Endurteil vom Oberlandesgericht München - 25 U 2340/21

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 26.03.2021 wird zurückgewiesen.

II. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26.03.2021, Az. 26 O 11852/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 181.724,05 € zu zahlen, und zwar nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

ab dem 19.11.2015 aus 86.282,77 € (= Rente Juni 2013 - November 2015),

ab dem 02.12.2015 aus 2.892,16 € (= Rente Dezember 2015),

ab dem 04.01.2016 aus 2.892,16 € (= Rente Januar 2016),

ab dem 02.02.2016 aus 2.892,16 € (= Rente Februar 2016),

ab dem 02.03.2016 aus 2.892,16 € (= Rente März 2016),

ab dem 04.04.2016 aus 2.892,16 € (= Rente April 2016),

ab dem 03.05.2016 aus 2.892,16 € (= Rente Mai 2016),

ab dem 02.06.2016 aus 2.892,16 € (= Rente Juni 2016),

ab dem 04.07.2016 aus 2.892,16 € (= Rente Juli 2016),

ab dem 02.08.2016 aus 2.892,16 € (= Rente August 2016),

ab dem 02.09.2016 aus 2.892,16 € (= Rente September 2016),

ab dem 04.10.2016 aus 2.892,16 € (= Rente Oktober 2016),

ab dem 02.12.2016 aus 2.892,16 € (= Rente Dezember 2016),

ab dem 03.01.2017 aus 2.892,16 € (= Rente Januar 2017),

ab dem 02.02.2017 aus 2.892,16 € (= Rente Februar 2017),

ab dem 02.03.2017 aus 2.892,16 € (= Rente März 2017),

ab dem 04.04.2017 aus 2.892,16 € (= Rente April 2017),

ab dem 03.05.2017 aus 2.892,16 € (= Rente Mai 2017),

ab dem 02.06.2017 aus 2.892,16 € (= Rente Juni 2017),

ab dem 04.07.2017 aus 2.892,16 € (= Rente Juli 2017),

ab dem 02.08.201 aus 2.892,16 € (= Rente August 2017),

ab dem 04.09.2017 aus 2.892,16 € (= Rente September 2017),

ab dem 03.10.2017 aus 2.892,16 € (= Rente Oktober 2017),

ab dem 02.11.2017 aus 2.892,16 € (= Rente November 2017),

ab dem 04.12.2017 aus 2.892,16 € (= Rente Dezember 2017),

ab dem 02.01.2018 aus 2.892,16 € (= Rente Januar 2018),

ab dem 02.02.2018 aus 2.892,16 € (= Rente Februar 2018),

ab dem 02.03.2018 aus 2.892,16 € (= Rente März 2018),

ab dem 03.04.2018 aus 2.892,16 € (= Rente April 2018),

ab dem 03.05.2018 aus 2.892,16 € (= Rente Mai 2018),

ab dem 02.06.2018 aus 2.892,16 € (= Rente Juni 2018),

ab dem 03.07.2018 aus 2.892,16 € (= Rente Juli 2018),

ab dem 02.08.2018 aus 2.892,16 € (= Rente August 2018),

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Versicherungs-Nr. 6339609) eine monatliche Rente von 2.892,16 € zu zahlen, zahlbarim Voraus bei Beginn eines Monats, erstmals zu zahlen am 01.09.2018 und längstens bis zum 01.12.2028.

3. Die Beklagte wird veruteilt, an die Klägerin 16.977,54 € zu zahlen, und zwar nebst Zinsen in Höhe von 5 %

ab dem 02.12.2015 aus 3.125,54 € (= Beiträge Dezember 2015 - November 2016)

ab dem 02.12.2016 aus 3.281,80 € (= Beiträge Dezember 2016 - November 2017)

ab dem 02.12.2017 aus 3.445,91 € (= Beiträge Dezember 2017 - November 2018)

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 01.12.2018 von ihrer Beitragszahlungspflicht in der Basisrentenversicherung einschließlich der Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung (Versicherungs-Nr. 6339609) zu befreien.

