Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (1. Zivilsenat) - 1 U 37/21
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 29.04.2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
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Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen in sein Fahrzeug eingebauter unzulässiger Abschalteinrichtungen.
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Der Kläger kaufte von der X GmbH am 11.03.2019 einen gebrauchten VW Tiguan 2,0 TDI zu einem Preis von 18.430,00 € (Anlage K 1, AB). Das Fahrzeug ist mit einem Motor EA 288 ausgestattet. Es ist in die Schadstoffklasse EU 6 eingeteilt.
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In dem Motor wird der Stickoxidausstoß einerseits über eine Abgasrückführung minimiert. Dabei werden Abgase in den Verbrennungsraum zurückgeführt, was zu einer Abkühlung des Verbrennungsprozesses und dadurch zu einer verringerten Bildung von Stickoxiden führt. Andererseits steigt dadurch die Bildung von Rußpartikeln. Die Abgasrückführung wird über ein sogenanntes Thermofenster reguliert, d. h. abhängig u. a. von den Außentemperaturen verändert sich die Rate der Abgasrückführung. Die Beklagte hat das in den Fahrzeugen mit einem Motor EA implementierte Thermofenster am 16.01.2016 beim Kraftfahrt-Bundesamt vorgestellt.
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Andererseits ist in dem Fahrzeug ein SCR-Katalysator (selective catalytic reduction) eingebaut. In diesem Katalysator wird Stickoxid unter Zugabe von Harnstofflösung (AdBlue) in andere Stoffe umgewandelt.
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Aus einer Entscheidungsvorlage vom 18.11.2015 für den Motor EA 189 (Anlage K 2b, AB I) ergibt sich, dass sowohl in Motoren EA 189 als auch in Motoren EA 288 eine Funktion ausgebaut werden solle. In bis zur 22. KW 2016 hergestellten Fahrzeugen enthielt die Motorsteuerung eine Fahrkurvenerkennung bzw. Akustikfunktion. Die Motorsteuerung erkannte die Durchführung des NEFZ. Sie hielt dann die Abgasrückführungsrate auch im letzten Teil des NEFZ nach Erreichen der Betriebstemperatur des SCR-Katalysators hoch. Mit einer Applikationsrichtlinie vom 18.11.2015 (Anlage K 2d, AB I) entschied die Beklagte, diese für ab der 22. KW 2016 hergestellte Fahrzeuge nicht mehr zu verwenden.
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Das Fahrzeug des Klägers ist von keinem Rückruf betroffen. Es gibt für vergleichbare Fahrzeugtypen Rückrufe als freiwillige Kundendienstmaßnahmen (Kundeninformation Anlage K 2h, AB I). Das Modell T 6 war von einem Rückruf wegen einer Konformitätsabweichung betroffen, weil festgestellt worden war, dass es bei der Regeneration des Partikelfilters zu höheren Stickoxidemissionen kam als angenommen.
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Fahrzeuge mit Motoren EA 288 waren im Jahr 2016 Gegenstand der Untersuchungen, die nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals durchgeführt wurden. Dabei wurden Messungen mit leichten Abweichungen vom NEFZ durchgeführt, etwa mit anderen Geschwindigkeiten oder bei anderen Temperaturen. Die Grenzwerte wurden dabei jeweils eingehalten (Bericht der Untersuchungskommission Anlage B 1, AB I). In verschiedenen Auskünften bestätigte das Kraftfahrt-Bundesamt, dass in verschiedenen Fahrzeugtypen mit Motoren EA 288 keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden seien (Anlagen BE 4, AB) und die Fahrkurvenerkennung keinen Einfluss auf die Emissionen habe (Anlagen BE 1, BE 4, AB). Bei Abgasmessungen im Straßenverkehr durch verschiedene Einrichtungen wurden die Grenzwerte überschritten (Anlagen K 2g, K 2k, 3, AB I).
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Der Kläger hat behauptet, der Motor enthalte eine Akustikfunktion wie der Motor EA 189, die zu einem Moduswechsel führe.
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Durch die Zykluserkennung werde die Einspritzung von AdBlue reduziert. Die optimale Dosierung von AdBlue erfolge nur während 2 oder 3 % der Fahrzeit. Sie werde bei Erreichen einer bestimmten Motortemperatur reduziert. Je nach Füllstand des AdBlue-Tanks nehme der Wirkungsgrad des SCR-Katalysators ab.
