Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (Vergabesenat) - 2 Verg 5/13
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 18. Oktober 2013 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 3 des Beschlussausspruchs wie folgt neu gefasst wird:
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der Kosten der Rechtsverfolgung der Antragstellerin haben die Antragstellerin und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte zu tragen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin zu tragen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu ... € festgesetzt.
Gründe
A.
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Der Antragsgegner beschloss im Juli 2011, am Standort des Heizhauses der JVA... eine neue Wärmeerzeugungsanlage planen und errichten zu lassen. Diese der Energieeinsparung und Umweltentlastung dienende Maßnahme sollte entweder im Wege eines Bauauftrags einschließlich des Abschlusses eines Energieträgerliefervertrags (künftig: Eigenversorgung) oder im Wege eines Energieliefer-Contractings (künftig: Betreibermodell) realisiert werden (vgl. Erlass des MF LSA v. 20.07.2011). Er erarbeitete ein Wärmekonzept vom 11.05.2012, welches die Ausschreibung eines Betreibermodells vorsah und - mit Auflagen zur Änderung und Ergänzung - mit Erlass des MF vom 16.07.2012 genehmigt wurde.
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Der Antragsgegner, letztvertreten durch den Landeseigenbetrieb zur Bewirtschaftung landeseigener Immobilien, leitete am 24.01.2013 eine EU-weite Ausschreibung eines 10-Jahres-Wärmelieferungsvertrages im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Vergabeordnung für Lieferungen und Leistungen, Teil A (VOL/A) - Ausgabe 2009 - ein. Als Gegenstand des Auftrags wurde die Lieferung von Wärme zur Raumheizung und Trinkwasseraufbereitung einschließlich Betriebsführung und Instandhaltung der zu errichtenden Wärmeerzeugungsanlage, des bestehenden Nahwärmenetzes und der bestehenden Übergabestationen für die Liegenschaften ..., ... und ... in ... für die Zeit vom 01.06.2013 bis 01.06.2023 beschrieben.
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In der Bekanntmachung der Ausschreibung wurden als Eignungsnachweise für die persönliche Lage der Wirtschaftsteilnehmer u.a. „Eigenerklärungen gem. Formblatt 124“ verlangt und angekündigt, dass die Bieter von Angeboten in der engeren Wahl, soweit sie nicht präqualifiziert seien, „die im Formblatt 124 angegebenen Bescheinigungen“ innerhalb von sechs Kalendertagen nach Aufforderung vorzulegen hätten. Das Formblatt 124 werde den Vergabeunterlagen beigelegt.
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Nach dem Formblatt 124 „Eigenerklärung zur Eignung“ aus dem Vergabehandbuch des Bundes, Ausgabe 2008, Stand August 2012 (künftig: VHB) wird der Bieter bzw. sonstige Adressat insbesondere aufgefordert, Auskünfte über die Gesamtumsätze für vergleichbare Bau- und andere Leistungen des Unternehmens in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren, über die in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte und über Eintragungen in das Berufsregister zu erteilen, Angaben zu Insolvenzverfahren und Liquidationen sowie darüber zu machen, dass nachweislich keine schwere Verfehlung begangen worden sei sowie dass die Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern und Abgaben sowie von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung, gegenüber den Sozialkassen und den Berufsgenossenschaften jeweils ordnungsgemäß erfüllt worden seien. Für den Fall, dass das eigene Angebot in die engere Wahl komme, solle sich der Bieter zur Vorlage diverser Nachweise der Richtigkeit der Eigenerklärung auf entsprechende Aufforderung verpflichten.
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In der Aufforderung zur Angebotsabgabe wurde wegen der mit dem Angebot einzureichenden Unterlagen auf die Bekanntmachung verwiesen (Ziff. 3.1 des Formblatts 631 EU VHB); unter den Anlagen, welche ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen seien, wurde das Formblatt 124 nicht aufgeführt (vgl. Anlagen, Abschnitt C) des Formblatts 631 EU VHB).
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Die Einreichung von Nebenangeboten wurde zugelassen (vgl. Ziff. II. 1. 9) der Bekanntmachung, ebenso Ziff. 5.2 des Formblatts 631 EU VHB sowie Ziff. 5 der Bewerbungsbedingungen).
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Während in der Bekanntmachung (vgl. Ziff. IV. 2. 1) der Bekanntmachung) sowie in der Aufforderung zur Angebotsabgabe (vgl. Ziff. 6 des Formblatts 631 EU VHB) ein Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot in Bezug auf die in den (weiteren) Ausschreibungsunterlagen aufgeführten Kriterien angekündigt wurde, wies das Formblatt 227 VHB (Gewichtung der Wertungskriterien) aus, dass der Preis mit 100 % Gewichtung berücksichtigt werde (Punkte maximal 10, minimal 0); in den weiteren aufgeführten Kriterien war die Spalte „Gewichtung“ nicht ausgefüllt, allerdings wurde in der Spalte „Punkte min./max.“ unter „Energieeffizienz“ angegeben, dass das höchste Energieeffizienzniveau mit 10 Punkten, das niedrigste Niveau mit 0 Punkten bewertet werde. In den selbst verfassten Bewerbungsbedingungen teilte der Antragsgegner mit, dass das Kriterium „Preis“ mit 100 % für die Zuschlagserteilung maßgeblich sei (vgl. Ziff. 2.2.), wobei die Preise nach Arbeitspreis und Grundpreis zu kalkulieren seien und für die Zuschlagserteilung der Mischpreis für Wärme im ersten Jahr ausschlaggebend sei.
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Der Antragsgegner behielt sich ausdrücklich vor, auf die Auftragserteilung zu verzichten, wenn eine Vergleichsanalyse ergebe, dass sich bei Eigenerrichtung und -betrieb der Anlage ein wirtschaftlicher Vorteil begründen lasse (Ziff. 2.3. der selbst verfassten Bewerbungsbedingungen).