5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die von ihr zu zahlende Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 2.892,15 € ab dem 01.12.2013 durch einen Rentenzuwachs zu erhöhen, sofern die Beklagte Überschüsse erwirtschaftet hat.

6. Die Beklagte wird veruteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.509,19 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2016 zu zahlen.

7. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer I genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Leistungen wegen behaupteter Berufungsunfähigkeit ab dem 06.06.2013 aus einer bei der Beklagten seit dem 01.12.2007 bestehenden Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend. Hinsichtlich des tatsächlichen Vorbingens der Parteien und des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 277/281 d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht München I hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben. Abgewiesen hat es die Klage hinsichtlich eines Teils der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und hinsichtlich des Klageantrags V, mit welchem die Klägerin die Feststellung begehrt hat, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Berufsunfähigkeitsrente durch einen Rentenzuwachs zu erhöhen, sofern die Beklagte Überschüsse erwirtschaftet hat. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landgerichts wird verwiesen (Bl. 281/293 d.A.).

Beide Parteien haben Berufung eingelegt. Die Beklagte möchte mit ihrer Berufung die Aufhebung des Urteils des Landgerichts und die Abweisung der Klage erreichen. Die Klägerin möchte mit ihrer Berufung die begehrte Feststellung erreichen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Berufsunfähigkeitsrente durch einen Rentenzuwachs zu erhöhen, sofern die Beklagte Überschüsse erwirtschaftet hat. Die teilweise Abweisung der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wird mit der Berufung der Klägerin nicht angegriffen.

Die Klägerin beantragt in der Berufung:

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 26.03.2021 (Az. 26 O 11852/18) festzustellen, dass die Besklagte verpflichtet ist, die von ihr zu zahlende Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 2.892,16 € ab dem 01.12.2013 durch einen Rentenzuwachs zu erhöhen, sofern die Beklagte Überschüsse erwirtschaftet hat.

Die Beklagte beantragt mit der Berufung:

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München vom 26.03.2021, AZ: 26 O 11852/18 die Klage abzuweisen.

Beide Parteien beantragen jeweils

die Zurückweisung der Berufung der jeweiligen Gegenseite.

Auf die Schriftsätze beider Parteien wird Bezug genommen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 09.05.2022 einen Vergleichsvorschlag gemacht sowie Hinweise erteilt und die Sache am 20.09.2022 mündlich verhandelt. Auf den Beschluss vom 09.05.2022 (Bl. 347/355 d.A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2022 (Bl. 368/369 d.A.) wird Bezug genommen.

II.

1. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat der Klage zu Recht überwiegend stattgegeben, weil es den Nachweis dafür, dass die Klägerin ab dem 06.06.2013 zu mindestens 50 % berufsunfähig war, für erbracht und damit die Voraussetzungen für die begehrten Versicherungsleistungen als gegeben angesehen hat.

1.1. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist der Senat an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171; BGH NJW 2004, 1876). Ein solcher Verfahrensfehler läge namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem landgerichtlichen Urteil den Anforderungen nicht genügen würde, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH NJW 1999, 3481, 3482; NJW 2004, 1876 m.w.N.). Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden.

Der Senat nimmt zunächst Bezug auf die Begründung des Ersturteils (S. 8/19, Bl. 281/292 d.A.). Die Einwendungen der Berufung sind nicht geeignet, eine hiervon abweichende Beurteilung zu rechtfertigen

1.2. Der Einwand der Beklagten, das Landgericht habe sich seine Überzeugung zur Ausgestaltung der Tätigkeit der Klägerin nicht allein aufgrund deren Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2019 und 26.02.2021 bilden und dabei davon absehen dürfen, das von der Beklagten angeregte berufskundliche Sachverständigengutachten einzuholen, hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht insoweit dargelegt, dass sich der Tatrichter allein aufgrund der schlüssigen Behauptungen und Angaben des Versicherungsnehmers im Rahmen einer Anhörung nach § 141 ZPO seine Überzeugung bilden darf. Darüber hinaus hat das Landgericht seine Würdigung auch auf die in Augenschein genommenen Lichtbilder gestützt. Im Einzelnen:

