Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (2. Strafsenat) - 2 Ws 616/14

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Trier vom 9. Oktober 2014 wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

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Der Angeklagte ist vielfach bestraft und hat bereits wiederholt Freiheitsstrafen verbüßt. Die letzte Strafvollstreckung war am 12. September 2012 erledigt. Während der Strafhaft war er durch Urteil des Amtsgerichts Westerburg vom 15. Mai 2012, rechtskräftig seit demselben Tag, wegen eines am 28. Februar 2011 begangenen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Die Vollstreckung wurde auf die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafaussetzung wurde durch Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich vom 14. Mai 2014 (57 BRs 145/12 - StVK 688/12) widerrufen, weil der auch während der Verbüßung von Strafhaft im offenen Vollzug 1.400 € monatlich verdienende Angeklagte der erteilten Zahlungsauflage zuletzt gar nicht mehr nachgekommen war, obwohl er ein monatliches Nettoeinkommen von 1.800 bis 2.800 € erzielte. Die geleisteten 400 € wurden in der Weise angerechnet, dass ein Monat Freiheitsstrafe als verbüßt gilt. Der Widerrufsbeschluss wurde durch Verwerfung der sofortigen Beschwerde des Angeklagten durch Beschluss des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. Juli 2014 (1 Ws 353/14) rechtskräftig.

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Das Amtsgericht - Strafrichter - Wittlich hat den in der Hauptverhandlung geständigen Angeklagten am 14. Juli 2014 wegen eines Mitte Februar 2014 begangenen (Einmietungs)Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Nachdem der Angeklagte durch eigenes Schreiben rechtzeitig Berufung gegen das Urteil eingelegt hatte, wurde ihm das schriftliche Urteil am 6. August 2014 zugestellt.

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Mit am 7. August 2014 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag hat sich Rechtsanwalt E. als Verteidiger des Angeklagten bestellt und zugleich für den Angeklagten beantragt, diesem als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Angeklagte sehe sich aufgrund der Straferwartung und der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht in der Lage, sich selbst angemessen zu verteidigen. Bei dem Angeklagten lägen „psychische Leiden“ vor, „die Krankheitswert“ hätten (Bl. 50 d.A.).

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Nachdem die Strafrichterin am 21. August 2014 in den Akten vermerkt hatte, dass über den Antrag auf Verteidigerbestellung das Berufungsgericht in eigener Zuständigkeit entscheiden solle, legte die Geschäftsstelle des Amtsgerichts mit Verfügung vom 22. August 2014 die Akten gemäß § 320 StPO der Staatsanwaltschaft vor. Mit Verfügung vom 28. August 2014 übersandte die Staatsanwaltschaft die Akten gemäß § 321 Satz 2 StPO an das Berufungsgericht, wo sie am 1. September 2014 eingingen. Gleichzeitig beantragte sie, den Antrag auf Verteidigerbestellung abzulehnen. Nach Ablauf der Begründungsfrist für eine etwaige Rechtsmittelbezeichnung als Sprungrevision und Gewährung rechtlichen Gehörs zum näher begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft auf Ablehnung der begehrten Verteidigerbestellung hat der Vorsitzende der Berufungskammer des Landgerichts Trier durch Beschluss vom 9. Oktober 2014 den Beiordnungsantrag zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen.

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Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der durch Verteidigerschriftsatz vom 14. Oktober 2014 eingelegten Beschwerde.

II.

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1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Die nach § 304 Abs. 1 StPO im Grundsatz statthafte Beschwerde ist nicht nach § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen. Denn bei der Frage der Pflichtverteidigerbestellung handelt es sich um keine der Urteilsfindung vorausgehende, mithin wenigstens mittelbar den Urteilsinhalt betreffende Entscheidung (vgl. Senat, Beschlüsse 2 Ws 588/10 vom 04.01.2011, 2 Ws 582/10 vom 04.01.2011, 2 Ws 520/09 vom 30.10.2009; OLG Koblenz, 1. Strafsenat, Beschlüsse 1 Ws 227/14 vom 02.09.2014, 1 Ws 138/13 vom 08.08.2013, 1 Ws 7/07 vom 11.01.2007; OLG Düsseldorf NStZ 1986, 138; OLG Hamm NStZ 1990, 143; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 141 Rn. 10a). Rechtsanwalt E. hat auch in eindeutiger Weise zum Ausdruck gebracht, dass er das Rechtsmittel nicht - unzulässigerweise - in eigener Person, sondern für den Angeklagten erhebt.

