Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (10. Zivilsenat) - 10 W 2/13 (PKH), 10 W 2/13
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stendal vom 12. Oktober 2012, Az: 21 O 29/12, abgeändert und dem Antragsteller für die erste Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt D., O., bewilligt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
I.
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Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchsetzung von Ansprüchen auf immateriellen Schadenersatz und für die Feststellung der Ersatzpflicht künftiger materieller Schäden, die ihm daraus entstehen, dass er in der Justizvollzugsanstalt B. in der Zeit vom 25. Januar 2010 bis zum 21. Februar 2011 keinen Kraftsport betreiben durfte.
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In der Justizvollzugsanstalt B. sei ihm nicht die Möglichkeit eingeräumt worden, Kraftsport zu betreiben, obwohl dies medizinisch geboten gewesen wäre. Hierdurch sei ihm ein irreparabler Gesundheitsschaden entstanden, insbesondere seien Herzbeschwerden, eine Vergrößerung der linken Herzkammer mit einer geringen Erniedrigung der Ejektionsfraktion und ein erhöhtes kardiales Risiko hervorgerufen worden. Ihm stünde für die erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen und Schmerzen mindestens ein immaterieller Schadenersatz in Höhe von 8.000 € zu. Das Abtrainieren sei medizinisch indiziert gewesen, weil er zuvor exzessiv Kraftsport betrieben habe. Bis zu seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt B. Ende Januar 2010 habe er Kraftsport betreiben dürfen. Am 12. Februar 2010 habe er wegen seiner Beschwerden erstmals den Anstaltsarzt aufgesucht. Es bestehe die Wahrscheinlichkeit weiterer gesundheitlicher Komplikationen.
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Die Justizvollzugsanstalt B. habe den Inhalt des Beschlusses des Landgerichtes Stendal vom 02. Mai 2011, Az: 508 StVK 1029/10, nicht beachtet. Hiernach war sie verpflichtet worden, dem Antragsteller das ärztlich angeordnete Betreiben von Kraftsport zu gewähren. Zudem habe sie entgegen des Beschlusses nicht erneut über seinen Antrag auf Verlegung in den offenen Vollzug bzw. in eine Wohngruppe entschieden. Er sei für die Verlegung in den offenen Vollzug oder in eine Wohngruppe aber geeignet gewesen. Die Nichtverlegung in den offenen Vollzug stelle durch die harten psychischen und physischen, die Freiheit beschränkenden Bedingungen eine zusätzliche Belastung dar, die einen immateriellen Schadenersatzanspruch in Höhe von mindestens weiteren 2.000 € rechtfertige. Zum Beweis seiner Behauptungen stützt sich der Antragsteller auf die Verfahrensakten des Landgerichtes Stendal in der Sache 508 StVK 1029/10 einschließlich der Krankenakte und die Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie auf das Zeugnis des Anstaltsarztes der Justizvollzugsanstalt B..
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Der Antragsgegner ist dem Prozesskostenhilfebegehren entgegengetreten. Die beabsichtigte Klage sei nicht hinreichend substantiiert. Es fehle an konkreten Angaben zum Gesundheitszustand. Es sei auch nicht ersichtlich, dass sich die linke Herzkammer erst während des Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt B. vergrößert habe. Die Vergrößerung könne wegen des exzessiven Betreibens von Kraftsport und des Konsums von Betäubungsmitteln auch schon vor der Inhaftierung entstanden sein. Einen Schaden habe der Antragsteller durch eine Pflichtverletzung des Antragsgegners nicht erlitten. Für die rechtswidrige Verfahrensweise der Justizvollzugsanstalt B. habe er eine hinreichende Genugtuung dadurch erfahren, dass die Strafvollstreckungskammer die Rechtswidrigkeit deutlich festgestellt habe. Am 13. Mai 2011 habe der Antragsteller auf eine Neubescheidung seines Antrages auf Verlegung in den offenen Vollzug verzichtet und erklärt, es sei ihm nur um das Betreiben von Kraftsport gegangen. Aus den Gründen des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal vom 21. Dezember 2010, Az: 508 StVK 85/10, über die Ablehnung der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung, die sich das Land zu Eigen mache, und wegen der nicht auszuräumenden Gefahr des Missbrauchs sei der Antragsteller auch weder für eine Wohngruppe noch für einen offenen Vollzug geeignet gewesen. Der Begründungsmangel der aufgehobenen Entscheidung habe sich nicht ausgewirkt.