1.2.1. Nach § 286 ZPO bezieht sich die Beweiswürdigung auf den gesamten Inhalt der Verhandlung. Verwertbar ist daher der Inhalt der Schriftsätze und ihrer Anlagen sowie die Äußerung bei einer Parteianhörung (Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 286 Rn. 14).

Eine streitige Behauptung ist dann bewiesen, wenn das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugt ist. Nach § 286 ZPO hat der Tatrichter ohne Bindung an feste Regeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Jedoch setzt das Gesetz keine von allen Zweifeln freie Überzeugung voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20 -, BGHZ 231, 1-16, Rn. 19 - nicht notwendig ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit; BGH, Urteil vom 06.05.2015 - VIII ZR 161/14, NJW 2015, 2111; OLG Frankfurt/M, Beschluss vom 29.03.2017 - Az. 12 U 193/15).

1.2.2. Das Landgericht hat der Klägerin deren sorgfältige und genaue Schilderung der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit in gesunden Tagen geglaubt. Dabei hat es auch die im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten und in Augenschein genommenen Fotos mit herangezogen und gewürdigt. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nachvollziehbar und überzeugend (zur Beweisführung durch eine Parteianhörung vgl. auch BGH, Beschluss vom 27.09.2017 - Az. XII ZR 48/17, WM 2018, 53; BGH, Urteil vom 07.02.2006 - VI ZR 20/05, NJW-RR 2006, 672; BGH, Urteil vom 21.02.1996 - Az. IV ZR 300/94; BGH, Urteil vom 14.06.1995 - Az. IV ZR 116/94 -, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 24.04.1991 - Az. IV ZR 172/90, NJW-RR 1991, 983).

1.2.3. Die Beklagte wendet ein, das Erstgericht habe jegliche Beweisaufnahme zur Tätigkeit der Klägerin unterlassen, was nicht zulässig sei. Die Beklagte habe mit Schriftsatz vom 21.05.2019 Art und Umfang der Lieferungen substantiiert bestritten. Dazu sei keine Beweisaufnahme erfolgt. Im Schriftsatz vom 22.03.2021 habe sie darauf verwiesen, dass maßgeblich sei, wie oft Anlieferungen erfolgt seien, in welcher Verpackungsgröße diese erfolgt seien und wie sich die räumlichen Gegebenheiten im Lager der Klägerin dargestellt hätten; ferner ob ein Umverpacken möglich gewesen oder ob Hilfsmittel hätten eingesetzt werden können. Dazu habe sie unter Verwahrung gegen die Beweislast ein berufskundliches Sachverständigengutachten angeboten. Diesen Beweisantrag habe das Gericht nicht übergehen dürfen. Soweit die Beklagte behauptet, das Gericht habe jegliche Beweisaufnahme unterlassen, trifft dies insofern nicht zu, als das Gericht die von der Klägerin vorgelegten Fotos zu den örtlichen Gegebenheiten und der Größe der Lieferungen und Pakete in Augenschein genommen und im Urteil beweiswürdigend berücksichtigt hat. Soweit die Beklagte geltend macht, es hätten Beweismittel wie eine Ortsbesichtigung oder Zeugeneinvernahme zur Verfügung gestanden, ist darauf zu verweisen, dass beides von der Beklagten nicht gegenbeweislich angeboten wurde. Ein entsprechender Beweisantrag der Beklagten wurde vom Landgericht nicht übergangen. Zwar hatte die Klägerin eine Inaugenscheinnahme ihres Arbeitsplatzes angeboten. Diesem Beweisangebot musste das Gericht jedoch nicht nachkommen, nachdem es sich bereits aufgrund der Anhörung der Klägerin und der von ihr vorgelegten Bilder eine ausreichende Überzeugung gebildet hatte (BGH, Urteil vom 23. Juni 1987 - VI ZR 296/86 -, juris). Aber auch der Einholung des von der Beklagten beantragten berufskundlichen Sachverständigengutachtens bedurfte es nicht. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es, wenn aus feststehenden Tatsachen kraft besonderer Fachkunde Schlussfolgerungen gezogen werden müssen, um dem Gericht die Überzeugung von der streitigen Behauptung zu verschaffen, wenn es also um die Vermittlung von Fachwissen geht. Vorliegend war jedoch schlicht tatsächlich festzustellen, wie die Tätigkeit der Klägerin in gesunden Tagen ausgestaltet war. Weder für die Feststellung, wie viele Lieferungen tatsächlich angenommen wurden und wie diese beschaffen waren, noch für die Feststellung der räumlichen Gegebenheiten oder zur Beurteilung der Frage, ob die Gebinde umgepackt werden oder Hilfsmittel eingesetzt werden können, bedarf es besonderer Sachkunde. Es handelt sich insoweit um entweder rein tatsächliche Feststellungen oder um Fragestellungen, die sich schlicht aus rein praktischen Überlegungen ergeben. Zweifel an den vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben sich insoweit nicht.