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Innerhalb der Angebotsfrist gingen Angebote von sieben Bietern ein, darunter ein Haupt- und drei Nebenangebote der Antragstellerin. Keines der Angebote wurde als unvollständig bewertet. Im Rahmen der inhaltlichen Angebotswertung wurde u.a. das Nebenangebot Nr. 3 der Antragstellerin in die engere Wahl einbezogen; insoweit prüfte der Antragsgegner, inwieweit das Nebenangebot technisch gleichwertig zur ausgeschriebenen Leistung sei.
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Am 07.06.2013 erstellte die Beraterin des Antragsgegners, die I., eine Beschlussempfehlung, wobei zur Angebotswertung neben dem Wärmepreis auch die Gleichwertigkeit der Nebenangebote in technischer Hinsicht, hinsichtlich der Langfristigkeit der Versorgungssicherheit, hinsichtlich des Konzepts zur Wärmeversorgung und deren Aufrechterhaltung während der Bauphase und während des Auszugs eines bisherigen Nutzers eines Teils der versorgten Immobilien sowie der Zugriffszeiten, des Kundenservice, der Konzeption zur Nachweisführung des Jahresnutzungsgrads und der wirtschaftlichen Auswirkungen der Verwendung von Preisgleitklauseln bei vom Antragsgegner unterstellten unterschiedlichen Preisentwicklungsszenarien geprüft wurde. Bezüglich des Nebenangebots eines anderen Bieters wurde dokumentiert, dass die ökologischen und wirtschaftlichen Vorteile des Angebots mangels vorheriger Bekanntmachung entsprechender Zuschlagskriterien nicht berücksichtigt werden dürften. Abschließend wurden auch die Kosten der Wärmeversorgung in der Alternative Eigenversorgung - Eigenbau auf der Grundlage der Daten der HU-Bau und Brennstoffeinkauf auf der Grundlage eines im September 2012 geschlossenen Liefervertrags (Rahmen-Gasliefervertrag Los 1 vom 14./26.09.2012) - ermittelt. Im Ergebnis der Betrachtungen wurde empfohlen, dass die Eigenversorgung wirtschaftlicher sei als die Erteilung des ausgeschriebenen Auftrags zum Wärmeliefer-Contracting, falls der Antragsgegner die nötigen finanziellen Mittel bereitstellen könne.
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Ausweislich des Vermerks vom 13.06.2013 beschloss der Antragsgegner, das Vergabeverfahren aufzuheben und hierfür entsprechende interne Genehmigungen einzuholen. Zur Begründung dieser Entscheidung wurde in einer Anlage zum Vermerk ausgeführt, dass das Nebenangebot Nr. 3 der Antragstellerin wegen fehlender technischer Gleichwertigkeit auszuschließen sei. Hinsichtlich der Nebenangebote Nr. 2 und Nr. 3 der Antragstellerin fehle es zudem an der Vergleichbarkeit mit den Angeboten der Mitbewerber, weil in ihnen ausgeschriebene Leistungen nicht enthalten seien. Schließlich habe die Wirtschaftlichkeitsberechnung der Eigenversorgung mit Wärme für die betreffenden Liegenschaften ergeben, dass hierin die wirtschaftlichste Lösung liege.
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Mit Schreiben vom 14.06.2013 wurden die Bieter, darunter die Antragstellerin, über die Aufhebung der Ausschreibung informiert. Die Entscheidung wurde darauf gestützt, dass es im Vergabeverfahren kein wirtschaftliches Ergebnis gegeben habe (§ 20 EG Abs. 1 lit. c) VOL/A) und dass Widersprüche in den Vergabeunterlagen sowie Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des Transparenzgebots bestünden (§ 20 EG Abs. 1 lit. d) VOL/A). Den Bietern wurde mitgeteilt, dass derzeit geprüft werde, ob eine neue Ausschreibung in gleicher oder veränderter Form erfolgen werde. Am 09.08.2013 wurde die Aufhebung des Vergabeverfahrens EU-weit bekannt gemacht.
- 13
Mit Schreiben vom 17.06.2013 widersprach die Antragstellerin der Aufhebung und rügte, dass die mitgeteilten Gründe hierfür nicht nachvollziehbar seien. Hierauf antwortete der Antragsgegner mit Schreiben vom 19.06.2013, dass sich unter Berücksichtigung der Analyse der Beraterin des Antragsgegners vom 07.06.2013 die Eigenversorgung „tatsächlich als wirtschaftlichste Lösung“ erwiesen habe, weshalb er von seinem Vorbehalt Gebrauch mache und die Ausschreibung aufhebe. Die Aufhebung müsse zudem auch im Hinblick auf § 20 EG Abs. 1 lit. d) VOL/A erfolgen, weil ausweislich des Beschlusses der 2. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 15.02.2013, 2 VK LSA 42/12, der bloße Verweis auf das Formblatt 124 zur wirksamen Forderung der Eignungserklärungen und -nachweise nicht genüge. Die Vergabekammer habe sich dabei auf verschiedene Judikate der Vergabekammern des Bundes und der obergerichtlichen Rechtsprechung gestützt, so dass „die Ausschreibung vor der Vergabekammer ohnehin nicht zu halten“ sei. Weiter hätten Bedenken bestanden wegen der Widersprüchlichkeit der Angaben zum Zuschlagskriterium in den Formblättern 631 EU und 227 jeweils des VHB, welche einer Nachprüfung durch die Vergabekammer „wohl kaum standgehalten“ hätten. Schließlich seien Nebenangebote „schlichtweg unzulässig“ bei einem alleinigen Wertungskriterium Preis.
