Beschluss vom Oberlandesgericht Nürnberg - 8 W 457/22

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Amberg vom 12.01.2022, Az. 23 O 564/20, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Kläger hatte mit einer beim Landgericht Amberg seit August 2020 anhängigen Klage die Zahlung von 38.250 € aus einer zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherung verlangt. Hintergrund dieses Rechtsstreits war die Schließung der Gaststätte des Klägers infolge der behördlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie seit März 2020 (sog. „erster Lockdown“) sowie der damit verbundene Einnahmenverlust des Klägers.

Im Rahmen der Güteverhandlung vom 25.02.2021 wies die zuständige Einzelrichterin darauf hin, dass nach vorläufiger Rechtsansicht ein Entschädigungsanspruch des Klägers anhand der maßgeblichen Versicherungsbedingungen dem Grunde nach bestehe, zur konkreten Höhe des Anspruchs aber voraussichtlich ein Sachverständigengutachten einzuholen sei (Bl. 68 d.A.). Ein in der Verhandlung geschlossener Vergleich der Parteien wurde seitens der Beklagten widerrufen.

Daraufhin erließ das Landgericht am 23.03.2021 einen Beweisbeschluss und ordnete die Erstattung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Ermittlung des durchschnittlichen Rohertrages des klägerischen Gewerbebetriebs an (Bl. 75-77 d.A.).

Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige … erstattete das Gutachten am 25.08.2021 (Bl. 130 ff. d.A.). Hierfür erhielt er ein Honorar von 5.419,26 € (Kostenvermerk VI). Nachdem die Parteien zu dem Gutachten Stellung genommen hatten, wies das Landgericht mit Verfügung vom 02.12.2021 darauf hin, dass es seine in der Güteverhandlung geäußerte Ansicht aufgebe. Zur Begründung wurde auf das Senatsurteil vom 15.11.2021 - 8 U 322/21 - Bezug genommen (Bl. 190 d.A.).

Daraufhin traten die Parteien erneut in Vergleichsverhandlungen ein und einigten sich auf eine Zahlung von 7.500 € an den Kläger nebst Abgeltungsklausel. Von den Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs haben der Kläger 6/7 und die Beklagte 1/7 zu tragen. Das Zustandekommen dieses Vergleichs wurde gemäß § 278 Abs. 6 ZPO mit Beschluss des Landgerichts vom 28.01.2022 festgestellt (Bl. 208/209 d.A.).

Bereits mit Schriftsatz vom 04.01.2022 hatte der Kläger beantragt, die Gerichtskosten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens niederzuschlagen, weil die überraschende Änderung der Rechtsansicht des Landgerichts nicht zu Lasten des Klägers gehen dürfe (Bl. 195 d.A.).

Diesen Antrag wies das Landgericht mit Beschluss vom 12.01.2022 zurück (Bl. 199 d.A.). Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers ging am 07.02.2022 beim Landgericht ein (Bl. 218/219 d.A.). Dieser hat das Landgericht mit Beschluss vom 11.02.2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 226/227 d.A.).

II.

1. Die Beschwerde des Klägers ist statthaft gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 GKG. Unabhängig davon, ob dem Kläger zwischenzeitlich eine Kostenrechnung zugegangen und sein Antrag auf Niederschlagung der Sachverständigenkosten in eine Erinnerung nach § 66 Abs. 1 GKG umzudeuten ist (vgl. hierzu BeckOK-KostR/Dörndorfer, § 21 GKG Rn. 9 m.w.N. [Stand: 01.01.2022]), findet gegen eine den Antrag des Kostenschuldners zurückweisende Entscheidung des Erstgerichts die Beschwerde statt (vgl. OLG München, BeckRS 2021, 28885 Rn. 10 m.w.N.). Es handelt sich um einen Teil des Kostenansatzverfahrens (vgl. NK-GK/Fölsch, 3. Aufl., § 21 GKG Rn. 3).

Die notwendige Beschwer des Klägers ist gegeben. An eine Frist ist das Rechtsmittel nicht gebunden (vgl. Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl., § 66 GKG Rn. 50 m.w.N.).

Über die Beschwerde entscheidet der Senat durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter (§ 66 Abs. 6 Satz 1 GKG).

2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag des Klägers auf teilweise Niederschlagung der Gerichtskosten - hier der Sachverständigenvergütung (Nr. 9005 KV GKG, § 9 JVEG) - zu Recht und mit überzeugender Begründung abgelehnt.

Es kann zunächst auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses vom 12.01.2022 sowie der Nichtabhilfeentscheidung Bezug genommen werden, der sich der Senat uneingeschränkt anschließt.

Ergänzend ist auszuführen:

a) Entgegen der in der Beschwerdeschrift angedeuteten Ansicht des Klägers ist die Niederschlagung der Gerichtskosten nicht allein an Billigkeitserwägungen orientiert. Sie setzt gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG vielmehr eine unrichtige Sachbehandlung durch das Landgericht voraus und bezieht sich auf solche Kosten, die ohne den in der Sphäre der Gerichte aufgetretenen Fehler nicht entstanden wären.