1.3. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht vorliegend deshalb zur Feststellung von Berufungsunfähigkeit gekommen ist, weil es eine vollständige Einschränkung für den kompletten Wareneingang angenommen und dargelegt hat, dass ohne die Tätigkeiten beim Wareneingang eine sinnvolle Ausübung des Berufs der Klägerin nicht möglich sei, diese also derart prägend sei, dass mit ihrem Fortfallen insgesamt Berufsunfähigkeit eingetreten sei. Zwar trifft es zu, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen die Klägerin auch Pakete bis zu einem Gewicht von 15 kg heben könne, allerdings nur, wenn sie immer wieder Pausen machen könne. So könne sie 15 bis 20 Pakete verteilt auf einen Arbeitstag von 8 Stunden heben, nicht aber, wenn die Pakete in kurzer Zeit vollständig ins Lager verräumt werden müssten. Die Beklagte wendet ein, das Gericht habe keinerlei konkrete Tatsachenfeststellungen dazu getroffen, wie oft Warenlieferungen gekommen seien, in welcher Größe diese erfolgt seien und wie sich die räumlichen Gegebenheiten im Lager der Klägerin dargestellt hätten. Tatsächlich hat das Landgericht jedoch festgestellt, dass die eingehenden Waren in Gebinden, Paketen oder als Europaletten angeliefert würden. Sodann hat es im Einzelnen dargelegt, wie schwer die Pakete sind und dass die Klägerin nach den Ausführungen des Sachverständigen im Bereich Wareneingang zu 100 % berufsunfähig ist. Dies gelte auch für den Wareneingang in Paketen, da auch die Pakete aus Gebinde-Kartons bestünden, die über 10 kg wiegen würden. Die getroffenen Feststellungen tragen in nicht zu beanstandender Weise die Entscheidung des Landgerichts. Aus der von der Klägerin gefertigten detaillierten Übersicht über ihre Arbeitswoche (Bl. 78/91 d.A.) ergibt sich auch, dass die Klägerin mehrfach wöchentlich Waren geliefert bekommen hat. Der Sachverständige hat bei seiner mündlichen Anhörung klargestellt, dass es der Klägerin zumutbar ist, Lasten von 7,5 bis 20 kg kurzfristig zu heben, nicht aber diese über eine längere Strecke zu tragen oder beispielsweise vom Stapel zu heben und auf andere Stapel zu tragen. Sofern beim Wareneingang in Form von Paketen Pakete von über 7,5 kg eingehen würden, könnte sie diese nicht tragen. Damit ergibt sich aberauch nach Einschätzung des Senats - eine vollständige Berufsunfähigkeit für den Bereich des Wareneingangs.

