckes verbietet sich eine erweiternde analoge Anwendung der Vorschrift zur Begrenzung des Geschäftswerts von Verfahren betreffend die Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen oder Betrieben. Einen Rechtsgrundsatz, dass der Geschäftswert im Zusammenhang mit einer langjährigen Gebrauchsüberlassung den Wert der Übertragung des Eigentums am überlassenen Gegenstand nicht übersteigen dürfte, gibt es nicht. § 52 Abs. 5 GNotKG, der im Zusammenspiel mit § 52 Abs. 2 GNotKG faktisch zu einer Begrenzung auf den Verkehrswert (nicht auf den vierfachen Ertragswert) führt, ist nur eine Auffangregelung, die erst dann eingreift, wenn der Wert der Nutzung nicht – wie hier – anderweit ermittelt werden kann. So wie der langjährige Pachtzins tatsächlich den Verkehrswert des Pachtgegenstands übersteigen kann, kann dies auch der Gegenstandswert.
29 
3. Schließlich kommt entgegen der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart (Beschluss vom 11.07.2019 – 101 W 4/19, juris Rn. 74) mangels Regelungslücke auch keine analoge Anwendung des § 41 GKG in Betracht (wie hier § 41 GKG nicht anwendend in einem Verfahren gemäß § 593 BGB: OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.07.2017 – 5 WLw 2/17, juris Rn. 21).
30 
Wie dargelegt, regeln die Normen des GNotKG den Gegenstandswert von Pachtschutzverfahren eindeutig und abschließend. Auch widerspräche eine solche Analogie dem erklärten Willen des Gesetzgebers: Mit dem Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz hat er die in § 35 Abs. 1 Nr. 3 LwVfG a.F. vorhandene Privilegierung in den Fällen des § 595 Abs. 6 BGB, wonach der Geschäftswert nach dem Wert der in dem Pachtvertrag vereinbarten Leistungen des Pächters während zwei Jahren bestimmt wurde, abgeschafft. Wie sich aus der Begründung des Gesetzesentwurfs ergibt, wurde die Privilegierung im Hinblick darauf aufgegeben, dass der Gebührensatz für die betroffenen Verfahren vom Doppelten der vollen Gebühr auf eine Gebühr von 0,5 gesenkt wurde (Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drs. 17/11471, S. 177, 213). Die ersatzlose Streichung der Regelung erfolgte mithin in dem Bewusstsein, dass sich der Geschäftswert hierdurch erhöhte. Selbst wenn der Gesetzgeber – was kaum vorstellbar ist – nicht erkannt haben sollte, dass je nach Umfang der Geschäftswerterhöhung die Senkung der Gerichtskosten den Anstieg der Rechtsanwaltskosten nicht zu kompensieren vermag, rechtfertigte dies nicht eine Missachtung der gesetzgeberischen Entscheidung durch Heranziehung des § 41 Abs. 1 GKG. Denn hierdurch würde die gesetzgeberische Entscheidung, die Privilegierung abzuschaffen, in ihr Gegenteil verkehrt und der Geschäftswert auf den Wert einer Jahrespacht begrenzt, mithin gegenüber der Regelung des § 35 Abs. 1 Nr. 3 LwVfG a.F. halbiert. Eine analoge Anwendung rechtfertigt sich auch nicht daraus, dass durch die gesetzliche Regelung für Streitigkeiten betreffend Landpachtverträge in den in § 1 Nr. 1 LwVfG genannten Fällen, insbesondere des Pachtschutzes, der Geschäftswert mit einer erheblich höheren Deckelung (20 Jahre) nach §§ 36, 52 GNotKG zu bestimmen ist, in Streitverfahren demgegenüber mit der Deckelung nach § 41 Abs. 1 GKG (1 Jahr) (so aber OLG Stuttgart, a.a.O.). Dies ist schlicht Ausfluss der gesetzlichen Regelung, wonach für den Landpachtvertrag, soweit keiner der in § 1 Nr. 1 LwVfG genannten Fälle vorliegt, in § 48 Abs. 1 LwVfG die Anwendung der Zivilprozessordnung angeordnet ist mit der Folge der Anwendbarkeit des § 41 GKG (vgl. von Selle, in: von Selle/Huth, LwVG, 2017, § 48 Rn. 11), während in § 9 LwVfG die Fälle des § 1 Nr. 1 LwVfG dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugewiesen und damit der Kostenregelung des GNotKG unterworfen sind. Die im Gesetzesentwurf als Begründung für die Streichung des Kostenprivilegs angeführte Absenkung der Gerichtskosten, wie sie in Nr. 15112 VV GNotKG vorgesehen ist, kennt das GKG ebenfalls nicht.
31 
Soweit in der Begründung des Gesetzesentwurfs im Zusammenhang mit der Streichung der Sonderregelung betreffend Verfahren über die Beanstandung eines Pachtvertrags nach § 8 Abs. 1 LPachtVG darauf hingewiesen wird, dass zum billigen Ermessen im Rahmen einer Entscheidung nach § 36 GNotKG auch die Berücksichtigung der vorhandenen Wertvorschriften gehöre, ändert dies zum einen nichts daran, dass vorliegend kein Raum für eine Ermessenskorrektur des gemäß § 52 GNotKG bestimmten Werts besteht, und ist überdies darauf hinzuweisen, dass auch die Gesetzesbegründung insoweit nicht etwa auf die Regelungen des GKG Bezug nimmt, sondern ausdrücklich auf die Regelungen für die Gebührenberechnung im Fall der Beurkundung des Rechtsverhältnisses, mithin §§ 97 ff. GNotKG (Begründung des Gesetzesentwurfs, BT-Drs. 17/11471, S. 177).
32 
Es hat mithin bei dem gemäß § 36 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GNotKG bestimmten Wert zu verbleiben.
III.
33 
Das Beschwerdegericht hat gemäß § 83 Abs. 1 S. 5 in Verbindung mit § 81 Abs. 6 S. 3 GNotKG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden.
34 
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§83 Abs.3 GNotKG).

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