Eine unrichtige Sachbehandlung in diesem Sinne liegt vor, wenn das Gericht offensichtlich und eindeutig gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen bzw. diese grob verkannt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24.09.1962 - VII ZR 20/62, NJW 1962, 2107 und vom 10.03.2003 - IV ZR 306/00, NJW-RR 2003, 1294). Im Umkehrschluss führt nicht jeder Verfahrensfehler oder sonstige Fehler des Gerichts zur Anwendung des § 21 GKG.

b) Die genannten Voraussetzungen sind hier ersichtlich nicht gegeben. Dem Landgericht ist überhaupt kein Verfahrensfehler vorzuwerfen, schon gar kein schwerwiegender.

aa) Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2021 hatte die Einzelrichterin den Parteien in der gemäß § 139 ZPO gebotenen Weise ihr Verständnis von der Auslegung der maßgeblichen Versicherungsbedingungen mitgeteilt. Sie hatte diese Rechtsansicht ausdrücklich als eine vorläufige bezeichnet und - wiederum als Ergebnis einer vorläufigen Bewertung - auf die Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens hingewiesen. Diese Rechtsansicht war zumindest vertretbar. Offensichtlich unhaltbar war sie keinesfalls (vgl. hierzu OLG München, MDR 1990, 348). Im Februar 2021 war das Meinungsbild in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung zu Auslegung und Wirksamkeit der branchenüblichen Bedingungswerke in der Betriebsschließungsversicherung noch uneinheitlich. Weder der erkennende Senat noch der Bundesgerichtshof hatten zu diesem Zeitpunkt Entscheidungen zu vergleichbaren Klauseln getroffen. Nichts anderes gilt für den Zeitpunkt des Beweisbeschlusses vom 23.03.2021.

Das Landgericht war bei dieser Sachlage nicht verpflichtet, von Amts wegen auf ein Ruhen des Verfahrens hinzuwirken, um Entscheidungen höherer Instanzen abzuwarten. Es war auch nicht gehalten, sich auf dem Dienstwege danach zu erkundigen, ob bei dem zuständigen Berufungsgericht bereits Rechtsmittel anhängig sind und wann ggf. mit einer entsprechenden Entscheidung zu rechnen ist.

Vielmehr hatte das Landgericht das Verfahren weiter zu fördern, nachdem der zunächst geschlossene Vergleich widerrufen worden ist. Hierzu hat die Vorinstanz - verfahrensrechtlich einwandfrei - Sachverständigenbeweis erhoben (§§ 358, 359, 404 ZPO) und bei dem beweispflichtigen Kläger einen Vorschuss angefordert (§§ 402, 379 ZPO).

bb) Gemessen an § 21 Abs. 1 GKG ist es schließlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht seine bisherige Rechtsansicht nach Eingang des schriftlichen Sachverständigengutachtens aufgegeben und sich der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des erkennenden Senats zu vergleichbaren Versicherungsbedingungen (vgl. insbesondere OLG Nürnberg, Urteil vom 15.11.2021 - 8 U 322/21, BeckRS 2021, 34338) angeschlossen hat. Diese Rechtsprechung ist sodann auch höchstrichterlich bestätigt worden (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2022 - IV ZR 144/21, VersR 2022, 312). Auf seine geänderte Rechtsauffassung hinzuweisen, war für das Landgericht nach § 139 Abs. 2 ZPO geboten (vgl. BGH, Beschluss vom 29.04.2014 - VI ZR 530/12, NJW 2014, 2796 Rn. 5 m.w.N.). Damit waren die Prozessaussichten des Klägers naturgemäß rapide gesunken und es erschien allemal ratsam, auf das Vergleichsangebot der Beklagten einzugehen. Infolgedessen mag sich die vom Landgericht angeordnete und durchgeführte Beweisaufnahme später wegen geänderter Rechtsauffassung als überflüssig erwiesen haben. Dies rechtfertigt es aber nicht, die hierbei angefallenen Kosten nicht zu erheben (vgl. OLG München, NJW-RR 2003, 1294; OLG Koblenz, BeckRS 2009, 5757; BeckOK-KostR/Dörndorfer, § 21 GKG Rn. 4 [Stand: 01.01.2022]). Im Übrigen ist es nicht Zweck des Verfahrens nach § 21 GKG, die im Rechtsstreit vertretenen unterschiedlichen Rechtsansichten in materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Hinsicht nach Abschluss des Verfahrens einer weiteren Klärung oder obergerichtlichen Überprüfung zuzuführen (vgl. Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 5. Aufl., § 21 Rn. 5).

3. Gebühren werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Eine Kostenerstattung findet nicht statt (§ 66 Abs. 8 GKG).

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