Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (5. Senat für Familiensachen) - 15 WF 191/12

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss vom 27.04.2012 geändert.

Auf seinen Antrag vom 23.04.2012 ist dem Antragsgegner Akteneinsicht zu gewähren.

Die Entscheidung über die Art der Akteneinsicht wird dem Amtsgericht – Familiengericht – übertragen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

1

Der Antragsgegner hat am 23.04.2012 Einsicht in die Akten dieses (Unterhalts-)Verfahrens beantragt, das durch abschließende Entscheidung vom 10.01.2012 im Kostenfestsetzungsverfahren beendet worden war. Beim Beschwerdegericht sind weitere Verfahren mit Beteiligung des Antragsgegners anhängig. Das Amtsgericht – Familiengericht – hat den Antrag in Anwendung des § 299 Abs. 2 ZPO durch Beschluss vom 27.04.2012 zurückgewiesen, da kein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht worden sei. Das Gericht hat gemeint, jene Vorschrift wegen der Beendigung des Verfahrens anwenden zu müssen. Der dagegen am 06.05.2012 eingelegten (sofortigen) Beschwerde des Antragsgegners ist nicht abgeholfen worden.

2

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 567 ff. ZPO zulässig.

3

Zwar stützt sich der angefochtene Beschluss auf § 299 Abs. 2 ZPO, wonach für die Gestattung der Einsicht der Akten der Vorstand des Gerichts zuständig ist. Lehnt dieser oder derjenige Richter, auf den die Entscheidungsbefugnis vom Vorstand des Gerichts zulässigerweise übertragen worden ist, den Antrag ab, handelt es sich um einen Bescheid der Justizverwaltung, gegen den der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG und nicht die sofortige Beschwerde der zulässige Rechtsbehelf ist.

4

Die entscheidende Richterin hat jedoch nicht als Teil der Verwaltung entschieden, denn sie hat als Familienrichterin unter dem Aktenzeichen und mit dem Rubrum des Verfahrens – allerdings ohne Rechtsbehelfsbelehrung – einen Beschluss gefasst. Äußert sich das Amtsgericht in dieser Form zu einem Antrag auf Akteneinsicht, ist schon deshalb die sofortige Beschwerde das zulässige Rechtsmittel (sog. Meistbegünstigung, vgl. statt vieler Thomas/Putzo/Reichold, 32. Aufl., Rn. 6 ff. Vorbem. § 511 ZPO).

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Die Überprüfungsmöglichkeiten des Rechtsmittelgerichts richten sich bei unklaren oder inkorrekten Entscheidungen dann aber nach dem richtigen Rechtsbehelf (a.a.O., Rn. 10).

6

Vorliegend ist allerdings nicht der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG – für den auch nicht der erkennende, einem Familiensenat angehörende Einzelrichter, sondern nach der Geschäftsverteilung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts der 12. Zivilsenat zuständig wäre – der richtige Rechtsbehelf. Die Richterin hat zwar ihre Entscheidung auf § 299 Abs. 2 ZPO gestützt, hätte aber gemäß § 299 Abs. 1 ZPO und damit richtigerweise in ihrer Eigenschaft als für das Verfahren zuständige gesetzliche Richterin entscheiden müssen; die Vorschrift des § 13 FamFG über die Akteneinsicht ist nicht anwendbar, weil es sich um eine Familienstreitsache handelt (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG).

7

§ 299 Abs. 2 ZPO regelt nämlich das Akteneinsichtsrecht von Dritten, nicht am Verfahren beteiligten Personen. Der Antragsgegner als Beteiligter des abgeschlossenen Verfahrens ist kein Dritter. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf das Akteneinsichtsrecht von Parteien in Verfahren, die abgeschlossen sind, ist nicht veranlasst. Die entsprechende Anwendung der Vorschrift vertritt zwar, im Wesentlichen gestützt auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs in NJW 2006, 399, Greger in Zöller, 29. Aufl., Rn. 6 c zu § 299 ZPO. Dem steht allerdings die überwiegend andere Auffassung in der zivilprozessualen Rechtsprechung und Kommentarliteratur in den Anmerkungen zu § 299 ZPO entgegen (HansOLG Hamburg, OLGR Hamburg 2001, 315; OLG Köln, ZIP 1990, 876, 877; Hk-ZPO/Saenger, Rn. 3; MünchKomm-Prütting, 3. Aufl., Rn. 9; Prütting/Geblein/Deppenkemper, Rn. 3; Stein/Jonas/Leipold, 22. Aufl., Rn. 21; Wieczorek/Schütze/Assmann, 3. Aufl., Rn. 9).

8

Letztere ist zutreffend. Die Partei eines Verfahrens bleibt auch dann Partei mit dem Einsichtsrecht in „ihre“ Verfahrensakten gemäß § 299 Abs. 1 ZPO, wenn das Verfahren abgeschlossen ist. Anknüpfungspunkt für eine Anwendung des Abs. 2 kann insbesondere nicht der Umstand sein, dass für die Aufbewahrung der Akten nach Abschluss des Verfahrens die Gerichtsverwaltung zuständig ist (so das wesentliche Argument des BFH, a.a.O.). Schon der Wortlaut des § 299 ZPO bietet keinen Anlass das anzunehmen. Denn die Vorschrift unterscheidet in Abs. 1 und Abs. 2 nicht danach, wo sich die Akten tatsächlich befinden. Sie unterscheidet ferner nicht danach, ob ein Verfahren abgeschlossen ist oder nicht, sondern differenziert nur zwischen Parteien und dritten Personen. Die systematische Stellung der Vorschrift in den Verfahrensvorschriften im ersten Rechtszug nötigt schließlich auch nicht, wenn das Verfahren abgeschlossen ist, zu einem Rückgriff auf Abs. 2. Sollte insoweit eine Regelungslücke hinsichtlich des Akteneinsichtsrechts der Partei des abgeschlossenen Verfahrens bestehen, liegt die Heranziehung des § 299 Abs. 1 ZPO wesentlich näher.

9

Nach alledem steht dem Antragsgegner ein – unbeschränktes – Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO zu. Über die Art der Akteneinsicht hat das Amtsgericht – Familiengericht – zu entscheiden.

10

Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG wird von der Erhebung von Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren abgesehen. Die Unanfechtbarkeit dieses Beschlusses folgt aus § 567 Abs. 1 ZPO.


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