Beschluss vom Oberlandesgericht München - 11 W 1457/20

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30.07.2020 dahingehend abgeändert, dass die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten 19.752,63 € statt (16.304,83 €) betragen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Beschwerdewert beträgt 3.447,80 €.

Gründe

I.

Der Kläger machte im Verfahren Schadensersatzansprüche wegen Arzthaftung gegen die Beklagte geltend. Dem zwischen den Parteien geschlossene Vergleich zufolge trägt die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits.

Der Kläger beantragte im Kostenfestsetzungsverfahren unter anderem, die Kosten zweier Privatgutachten gegen die Beklagte festzusetzen. Die Beklagte wandte sich gegen die Festsetzung der Kosten der Privatgutachter. Das vorgerichtliche Gutachten von Prof. Dr. S. sei nicht erforderlich gewesen, weil bereits zwei Gutachten in dem der Klage vorausgegangenen Schlichtungsverfahren eingeholt worden seien. Es sei vom Gericht auch nicht verwertet worden. Das erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung zur Schadenshöhe eingeholte Gutachten von Prof. Dr. M. sei schon aufgrund dieses Umstands nicht sachdienlich gewesen.

Am 30.07.2020 erging Kostenfestsetzungsbeschluss, mit dem die von der Beklagte an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 16.304,83 € festgesetzt wurden. Die Ersatzfähigkeit der Kosten des Privatgutachtens von Prof. Dr. S. und Prof. Dr. M. verneinte die Rechtspflegerin. Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde dem Kläger am 24.08.2020 zugestellt.

Der Kläger legte mit Schriftsatz vom 02.09.2020, eingegangen per Telefax am selben Tag, sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ein.

Der Kläger führt aus, das Gutachten von Prof. Dr. S. sei zur Prozessvorbereitung erforderlich gewesen. In dem von der Schlichtungsstelle eingeholten orthopädischen und unfallchirurgischen Gutachten von Prof. Dr. S. sei ein Behandlungsfehler verneint worden. Im ebenfalls von der Schlichtungsstelle eingeholten gefäßchirurgischen Gutachten sei nur ein Diagnosefehler bejaht worden, während der Klägervertreter der Auffassung gewesen sei, dass ein Befunderhebungsfehler vorlag. Gerade auch weil aus chirurgischer Sicht ein Behandlungsfehler im Schlichtungsverfahren nicht festgestellt worden sei, sei die Einholung des fachtraumatologischen Gutachtens des Prof. Dr. S. erforderlich gewesen, der einen Befunderhebungsfehler festgestellt habe. Das Gutachten sie nicht nur zur Beurteilung der Prozessaussichten, sondern auch zur rechtlichen Begründung der Klageschrift, die an vielen Stellen auf das Gutachten Bezug nehme, notwendig gewesen.

Das Gutachten von Prof. Dr. M. sei zu einem Zeitpunkt eingeholt worden, als die Haftung der Beklagten nur dem Grunde nach feststand. Ohne das Gutachten, aufgrund dessen sich die Parteien über die Höhe der Vergleichssumme geeinigt hätten, sei noch mit einer erheblichen Verfahrensdauer zu rechnen gewesen. Durch das Gutachten sei eine umfangreiche Beweisaufnahme zur Schadenshöhe vermieden worden. Das Gutachten sei notwendig gewesen, um die Schadenshöhe gegenüber der Beklagten nachzuweisen, ohne das Gutachten sei von einer geringeren Vergleichssumme auszugehen gewesen.

Die Beklagte hält die Gutachterkosten nicht für erstattungsfähig. Die vorgerichtlich durch die Schlichtungsstelle eingeholten Gutachten seien ausreichend gewesen, um den Kläger in die Lage zu versetzen, in der Klage vorzutragen. Das Gutachten von Prof. M. habe gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigengutachten, das einen bleibenden Schaden bestätigt habe, keine neuen Erkenntnisse gebracht. Die Vergleichsverhandlungen seien durch das neue Gutachten eher erschwert worden.

Die Rechtspflegerin half der sofortigen Beschwerde unter dem 08.10.2020 nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO) hat auch in der Sache Erfolg. Dem Kläger sind von der Beklagten die Kosten des vorgerichtlich eingeholten Privatgutachten des Prof. Dr. S. zu erstatten, ebenso die Kosten des während des Verfahrens eingeholten Privatgutachtens des Prof. Dr. M. Der Festsetzungsbetrag erhöht sich daher um die Kosten der beiden Gutachten in Höhe von 1.919,00 € und 1.528,80 € auf 19.752,63 €.

1. Nach der Rechtsprechung des BGH sind nach § 91 Abs. 1 ZPO erstattungsfähige notwendige Kosten solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftliche vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. Für die Beurteilung ist auf den Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahme abzustellen (BGHZ 192, 140). Dabei kann die Partei grundsätzlich nur solche außergerichtlichen Kosten geltend machen, die ihr selbst entstanden sind.

Die Kosten eines von einer Partei eingeholten Privatgutachtens sind nach einhelliger Meinung nur ausnahmsweise als Kosten des Rechtsstreits anzusehen. Sie können dann ausnahmsweise zu den erstattungsfähigen Kosten gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind (BGH a.a.O.; BGH DS 2013, 188; BGH VersR 2009, 563). Holt eine Partei ein privates Sachverständigengutachten unmittelbar prozessbezogen ein, wird die Frage, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die kostenauslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte, in der Rechtsprechung des BGH in den Fällen bejaht, in denen die Partei in Folge fehlender Sachkenntnis ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage war (BGH DS 2017, 132, 133). In aller Regel sind die Kosten für ein im Laufe des Rechtsstreits auf Veranlassung einer Partei erstelltes Privatgutachten nicht erstattungsfähig (OLG Köln, NJW-RR, 2010, 751, 751). Entscheidend ist, ob die Partei im Zeitpunkt der Einholung des Privatsachverständigengutachtens die Aufwendung dieser Kosten als notwendig und sachdienlich ansehen konnte.