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Mit Beschluss vom 12. Oktober 2011 hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Stendal das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe einen Schaden oder eine körperliche oder seelische Beeinträchtigung nicht schlüssig dargelegt. Es fehle an Vortrag zu den behaupteten Schmerzen und zu dem aktuellen Gesundheitszustand. Aus der beigezogenen Akte des Landgerichts Stendal, Az: 508 StVK 1029/10, ergebe sich, dass der Antragsteller am 08. September 2010 gegenüber dem Chefarzt Dr. Bn. keine Symptome eines Belastungsentzuges und keine körperlichen Beschwerden angegeben habe. Nur am 30. April 2010 habe der Antragsteller über Herzschmerzen geklagt und am 26. Mai 2010 ein gelegentliches Zucken in der Brust dokumentieren lassen. Soweit Dr. S. am 10. Juni 2010 „ein gewisses kardiales Risiko“ festgestellt habe, falls der Antragsteller keine Gelegenheit zum Abtrainieren erhalte und dass der erzwungene Wechsel zu Fußball und Laufen ein zusätzliches Risiko beinhalte, sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich diese Risiken verwirklicht hätten. Die Vergrößerung des linken Ventrikels aber beruhe nach dem Inhalt der ärztlichen Stellungnahme auf dem schon vor der Inhaftierung betriebenen Kraftsport. Gesundheitliche Beeinträchtigungen könnten allenfalls in der Zeit von der Aufnahme des Antragstellers in der JVA B. am 25. Januar 2010 bis zur Gewährung der Möglichkeit des Kraftsportes mit hinreichend schweren Gewichten von max. 90 kg ab 21. Februar 2011 aufgetreten sein. In der ausgebliebenen erneuten Entscheidung über die Aufnahme in den Wohngruppen- oder offenen Vollzug habe keine einen Schmerzensgeldanspruch rechtfertigende schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde oder des Persönlichkeitsrechtes des Antragstellers gelegen. Etwaige Beeinträchtigungen seien durch den Beschluss des Landgerichts Stendal vom 02. Mai 2011 ausgeglichen.
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Gegen diesen - ihm am 17. Oktober 2012 zugestellten - Beschluss richtet sich das am 29. Oktober 2012 beim Landgericht Stendal eingegangene Rechtsmittel des Antragstellers, mit dem er geltend macht, der ärztliche Befund von Dr. S. vom 12. Oktober 2010 spreche, anders als das Landgericht meine, für einen Gesundheitsschaden. In der Missachtung des Beschlusses des Landgerichts Stendal vom 02. Mai 2011 durch die Justizvollzugsanstalt liege auch eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung.
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Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Stendal hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 07. Januar 2013 nicht abgeholfen und das Rechtsmittel dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 20. März 2013 hat der Antragsteller den angekündigten Feststellungsantrag, wie oben dargestellt, beschränkt und nunmehr erklärt, in welcher Höhe er jeweils immateriellen Schadenersatz für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen infolge des zwangsweise unterbliebenen Kraftsportes und für die Beeinträchtigung durch die Vollzugsbedingungen begehrt. Er habe während der gesamten Haftzeit in der JVA B. unter Schmerzen im Brustkorb gelitten. Sein Herz habe geflattert. Er habe Angst vor einem Herzinfarkt oder Gefäßverschluss gehabt.
II.
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Die gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
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Dem Antragsteller ist Prozesskostenhilfe gemäß § 114 Satz 1 ZPO zu bewilligen. Er kann nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen. Seine beabsichtigte Rechtsverfolgung hat bei der hier gebotenen summarischen Prüfung auch hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig.
