Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Senat) - 20 OLGAusl 6/20

Tenor

Die gegen den Verfolgten am 12.03.2020 angeordnete vorläufige Auslieferungshaft dauert als Auslieferungshaft fort.

Gründe

I.

1

Der Senat hat mit Auslieferungshaftbefehl vom 12.03.2020, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, die vorläufige Auslieferungshaft gegen den am 10.03.2020 in dieser Sache in Rostock festgenommen Verfolgten angeordnet, die seither in der Justizvollzugsanstalt Bützow vollzogen wird. Diese dient der Sicherung der Auslieferung des Verfolgten in die Republik Aserbaidschan zur Strafverfolgung wegen der ihm mit Haftbefehl des Bezirksgerichts Nasimi der Stadt Baku/Aserbaidschan vom 21.05.2019 - 4 (006)-284/2019 - zur Last gelegten Straftaten des ungesetzlichen Übertritts der staatlichen Grenzen der Republik Aserbaidschan und der Verfälschung, ungesetzlichen Vorbereitung, des Verkaufs offizieller Dokumente, Siegel, Stempel, Formulare oder Benutzung von verfälschten Dokumenten.

2

Das Auslieferungsersuchen des Justizministeriums der Republik Aserbaidschan vom 19.03.2020 und die Auslieferungsunterlagen nebst Übersetzungen sind am 09.04.2020 beim Auswärtigen Amt in Berlin eingegangen. Dies wurde durch das Auswärtige Amt mit E-Mail vom 16.04.2020 bestätigt. Auf die Kopien (Bd. II Bl. 26 ff. d.A.) wird Bezug genommen.

3

Dem Verfolgten wird von den aserbaidschanischen Behörden vorgeworfen, Ende 2018 in Izmir/Türkei den auf den griechischen Staatsangehörigen  ... ausgestellten Reisepass mit der Nummer AN 3712805 für 3.000 USD an den Palästinenser  ... verkauft zu haben, nachdem er in den Reisepass ein Foto des  ... eingeklebt habe, um für ihn Asyl in anderen Staaten als politischer Flüchtling zu organisieren, obwohl dafür keine Grundlage besteht. Der Verfolgte habe ihn angewiesen, die Grenze illegal zu überschreiten und sei mit ihm am 30.12.2018 auf dem Luftweg mit Flug 076 von der Türkei nach Aserbaidschan am internationalen Flughafen in Baku eingereist, wo  ... sich bei der Grenzkontrolle unter Vorlage des gefälschten Reisepasses als  ... auszugeben versucht habe und deshalb von den Grenzbeamten festgenommen worden sei. Der Verfolgte habe angegeben, dass er  ... nicht kenne, und sei am 31.12.2018 nach Istanbul/Türkei zurückgeflogen (Bl. 37, 41 d.A.).

4

Der Verfolgte hat sich bei seiner Anhörung gemäß § 22 IRG vor der Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Rostock am 11.03.2020 mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt, auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität aber nicht verzichtet.

5

Eine Vernehmung des Verfolgten gemäß § 28 IRG kam wegen des bevorstehenden Ablaufs der 40-Tage-Frist des Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk vor der Fortdauerentscheidung nach § 16 Abs. 3 IRG nicht mehr in Betracht.

II.

6

Nach dem Eingang der Auslieferungsunterlagen war gemäß § 16 Abs. 3 IRG über die Fortdauer der Haft zu entscheiden. Diese hat als Auslieferungshaft fortzudauern.

7

1. Die Auslieferung des Verfolgten wegen der ihm vorgeworfenen Tat erscheint weiterhin nicht als von vornherein unzulässig, § 15 Abs. 1 IRG.

8

Der Auslieferungsverkehr findet nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) in Verbindung mit dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 und dem Dritten Zusatzprotokoll vom 10.11.2010 zu dem vorbezeichneten Übereinkommen statt.

9

Die Botschaft der Republik Aserbaidschan hat mit Verbalnote vom 06.04.2020 - 69/6-7/20 - (Bd. II Bl. 26 d.A.) die nach Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk erforderlichen Auslieferungsunterlagen auf dem dafür vorgesehenen Geschäftsweg übersandt. Diese sind am 09.04.2020 beim Auswärtigen Amt in Berlin, mithin vor Ablauf der 40-Tage-Frist des Art. 16 Abs. 4 EuAlÜBk, als der zur Entgegennahme zuständigen Stelle eingegangen (Bd. II Bl. 22 ff. d.A.), und von dort per E-Mail zu den Akten gereicht worden.

10

Dem Auslieferungsersuchen ist der Haftbefehl des Bezirksgerichts Nasimi der Stadt Baku/ Aserbaidschan vom 21.05.2019 - 4(006) - 284/2019 - (Bd. II Bl. 45 f. d.A.; Übersetzung - Bd. II Bl. 40 ff. d.A.) wegen ungesetzlichen Übertritts der staatlichen Grenzen der Republik Aserbaidschan und der Verfälschung, ungesetzlichen Vorbereitung, des Verkaufs offizieller Dokumente, Siegel, Stempel, Formulare oder Benutzung von verfälschten Dokumenten beigefügt.

