Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Strafsenat) - 1 Ws 442/12
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 4. Strafkammer – große Strafvollstreckungskammer – des Landgerichts Stendal vom 14. September 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Prüfung und Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an dieselbe Kammer des Landgerichts Stendal zurückverwiesen.
Gründe
I.
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Die 4. Strafkammer – Strafvollstreckungskammer – des Landgerichts Stendal (Az.: 504 StVK 25/12) hat mit Beschluss vom 14. September 2012 – erneut - die Fortdauer der durch Urteil des Landgerichts Dessau vom 27. Januar 2004 (6 Ks 331 Js 12176 /03 – 07/03) verhängten Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
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Grundlage der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal vom 14. September 2012 war auch ein Sachverständigengutachten des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. M. vom 01. Februar 2012 und der fachärztliche Bericht der Vollzugseinrichtung vom 09. Mai 2012.
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Der Beschluss vom 14. September 2012 wurde dem Verteidiger am 25. September 2012 zugestellt. Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 25. September 2012, eingegangen am selben Tag beim Landgericht Stendal, legte der Betroffene sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 14. September 2012 ein.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hat mit Zuschrift vom 19. Oktober 2012 beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur neuen Prüfung an das Landgericht Stendal zurückzuverweisen.
II.
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Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1, 311 StPO) und hat derzeit Erfolg. Die Entscheidungsfindung des Landgerichts Stendal entspricht nicht den Verfahrensvorschriften im Vollstreckungsverfahren (siehe hierzu auch die Entscheidung des Senats vom 03. September 2012, 1 Ws 362/12).
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Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG). Aus der freiheitssichernden Funktion des Art 2 Abs. 2 GG ergeben sich Mindestanforderungen für eine zuverlässige Wahrheitserforschung, die auch für die im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu beachten sind (BVerfG, 3. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 22. November 2011, 2 BvR 1334710, StV 2012, 292, 293). Daher gilt auch für das Verfahren der Unterbringung das Gebot bestmöglicher Sachverhaltsaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297, 309). Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Landgerichts Stendal nicht gerecht.
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Nach § 67e Abs. 1 Satz 1 StGB überprüft die zuständige Strafvollstreckungskammer, ob die weitere Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist. Die tatsächlichen Feststellungen haben sich somit nicht allein auf eine Legalprognose zu beschränken, sondern es ist immer auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 63 StGB (noch) vorliegen. Ist dies nicht der Fall oder ist die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig, ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Abs.6 StGB für erledigt zu erklären. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die Voraussetzungen der Unterbringung von Anfang an nicht vorgelegen haben (Fehleinweisung), oder ob sie später weggefallen sind. Entscheidend ist allein, ob sich später im Vollstreckungsverfahren zweifelsfrei ergibt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung entweder von vornherein nicht vorgelegen haben oder aber nachträglich weggefallen sind, da in beiden Fällen der Zweck der Unterbringung erreicht oder nicht (mehr) erreichbar ist (OLG Rostock, Beschluss vom 08.Februar 2007, I Ws 438/06, zitiert nach Juris).
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Das Landgericht Stendal hat den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die weitere Unterbringung konnte nicht rechtsfehlerfrei ergehen, da das von der Kammer eingeholte Gutachten des externen Sachverständigen Prof. Dr. M. vom 01. Februar 2012 nicht den Anforderungen an ein unparteiisches Prognosegutachten genügen konnte.
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Beauftragt wurde der Sachverständige durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 05. September 2011. In dem Beschluss wurde nicht nach einer Störung des Betroffenen im Sinne der §§ 20, 21 StGB gefragt, sondern die Strafvollstreckungskammer ist davon ausgegangen, dass (noch) eine psychiatrische Erkrankung des Betroffenen vorliegt. In dem Beschluss vom 05. September 2011 heißt es wörtlich:
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„ Es soll ein psychiatrischen Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt werden, ob von dem Betroffenen aufgrund (Anmerkung: Hervorhebung durch den Senat) seiner psychiatrischen Erkrankung weitere rechtswidrige Taten zu erwarten sind und unter welchen Voraussetzungen eine günstige Täterprognose gestellt werden könnte“.
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Damit hat die Strafkammer bereits vorausgesetzt, dass bei dem Verurteilten noch eine psychiatrische Erkrankung vorliegt und dies damit dem Gutachter Prof. Dr. M. quasi vorgegeben. Dies sollte aber gerade erst Gegenstand des Gutachterauftrages sein. Eine ergebnisoffene Begutachtung des Betroffenen war daher schon nicht mehr möglich und auch nicht zu erwarten.