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Mit Schriftsatz vom 03.07.2013 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass festgestellt werden möge, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens durch den Antragsgegner vergaberechtswidrig erfolgt sei und der Antragsgegner zur Fortführung des Vergabeverfahrens verpflichtet werden möge, hilfsweise dass die Rechtswidrigkeit der Aufhebung des Verfahrens festgestellt werden möge.
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Der Vorsitzende der Vergabekammer hat die Entscheidungsfrist des § 113 Abs. 1 GWB mit Verfügungen vom 05.08.2013 (bis 11.09.2013) und vom 09.09.2013 (bis 21.10.2013) verlängert. Mit Beschluss vom 05.09.2013 hat die Vergabekammer der Antragstellerin Einsicht in die Akten des Vergabeverfahrens gewährt mit Ausnahme der Unterlagen, welche Daten zu den Angebotsinhalten sowie zur Preisermittlung der Konkurrenzangebote enthalten.
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Die Vergabekammer hat nach mündlicher Verhandlung am 26.09.2013 durch Beschluss vom 18.10.2013 den Hauptantrag der Antragstellerin als unbegründet zurückgewiesen und auf den Hilfsantrag die begehrte Feststellung getroffen. Die Aufhebung der Ausschreibung sei zwar nicht sachwidrig bzw. zum Schein erfolgt. Vielmehr habe sich der Beschaffungsbedarf wesentlich geändert, indem der Antragsgegner nunmehr selbst Eigentümer der zu errichtenden Wärmeerzeugungsanlage werden wolle. Für die Aufhebung der Ausschreibung stehe jedoch ein Aufhebungsgrund i.S. von § 20 EG VOL/A nicht zur Verfügung, insbesondere sei der Antragsgegner zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Ausschreibung kein wirtschaftliches Ergebnis erbracht habe; für eine derartige Feststellung liege eine ausreichend sichere Erkenntnisgrundlage nicht vor, insbesondere im Hinblick auf eine fehlende Kostenschätzung des Antragsgegners vor Verfahrenseinleitung. Soweit sich der Antragsgegner auf Fehler im Vergabeverfahren bzw. auf einen geänderten Beschaffungsbedarf berufe, stammten diese Umstände aus dem Verantwortungsbereich des Antragsgegners selbst.
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Gegen diese ihm am 24.10.2013 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 05.11.2013 erhobene und am selben Tage vorab per Fax beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde des Antragsgegners, soweit sie ihn beschwert.
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Der Antragsgegner begehrt nicht nur die Zurückweisung des Hilfsantrags der Antragstellerin, gerichtet auf die Feststellung der Verletzung ihrer subjektiven Rechte nach § 97 Abs. 7 GWB durch die Aufhebung der Ausschreibung, sondern eine positive Feststellung der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens. Der Antragsgegner rügt eine allenfalls oberflächliche Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen durch die Vergabekammer und meint, dass die Gründe der Einzelentscheidungen über den Hauptantrag und über den Hilfsantrag einander widersprächen. Der Antragsgegner hält an seiner Auffassung fest, wonach ein Aufhebungsgrund i.S. von § 20 EG Abs. 1 lit. d) VOL/A wegen unheilbarer Vergaberechtsverstöße gegeben sei im Hinblick auf die unzureichende Transparenz der Eignungskriterien (bloßer Verweis auf Formblatt 124 in der Vergabebekanntmachung) und hinsichtlich der Unvereinbarkeit einer Ausschreibung nach dem Minimalprinzip (einziges Zuschlagskriterium: niedrigster Preis) mit der Zulassung von Nebenangeboten; beide Aspekte seien für ihn z. Zt. der Einleitung des Vergabeverfahrens nicht erkennbar gewesen.
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Hilfsweise wendet sich der Antragsgegner auch gegen die Kostenentscheidung, da die Antragstellerin jedenfalls mit ihrem Hauptantrag unterlegen gewesen sei.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den Beschluss der 1. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt vom 18.10.2013 aufzuheben und festzustellen, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtmäßig war.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die sofortige Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.
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Sie stellt weiter einen Antrag auf ergänzende Einsicht in die Vergabeakten des Antragsgegners hinsichtlich der Unterlagen zur Schätzung des Auftragswerts und zur Schätzung der Kosten der Eigenerledigung vor dem Vergabeverfahren (soweit solche existieren), hinsichtlich etwaiger Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen und Ermittlungen der Kosten der Eigenerledigung während des Vergabeverfahrens, insbesondere S. 27 des Berichts zur Angebotsprüfung und Vergabevorschlag vom 07.06.2013, und in die Anlagen zum Schriftsatz des Antragsgegners vom 09.10.2013 (Rahmen-Gaslieferungsvertrag über die Lieferung von Gas für ... vom 14./26.09.2012, Aktuelle Jahresendverbrauchsliste 2012 ... Gas, eMail von S. J. (... GmbH) vom 08.10.2013.
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Sie ist der Ansicht, dass der Beschaffungsbedarf nicht entfallen ist, da die Beschaffung einer Wärmeerzeugungsanlage nach wie vor notwendig sei. Die Leistungen, welche Gegenstand des ausgeschriebenen Auftrags gewesen seien, sollten weiterhin beschafft werden, lediglich nunmehr unterteilt in verschiedene Einzelaufträge. Darauf, ob der Einkauf von Gas durch Abschluss eines neuen Vertrags oder wesentliche Erweiterung eines bestehenden Vertrags erfolgen solle, komme es vergaberechtlich nicht an. Die Antragstellerin bestreitet zudem, dass dem Antragsgegner die kurzfristige vollständige Finanzierung der Errichtung der Wärmeerzeugungsanlage - gegenüber dem zunächst gewählten Modell der langfristigen Finanzierung im Rahmen eines Contractings - möglich sei. Die Antragstellerin erhebt Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Antrags des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren. Im Übrigen verteidigt sie die angefochtene Entscheidung.