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1. Der Antragsteller behauptet, durch die pflichtwidrige Nichtgewährung medizinisch gebotenen Kraftsports mit hinreichend schweren Gewichten in der Zeit von der Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt B. am 25. Januar 2010 bis zum 21. Februar 2011 sei seine linke Herzkammer irreversibel vergrößert und deren Auswurffraktion geringfügig abgesenkt worden. Er sei hierdurch einem erhöhten kardialen Risiko ausgesetzt. Zum Beweis stützt er sich auf die ärztliche Stellungnahme von Herrn Dr. S. vom 10. Juni 2010 und auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Das Schreiben des Facharztes Dr. S. vom 10. Juni 2010 bestätigt für den Fall des ausbleibenden kontrollierten Abtrainierens ein gewisses kardiales Risiko. Der erzwungene Wechsel zu Fußball und Laufen beinhalte ein zusätzliches Risiko. Nach seinem Befund sei bei dem Antragsteller die linke Herzkammer vergrößert und ihre Auswurffraktion rechnerisch leicht erniedrigt.
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Hiernach besteht in tatsächlicher Hinsicht jedenfalls die Möglichkeit des Nachweises eines Gesundheitsschadens aufgrund einer schuldhaften Amtspflichtverletzung. Dass dem Antragsteller der Beweis eines erhöhten kardialen Risikos und einer eingeschränkten Herzfunktion wegen der fehlenden Möglichkeit des Kraftsporttrainings im o.g. Zeitraum gelingen kann, ist möglich und nicht etwa von vornherein gänzlich unwahrscheinlich. Der unbemittelten Partei darf nicht wegen des Fehlens hinreichender Erfolgsaussichten ihres Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert werden, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde (BVerfG, Beschluss vom 28.01.2013, Aktenzeichen: 1 BvR 274/12, m.w.N., zitiert nach juris). Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den behaupteten Gesundheitsschäden und ihrer Ursache im fehlenden Abtrainieren kommt hier ernsthaft in Betracht. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein Sachverständiger mit großer Wahrscheinlichkeit kein erhöhtes kardiales Risiko und keine eingeschränkte Herzfunktion oder eine andere Ursache als das unterbliebene Abtrainieren hierfür feststellt, bestehen nicht. Hierfür genügt es wegen der o.g. Befunde des Facharztes für Innere Medizin Dr. S. vom 10. Juni 2010 auch nicht, dass der Antragsteller nach dem Inhalt der Gesundheitsakten jedenfalls im September 2010 gegenüber dem Sportmediziner Dr. Bn. körperliche Beschwerden und Symptome des Belastungsentzugs verneint hat. Auch das Fehlen eines aktuellen ärztlichen Zeugnisses über das Ausmaß eines möglichen kardialen Risikos und dessen Ursachen rechtfertigt nicht die konkrete Annahme, dass ein Sachverständiger mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Gesundheitsschaden wegen des in der Zeit vom 25. Januar 2010 bis 21. Februar 2011 zwangsweise unterbliebenen Abtrainierens feststellt. Die Behauptung des Antragsgegners, selbst wenn dem Antragsteller der Nachweis von Gesundheitsbeschwerden gelingen möge, wären diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Falle des Abtrainierens eingetreten, rechtfertigt aus den o.g. Gründen ebenso wenig die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Antragsteller. Der Antragsteller bietet auch für die Ursächlichkeit des fehlenden Abtrainierens für die behaupteten Gesundheitsschäden Sachverständigenbeweis an.
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Er trägt mit den behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch eine nicht nur unerhebliche Gesundheitsbeschädigung vor. Eine Gesundheitsverletzung liegt bereits in jedem Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen Körperfunktionen nachteilig abweichenden Zustandes, ohne dass es darauf ankäme, ob Schmerzzustände auftreten oder eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit eingetreten ist (BGH, Urteil vom 04.06.2005, Aktenzeichen: VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614). Es kommt auch nicht darauf an, ob sich das behauptete erhöhte kardiale Risiko verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.1991, Aktenzeichen: VI ZR 178/90, Rn 29, BGHZ 114, 284 - 298). Eine Gesundheitsbeschädigung kann auch bereits in der Erhöhung eines Herzinfarktrisikos liegen.