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Das Thermofenster funktioniere optimal zwischen 20 °C und 30 °C. Unter 17 °C und über 30 °C werde die Abgasrückführung abgeschaltet. Das Thermofenster sei technisch nicht erforderlich, weil es andere Mittel zur Abgasnachbehandlung gebe und die Umgebungstemperatur keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Abgasrückführungssystems habe.
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Die Abgasrückführung werde bei 2.750 Umdrehungen abgeschaltet.
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Das On-Board-Diagnosesystem (OBD) sei so manipuliert, dass es fälschlich ordnungsgemäß funktionierende Abgassysteme melde.
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Die Tests für die Untersuchungskommission seien an gereinigten Fahrzeugen durchgeführt worden. Ein Test bei 10 °C sei nicht durchgeführt worden.
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Der Kläger hat zuletzt die Zahlung von 15.801,22 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen die Übereignung des Fahrzeugs, hilfsweise die Feststellung eines Schadensersatzanspruchs, sowie die Feststellung des Annahmeverzugs, die Feststellung eines Delikts und die Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten begehrt. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
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Die Beklagte hat behauptet, die Abgasrückführung sei zwischen - 24 °C und 70 °C zu 100 % aktiv. Darunter und darüber werde die Abgasrückführung zur Vermeidung von Ablagerungen im Motor abgeschaltet.
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Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stünden gegen den Beklagten keine deliktischen Ansprüche zu, weil er zu unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht hinreichend substantiiert vorgetragen habe. Es fehlten greifbare Anhaltspunkte. Er habe eine Umschaltlogik nur pauschal behauptet. Die Applikationsrichtlinie stelle keinen greifbaren Anhaltspunkt dar. Er sei dem Vortrag der Beklagten nicht entgegengetreten, dass sie sie dem Kraftfahrt-Bundesamt übermittelt habe. Hinsichtlich der Fahrkurvenerkennung, der Manipulation des SCR-Katalysators der Akustikfunktion und des OBD-Systems habe er nicht substantiiert vorgetragen, dass es sich um eine unzulässige Umschaltlogik handele.
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Hinsichtlich des Thermofensters habe der Kläger nicht substantiiert vorgetragen, dass die Verwendung sittenwidrig sei. Die Beklagte habe aufgrund einer jedenfalls vertretbaren Rechtsauffassung gehandelt. Der Motorschutz sei eine plausible Begründung. Es gebe keine Anhaltspunkte für ein Bewusstsein, gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen. Die Prüfsituation werde nicht überlistet, die Unterscheidung erfolge nach einer Umgebungstemperatur, die auch im Straßenbetrieb auftreten könne.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, das Landgericht habe die Substantiierungsanforderungen überspannt. Er habe selbst keine Sachkunde. Er habe Anhaltspunkte für eine Abgasmanipulation vorgetragen. Er habe interne Dokumente der Beklagten vorgelegt, aus denen sich eine Fahrkurvenerkennung und eine Funktion wie bei dem Motor EA 189 ergebe. Er habe Messergebnisse vorgelegt, wobei die Überschreitung der Grenzwerte ein Indiz für Abschalteinrichtungen sei. Er habe zu Rückrufen betreffend den Motor EA 288 in den USA vorgetragen.
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Der Kläger hat zunächst die Zahlung von 15.724,43 € begehrt. Er hat die Klage teilweise für erledigt erklärt und beantragt nunmehr,
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unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 14.596,73 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11. April 2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Tiguan 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft;
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hilfsweise,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. v. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das Fahrzeug der Marke VW vom Typ Tiguan 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … resultieren;
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weiter,
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festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme, der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet;
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festzustellen, dass der Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt;
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die Beklagte zu verurteilen, ihn von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.680,28 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hat sich der Erledigterklärung nicht angeschlossen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
II.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht wegen eines unzureichenden Vortrags des Klägers zu einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten zurückgewiesen.
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1. Dem Kläger steht kein Anspruch aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung oder ein anderer Deliktsanspruch zu. Alle infrage kommenden deliktischen Ansprüche setzen voraus, dass die Beklagte oder ihre Erfüllungsgehilfen durch ein vorsätzliches sittenwidriges, täuschendes Verhalten die Zulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs gefährdet hätten. Das hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Es genügt regelmäßig nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2017, 250, 251 f., Rn. 16).