Zu Recht hat das Landgericht insoweit entschieden, dass bei einem Onlinehandel ein sinnvolles Arbeitsergebnis nicht erzielt werden kann, wenn dem Versicherten die Annahme von Waren nicht mehr möglich ist und es deshalb nicht darauf ankommt, dass diese rein zeitlich bei weitem nicht die Hälfte der Arbeitszeit in Anspruch genommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2017, IV ZR 535/15, NJW-RR 2017, 1066 für den Wegfall des wöchentlichen Einkaufs von Lebensmitteln in größeren Packungen bei einer Tätigkeit als Hauswirtschafterin; BGH, Urteil vom 26. Februar 2003 - IV ZR 238/01 -, NJW-RR 2003, 673, für das Tragen der Geldmaschine bei einer Tätigkeit als selbständiger Automatenaufsteller).

1.4. Auch die Einwände der Berufung gegen die Feststellung des Landgerichts, dass die Klägerin ihre Berufsunfähigkeit nicht durch Umorganisation beseitigen könne, greifen nicht durch. Der Klägerin ist eine Umorganisation nicht möglich und zumutbar.

Nach § 2 (1) Abs. 3 der als Anlage K 4 vorliegenden Versicherungsbedingungen legt Berufsunfähigkeit nicht vor, wenn der Versicherte in zumutbarer Weise als Selbständiger nach betrieblich sinnvoller Umorganisation ohne erheblichen Kapitaleinsatz innerhalb seines Betriebs noch eine Tätigkeit ausüben könnte, die seiner Stellung als Betriebsinhaber noch angemessen ist.

Der Selbständige muss daher darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass auch eine zumutbare Betriebsumorganisation keine von ihm gesundheitlich noch zu bewältigende Betätigungsmöglichkeit mehr eröffnet. Es muss sich nach der Umorganisation jedoch eine seiner bisherigen Aufgabe adäquate, zumutbare und sinnvolle Tätigkeit ergeben. Der Versicherte muss sich nicht selbst wegrationalisieren (Lücke in Prölss/Martin, VVG, 30. Auflage, § 172 VVG, Rz. 71; OLG Koblenz, r+s 2015, 304; OLG Dresden, r+s 2002, 521).

1.4.1. Der Einwand der Beklagten, die Überlegungen zur Umorganisation seien schon deshalb fehlerhaft, weil sie auf falschen Feststellungen zur Belastbarkeit der Klägerin beruhten, greift im Ergebnis nicht durch. Zwar wendet die Beklagte zu Recht ein, dass der Sachverständige gerade nicht gesagt hat, dass die Klägerin Lasten über 7,5 kg nicht heben könne. Der Sachverständige hat jedoch ausgeführt, dass die Klägerin Pakete von über 7,5 kg zwar gelegentlich heben könne, in dem Sinn, dass diese kurzfristig angehoben werden könnten, allerdings sei ihr ein Tragen über längere Strecken oder auch ein Stapeln dabei nicht möglich. Die Klägerin könne die Kisten beispielsweise nicht von einem Stapel heben und wiederum auf andere Stapel tragen. Dies sei bei einer Last über 7,5 kg nicht zumutbar. Es handele sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine degenerative Erkrankung. Wenn die Klägerin lediglich 3-4 Kisten mal von links nach rechts rücke, ergäbe sich daraus noch keine dauerhafte Verschlechterung. Aber solange sie dies über einen längeren Zeitraum machen müsse, sei mit einer Verschlechterung auch in besseren Phasen zu rechnen. Um eine angekommene Lieferung in das Lager zu räumen reicht jedoch ein kurzes Anheben der Kisten nicht aus, sondern ist es gerade erforderlich, diese von einem Stapel zu heben und auf einen anderen Stapel zu tragen. Eben darauf bezieht sich ersichtlich die Formulierung des Landgerichts, dass die Klägerin Lasten über 7,5 kg nicht heben oder tragen könne.