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Die Frage, in welcher konkreten Höhe ggf. ein immaterieller Schadenersatzanspruch für das behauptete erhöhte kardiale Risiko, die Schmerzen und die behauptete Vergrößerung des linken Ventrikels sowie die Absenkung des Auswurfvolumens der linken Herzkammer angemessen wäre, muss zur Wahrung des Gebotes der Rechtsschutzgleichheit Gegenstand des Hauptsacheverfahrens bleiben, um die Rechte des mittellosen Antragstellers hier nicht von vornherein zu verkürzen. Die Höhe des ggf. zu leistenden immateriellen Schadenersatzes wird gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung im Hauptsacheverfahren unter Berücksichtigung der Angaben des Antragstellers zu schätzen sein. Im Rahmen des PKH-Beschwerdeverfahrens bestehen insoweit jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine Begrenzung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf einen Betrag unterhalb des von dem Antragsteller für angemessen gehaltenen immateriellen Schadenersatzanspruches in Höhe von 8.000 €. Sollte dem Antragsteller der Nachweis gelingen, dass er infolge des unterbliebenen Abtrainierens einem erhöhten kardialen Risiko ausgesetzt ist, während der Haftzeit Schmerzen im Brustkorb und die behauptete Vergrößerung des linken Ventrikels mit einer Absenkung des Auswurfvolumens der linken Herzkammer erlitten hat und dass diese Gesundheitsschäden, wie er behauptet, irreparabel sind, könnte ein Schmerzensgeld in diesem Umfang jedenfalls angemessen sein.
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2. Der Feststellungsantrag ist gemäß § 256 ZPO wegen der behaupteten derzeit noch nicht abschließend prognostizierbaren gesundheitlichen Folgen der Vergrößerung der linken Herzkammer und der herabgesetzten Auswurffraktion zulässig und bietet ebenfalls hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S. § 114 Satz 1 ZPO. Der Antragsteller begehrt insoweit die Feststellung der Verpflichtung des Antragsgegners, ihm künftige materielle Schäden zu ersetzen, die ihm daraus entstehen, dass er in der Justizvollzugsanstalt B. in der Zeit vom 25. Januar 2010 bis zum 21. Februar 2011 den für ihn medizinisch gebotenen Kraftsport nicht betreiben konnte, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen. Der Antragsteller hat ein Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht für solche Verletzungsfolgen, die zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht eingetreten sind und deren Eintritt objektiv auch nicht vorhersehbar ist, wenn grundsätzlich - wie hier - die Möglichkeit von Spätschäden gegeben ist (vgl. z.B.: BGH, Urteil vom 16. Januar 2001, Az: VI ZR 381/99; BGH, Urteil vom 20. März 2001, VI ZR 325/99 zitiert jeweils nach juris). Ein diesbezügliches Feststellungsinteresse im Sinne § 256 ZPO darf nur dann verneint werden, wenn aus Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund bestehen würde, mit dem Eintritt eines Spätschadens wenigstens zu rechnen. Hier könnte nach dem klägerischen Vorbringen aber die Möglichkeit eines späteren Schadens wegen der Beeinträchtigung des Herzens durch das unterbliebene Abtrainieren durchaus bestehen.