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Der Senat hat am 14.02.2014 einen Termin der mündlichen Verhandlung durchgeführt; wegen des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom selben Tage Bezug genommen.
B.
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Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist ganz überwiegend zulässig; sie hat in der Sache nur im Kostenpunkt Erfolg.
- 28
Die Vergabekammer hat zu Recht darauf erkannt, dass die Antragstellerin durch die Entscheidung des Antragsgegners, die Ausschreibung aufzuheben, in ihren subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB i.V.m. § 20 EG VOL/A verletzt worden ist. Die hiergegen vom Antragsgegner erhobenen Einwendungen sind unbegründet. Angesichts des Umstands, dass die Vergabekammer den Hauptantrag der Antragstellerin zurückgewiesen hat (Ziffer 1 des Beschlussausspruchs), war die Entscheidung über die Kostenlast (Ziffer 3 des Beschlussausspruchs), wie geschehen, abzuändern.
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I. Das Rechtsmittel des Antragsgegners ist zulässig, soweit der Antragsgegner konkludent die Zurückweisung des hilfsweise verfolgten Nachprüfungsantrags der Antragstellerin begehrt. Der hierüber hinaus gehende Antrag ist im Nachprüfungsverfahren unstatthaft. Zulässig ist auch der - konkludent gestellte - Hilfsantrag im Hinblick auf die Kostenlastentscheidung im Verfahren vor der Vergabekammer.
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1. Die Formalien des Beschwerdeverfahrens sind gewahrt worden. Der Antragsgegner hat seine sofortige Beschwerde frist- und formgerecht (§ 117 Abs. 1 bis 3 GWB) beim zuständigen Gericht (§ 116 Abs. 3 S. 1 GWB) eingelegt. Die auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 98 bis 100, 102, 107 Abs. 1, 108 GWB) liegen vor.
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2. Der Hauptantrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Ausschreibung ist nicht statthaft, soweit er auf eine positive Feststellung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung gerichtet ist.
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a) Der Primärrechtsschutz nach §§ 102 ff. GWB dient der Durchsetzung vergaberechtlicher Bestimmungen, soweit durch deren Verletzung subjektive Rechte i.S. von § 97 Abs. 7 GWB von Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigt werden können. Die Nachprüfungsinstanz entscheidet in diesem Verfahren grundsätzlich allein darüber, ob eine Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers vorliegt und daher ein Eingreifen in das laufende Vergabeverfahren zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit geboten ist; dies geschieht durch die Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen (vgl. §§ 114 Abs. 1, 123 S. 2 GWB).
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b) Vom Grundsatz der Entscheidung über die Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten sieht das Gesetz nur zwei Ausnahmen vor: Soweit die Rechtsverletzung im Abschluss eines unwirksamen Vertrags besteht, ist die Vergabekammer unter den Voraussetzungen des § 101b GWB befugt, den Vergabeverstoß zu beseitigen, indem sie die Unwirksamkeit des Vertragsschlusses feststellt. Unter den besonderen Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 S. 2 GWB, bei deren Vorliegen ein Eingreifen der Vergabenachprüfungsinstanz in das Vergabeverfahren nicht mehr in Betracht kommt, beschränkt sich die Entscheidung auf eine Feststellung der Rechtsverletzung, mit anderen Worten auf eine Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Antragsgegners im Vergabeverfahren.
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c) Dem gegenüber ist eine Feststellung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Antragsgegners vom Gesetz nicht vorgesehen. Ist der Nachprüfungsantrag unzulässig oder ist eine Rechtsverletzung nicht gegeben, weist die Nachprüfungsinstanz den Antrag zurück. In der Hauptsache liegen im Verfahren vor der Vergabekammer die Initiativrechte ausschließlich beim Antragsteller (Ausnahmen hiervon bestehen allein im Bereich des Eilrechtsschutzes, vgl. §§ 115 Abs. 2 S. 1, 115 Abs. 2 S. 5 GWB). Im Beschwerdeverfahren ist es nicht geboten, dem Antragsgegner - auch im Falle einer eigenen sofortigen Beschwerde - eine über seine Beteiligtenrechte im Verfahren vor der Vergabekammer hinausgehende Verfahrensposition zu verschaffen. Seine Beschwerdebefugnis ist auf die Verfahrensziele beschränkt, welche er im Verfahren vor der Vergabekammer verfolgt hat bzw. hätte verfolgen können.
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d) Ein Rechtsschutzbedürfnis für weiter gehende Anträge, insbesondere für einen Antrag auf positive Feststellung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung, besteht nicht. Nach ganz einhelliger Auffassung umfasst die Bindungswirkung einer Entscheidung nach § 114 Abs. 2 S. 2 GWB neben dem Tenor (Feststellung oder Zurückweisung des Antrags) auch die tragenden Entscheidungsgründe und die tatsächlichen Feststellungen zum behaupteten Verstoß sowie die rechtliche Würdigung zu der Frage, ob ein Vergabeverstoß vorliegt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 15.12.2008, I-27 U 1/07, VergabeR 2009, 507 - zitiert nach juris, dort Tz. 65, auch OLG Naumburg, Urteil v. 23.04.2007, 1 U 47/06, VergabeR 2007, 758 - in juris Tz. 22; vgl. Vavra in: Hattig/ Maibaum, Praxiskomm. KartellvergabeR, 2010, § 124 GWB Rn. 9; Stockmann in: Dreher/ Stockmann, KartellvergabeR, 2008, § 124 GWB Rn. 8; Jaeger in: Byok/ Jaeger, VergabeR, 3. Aufl. 2011, § 124 GWB Rn. 2; Röwekamp in: Kulartz/ Kus/ Portz, GWB, 3. Aufl. 2014, § 124 Rn. 7 f.; Dicks in: Ziekow/ Völlink, VergabeR, § 124 GWB Rn. 3 f.; Stickler in: Reidt/Stickler/Glahs, VergabeR, 3. Aufl. 2011, § 124 Rn. 5; Kuhlig in: Willenbruch/ Wieddekind, Kompaktkomm. VergabeR, 12. Los § 124 GWB Rn. 6 sowie Summa in: jurisPK-VergabeR, 3. Aufl. 2011, § 124 GWB Rn. 7). Der Antragsgegner erreicht das von ihm mit dem positiven Feststellungsantrag erstrebte Ziel bereits mit einer Zurückweisung des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung, wie er hier von der Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer verfolgt worden ist, als unbegründet.
