Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Strafsenat) - 2 HEs 6/09 I 4/09
Tenor
Eine Haftprüfung durch den Senat ist zurzeit nicht veranlasst.
Gründe
I.
- 1
Der Angeklagte wurde aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts D. - Zweigstelle M. - vom 20.03.2007 - 34 Gs 16/06 - am 05.02.2009 festgenommen und befindet sich seither in dieser Sache ununterbrochen in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hat gegen ihn unter dem 22.05.2009 Anklage wegen Bandendiebstahls zur großen Strafkammer des Landgerichts N. erhoben. Die Anklage wurde mit Beschluss vom 11.06.2009 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor der mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden besetzten I. Großen Strafkammer eröffnet. Zugleich wurde gemäß § 207 Abs. 4 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft beschlossen.
- 2
Am 20.07., 29.07. und 12.08.2009 fand in dieser Sache die Hauptverhandlung statt. Der für den 21.08.2009 vorgesehene Fortsetzungstermin wurde wegen Erkrankung der beisitzenden Richterin an diesem Tag durch Verfügung des Kammervorsitzenden (§ 228 Abs. 1 Satz 2 StPO) auf den 31.08.2009 verlegt, konnte wegen fortdauernder Krankheit der besitzenden Richterin aber ebenfalls nicht stattfinden. Weil auch bis zum 02.09.2009 kein weiterer Fortsetzungstermin in der bisherigen richterlichen Besetzung möglich war, wurde die Hauptverhandlung daraufhin am 31.08.2009 wegen Überschreitung der dreiwöchigen Höchstdauer der Unterbrechung (§ 229 Abs. 1 StPO) faktisch ausgesetzt. Zugleich wurde Termin zum Neubeginn (§ 229 Abs. 4 Satz 1 StPO) zunächst auf den 09.09.2009 und - nachdem zu diesem Zeitpunkt die besitzende Richterin weiterhin und darüber hinaus nun auch der weitere besitzende Richter der Kammer erkrankt war - auf den 16.09.2009 bestimmt. Zugleich ordnete der Vorsitzende der Kammer die Vorlage der Akten zur besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO an. Die Vorgänge gingen noch am 31.08.2009 beim Senat ein.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 31.08.2009 beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten anzuordnen. Dieses Schreiben wurde den Verteidigern am 02.09.2009 und dem Angeklagten mit einer Übersetzung in die polnische Sprache am 04.09.2009 jeweils mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche förmlich zugestellt. Der Wahlverteidiger hat sich dazu unter dem 09.09.2009 geäußert und die Aufhebung des Haftbefehls beantragt, weil die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO nicht länger vorlägen.
II.
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Die Voraussetzungen für eine besondere Haftprüfung durch den Strafsenat gem. §§ 121, 122 StPO liegen gegenwärtig nicht vor.
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Zwischen dem 20.07. und dem 31.08.2009 hat die erste Hauptverhandlung in dieser Sache stattgefunden. Während dieser Zeitspanne ruhte der Lauf der Frist des § 121 Abs. 1 StPO. Das gilt auch für die Zeit der zulässigen Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO. Das Ruhen des Fristenlaufs ist durch die Aussetzung des Verfahrens auch nicht nachträglich in Wegfall geraten.
1.
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Gem. § 121 Abs. 3 Satz 2 und 3 StPO ruht der Ablauf der Vorlagefrist bis zur Verkündung des Urteils, wenn die Hauptverhandlung - wie hier - vor Fristablauf begonnen hat. Wird eine begonnene Hauptverhandlung ausgesetzt mit der Folge, dass sie später erneut durchgeführt werden muss, läuft die Frist bei einem weiterhin inhaftierten Angeklagten erst von der Aussetzung an weiter. Denn die Aussetzung hat nicht zur Folge, dass das Ruhen des Fristenlaufs rückwirkend entfällt (BGH NStZ 1986, 422 mit zustimmender Anmerkung Paeffgen NStZ 1989, 518; LR-Hilger, StPO, 26. Aufl. § 121 Rn. 21).
2.