11

Dass die der Verbalnote vom 06.04.2020 beigefügten Unterlagen lediglich in Ausdrucken der in elektronischer Form übermittelten, eingescannten Originaldokumente bestehen, während sich die Originale offenbar noch auf dem Postwege befinden, ist für die jetzt anstehende Senatsentscheidung unschädlich. Denn Telekopien (Fax) oder - wie hier - eingescannte Dokumente mit Reproduktionen der Originalunterschriften bzw. Beglaubigungsvermerke indizieren die Übereinstimmung mit den Originalunterlagen bzw. deren Authentizität; durch sie wird das förmliche Auslieferungsersuchen und die es tragenden Urkunden in einer für die Haftentscheidung unter Berücksichtigung von Haftzweck und diesbezüglichen Prüfungserfordernissen hinreichenden Weise dokumentiert. Den Anforderungen des Art. 12 Abs. 2 Buchst. a) EuAlÜbk ist entsprochen, wenn später die Originalunterlagen als Grundlage für die abschließende Zulässigkeitsentscheidung dem Senat vorliegen (vgl. dazu OLG Karlsruhe NJW 1996, 3426; Schomburg/Lagodny/Riegel/Trautmann, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Auflage, EuAlÜbk Art.12 Rn. 6).

12

Zwar fehlen dem übermittelten Ersuchen - ersichtlich durch ein Versehen beim Ablichten - die Seiten 2 und 4 des Haftbefehls in aserbaidschanischer Sprache. Dies erachtet der Senat indes als unschädlich, denn die für die Prüfung des Senats in erster Linie relevante beglaubigte Übersetzung des Haftbefehls ist vollständig. Zudem ergibt der Abgleich der vorab übermittelten Unterlagen mit den auf dem diplomatischen Weg zugesandten Teilen des Haftbefehls dessen Authentizität.

13

Die erforderliche Darstellung der Handlungen, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, einschließlich Zeit und Ort ihrer Begehung sowie ihre rechtliche Würdigung unter Bezugnahme auf die anwendbaren Gesetzesbestimmungen ergibt sich aus dem Haftbefehl vom 21.05.2019 sowie den dem Ersuchen beigefügten Beschlüssen vom 01.01.2019 (Bd. II Bl. 33; Übersetzung - Bd. II Bl. 32 d.A.) und 08.04.2019 (Bd. II Bl. 36 d.A.; Übersetzung - Bd. II Bl. 37 f. d.A.). Eine Abschrift der anwendbaren Gesetzesbestimmungen (Bd. II Bl. 49 f. d.A.; Übersetzung - Bd. II Bl. 47 f. d.A.) liegt ebenfalls vor. Auch die zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Verfolgten erforderlichen Angaben sind in dem Ersuchen und dessen Anlagen enthalten.

14

Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EuAlÜbk in Verbindung mit den Artikeln 318.2 und 320.1 des aserbaidschanischen Strafgesetzbuches einerseits, die eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorsehen, und nach sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts als versuchtes Einschleusen von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3, § 95 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) i.V.m. §§ 22, 23 StGB und als Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB andererseits.

15

Ein Bewilligungshindernis gemäß Art. 10 EuAlÜbk besteht nicht, weil Verfolgungsverjährung weder nach aserbaidschanischem noch nach deutschem Recht eingetreten ist.

16

Anhaltspunkte für eine politische strafbare Handlung oder Verfolgung aus politischen Gründen (Art. 3 EuAlÜbk) bestehen nicht.

17

Soweit die Haftbedingungen in Aserbaidschan einer Auslieferung entgegenstehen könnten, haben die aserbaidschanischen Behörden bereits Zusicherungen abgegeben (Bd. II Bl. 29 d.A.). Darüber hinaus beabsichtigen sie, die mit Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 20.03.2020 (Bd. II Bl. 7 ff. d.A.) und 02.04.2020 (Bd. II Bl. 12 ff. d.A.) verlangten ergänzenden Zusicherungen ebenfalls abzugeben (Bd. II Bl. 17 ff. d.A.).

18

Sonstige Bewilligungshindernisse oder Gründe, die gegen die Zulässigkeit der Auslieferung sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.

19

2. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Anordnung und den weiteren Vollzug der Auslieferungshaft liegen vor. Die Haft ist weiterhin erforderlich, weil die Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren entziehen wird. Er verfügt über keinen Inlandswohnsitz und hat sich auch bei Zugrundelegung seiner eigenen Angaben als äußerst mobil erwiesen. Durch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG kann der Haftzweck nicht erreicht werden.

20

Der Senat geht davon aus, dass die bisher unterbliebene richterliche Anhörung des Verfolgten nach § 28 IRG unverzüglich nach Erlass dieser Entscheidung erfolgen wird.

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