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2. Die Beschwerde erzielt in der Sache jedoch keinen Erfolg.

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a) Der Vorsitzende der Berufungskammer war nach Vorlage der Akten gemäß § 321 Satz 2 StPO für die Entscheidung über den Beiordnungsantrag zuständig.

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Für die Revisionsinstanz ist anerkannt, dass für die Entscheidung über einen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung für das Rechtsmittelverfahren - anders als für die Wahrnehmung der Revisionshauptverhandlung - auch nach Anhängigkeit der Sache bei dem Revisionsgericht mit Vorlage der Akten nach § 347 Abs. 2 StPO grundsätzlich der Vorsitzende des Gerichts, dessen Urteil angefochten ist, zuständig ist (BGHR StPO § 141 Bestellung 3; BGH NStZ-RR 2001, 260; NStZ 2009, 29; Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 6 mwN; a.A. OLG Rostock NStZ-RR 2010, 342). Das gilt jedoch nicht, wenn - wie hier - ein Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung für das Berufungsverfahren unerledigt geblieben ist. Für diesen ist nach § 141 Abs. 4 Satz 1 HS 1 Alt. 2 StPO bis zu dem in § 321 Satz 2 StPO bestimmten Zeitpunkt der Vorsitzende des erstinstanzlich zuständigen Gerichts zuständig. Anders als im Revisionsverfahren geht die Zuständigkeit mit Anhängigkeit in der Berufungsinstanz auch für unerledigt gebliebene Anträge auf den Vorsitzenden der Berufungskammer über. Da eine noch nicht erledigte Beschwerde gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung durch das erstinstanzlich zuständige Gericht mit Vorlage der Akten gemäß § 321 Satz 2 StPO an das Berufungsgericht in einen erneuten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung umzudeuten ist (OLG Stuttgart NStZ-RR 2008, 21; OLG Celle NStZ-RR 2010, 414; Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 10b), wäre es eine bloße Förmelei, zunächst eine Entscheidung des Vorsitzenden des erstinstanzlich zuständigen Gerichts zu verlangen.

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b) Der Vorsitzende des Berufungsgerichts hat die Pflichtverteidigerbestellung auch zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorliegen. Die Sach- und Rechtslage ist nicht schwierig, zumal der Angeklagte in erster Instanz geständig war. Auch die Schwere der Tat gebietet keine Verteidigerbestellung. Maßgeblich ist insoweit vor allem die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung (Senat, Beschluss 2 Ws 10/03 vom 11.02.2003; Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 140 Rn. 23 mwN). Bei einer Straferwartung unter einem Jahr Freiheitsstrafe besteht regelmäßig kein Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO mwN). Da nur der Angeklagte Berufung eingelegt hat, droht ihm keine höhere Freiheitsstrafe als die erstinstanzlich erkannte von sechs Monaten. Dem Angeklagten drohende sonstige schwere Nachteile sind nicht ersichtlich. Ein im Verurteilungsfall drohender Bewährungswiderruf (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 25 mwN) ist nicht zu befürchten. Denn die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Westerburg vom 15. Mai 2012 war bereits aus anderen Gründen als erneuter Straffälligkeit vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung rechtskräftig widerrufen worden. Auch eine Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung ist nicht ersichtlich. Er ist im Umgang mit Strafverfolgungsbehörden seit vielen Jahren erfahren. Konkrete Anhaltspunkte für die vom Verteidiger ohne jegliche Konkretisierung behaupteten „psychischen Leiden“ des Angeklagten „mit Krankheitswert“ bestehen nicht. Der Angeklagte hat selbst form- und fristgerecht Berufung eingelegt und hat sich in erster Instanz selbst zu verteidigen gewusst.

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