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Danach kann ein Autohersteller, der auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts systematisch, langjährig und in hohen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr bringt, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, sittenwidrig handeln. Damit ist die Gefahr verbunden, dass bei Aufdeckung der unzulässigen Abschalteinrichtung Betriebsbeschränkungen oder -untersagungen erfolgen. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der betroffenen Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16 bei juris).
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b) Es ist aufgrund des Vortrags des Klägers nicht feststellbar, dass sein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, die zum Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt führen kann.
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aa) Eine Abschalteinrichtung ist nach Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das bestimmte Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, wenn nicht bestimmte Ausnahmen vorliegen.
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Diese Vorschriften sind dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung vorliegt, wenn die Motorsteuerung während des Tests Parameter ermittelt, um die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesem Test zu verbessern, auch dann, wenn solche Verbesserung auch unter normalen Nutzungsbedingungen punktuell eintreten (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, NJW 2020, 1216, 1220 f., Rn. 91 ff., Rn. 102). Ein solches System ist auch dann nicht von der Ausnahme nach § 5 abs. 2 lit. a VO 715/2007/EG gedeckt, wenn es dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern (a. a. O, S. 1221, Rn. 103 ff., Rn. 115).
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(1) Es kann dahinstehen, ob es sich nach dieser Definition bei dem Thermofenster um eine Abschalteinrichtung handelt. Zweifel bestehen, weil zwar die Lufttemperatur ermittelt und je nach Lufttemperatur die Rate der Abgasrückführung verändert wird, das Thermofenster grundsätzlich aber sowohl auf dem Prüfstand als auch im normalen Straßenverkehr in gleicher Weise funktioniert. Unbedenklich wäre ein Thermofenster mit dem von der Beklagten behaupteten Temperaturbereich, weil die Abschaltung der Abgasrückführung bei Temperaturen erfolgte, die üblicherweise nicht zu erwarten sind.
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Letztlich kann dies offenbleiben, da jedenfalls die Voraussetzungen eines sittenwidrigen Handelns der Beklagten nicht hinreichend dargelegt sind.
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(2) Würde allerdings die Fahrkurvenerkennung dazu führen, dass die Leistung der Abgasreinigungssysteme im realen Fahrbetrieb gegenüber dem Betrieb auf dem Prüfstand reduziert wird, läge eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, da nicht ersichtlich ist, dass das zum Motorschutz erforderlich wäre.
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bb) Die Behauptungen des Klägers sind nicht hinreichend substantiiert, um eine Beweisaufnahme zu veranlassen.
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(1) Ein Sachvortrag ist hinreichend substantiiert, wenn er in Verbindung mit einem Rechtssatz zu der von der Partei begehrten Rechtsfolge führt. Einzelheiten, die für die Rechtsfolge nicht von Bedeutung sind, müssen nicht mitgeteilt werden, v. a. wenn die Partei keinen Einblick in den Sachverhalt haben kann. Es ist dann Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und ggf. einem Sachverständigen die Streitfragen zu unterbreiten. Eine Partei darf auch Aufklärung über Tatsachen verlangen, über die sie kein zuverlässiges Wissen erlangen kann, die sie aber nach Lage der Dinge für möglich hält, wenn sie mangels eigener Sachkunde keine Kenntnis von der Tatsache haben kann. Eine Behauptung ist erst unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufgestellt wird. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten. I. d. R. ist sie nur anzunehmen, wenn jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte fehlen (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/21, Rn. 20 ff. bei juris; BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, Rn. 4, 7 ff. bei juris).
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Bei der Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung können greifbare Anhaltspunkte etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder verpflichtende Rückrufe des Kraftfahrt-Bundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem im Streit stehenden Motortyp sein (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, Rn. 11 f. bei juris). Es kann ausreichen, wenn die Partei Presseberichte einreicht, nach denen das Kraftfahrt-Bundesamt wegen des Verdachts einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem betroffenen Motor ein Anhörungsverfahren eingeleitet und amtliche Rückrufe durchgeführt habe (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/21, Rn. 24 bei juris). Auch eine Überschreitung des Grenzwerts bei einem Test unter leichter Abweichung von den Bedingungen des NEFZ kann ein greifbarer Anhaltspunkt sein (Senat, Urteil vom 09.04.2021, 1 U 94/21, Rn. 38 ff. bei juris).
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(2) Der Kläger kann sich für seine Behauptung des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht auf die Entscheidungsvorlage für den Motor EA 189 und auf die Applikationsrichtlinie der Beklagten für den Motor EA 288 vom 15.11.2015 (Anlagen K 2b, K 2d) stützen.
