Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 W 58/12 (PKH)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Halle vom 20. August 2012 insoweit teilweise abgeändert, als dem Antragsteller auch für den Antrag zu 3) aus dem Klageentwurf vom 24.11.2011 zu den gleichen Bedingungen ratenfreie Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt wird.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
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Nach einem Badeunfall wurde der Antragsteller bei der Antragsgegnerin am 24. Juli 2008 operiert und am 30. Juli 2008 zur Streitverkündeten verlegt. Auf Grund einer Verletzung der Speiseröhre, deren Ursache streitig ist, mussten diverse weitere Operationen durchgeführt werden. Am 28. Juli 2010 konnte der Antragsteller aus dem Krankenhaus entlassen werden. Er wird noch immer über eine Darmsonde ernährt; die orale Aufnahme von Nahrung und Getränken ist ihm nicht mehr möglich. Er muss ständig medizinisch überwacht werden und hat ein Tracheostoma. Dieser Zustand ist irreversibel.
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Mit dem Antrag (Ziffer 1) vom 24.11.2011 begehrt der Antragsteller Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Schmerzensgeld von mindestens 200.000,00 € zzgl. einer Rente von monatlich 500,00 € (Klageantrag Ziff. 2), Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden (Klageantrag Ziff. 3) und Freistellung von den außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von 2.994,40 € (Klageantrag Ziff. 4). Der Antragsteller behauptet, die Verletzung der Speiseröhre sei auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen. Außerdem wirft er dem Antragsgegner vor, die Verletzung sei nicht zeitnah nach der Operation behandelt worden.
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Das Landgericht hat mit Beschluss vom 20. August 2012 Prozesskostenhilfe für die Klageanträge zu 2) und 4) bewilligt, die Bewilligung für den Klageantrag zu 3) aber abgelehnt und zur Begründung angeführt, die Klage biete insofern keine Aussicht auf Erfolg, weil der Antragsteller weder ein Feststellungsinteresse habe noch einen entsprechenden materiellen Feststellungsanspruch ausreichend dargelegt habe.
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Gegen diesen ihm am 29. August 2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom selben Tag, bei Gericht eingegangen am 31. August 2012, sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, er erhalte Grundpflege durch die Pflegeversicherung und Leistungen für Behandlungspflege durch die Krankenversicherung, die indes nicht zeitgleich erbracht werden könnten. Da ein Teil der Behandlungspflege mit den Leistungen durch die Grundsicherung finanziert werde, komme es regelmäßig zu Finanzierungslücken, die vom Umfang der Grundpflege und der Unterstützung von Familienangehörigen abhängig und überdies Änderungen unterworfen seien, die noch nicht beziffert werden könnten. Ebenso erhöhten sich die Kosten für etwaige zukünftige Urlaube. Letztlich könnten Fahrtkosten, Kosten für beschädigte Kleidung, nicht von der Krankenkasse übernommene Medikamente, für Hilfsmittel oder Pflegemittel entstehen, die gleichsam jetzt nicht absehbar seien.
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Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 27. September 2012 nicht abgeholfen.
II.
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1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 127 Abs. 2, 569 ZPO) worden.
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2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch im Hinblick auf das Feststellungsbegehren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 S. 1 ZPO).