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Gemäß § 463 Abs. 4 StPO ist aber nach jeweils fünf Jahren vollzogener Unterbringung ein Gutachten eines sog. externen Gutachters einzuholen, um der Gefahr einer Routinebeurteilung vorzubeugen (Meyer- Goßner, StPO, 55. Aufl.; § 463 StPO, Rd. 10). Wenn aber dem Gutachter bereits das Ergebnis vorgegeben wird – der zu Begutachtende habe eine psychiatrische Krankheit - wird dieses Ziel des Gesetzgebers, ein zuvor nicht mit dem Untergebrachten befasster Sachverständiger solle die Begutachtung vornehmen, um so eine unvoreingenommen Begutachtung sicherzustellen, konterkariert. Das Gutachten des Prof. Dr. M. vom 01. Februar 2012 konnte daher schon aus formalen Gründen nicht Grundlage einer Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sein.
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Hinzu kommt, dass aus dem Gutachten auch nicht ersichtlich ist, ob die Intelligenzminderung des Untergebrachten noch dem Kriterium des Schwachsinns des § 20 StGB (siehe hierzu: Fischer, StGB, 59. Aufl.; § 20 StGB, Rd. 35) entspricht oder ob der Alkoholismus noch einer schweren anderen seelische Abartigkeit i. S. d. § 20 StGB entspricht.
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Voraussetzung für eine weitere Vollstreckung der Maßregel nach § 63 StGB ist aber, dass die Maßregel nicht für erledigt zu erklären oder zur Bewährung auszusetzen ist.
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Die Erledigung der Unterbringung ist aber zu erklären, wenn der im Urteil festgestellte Zustand überhaupt nicht bestanden hat oder aber nachträglich vollständig entfallen ist (vgl. LK- Rissing- van Saan/ Peglau, StGB, 12. Aufl., § 67d, Rd. 50; MK - Veh, StGB, 2. Aufl., § 67d Rd. 28; Sch/Sch/Stree/Kinzing, StGB, 28. Aufl., § 67d Rd. 16). Dies ist dann der Fall, wenn bei dem Untergebrachten keine krankhafte seelische Störung, keine tiefgreifende Bewusstseinsstörung, kein Schwachsinn und auch keine schwere andere seelische Abartigkeit (mehr) diagnostiziert werden kann. Hierzu verhält sich das Gutachten des Prof. Dr. M. nicht.
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Eine ausreichende sichere Beurteilung der Sachlage ist derzeit bereits aus fachlichen Gründen nicht möglich. Die fachärztlichen Berichte der Vollzugseinrichtung, zuletzt vom 09. Mai 2012, reichen als Beurteilungsgrundlage hier nicht mehr aus, da das letzte Gutachten eines externen Sachverständigen, das forensisch- psychiatrische Gutachten des Prof. Dr. Mr. , auf den 05. Juli 2007 datiert und hier nicht auf ein externes Gutachten verzichtet werden konnte, da hier die Unterbringung schon länger als fünf Jahre andauert und aus der Sollvorschrift des § 463 Abs.4 StPO eine Mussvorschrift wird ( vgl. Meyer- Goßner, a. a. O, § 463 StPO, Rd. 10). Dies hat auch die Strafvollsteckungskammer des Landgerichts Stendal erkannt.
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Aufgrund des Verfahrensfehlers des Landgerichts Stendal musste die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung auf der Grundlage eines aktuellen externen Prognosegutachtens zurückverwiesen werden.
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Die Strafvollstreckungskammer wird nun nach ihrer Auswahl zügig einen neuen anderen Sachverständigen zu bestellen haben, der willens und in der Lage ist, ein Gutachten zeitnah und schnellstmöglich zu erstatten.
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Der Gutachterauftrag hat sich dabei nicht nur auf eine Gefährlichkeitsprognose zu beschränken, sondern es muss die Frage geklärt werden, ob bei dem Untergebrachten der zur Einweisung führende Zustand (Schwachsinn) weiterhin besteht und ob die Störungen ggf. auch die nach § 20 StGB erforderliche Schwere aufweisen.
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Wird eine (fortdauernde) Störung mit dem Schweregrad der §§ 20, 21 StGB festgestellt, ist zu untersuchen, ob aufgrund dieser Störung weiterhin davon auszugehen ist, dass von dem Verurteilten erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, wobei der symptomatische Zusammenhang zwischen den diagnostizierten Störungen und den zu erwartenden Taten herzustellen ist.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat erneut (vgl.: Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2007, 1 Ws 656/07) darauf hin, dass die Maßregelvollzugseinrichtung sich darum bemühen müsste, eine geeignete Einrichtung für den Verurteilten zu finden. Diesbezügliche Fortschritte sind für den Senat nicht zu erkennen.
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Einstweilen dauert die Unterbringung aufgrund der Entscheidung des Landgerichts Stendal vom 05. September 2011 fort.
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Referenzen
- StGB § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus 2x
- StGB § 67e Überprüfung 1x
- 504 StVK 25/12 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 21 Verminderte Schuldfähigkeit 2x
- StPO § 311 Sofortige Beschwerde 1x
- StGB § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen 6x
- StPO § 463 Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung 5x
- 1 Ws 362/12 1x (nicht zugeordnet)
- 1 Ws 656/07 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Strafsenat) - I Ws 438/06 1x
- StPO § 454 Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung 1x
- StGB § 67d Dauer der Unterbringung 1x