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Unstreitig ist, dass die Motorsteuerung in dem Fahrzeug des Klägers über eine Fahrkurvenerkennung verfügt. Denn es ist im Jahr 2015 erstmals zugelassen, also vor der Entfernung der Fahrkurve aus dem Steuergerät bei Neufahrzeugen ab der 22. KW 2016 hergestellt worden. Dass die Fahrkurve durch ein Update entfernt worden wäre, teilen die Parteien nicht mit. Zu beanstanden ist eine Fahrkurvenerkennung aber erst, wenn sie zu einer Veränderung des Abgasverhaltens auf dem Prüfstand gegenüber dem Straßenverkehr führt. Das lässt sich nicht feststellen.
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Dass eine Umschaltlogik vorhanden ist, ergibt sich nicht aus der Entscheidungsvorlage zum Motor EA 189. Bei der dort genannten Funktion, die auch aus den Steuergeräten der Motoren EA 288 entfernt werden soll, kann es sich auch um die bloße Fahrkurvenerkennung oder Akustikfunktion handeln. Dafür spricht die Applikationsrichtlinie vom selben Datum, die speziell den Motor EA 288 betrifft und in der es eben um die Entfernung der Fahrkurve geht.
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Dass die Fahrkurve Einfluss auf die Einhaltung des Grenzwerts für Stickoxidemissionen hat, ergibt sich aus der Applikationsrichtlinie nicht. Unstreitig ist nur, dass die Abgasrückführungsrate im NEFZ auch dann hoch gehalten wird, wenn das wegen der ausreichenden Betriebstemperatur des SCR-Katalysators nicht mehr erforderlich wäre. Das haben in der ersten Instanz beide Parteien vorgetragen. Dass nur dadurch der Grenzwert eingehalten wird, ist nicht erkennbar.
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Es geht ins Leere, dass der Kläger im Schriftsatz vom 09.12.2021 bestreitet, dass im ersten Drittel des NEFZ auf eine niedrigere Abgasrückführungsrate schaltet, dies für technisch nicht plausibel hält und daran Vermutungen über eine unzureichende Funktion des SCR-Katalysators knüpft. Denn eine solche Behauptung hat die Beklagte nicht aufgestellt. Zudem ist unklar, wie der Kläger zu seinen technischen Schlussfolgerungen kommt. Abgesehen davon ist der Vortrag neu und als streitig anzusehen, weil die Beklagte das Vorhandensein von Abschalteinrichtungen in Abrede stellt. Der Kläger legt nicht dar, wieso der neue Vortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen wäre.
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Dass, wie der Kläger weiter vorträgt, die Aufrechterhaltung der hohen Abgasrückführungsrate auch nach Erreichen der Betriebstemperatur des SCR-Katalysators technisch sinnlos ist, mag sein, deutet aber nicht auf eine Abschalteinrichtung hin. Es ist vielmehr der Sinn des Zusammenspiels von Abgasrückführung und SCR-Katalysator, dass zunächst die Entstehung von Stickoxiden durch die Abgasrückführung minimiert wird und die Abgasrückführung reduziert werden kann, wenn der SCR-Katalysator die entstehenden Stickoxide neutralisieren kann.
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An welcher Stelle der vorgelegten Unterlagen der Beklagten darauf hingewiesen wird, dass nach der Umstellung einige Abgasnachbehandlungskomponenten durch häufigere Regeneration stärker belastet werden könnten, ist nicht erkennbar. Jedenfalls wäre auch das kein Zeichen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, sondern einer funktionierenden Abgasnachbehandlung.
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Dass die Dosierung von AdBlue auf dem Prüfstand anders geregelt ist als im realen Betrieb oder dass es sonst Faktoren gibt, die die Dosierung reduzieren, ergibt sich aus der Applikationsrichtlinie nicht. Das folgt auch nicht aus der Grafik auf S. 5 des Statusberichts Diesel (Anlage K 2d, AB I; Klageschrift S. 26, Bl. 29 d. A.). Die Grafik befasst sich mit dem Füllstand von Ammoniak (NH3), nicht mit dem der Harnstofflösung AdBlue. Dem Senat ist aus anderen Verfahren bekannt, dass die Harnstofflösung im Katalysator u. a. in Ammoniak aufgespalten wird, das dann mit den Stickoxiden reagiert. Es versteht sich von selbst, dass weniger AdBlue zugeführt werden muss, wenn der Füllstand von Ammoniak näher am Soll liegt.