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3. Der Antrag des Antragsgegners ist statthaft, soweit er - als ein Minus zum Ziel einer positiven Feststellung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung - einen Antrag auf Zurückweisung des Hilfsantrags der Antragstellerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung enthält.
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4. Der Antragsgegner hat durch seine Beschwerdebegründung hinreichend bestimmt zum Ausdruck gebracht, dass er hilfsweise für den Fall, dass er mit dem Hauptantrag nicht obsiegt, gleichwohl die von der Vergabekammer getroffene Kostenlastentscheidung für unrichtig erachtet und zur Überprüfung durch das Beschwerdegericht stellt. Die isolierte Anfechtung der Kostenlastentscheidung ist zulässig.
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II. Die Vergabekammer ist zu Recht von der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags der Antragstellerin ausgegangen. Gegen diese Feststellungen sind vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren keine Einwendungen erhoben worden.
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III. Die in Ziffer 2 des Beschlussausspruchs der Vergabekammer getroffene Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung der Ausschreibung durch den Antragsgegner hält einer Nachprüfung durch das Beschwerdegericht stand.
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1. Auf das Vergabeverfahren ist, wovon alle Beteiligten und die Vergabekammer zutreffend ausgegangen sind, insbesondere die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Teil A (Stand 19.02.2010) anwendbar (künftig: VOL/A).
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a) Der ausgeschriebene Auftrag beinhaltet als sog. leistungsartengemischter Vertrag zugleich Bauleistungen (Planung und Errichtung der neuen Wärmeerzeugungsanlage), Finanzdienstleistungen (Finanzierung der Bauleistungen), sonstige Dienstleistungen (Betriebsführung einschließlich Wartung der Gesamtanlage für zehn Jahre) und Lieferleistungen (hinsichtlich der Energieträger). Nach § 99 Abs. 11 GWB gilt für einen derartigen Vertrag das Vergaberegime für diejenigen Tätigkeiten, welche den Hauptgegenstand des Vertrags darstellen und den Charakter des Vertrags prägen. Der Schwerpunkt der ausgeschriebenen Leistungen - Wärmeliefer-Contracting - liegt hier im Dienstleistungsanteil des Vertrags, der Auftraggeber möchte eine „Rund-um“-Betreuung mit allen Leistungen zur Sicherstellung einer effizienten Wärmeversorgung im Betreibermodell beschaffen.
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b) Das Wärmeliefer-Contracting ist keine nachrangige Dienstleistung. Der hier maßgebliche Schwellenwert von ... € (vgl. § 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 2 VgV 2012 und VO (EU) Nr. 1251/2011) ist überschritten.
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c) In zeitlicher Hinsicht gilt nach § 131 Abs. 8 GWB und § 23 VgV das am 24.01.2013, dem Tag der Absendung des Textes der Vergabebekanntmachung an das Amtsblatt der EU, geltende Recht.
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2. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der vorliegenden Ausschreibung beurteilt sich nach § 20 EG Abs. 1 VOL/A. Danach bedarf es eines schwerwiegenden Grundes für die Aufhebung i.S. der Aufzählung in der vorgenannten Norm, um dem Auftraggeber die Möglichkeit einer rechtmäßigen Aufhebung der Ausschreibung überhaupt zu eröffnen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung können die genannten Aufhebungsgründe auch nur dann eine Aufhebung rechtfertigen, wenn sie erst nach Beginn der Ausschreibung eingetreten sind und dem Ausschreibenden vor Beginn der Ausschreibung nicht bekannt waren bzw. nicht bekannt sein mussten (vgl. BGH, Urteil v. 25.11.1992, VIII ZR 170/91, BGHZ 120, 281; Urteil v. 08.09.1998, X ZR 48/97 „Neubau Landwirtschaftsministerium“, BGHZ 137, 259; Urteil v. 20.11.2012, X ZR 108/10 „Friedhofserweiterung“, VergabeR 2013, 208). Ob die tatsächlichen Voraussetzungen der Buchstaben a) bis d) und des vorgenannten ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals vorliegen, ist von den Nachprüfungsinstanzen bzw. - im Schadenersatzprozess - von den Zivilgerichten uneingeschränkt nachprüfbar, und zwar auch insoweit, als die Tatbestandsalternativen unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten (vgl. zuletzt OLG München, Beschluss v. 04.04.2013, Verg 4/13 „Ortbetonbohrpfähle“, VergabeR 2013, 729). Ist ein Aufhebungsgrund gegeben, so hat der Auftraggeber das ihm durch § 20 EG Abs. 1 VOL/A eingeräumte Ermessen auszuüben. Diese Entscheidung kann von den Nachprüfungsinstanzen bzw. von den Zivilgerichten nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob der Auftraggeber sein Ermessen überhaupt ausgeübt hat (Ermessensnichtgebrauch), d.h. ob eine Abwägung der für und gegen eine Aufhebung sprechenden Umstände stattgefunden hat, sowie daraufhin, ob er das vorgeschriebene Verfahren eingehalten hat, bei seiner Entscheidung von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sachwidrige Erwägungen in die Entscheidung mit eingeflossen sind und ob der Bewertungsmaßstab zutreffend angewandt worden ist (Ermessensfehlgebrauch; vgl. OLG München, a.a.O., m.w.N.). Jedenfalls hinsichtlich der Nachprüfung der Ermessensausübung können nur solche Erwägungen Berücksichtigung finden, welche z. Zt. der Ermessensausübung nachweislich angestellt wurden.