1.4.2. Vorliegend stellt sich die besondere Situation, dass die Klägerin ihren Online-Handel in gesunden Tagen alleine betrieben hat. Eine Delegation dergestalt, dass der Betriebsinhaber gesundheitlich nicht mehr durchführbaren Aufgaben auf Mitarbeiter delegiert und gleichzeitig nicht belastende Tätigkeit, die zuvor von Mitarbeitern ausgeführt wurden, nun selbst übernimmt, ist hier nicht möglich.

1.4.3. Zu Recht hat das Landgericht aber auch die Einstellung eines Mitarbeiters zur Durchführung derjenigen Lagerarbeiten, die der Klägerin nicht mehr - oder nur unter Einschränkungen - möglich sind, für nicht zumutbar gehalten. Dabei kann dahinstehen, ob die ab 2014 gestiegenen Mietkosten bei den Überlegungen zur Zumutbarkeit mit berücksichtigt werden konnten. Die Einstellung eines Mitarbeiters für die Lagerarbeiten ist bereits aus folgenden Gründen nicht zumutbar:

Im vorliegenden Fall kann schon deshalb nicht von einer „betrieblich sinnvollen Umorganisation“ ausgegangen werden, weil die Klägerin, als vormals allein arbeitende Selbständige, bei Einstellung eines Mitarbeiters wesentliche Teile ihrer eigenen Arbeiten auf den neu einzustellenden Mitarbeiter übertragen müsste, ohne dass sich andere Tätigkeitsmöglichkeiten für sie ergeben würden (vgl. zur Einstellung eines neuen Mitarbeiters auch OLG Frankfurt, Urteil vom 09. Februar 2000 - 7 U 46/98 -, juris und Prölss/Martin, VVG, 31. Auflage, § 172 VVG, Rz. 71, wonach bei Kleinstbetrieben eine Umorganisation fast immer ausscheidet). Jedenfalls würde die Einstellung eines Mitarbeiters, der Teile der von der Klägerin zuvor selbst ausgeführten Tätigkeiten übernähme, unmittelbar dazu führen, dass der Gewinn der Klägerin um die insoweit anfallenden Personalkosten geschmälert würde (wie tatsächlich auch geschehen). Dabei kann nicht - wie die Beklagte meint - auf das Verhältnis zum Umsatz abgestellt werden, sondern ist vielmehr maßgeblich, welchen Einfluss die zusätzlichen Kosten auf den Gewinn hätten, da nur dieser das wirtschaftliche Ergebnis des Betriebs abbildet. Eine Umorganisation ist jedoch nur dann zumutbar, wenn sie ohne nennenswerte Einkommenseinbuße möglich ist (Lücke, in Prölss/Martin, VVG, 30. Auflage, § 172 VVG, Rz. 70). Bezogen auf das Jahr 2012, in dem die Klägerin einen Gewinn von 43.699 € erwirtschaftet hat, würde bereits die Einstellung nur einer 450,- €-Kraft den Gewinn um 12,35 % schmälern und wäre daher nicht ohne nennenswerte Einkommenseinbuße möglich. Tatsächlich würde überdies die Einstellung nur einer 450,- €-Kraft nicht ausreichen, um die Lagertätigkeiten zu bewältigen. Dies schon deshalb, weil eine solche Kraft nur etwas über 10 Stunden pro Woche arbeitet, die Lagertätigkeit aber über 15 Stunden pro Woche umfasst. Vor allem aber bildeten im vorliegenden Fall die für die Klägerin nicht mehr ohne Einschränkung ausführbaren Lagerarbeiten (Warenannahme und Versand) einen Teil eines Gesamtvorgangs, bei dem Klägerin in gesunden Tagen zunächst sämtliche Bestellungen per EDV erfasst, die Rechnungen erstellt und den Versand vorbereitet hat und sodann die entsprechenden Pakete gepackt hat. Dabei ergibt sich denknotwendig, dass der Umfang der täglich erforderlichen Versandarbeiten von dem - von der Klägerin nicht zu steuernden - Umfang der Auftragseingänge und das Auspacken und Einlagern neuer Waren vom Eingang der Lieferungen abhängig war. Es handelte sich also nicht um eine in ihrem Umfang immer gleiche und zeitlich planbare Teiltätigkeit (wie z.B. das wöchentliche Erledigen eines Einkaufs), so dass ein Mitarbeiter zwangsläufig in einem größeren zeitlichen Rahmen zur Verfügung stehen müsste, als tatsächlich Aufgaben vorhanden wären. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann die Einstellung eines Mitarbeiters für die Lagerarbeiten nicht als wirtschaftlich sinnvolle Umorganisationsmaßnahme angesehen werden.