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Ansonsten ergibt sich aus diesem Dokument zwar, dass die SCR-Dosierung im Zyklus und außerhalb des Zyklus einmal Diskussionspunkt war (S. 25). Der Kläger legt aber nicht dar, an welcher Stelle eine unterschiedliche Dosierung von AdBlue beschrieben sein soll. Das ergibt sich auch nicht aus dem in Bezug genommenen Bericht auf tagesschau.de vom 12.09.2019 (Anlage K 2e, AB I) und der dort zitierten Äußerung von Herrn Dr. F. (auch Klageschrift S. 25, Bl. 28 d. A.). Dies geht über die Vorlage des Dokuments der Beklagten nicht hinaus, weswegen darin kein greifbarer Anhaltspunkt zu sehen ist.
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Gegen einen Betrieb des Fahrzeugs in verschiedenen Modi spricht, dass nach den Auskünften des Kraftfahrt-Bundesamts der Grenzwert auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung eingehalten wird. Das korrespondiert mit den Ergebnissen der Untersuchungskommission, dass Fahrzeuge mit dem Motor EA 288 auch bei leichten Abweichungen von den Bedingungen des NEFZ kein erheblich abweichendes Abgasverhalten gezeigt haben.
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Für die Behauptung, die Tests seien mit gereinigten Fahrzeugen durchgeführt worden, kann sich der Kläger nicht auf den Artikel auf SWR.de vom 13.09.2019 (Anlage K 2g, AB I) stützen. Aus diesem Artikel ergibt sich nur der unstreitige Sachverhalt, dass nach der Applikationsrichtlinie bis 2016 in der Motorsteuerung eine Fahrkurvenerkennung enthalten war, seitdem nicht mehr. Für seine weitere Behauptung, das Kraftfahrt-Bundesamt habe den Test bei 10 °C unterlassen, bei dem sich gerade Abweichungen zeigten, kann sich der Kläger nicht auf den Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 14.12.2016 (Anlage K 11, AB I) stützen. Dieser Artikel befasst sich allein mit dem Fahrzeug Audi A 3 und führt aus, dass bei diesem, anders als bei anderen Fahrzeugen, eine Messung bei 10 °C unterlassen worden sei. Soweit sich der Kläger auf eine Messung an einem Golf VII bezieht, bei der der Grenzwert bei 10 °C um das dreifache übertroffen worden sei (Anlage K 3a, AB I), ging es um ein Fahrzeug mit einem Stickoxid-Speicherkatalysator. Der Kläger teilt nichts dazu mit, dass das Ergebnis auf ein Fahrzeug mit einem SCR-Katalysator übertragbar wäre. Schließlich kann der Kläger die Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts nicht durch die im Schriftsatz vom 09.12.2021 zitierte Pressemitteilung der DUH, wonach eine „Kumpanei von Politik, Behörden und betrügerischen Automobilkonzernen“ bestanden habe, entkräften. Dies geht über eine bloße Meinungsäußerung nicht hinaus. Belegbare Erkenntnisse fehlen.
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Ferner ist es kein Anzeichen für eine unzulässige Abschalteinrichtung, dass nach den in der Applikationsrichtlinie auf S. 3 vorgesehenen Zielwerten der Grenzwert nur beim NEFZ kalt eingehalten wird. Denn die Abweichungen können statt auf eine Abschalteinrichtung auf unterschiedliche Umgebungsbedingungen und Motorbelastungen zurückzuführen sein, was gerade bei dem Realbetrieb der Fall sein wird. Unter welchen Bedingungen etwa die Testverfahren des ADAC durchgeführt werden, teil der Kläger nicht mit. Der Verordnungsgeber ging sicherlich davon aus, dass die Einrichtungen zur Abgasbehandlung und -reinigung bei abweichenden Bedingungen im Grundsatz ebenso funktionieren wie auf dem Prüfstand. Wenn der Grenzwert aber zu jedem Zeitpunkt des Betriebes, unabhängig von den Umgebungsbedingungen und der Motorbelastung einzuhalten wäre, hätte es der Normierung eines Testverfahrens nicht bedurft. Im Übrigen ist der ebenfalls aufgeführte Test NEFZ warm bei den Tests für die Untersuchungskommission durchgeführt worden, ohne dass das zu Beanstandungen geführt hätte.