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3. Nach diesen Maßstäben fehlte es dem Antragsgegner hier schon an einem Grund für die Aufhebung der Ausschreibung.
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a) Auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 20 EG Abs. 1 lit. a) VOL/A beruft sich der Antragsgegner nicht. Alle sieben Bieter haben jeweils auch ein Hauptangebot abgegeben, so dass es für die Beurteilung der Frage, ob ein Angebot, welches den Ausschreibungsbedingungen entspricht, vorlag, nicht darauf ankommt, ob Nebenangebote hätten zugelassen und gewertet werden dürfen. Keines der sieben Hauptangebote ist vom Antragsgegner in den vorbereitenden Wertungsstufen ausgeschlossen worden, so dass sie in der Wertung berücksichtigt werden konnten.
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b) Der Antragsgegner hat die Aufhebung im Schreiben vom 19.06.2013 zu Unrecht darauf gestützt, dass er nach abschließender Prüfung die Eigenversorgung als wirtschaftlichste Lösung ansehe.
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aa) In dieser Bewertung kommt - abweichend von der Auffassung der Vergabekammer - nicht der Einwand des Wegfalls des Beschaffungsbedarfs zum Ausdruck, sondern letztlich der Einwand einer erheblichen Veränderung des Beschaffungsbedarfs und damit die Behauptung eines Aufhebungsgrundes i.S. von § 20 EG Abs. 1 lit. b) VOL/A. Denn der Antragsgegner geht weiter davon aus, einen erheblichen Teil der ausgeschriebenen Leistungen, hier die Bauleistungen (Planung und Errichtung einer Wärmeerzeugungsanlage sowie ggf. Lieferung und Montage von Fotovoltaikanlagen) und die Lieferleistungen (Lieferung des Energieträgers Erdgas), von einem Dritten zu beschaffen; er erwägt lediglich den Eigenbetrieb der o.a. Dienstleistungen. Ein so definierter Beschaffungsbedarf unterschiede sich in seinen wesentlichen Grundlagen vom bisherigen Beschaffungsbedarf und dürfte nur in einem neuen Vergabeverfahren befriedigt werden. Eine Fortführung des ursprünglichen Vergabeverfahrens käme aus vergaberechtlichen Gründen nicht in Betracht. Mit der - u.U. in Teilaufträge unterteilten - Ausschreibung dieser Leistungen wären (zumindest auch) andere Wirtschaftsteilnehmer als bisher angesprochen (z. Bsp. Bauunternehmen, Handelsunternehmen im Bereich der Fotovoltaikanlagen, Energieversorgungsunternehmen); die Auswahl des Angebots erfolgte u.U. auf der Grundlage abweichender Zuschlagskriterien.
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bb) Der Senat kann dahin stehen lassen, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, ob eine grundlegende Änderung der Beschaffungsabsicht, wie vorausgeführt, bereits eingetreten ist, was Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals wäre. Denn der Vergabedokumentation lässt sich eine entsprechende eindeutige Entscheidung des Antragsgegners nicht entnehmen. Es ist nach dem Inhalt der Vergabedokumentation nicht erkennbar, dass die Voraussetzungen für eine Eigenversorgung vorliegen bzw. geschaffen werden können, insbesondere fehlt es an einer nachweislichen Prüfung der Frage, ob die Eigenversorgung finanzierbar ist. Der Entscheidung des Antragsgegners im Jahr 2012 für eine Ausschreibung des Betreibermodells lag zugrunde, dass die Finanzierung nicht über eigene Mittel, sondern als Fremdfinanzierung erfolgen werde. In die im Juni 2013 angestellten Betrachtungen zur angeblich höheren Wirtschaftlichkeit der Eigenversorgung sind ausweislich der Vergabeakten Kosten der Finanzierung nicht einbezogen worden. Hieraus könnte der Schluss zu ziehen sein, dass entweder die Einschätzung der höheren Wirtschaftlichkeit der Eigenversorgung auf der fehlerhaften Nichtberücksichtigung der Finanzierungskosten beruht oder aber auf der - nicht belegten - Annahme der Möglichkeit der vollständigen und kostenfreien Eigenfinanzierung. In beiden Alternativen wäre es eher unwahrscheinlich, dass eine entsprechende endgültige Änderung des Beschaffungsbedarfs erfolgt ist, was für die Frage der Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung hier jedoch offen bleiben kann.
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cc) Selbst wenn der Senat zu Gunsten des Antragsgegners von einer endgültigen Abstandnahme von einer Beschaffung im Betreibermodell ausginge, so lagen dem Antragsgegner alle in der Empfehlung seiner Beraterin vom 07.06.2013 verwerteten Informationen bereits bei Einleitung der Ausschreibung vor. Das Vergabeverfahren begann mit der Absendung des Textes der Vergabebekanntmachung an das Amtsblatt der EU am 24.01.2013 (vgl. §§ 23 i.V.m. 3 Abs. 9 Alt. 1 VgV). Am 24.01.2013 waren dem Antragsgegner sowohl die Kostenschätzungen im Rahmen der HU-Bau aus dem Jahr 2012 als auch der Gasliefervertrag vom 14./26.09.2012 bekannt. Dem Antragsgegner wäre eine gleichartige Kosten- und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für die Eigenversorgung, wie er sie im Juni 2013 vorgenommen hat, schon vor Beginn der Ausschreibung möglich gewesen. Zu einer derartigen Prüfung unter vollständiger Einbeziehung der ihm bis Januar 2013 zur Verfügung stehenden Erkenntnisse ist er zur Herstellung der Ausschreibungsreife nach § 2 EG Abs. 3 VOL/A sogar verpflichtet gewesen.