Zwar macht die Beklagte zu Recht geltend, dass die fortgesetzte Fortführung des Online-Handels durch die Klägerin grundsätzlich gegen eine Berufsunfähigkeit spricht. Jedoch zeigen die vorgelegten Steuerbescheide (Anlage B4 und B5) und Einnahmen-Überschussrechnungen (Anlagen K55-57 und K 47), dass der Einsatz des Personals - unabhängig von den Mietkosten - zu keinem wirtschaftlich sinnvollen Betriebsergebnis mehr geführt hat. So hat die Klägerin im Jahr 2013 noch Einnahmen von 46.291,- € generieren können, in den Jahren 2014, 2015, 2016 und 2017 sind (bei Personalkosten von 7.498,92 €, 8.193,63 €, 9.682,64 € und 12.194,07€) die ausgewiesenen Gewinne jedoch auf 16.279,57 €, 17.971,85 €, 8.250,61 € und -7.143,03 € gesunken. Soweit die Klägerin - wie sie selbst angibt - im Jahr 2013 trotz bestehender Schmerzen noch weitergearbeitet hat, führt dies nicht dazu, dass damit die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit zu verneinen seien, da ein überobligatorisches Arbeiten trotz bestehender Schmerzen und zum Nachteil der eigenen Gesundheit die Berufsunfähigkeit nicht entfallen lässt. Der Sachverständige hat auch für das Jahr 2013 bereits eine vollständige Einschränkung beim Heben, Tragen und Stapeln von Gewichten von über 7,5 kg als gegeben angesehen.

1.4.4. Zu Recht hat das Landgericht auch die anderen von der Beklagten angesprochenen Umorganisationsmaßnahmen als nicht möglich bzw. zumutbar angesehen. Es hat sich in nicht zu beanstandender Weise aufgrund der Angaben der Klägerin in der mündlichen Handlung und der vorgelegten Lichtbilder die Überzeugung gebildet, dass die Verwendung von technischen Hilfsmitteln, wie einer Sackkarre, aufgrund der örtlichen Gegebenheiten (Stufe am Eingang und Enge im Lagerraum) nicht möglich ist, zumal die Sackkarre auch nicht hilft, um Kartons in die Höhe zu stapeln. Für die Annahme, dass die Anmietung eines erheblich größeren Lagerraums (um ein in die Höhe Stapeln zu vermeiden) zusätzliche hohe Mietausgaben begründet hätte, bedurfte es keiner besonderen Sachkunde. Dass die Mietpreise in München generell und die gewerblichen Mieten zumal sehr hoch sind, ist allgemein bekannt. Auch dass es nicht möglich ist, ankommende Lieferung zeitlich versetzt im Lager zu verstauen und in der Zwischenzeit den Lieferwagen warten bzw. die (hochpreisigen) Waren vor dem Lager im Freien am Straßenrand stehen zu lassen, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.

2. Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Die von der Klägerin begehrte Feststellung, dass die Beklagte ihr eine Überschussbeteiligung in Form eines Rentezuwachses zusätzlich zur Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen habe, sofern die Beklagte Überschüsse erwirtschaftet hat, ist zu treffen.