- 7
Für dieses Verständnis von der Reichweite des § 121 Abs. 3 StPO streitet auch die Entstehungsgeschichte der Norm. In der Begründung der Bundesregierung zu dem durch das Strafprozessänderungsgesetz vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067) eingefügten und im Gesetzgebungsverfahren nicht geänderten § 121 Abs. 3 StPO heißt es dazu u. a. (Hervorhebung durch den Senat):
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"Auch während der Hauptverhandlung ruht der Lauf der Frist. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und können die Akten in der noch zur Verfügung stehenden restlichen Frist nicht mehr dem Oberlandesgericht vorgelegt werden, so läuft die Frist nicht weiter, wenn die Entscheidung des Oberlandesgerichts unverzüglich nach der Aussetzung beantragt wird." (BT-Drucksache III/ 2037 Seite 24).
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Der Hinweis darauf, dass die Frist während der Hauptverhandlung (generell) ruht, und es bei einer Aussetzung auf die dann noch zur Verfügung stehende restliche Frist ankommt, spricht gegen einen nachträglichen Wegfall der Ruhenswirkung bei einer Aussetzung der Hauptverhandlung (so auch BGH a.a.O.; Senatsbeschluss vom 16.09.2008 - HEs 4/08 I 5/08 = NStZ-RR 2009, 20; Senatsbeschluss vom 08.06.2009 - HEs I 3/09).
3.
- 10
Vorstehende - einen Beschuldigten gegebenenfalls in seinen Freiheitsrechten tangierende - Auslegung darf nach Auffassung des Senats angesichts des Gebots der besonders beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen und im Lichte der Bedeutung der §§ 121, 122 StPO (vgl. dazu KK-Schultheis, StPO 6. Aufl., § 121 Rn. 1 m. w. N.) zwar nicht ohne Einschränkung gelten. In Fällen beispielsweise erkennbarer Verfahrensverschleppung, ersichtlich unsachgemäßer, zögerlicher Durchführung einer Hauptverhandlung, deren ggf. unsachgemäßer oder willkürlicher Aussetzung - mithin in Fällen, in denen die Rspr. die Anfechtung einer Aussetzungsentscheidung gem. §§ 304, 305 Satz 1 StPO für zulässig (und begründet) erachtet hat (vgl. OLG Düsseldorf VRS 89 (1995), 211; OLG Frankfurt MDR 1983, 253) - könnte im Einzelfall eine andere Sicht der Dinge geboten sein.
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Ein solcher, dem Ruhen des Fristenlaufs entgegenstehender Ausnahmetatbestand ist vorliegend jedoch nicht festzustellen. Es liegen keine Anhaltspunkte für eine bewusst sach-widrige Handhabung oder Verschleppung des Verfahrens durch das Landgericht vor. Die Unterbrechung der Hauptverhandlung zwischen dem 12. und 31.08.2009 und die sodann wegen Ablaufs der Höchstfrist des § 229 Abs. 1 StPO notwendige (faktische) Aussetzung des Verfahrens waren allein der - auch hinsichtlich ihrer Dauer - nicht absehbaren Erkrankung der besitzenden Richterin geschuldet.
III.
- 12
Nachdem zu Beginn der Hauptverhandlung am 20.07.2009, der zum Ruhen des Fristenlaufs geführt hat, noch 16 Tage bis zum Ablauf der sechsmonatigen Frist des § 121 Abs. 1 StPO offen waren und die verbliebene Frist nach Aussetzung der Verhandlung am 31.08.2009 erst am 01.09.2009 wieder zu laufen begonnen hat (§ 42 StPO), fällt der reguläre Termin zur besonderen Haftprüfung durch den Senat auf den heutigen Tag. Just heute hat nach Auskunft des Landgerichts aber auch die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten mit der Wirkung neu begonnen, dass der Fristenlauf abermals gemäß § 121 Abs. 3 Satz 2 StPO bis zur Verkündung des Urteils ruht.
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Vorbehaltlich einer neuen Aussetzung der Verhandlung ist deshalb eine besondere Haftprüfung durch den Senat nicht veranlasst.
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