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a) Das für eine Feststellungsklage notwendige Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ist stets gegeben, wenn der Anspruchsgegner seine Einstandspflicht bestreitet oder einer drohenden Verjährung entgegengewirkt werden soll und der Eintritt zukünftiger Schäden nicht ausgeschlossen ist. Dies erfordert die Darlegung, dass eine künftige Schadensfolge möglich ist, jedoch ihre Art oder ihr Umfang sowie ihr Eintritt derzeit noch ungewiss sind. Soweit im Rahmen eines solchen Feststellungsantrags der klagende Patient den Eintritt späterer Schadensfolgen behauptet, dürfen an die Darlegung der erforderlichen Wahrscheinlichkeit des Eintritts solcher Spätfolgen nur maßvolle Anforderungen gestellt werden. Es genügt insofern, dass der Kläger die aus seiner Sicht bei verständiger Würdigung nicht eben fern liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch das Auftreten weiterer Folgeschäden aufzeigt(BGH, VersR 1991, 779; FAKomm-MedR/H. Prütting, 2. Aufl., Köln 2012, § 256 ZPO, Rdn. 2 f.). Nur dann, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben sein kann, mit dem Eintritt von (Spät-) Schäden zu rechnen, ist eine solche Feststellungsklage nicht anzuerkennen (BGH, VersR 1991, 704, 705; Wenzel/Hensen, Der Arzthaftungsprozess, Köln 2012, Kap.2, Rdn. 2627).
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b) Auch für die Frage der Begründetheit des Feststellungsantrags bedarf es zusätzlich keiner hinreichenden, über die bloße Möglichkeit hinausgehenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, zumindest wenn Spätschäden in Rede stehen und ein (Grund-) Schaden bereits entstanden ist - oder im Rahmen der Prozesskostenhilfe das Gericht bereits - wie hier - eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung hinsichtlich des Grundschadens bejaht hat. Anderenfalls würde dem Kläger, was ihm bei den Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben wird, bei der Frage der Begründetheit wegen dort strengerer Anforderungen wieder genommen (Wenzel/Hensen, Kap.2, Rdn. 2634 ff.; Wenzl-FA MedizinR/Wenzel, Köln 2007, Kap. 7, Rdn. 280). Dies gilt erst Recht im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren, in dem die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden dürfen (Prütting, a.a.O. § 114 ZPO, Rdn. 4).
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c) Hiernach kann der Vortrag des Klägers zu möglichen Folgeschäden nicht als unzureichend angesehen werden. Insbesondere sind auch noch nicht bezifferbare zukünftige Mehrkosten in Folge der Wahrnehmung von Urlaub entgegen der Ansicht des Landgerichts ersatzfähige Positionen, die im Rahmen eines solchen Feststellungsantrags gesichert werden können. Sofern das Landgericht ausführt, dass solche Mehrkosten nicht auf dem Behandlungsfehler, sondern vielmehr auf der Inanspruchnahme von Urlaub beruhten, und es damit wohl meint, dass der Kläger auch ohne den in Rede stehenden Krankheitsverlauf Urlaubsreisen getätigt hätte, ist ihm im Ausgangspunkt zuzustimmen. Es verkennt jedoch, dass ein Urlaub des Antragstellers auf Grund seiner Behinderung auch ohne etwaige Behandlungskosten höhere Kosten verursachen wird - nicht nur wegen des Pflegepersonals -, als sie bei den üblichen Erholungsreisen die Mehrheit der Bevölkerung aufzuwenden pflegt, und diese Kosten auch die Mitreisenden teilweise treffen. Dass freilich eine Vorteilsausgleichung vorzunehmen sein wird und der Antragsteller nicht den gesamten Urlaub wird geltend machen können, sondern eben nur die Mehraufwendungen, hat aber auf die feststellbare Schadensposition dem Grunde nach keinen Einfluss (OLG Celle VersR 1975, 1103). Gleichsam sind, wie vom Antragsteller hinreichend geltend gemacht, ein vermehrter Kleider- und Wäscheverschleiß, Mehrkosten für Hilfsmittel und Fahrtkosten grundsätzlich ersatzfähig (Drees, VersR 1988, 784), sodass es auf die Pflegekosten nicht mehr ankommt. Mehr musste der Antragsteller angesichts der schweren Krankheit, die den Eintritt von Spätfolgen umso wahrscheinlicher macht, im Prozesskostenhilfeverfahren nicht vortragen.
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3. Dem Antragsteller war aufgrund der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen, da er nicht über einzusetzendes Vermögen verfügt.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 127 Abs. 4, 118 Abs. 1 S. 4 ZPO.
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