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c) Die Vergabekammer hat zutreffend darauf erkannt, dass der Antragsgegner eine ausreichende tatsächliche Grundlage für seine - auch in der Bieterinformation angeführte - Feststellung des Fehlens eines wirtschaftlichen Ergebnisses der Ausschreibung i.S. von § 20 EG Abs. 1 lit. c) VOL/A weder zum Zeitpunkt seiner Aufhebungsentscheidung dokumentiert hatte noch inzwischen dargelegt hat. Ein unwirtschaftliches Ergebnis liegt nur dann vor, wenn die von den Bietern angebotenen Lösungen - hier insbesondere die vom Antragsgegner abgefragten und von den Bietern angebotenen Wärmepreise - unter Berücksichtigung der Vorgaben der Vergabeunterlagen objektiv nicht den gegebenen Marktverhältnissen entsprechen. Der Antragsgegner hat eigene Betrachtungen zum objektiven Marktwert der ausgeschriebenen Leistungen nicht angestellt, jedenfalls weder dokumentiert noch inzwischen dargelegt. Das relativ breite Teilnehmerfeld mit nahe beieinander liegenden Preisen und die Ausführungen seiner Beraterin, welche u.a. auch keine Zweifel an der Angemessenheit der Preise der Antragstellerin in ihren Angeboten hatte, legen eher nahe, dass die Angebote jeweils ein ausgewogenes individuelle Preis-Leistungs-Verhältnis aufwiesen. Der vom Antragsgegner angestellte Vergleich mit dem Eigenversorgungsmodell rechtfertigt die Bewertung der Ausschreibungsergebnisse i.S. des § 20 EG Abs. 1 lit. c) VOL/A hingegen nicht, denn dem Eigenversorgungsmodell liegt ein grundlegend anderes Leistungs-Soll zugrunde.
- 52
d) Schließlich kann sich der Antragsgegner für die getroffene Aufhebungsentscheidung auch nicht mit Erfolg auf die von ihm selbst im Rahmen der Vorbereitung der Ausschreibung vor deren Beginn bewirkten Vergaberechtsverstöße stützen. Es ist zwar anerkannt, dass ein schwerwiegender Grund für die Aufhebung der Ausschreibung i.S. von § 20 EG Abs. 1 lit. d) VOL/A auch vorliegen kann, wenn Mängel des Vergabeverfahrens vorliegen. Voraussetzung ist jedoch, dass diese Mängel so schwerwiegend sind, dass sie entweder die (weitere) Durchführung des Verfahrens und die Vergabe des Auftrags objektiv ausschließen oder dass sie dazu führen, dass nach einer Interessenabwägung das Festhalten des öffentlichen Auftraggebers am Vergabeverfahren mit Recht und Gesetz nicht zu vereinbaren wäre und von den Bietern im Hinblick auf die Schwere des Fehlers erwartet werden kann, dass sie auf diese rechtlichen und tatsächlichen Bindungen des Auftraggebers Rücksicht nehmen (vgl. BGH, Urteil v. 12.06.2001, X ZR 150/99, VergabeR 2001, 293; Beschluss v. 18.02.2003, X ZB 43/02 „Jugendstrafvollzug“, BGHZ 154, 32; Urteil v. 20.11.2012, X ZR 108/11 „Friedhofserweiterung“, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.11.2003, VII-Verg 59/03 „ausbildungsbegleitende Hilfen“, ZfBR 2004, 202; Beschluss v. 16.02.2005, VII-Verg 72/04). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Antragsgegner auch unter Berücksichtigung seines Beschwerdevorbringens nicht darzulegen vermocht.
- 53
aa) Sämtliche vom Antragsgegner selbst angeführten Fehler seiner Ausschreibung sind vor Beginn der Ausschreibung gemacht worden. Dies betrifft die u.U. fehlerhafte Bewertung der Ausschreibungsreife des Betreibermodells im Hinblick auf den haushaltsrechtlich gebotenen Wirtschaftlichkeitsvergleich mit dem Eigenversorgungsmodell, die u.U. fehlerhafte und der Ausschreibungskonzeption unter Zulassung von Nebenangeboten nicht angepasste Auswahl des alleinigen Zuschlagskriteriums des niedrigsten Preises (vgl. dazu BGH, Beschluss v. 07.01.2014, X ZB 15/13 „Stadtbahnprogramm Gera“) und auch die Fehlerhaftigkeit des Bekanntmachungstextes im Hinblick auf die geforderten Eigenerklärungen und Nachweise zur Eignung.
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bb) Die teilnehmenden Bieter, darunter die Antragstellerin, haben weder die Vergaberechtswidrigkeit der Bekanntmachung noch diejenige der Vergabeunterlagen gerügt; sie haben die Eignungsanforderungen trotz der Unwirksamkeit des Verlangens des Antragsgegners formell und inhaltlich erfüllt und sie haben jedenfalls wertungsfähige Hauptangebote abgegeben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, weshalb eine Vergabe des ausgeschriebenen Auftrags durch den Antragsgegner im Hinblick auf die von ihm selbst vor Beginn des Vergabeverfahrens bewirkten Vergaberechtsverstöße objektiv ausgeschlossen oder mit den rechtlichen und tatsächlichen Bindungen des Antragsgegners schlichtweg unvereinbar sein sollte. Darüber hinaus ist der Dokumentation des Vergabeverfahrens nicht zu entnehmen, dass der Antragsgegner die Interessenlage der Bieter in seine Entscheidung einbezogen hätte und beispielsweise die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Beseitigung der Vergaberechtsverstöße im laufenden Vergabeverfahren, etwa durch Zurückversetzung in den vorigen Stand, geprüft hätte.