2.1. Eine solche Überschussbeteiligung in Form eines Rentezuwachses ist in dem als Anlage K1 vorgelegten Versicherungsschein, dort zur Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Seite 3), vorgesehen. Dort heißt es:

„Überschussverwendung

(…)

nach Eintritt der Berufsunfähigkeit

für die Beitragsbefreiung Einrechnung i.d. Hauptversicherung

für die Rente: Rentenzuwachs“

2.2. Entsprechend ist in § 11 letzter Absatz der als Anlage K4 vorgelegten Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Verbindung mit einer fondsgebundenen Basisrentenversicherung (Tarif BZ 21) unter der Überschrift „Wie ist die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung am Überschuss beteiligt?“ geregelt, dass während der Leistungszeit der jährliche Überschussanteil für die Erhöhung der Berufsunfähigkeitsleistungen verwendet wird. Dadurch ergäbe sich eine steigende Leistung (Rentenzuwachs). Dieser werde erstmals - gegebenenfalls anteilig - zu Beginn des nach Eintritt der Berufsunfähigkeit folgenden Versicherungsjahres zugeteilt und getrennt für die Beitragsbefreiung und für die ggf. mitversicherte Rente ermittelt. Der Rentenzuwachs, der auf die Beitragsbefreiung entfalle, werde in die Hauptversicherung eingerechnet und erhöhe das Fondsguthaben der Hauptversicherung, während der Rentenzuwachs, der auf die mitversicherte Rente entfalle, zusammen mit der Rente in gleichen Raten ausgezahlt werde. Daraus ergibt sich, wie von der Klägerin geltend gemacht, dass ihr - sofern Überschüsse erwirtschaftet wurden - eine Überschussbeteiligung in Form eines Rentenzuwachses zusteht, der zusammen mit der Rente auszuzahlen ist.

2.3. Von der Überschussbeteiligung zu unterscheiden ist die auf der sechsten Seite des Versicherungsscheins (bzw. in § 5 der als Anlage B2 vorgelegten Zusatzbedingungen für die fondsgebundene Basisrentenversicherung mit Dynamik nach Modus P) vorgesehene Dynamik, bei der der Beitrag jährlich zu Beginn des Versicherungsjahres um 5 % des Vorjahresbeitrags erhöht wird. Insoweit ist im letzten Absatz des Abschnitts Dynamik im Versicherungsschein geregelt, dass während der Leistungspflicht der Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung sich die versicherten Leistungen weiter erhöhen, dies jedoch mit Ausnahme der Berufsunfähigkeitsrente. Die von der Klägerin mit dem ursprünglichen Klageantrag V geltend gemachte und mit der Berufung weiter verfolgte Feststellung bezieht sich jedoch auf die Überschussbeteiligung nicht auf die Dynamik.

2.4. Im Schreiben vom 10.03.2016 (Anlage K5), in dem die Beklagte die Klägerin über die aktuelle Höhe der monatlichen Berufsunfähigkeitsrente informiert hat, hat auch die Beklagte mitgeteilt, dass sich die angegebene Leistung zusätzlich um den Rentenzuwachs nach Eintritt der Berufsunfähigkeit zu Beginn des nächsten Versicherungsjahres (01.12.2013) erhöhe. In der Berufungsinstanz hat sie ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung (Schriftsatz vom 18.05.2021, Bl. 310 d.A.) damit begründet, dass der Anspruch nicht bestehe, weil der Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht geführt sei. Da - wie oben dargelegt - das Landgericht den Nachweis jedoch zu Recht als geführt angesehen hat, steht auch dies dem Anspruch der Klägerin auf den Rentenzuwachs nicht entgegen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, § 543 Abs. 2 ZPO. Die hier maßgebliche Frage, ob der Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit gelungen ist, unterliegt alleine einer Beurteilung im Einzelfall.

Verkündet am 13.10.2022

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