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3. Soweit der Antragsteller darüber hinaus die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung eines weiteren immateriellen Schadenersatzanspruches in Höhe von mindestens 2.000 € dafür begehrt, dass über seinen Antrag auf Unterbringung in den offenen Vollzug keine begründete und über seinen Antrag auf Unterbringung in den Wohngruppenvollzug gar keine Entscheidung ergangen ist und er trotz seiner behaupteten Eignung nicht im offenen Vollzug untergebracht worden ist, sondern statt dessen den Haftbedingungen im geschlossenen Vollzug der JVA B. ausgesetzt war, wo er den medizinisch notwendigen Kraftsport nicht betreiben konnte, hat die beabsichtigte Klage ebenfalls hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig i.S. § 114 Satz 1 ZPO. Grundsätzlich kann die Art und Weise der Unterbringung von Strafgefangenen, wenn sie deren Persönlichkeitsrechte schwerwiegend verletzt, eine schuldhafte Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG darstellen, die auch einen immateriellen Schadenersatzanspruch begründen kann (vgl. dazu: BGH, Urteil vom 04.11.2004, Aktenzeichen: III ZR 361/03, zitiert nach juris).
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Gemäß § 10 Abs. 1 StVollzG soll ein Gefangener mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder einer Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen würde. Eines Antrages des Gefangenen - wie hier gestellt - bedarf es für die Unterbringung im offenen Vollzug nicht. Es genügt dessen Zustimmung. Dass der Antragsteller vorliegend einer Unterbringung in den offenen Vollzug seine Zustimmung versagt hätte, ist nicht ersichtlich und wird vom Antragsgegner auch nicht behauptet. Allerdings kann der Antragsteller für die Zeit nach seinem unbestrittenen Verzicht auf eine Neubescheidung seines Antrages auf Verlegung in den offenen Vollzug am 13. Mai 2011 schon aus diesem Grund nicht mit Erfolg Ansprüche auf immateriellen Schadenersatz wegen der geschlossenen Unterbringung geltend machen. Insoweit wäre sein Verhalten widersprüchlich. Gründe, die vorliegend ggf. eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, trägt der Antragsteller nicht vor.
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Soweit der Antragsteller aber in der Zeit seiner Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt B. vom 25. Januar 2010 bis zu seiner Erklärung vom 13. Mai 2011 geschlossen statt offen untergebracht gewesen ist, könnte ihm ein immaterieller Schadenersatzanspruch zustehen, wenn ihm der Nachweis gelänge, dass hierin eine schadenersatzbegründende Amtspflichtverletzung oder schwerwiegende Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte gelegen hat. Dabei genügt auch wegen der nicht ordnungsgemäßen Entscheidung über seinen Antrag zunächst die inzidente Behauptung des Antragstellers, die Voraussetzungen für seine Unterbringung in einer Anstalt oder einer Abteilung des offenen Vollzuges hätten vorgelegen und er sei gleichwohl entgegen § 10 StVollzG geschlossenen untergebracht worden. Für die gegenteilige Behauptung, der Antragsteller habe den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges tatsächlich nicht genügt und es sei zu befürchten gewesen, er werde sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen, trägt der Antragsgegner die Darlegungs- und Beweislast. Gleiches gilt für die Behauptung, zur Behandlung des Gefangenen sei die geschlossene Unterbringung notwendig i.S. § 10 Abs. 2 Satz 2 StVollzG gewesen. Die Beweiserhebung und Beweiswürdigung ist nach Klageerhebung Gegenstand des Hauptsacheverfahrens. Hinreichend konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde, bestehen auch insoweit nicht.
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Die Gesamtumstände rechtfertigen hier auch nicht von vornherein die Annahme, dass eine Geldentschädigung entfiele. Eine geschlossene statt einer gebotenen offenen Unterbringung eines Gefangenen stellt durchaus einen schwerwiegenden Eingriff in dessen Rechte dar. Die Haftbedingungen im geschlossenen Vollzug sind deutlich einschneidender für den Strafgefangenen als im offenen Vollzug. Hier kommt hinzu, dass über den Antrag des hiesigen Beschwerdeführers auf Verlegung in den offenen Vollzug keine begründete und über seinen Antrag auf Verlegung in den Wohngruppenvollzug gar keine Entscheidung ergangen war. Die Gesamtschau im Rahmen des Prozess-kostenhilfebewilligungsverfahrens rechtfertigt daher die Annahme, dass dem Antragsteller wegen der Tragweite der behaupteten Pflichtverletzung und der ohne erkennbaren Grund unterbliebenen ordnungsgemäß begründeten Entscheidung für die geschlossene statt offene Unterbringung in der Zeit vom Januar 2010 bis 13. Mai 2011 eine Geldentschädigung zustehen könnte.