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4. Angesichts des Fehlens eines Aufhebungsgrundes i.S. von § 20 EG Abs. 1 VOL/A kam es zwar für die Entscheidung des Senats nicht mehr darauf an, dass die Vergabedokumentation auch die gebotene Ermessensausübung nicht erkennen lässt. Insoweit ist gleichwohl darauf zu verweisen, dass der Ermessensnichtgebrauch ebenfalls die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung rechtfertigt.
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IV. Aus dem Vorausgeführten ergibt sich, dass für die Antragstellerin zur Wahrnehmung ihrer Beteiligtenrechte im Vergabenachprüfungsverfahren und insbesondere zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör eine erweiterte Akteneinsicht, wie im Beschwerdeverfahren beantragt, nicht erforderlich gewesen ist. Eine Dokumentation des Wirtschaftlichkeitsvergleichs zwischen Betreibermodell und Eigenversorgungsmodell vor Beginn der Ausschreibung hat der Antragsgegner schon nicht vorgelegt. Auf die Details der Berechnungen der Beraterin des Antragsgegners im Rahmen ihrer Empfehlung vom 07.06.2013 ist es für die zu treffende Entscheidung nicht angekommen. Gleiches gilt - mit Ausnahme des Zeitpunkts des Abschlusses des Gasliefervertrags - für die Anlagen zum (nicht nachgelassenen) Schriftsatz des Antragsgegners nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer.
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V. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners, hier auf seinen hilfsweise gestellten Antrag, war die Kostenlastentscheidung der Vergabekammer, wie geschehen, abzuändern.
- 58
1. Nach § 128 Abs. 3 S. 1 GWB hat ein Beteiligter des Nachprüfungsverfahrens die Kosten für Amtshandlungen der Vergabekammer (Gebühren und Auslagen i.S. von § 128 Abs. 1 GWB) zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt, wobei das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen formell daran gemessen wird, ob dem von ihm gestellten Antrag in der Hauptsache stattgegeben bzw. teilweise stattgegeben oder er zurückgewiesen wird. Der Hauptantrag der Antragstellerin ist zurückgewiesen worden, d.h. insoweit ist sie unterlegen. Dem Hilfsantrag ist stattgegeben worden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass der Gegenstandswert eines auf Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten im Vergabeverfahren gerichteten Antrags und der Gegenstandswert eines auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Antragsgegners im Vergabeverfahren gerichteten Antrags identisch sind, weil beide Gegenstandswerte nach § 50 Abs. 2 GKG bemessen werden. Insoweit ist eine Kostenaufhebung, d.h. eine Zuweisung der Kostenlast je zur Hälfte, vorzunehmen.
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2. Für den Fall der streitigen Entscheidung der Vergabekammer sieht § 128 Abs. 4 S. 1 GWB ebenfalls vor, dass die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen eines Verfahrensbeteiligten von dessen Verfahrensgegner zu tragen sind, soweit dieser unterliegt. Dies führt hier dazu, dass der Antragsgegner die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin für die Hinzuziehung einer Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer zur Hälfte zu tragen hat.
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VI. 1. Die Entscheidung über die Kostentragung im Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 120 Abs. 2 i.V.m. 78 GWB. Es entspricht der Billigkeit, dass der Antragsgegner, der mit seinem Rechtsmittel ganz überwiegend unterlegen bleibt, die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin vollständig zu tragen hat.
- 61
2. Die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat legt dabei die geprüfte Angebotssumme des Nebenangebots 3 der Antragstellerin für die gesamte zehnjährige Vertragslaufzeit zugrunde. Wie ausgeführt, wird das Leistungsbild des ausgeschriebenen Auftrags und damit auch das wirtschaftliche Interesse aller Beteiligten am Abschluss bzw. am Nichtabschluss des Vertrags durch die Besonderheiten des Betreibermodells geprägt, zu denen neben der wirtschaftlichen Verknüpfung verschiedener Leistungsarten gerade auch die Laufzeit des Vertrags zählt.
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Referenzen
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- GWB § 99 Öffentliche Auftraggeber 2x
- GWB § 100 Sektorenauftraggeber 2x
- GWB § 102 Sektorentätigkeiten 1x
- GWB § 107 Allgemeine Ausnahmen 1x
- GWB § 108 Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit 1x
- §§ 102 ff. GWB 1x (nicht zugeordnet)
- GWB § 114 Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten 3x
- GWB § 123 Zwingende Ausschlussgründe 1x
- GWB § 115 Anwendungsbereich 2x
- § 20 EG 14x (nicht zugeordnet)
- § 101b GWB 1x (nicht zugeordnet)
- GWB § 124 Fakultative Ausschlussgründe 6x
- § 23 VgV 1x (nicht zugeordnet)
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- GWB § 97 Grundsätze der Vergabe 3x
- GWB § 117 Besondere Ausnahmen für Vergaben, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen 1x
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- § 2 Nr. 2 VgV 2012 und VO 1x (nicht zugeordnet)
- GWB § 131 Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr 1x
- § 23 i.V.m. 3 Abs. 9 Alt. 1 VgV 1x (nicht zugeordnet)
- GWB § 128 Auftragsausführung 3x
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- 1 U 47/06 1x (nicht zugeordnet)
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- X ZR 48/97 1x (nicht zugeordnet)
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- X ZR 108/11 1x (nicht zugeordnet)
- X ZB 15/13 1x (nicht zugeordnet)