Die Einholung eines Privatgutachtens während des Rechtsstreits ist in der Regel dann notwendig und sachdienlich, wenn der Partei die nötige Sachkunde fehlt, um ihren Anspruch schlüssig zu begründen, sich gegen die geltend gemachten Ansprüche sachgerecht zu verteidigen oder zu einem ihr ungünstigen, vom Gericht selbst eingeholten Sachverständigengutachten gezielt Stellung nehmen zu können (s. BGH NJW 1990, 122, 123; BGH NJW 2007, 1532; Senatsbeschlüsse vom 19.09.2018 - 11 W 1324/18, 08.05.2014 - 11 W 630/14, 05.06.2013 - 11 W 751/13 und 22.02.2016 - 11 W 192/16; OLG Hamm NJW-RR 1996, 830). Die Kosten eines prozessbegleitend privat eingeholten Sachverständigengutachtens sind deshalb lediglich ausnahmsweise erstattungsfähig, wenn das Gutachten prozessbezogen ist und zudem die eigene Sachkunde der Partei für ein klares Urteil in tatsächlicher Hinsicht nicht ausreicht, so dass sie sich berechtigterweise außer Stande sieht, ihrer Darlegungslast zu genügen, einen gebotenen Beweis anzutreten oder die Angriffe des Gegners sachkundig abzuwehren (OLG Köln a.a.O.). Eine komplette sachverständige Begleitung des Prozesses ist zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in aller Regel nicht erforderlich (OLG Köln a.a.O.). Es steht der Partei zwar jederzeit frei, einen solchen sachverständigen Rat einzuholen, die Kosten sind jedoch nur im Ausnahmefall vom Gegner zu erstatten. Dass die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen über „normale Fachkenntnisse“ hinausgehen, ist der Regelfall bei der Bestellung eines gerichtlichen Sachverständigen und kann nicht dazu führen, dass die Partei in jedem Fall Kosten für die Hinzuziehung eines Privatsachverständigen zur Überprüfung der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen hinzuziehen kann.

Bei der Entscheidung ist aber auch zu beachten, dass das Kostenfestsetzungsverfahren auf eine rasche, vereinfachte, anhand der Prozessakten vorzunehmende gebührenrechtliche Überprüfung zugeschnitten und deshalb knapp, bündig und formal ausgestaltet ist. Die Voraussetzungen zur Berücksichtigung eines Ansatzes sind im Kostenfestsetzungverfahren dazulegen und gemäß §§ 104 Abs. 2 S. 1, 294 ZPO glaubhaft zu machen, dem Rechtspfleger bzw. dem Gericht ist also die Einschätzung zu vermitteln, dass die Voraussetzungen „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ feststehen (BGH, Beschluss vom 13.07.2011 - IV ZB 8/11 Rz. 10; Senatsbeschluss vom 22.02.2016 - 11 W 192/16; Zöller-Herget, ZPO, 33. Aufl., § 104 Rz. 8).

2. Vorliegend sind diese Voraussetzungen für beide Privatgutachten erfüllt.

a) Unter Zugrundlegung dieser Erwägungen müssen die Kosten des Privatgutachtens von Prof. Dr. S. als erstattungsfähig angesehen werden, weil sie aus Sicht einer vernünftigen Partei erforderlich waren. Ein von der Schlichtungsstelle eingeholten Gutachten hatte einen Behandlungsfehler verneint, das weitere nur einen Diagnosefehler bejaht. Der Kläger wollte seine Ansprüche jedoch auf das Vorliegen eines Befunderhebungsfehlers stützen (mit der Folge einer günstigeren Beweissituation für den Kläger). Um hierzu geeigneten Vortrag zu halten, war die Einholung des Privatgutachtens von Prof. S. erforderlich, auf welches der Kläger auch in der Klage verschiedentlich Bezug nimmt. Der Kläger selbst verfügt hierzu nicht über die erforderlichen Fachkenntnisse.

b) Das Privatgutachten Prof. Dr. M. ist ebenfalls als erstattungsfähig anzusehen. Aus Sicht einer vernünftigen Partei war die Einholung erforderlich. Die Parteien befanden sich auf Anregung des Gerichts in Vergleichsverhandlungen während ein Verkündungstermin bestimmt war. Die Beklagte hatte den Kläger im nach der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz vom 30.01.2020 ausdrücklich aufgefordert, den Schaden konkret darzulegen, damit in sinnvolle Vergleichsverhandlungen eingetreten werden könne. Entgegen dem Vortrag der Beklagten im Kostenfestsetzungsverfahren stand daher aufgrund der bisher erhobenen Beweise die Schadenshöhe noch nicht fest. Das Gutachten diente auch nicht nur der Vorbereitung der Vergleichsverhandlungen der Parteien. Bei einer Weiterführung des Verfahrens, das nicht entscheidungsreif war, hätte der Kläger zur Schadenshöhe ebenfalls konkret vortragen müssen, insbesondere zur Frage der zukünftigen Auswirkung des Gesundheitsschadens auf die verschiedenen Lebensbereiche. Hierzu fehlen dem Kläger ebenfalls die erforderlichen Fachkenntnisse.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

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