Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Strafsenat) - 2 ARs 6/10

Tenor

Die Zuständigkeitsbestimmung wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Durch Beschluss vom 23. Januar 2003 hat die 1. Kammer für Rehabilitierungssachen des Landgerichts Halle das gegen den Betroffenen Heimerziehung verhängende Urteil des Kreisgerichts Aschersleben vom 12. August 1966 für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben. Die Feststellung einer zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung unterblieb. Auf die Beschwerde des Betroffenen änderte das Oberlandesgericht Naumburg diese Entscheidung am 3. Juli 2003 teilweise ab und stellte fest, dass sich der Betroffene in der Zeit vom 29. April 1966 bis zum 9. August 1966 zu Unrecht in Untersuchungshaft befand. Der anschließende Heimaufenthalt blieb dagegen unberücksichtigt.

2

Der Betroffene begehrt nunmehr die Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Begründung, es habe sich bei seinem Heimaufenthalt um eine rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung gehandelt, die im Zuge der Rehabilitierungsentscheidung festzustellen gewesen sei.

3

Sowohl das Landgericht Halle als auch das Landgericht Magdeburg halten sich für unzuständig. Das Landgericht Halle legt die Sache nunmehr dem Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.

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Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg vertritt in ihrer Stellungnahme die Auffassung, das Landgericht Halle habe über die Wiederaufnahme zu entscheiden.

II.

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Eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat kommt nicht in Betracht.

6

Im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren finden das Gerichtsverfassungsgesetz und die Strafprozessordnung entsprechende Anwendung (§ 15 StrRehaG). Hierzu gehören auch die Vorschriften über die Bestimmung des zuständigen Gerichts (§§ 14, 19 StPO). Das gemeinschaftliche obere Gericht muss allerdings die Zuständigkeitsbestimmung ablehnen, wenn keines der bislang streitenden Gerichte zuständig ist (BGH NStZ 1997, 255; 2001, 110). Hiervon geht der Senat aus. Für die Entscheidung über die Wiederaufnahme ist kein Landgericht, sondern das Oberlandesgericht zuständig (§ 15 StrRehaG, § 367 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 140a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1sowie Abs. 6 Satz 1 GVG analog).

7

Die streitenden Gerichte ziehen ihre sachliche Zuständigkeit für die Wiederaufnahme nicht in Zweifel. Dies beruht auf der bisher wohl herrschenden Auffassung, wonach die Besonderheiten des Rehabilitierungsverfahrens die Kompetenz der tätig gewordenen Rehabilitierungskammern zur Entscheidung über Wiederaufnahmegesuche selbst dann mit sich brächten, wenn es sich bei der verfahrensabschließenden Entscheidung um eine solche des Beschwerdegerichts handelt (OLG Brandenburg NStZ-RR 2000, 308 f.; OLG-NL 2005, 22, 23 m.w.N.; OLG Jena, Beschluss vom 28. September 1999, 2 Ws-Reha 19/99 – zitiert in juris Rn. 15). Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

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Die gesetzliche Regelung ist eindeutig. Gemäß § 15 StrRehaG gelten die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz entsprechend. Die Wiederaufnahmebestimmungen finden sich in §§ 359 ff. StPO, wobei es unschädlich ist, dass dort die Wiederaufnahme nur für durch Urteil rechtskräftig abgeschlossene Verfahren vorgesehen ist, während über die Rehabilitierung ausschließlich durch Beschluss entschieden wird (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG). Werden Verfahren an Stelle eines Urteils rechtskräftig durch Beschluss beendet, ist auch im Strafverfahren die Wiederaufnahme statthaft (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., vor § 359 Rn. 5 m.w.N.). Nichts anderes kann gelten, wenn das Gesetz für die Entscheidung über die Rehabilitierung ausschließlich die Beschlussform vorsieht, weil das Gericht über den Antrag in der Regel ohne mündliche Verhandlung entscheidet (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG).

9

Für die gerichtliche Zuständigkeit verweist § 367 Abs. 1 Satz 1 StPO auf die besonderen Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes, mithin § 140a GVG. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Verweisung im Rehabilitierungsverfahren nicht zum Tragen kommt. Im Gegenteil dürfte sich aus den Wiederaufnahmevorschriften in § 140a Abs. 1 Satz 1 GVG, § 584 ZPO, § 48 Abs. 2 FamFG, § 153 Abs. 1 VwGO, § 134 FGO, § 179 Abs. 1 SGG und § 79 ArbGG der allgemeine Grundsatz herleiten lassen, dass für die Wiederaufnahme das Gericht bzw. ein gleichrangiger Spruchkörper zuständig ist, dessen Urteil mit der Wiederaufnahme angegriffen wird, wenn es tatsächlich und rechtlich in der Sache entschied. Dazu gehört auch das Rechtsmittel- insbesondere das Berufungsgericht. Im Rehabilitierungsverfahren kommt die Rolle des Berufungsgerichts den Beschwerdesenaten des Oberlandesgerichts zu. Es besteht danach kein Grund, dem Gesetzgeber ohne tatsächliche Anhaltspunkte zu unterstellen, er hätte mangels „klarer“ gesetzlicher Aussagen mit § 15 StrRehaG nur eine unvollständige Verweisung vornehmen und die Wiederaufnahmevorschriften der StPO und des GVG nicht anwenden wollen. Vielmehr führt diese Auffassung zu einer der Wiederaufnahme fremden ausschließlichen Zuständigkeit der Rehabilitierungskammern.

10

Die Unanfechtbarkeit der Entscheidungen der Beschwerdesenate im Wiederaufnahmeverfahren (vgl. § 15 StrRehaG i.V.m. §§ 372 Satz 1, 304 Abs. 4 Satz 2 StPO) gibt den Gerichten nicht die Möglichkeit, von gesetzlich bestimmten Zuständigkeitsvorschriften abzuweichen, zumal § 591 ZPO zeigt, dass es der Gesetzgeber hinnimmt, wenn Wiederaufnahmeentscheidungen keinem Rechtsmittel unterliegen, selbst wenn der angegriffenen Entscheidung zwei Tatsacheninstanzen voraus gingen (BGH NJW 1982, 2071; Beschluss vom 5. Dezember 1980, V ZB 10/80 – zitiert in juris; PG/Meller-Hannich, ZPO, § 591 Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl. 2010, § 591 Rn. 4). Denn die Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren tritt formell an die Stelle des in dem früheren Verfahren in derselben Instanz erlassenen Urteils (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 591 Rn. 1) und die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts vom 3. Juli 2003 konnte der Betroffene nun einmal nicht anfechten.

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Einer Vorlage an den Bundesgerichtshof bedarf es nicht, weil es hier nicht um eine Beschwerdeentscheidung des Senats im Sinne von § 13 Abs. 4 StrRehaG geht.


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