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Der Antragsteller hat auch nicht etwa schon durch den Beschluss der 8. Strafkammer des Landgerichts Stendal vom 02. Mai 2011, Geschäftszeichen: 508 StVK 1029/10, hinreichende Genugtuung erfahren, die einem immateriellen Schadenersatzanspruch entfallen lassen könnte. Mit dem Beschluss hat die 8. Strafkammer des Landgerichts Stendal die Justizvollzugsanstalt B. unter Aufhebung deren nicht begründeter Entscheidung über die Ablehnung der Verlegung in den offenen Vollzug verpflichtet, über den Antrag des Antragstellers auf Verlegung in den Wohngruppenvollzug und über den Antrag auf Verlegung in den offenen Vollzug erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu entscheiden und hierzu in den Gründen festgestellt, dass die JVA B. zu den Verlegungsanträgen pflichtwidrig keine Stellung genommen hatte. Die JVA B. sei ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Sie habe keine Begründung für eine ablehnende oder unterlassene Entscheidung abgegeben. Die Kammer hat dabei darauf hingewiesen, dass der Antragsteller abweichend vom Vollstreckungsplan in die JVA B. verlegt worden sei. Die zuständige Strafanstalt wäre hiernach die JVA D. gewesen, die die Möglichkeit eines offenen Vollzugs geboten hätte. Das Ermessen der Behörde hinsichtlich der Eignung des Antragstellers für eine Wohngruppen oder den offenen Vollzug sowie die Beurteilung hinsichtlich dessen Flucht- oder Missbrauchsgefahr unterliege nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, setze aber jedenfalls eine umfassend begründete Entscheidung und die vollständige Angabe der tatsächlichen Grundlagen ihrer Entscheidung voraus, woran es hier gefehlt habe.
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Die mit einem geschlossenen statt einem offenen Vollzug verbundenen erheblichen Einschnitte in seine Persönlichkeitsrechte sind für den Gefangenen so erheblich, dass hier nicht festgestellt werden kann, dass der Antragsteller bereits durch diese gerichtliche Entscheidung, die JVA B. habe erneut über seinen Antrag zu entscheiden, eine hinreichende Kompensation für eine ggf. pflichtwidrig unterbliebene offene Unterbringung erfahren hätte.
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Vielmehr erscheint insoweit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im geltend gemachten Umfang gerechtfertigt. Die beabsichtigte Klage hat bei der gebotenen summarischen Prüfung wegen der Schwere des behaupteten Eingriffs in die Rechte des Antragstellers durch eine geschlossene statt einer offenen Unterbringung, wegen der erheblichen Dauer von 473 Tagen (geschlossene Unterbringung in der JVA B. in der Zeit vom 25. Januar 2010 bis zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Erklärung vom 13. Mai 2011), wegen des pflichtwidrigen Unterlassens einer begründeten Entscheidung über seinen Antrag auf Unterbringung im offenen Vollzug und im Hinblick auf die für den Antragsteller mit der geschlossenen Unterbringung konkret verbundenen Einschränkung beim Betreiben des medizinisch notwendigen Kraftsportes auch der Höhe nach hinreichende Erfolgsaussicht. Der begehrte Entschädigungsbetrag für die behaupteten schuldhaften Beeinträchtigungen durch die Haftbedingungen liegt deutlich unter 5 € täglich. Die genaue Würdigung bleibt auch hier dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
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Den Antragsteller trifft auch kein den möglichen Anspruch minderndes Mitverschulden. Er hat seine Unterbringung im offenen Vollzug nachdrücklich begehrt und unmittelbar nach der mündlichen Ablehnung seines Antrages im August 2010 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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