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(3) Für eine abweichende Dosierung des AdBlue auf dem Prüfstand gegenüber dem Straßenverkehr kann sich der Kläger nicht auf die Mitteilung der EU-Kommission über die Ermittlungen u. a. gegen die Beklagte wegen Absprachen über die Größe des AdBlue-Tanks und die Reichweite einer Tankfüllung stützen, auch wenn dort von einer Begrenzung der Abgasreinigung ausgegangen wird. Denn nach der Pressemitteilung vom 05.04.2019 (Anlage K 2f AB I) erstreckte sich der Ermittlungszeitraum auf die Jahre 2006 bis 2014. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist aber erst im Jahr 2015 erstmals zugelassen, also kurz vorher hergestellt worden. Der Kläger teilt nicht mit, dass es von den Ermittlungen betroffen war. Weitere Anhaltspunkte für seine Behauptung teilt der Kläger nicht mit.
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(4) Für seine Behauptung, die Abgasrückführung werde außerhalb des Temperaturbereichs von 17 °C bis 30 °C abgeschaltet, teilt der Kläger keine greifbaren Anhaltspunkte mit. Er nennt keine Quelle für diese Angaben, sondern macht im wesentlichen Rechtsausführungen zur Zulässigkeit dieser Technik.
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(5) Für seine Behauptung die Abgasrückführung werde bei 2.750 Umdrehungen abgeschaltet, teilt der Kläger keine greifbaren Anhaltspunkte mit. Er bezieht sich auf eine anonyme Softwareauslesung, die in keiner Weise verifizierbar ist.
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(6) Eine Manipulation des OBD-Systems wäre nur relevant, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt werden könnte. Denn das OBD-System nimmt selbst keinen Einfluss auf die Abgaskontrolle.
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Zudem fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten für eine Manipulation. Der Kläger nennt keine Quelle für seine Behauptung.
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(7) Die freiwillige Kundendienstmaßnahme zur Reduzierung des Stickoxidausstoßes ist kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung. Es ist allgemein bekannt, dass die Automobilhersteller mit der Bundesregierung vereinbart haben, solche Maßnahmen durchzuführen, und zwar unabhängig von Verstößen gegen Bestimmungen zur Abgasreduzierung. Deswegen kann aus dem Angebot eines Updates nicht auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung geschlossen werden.
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Ein Rückruf wegen einer Alterung des Stickoxid-Speicherkatalysators betrifft das mit einem SCR-Katalysator ausgestattete Fahrzeug des Klägers nicht. Der Rückruf des Modells T 6 ist ebenfalls kein Anhaltspunkt für eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug des Klägers. Abgesehen davon, dass er einen anderen Fahrzeugtyp betraf, erfolgte er wegen einer Konformitätsabweichung, nicht wegen einer Abschalteinrichtung. Aus einer Konformitätsabweichung kann nicht auf ein sittenwidriges täuschendes Vorgehen geschlossen werden.
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(8) Die Überschreitungen des Grenzwerts bei Messungen im realen Fahrbetrieb lassen nicht auf eine Abschalteinrichtung schließen. Ursache können auch andere Umgebungsbedingungen, eine höhere Motorbelastung und die Zuschaltung von Verbrauchern wie Heizung oder Klimaanlage sein. Für die weiter vom Kläger genannten Tests des ICCT teilt er die Testmethode nicht mit. Für die Forderung der Einhaltung des Grenzwerts in jeder Fahrsituation gilt das oben Gesagte. Im Übrigen ergibt sich für die in Bezug genommenen Tests des Kraftfahrt-Bundesamts (Anlage K 3) keine Grenzwertüberschreitung bei Fahrzeugen der Beklagten.
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(9) Auf Ermittlungsergebnisse aus den USA und Berichte darüber (Anlage K 2, AB I) kann sich der Kläger nicht stützen. Dort galten andere regulatorische Anforderungen, etwa andere Grenzwerte, für die andere technische Lösungen gefunden werden mussten. Der Kläger legt nicht dar, dass die dort vertriebenen Motoren mit den in Deutschland vertriebenen Motoren vergleichbar sind.
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(10) Die Angaben des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, Herrn Dr. Winterkorn, vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages über eine Betroffenheit von Motoren EA 288 sind kein Anhaltspunkt für eine Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug des Klägers. Aus den Aussagen von Herrn Dr. Winterkorn geht nicht hervor, welche Motoren, etwa für den amerikanischen oder den europäischen Markt, mit welcher Abgasreinigungstechnik er meinte.
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(11) Der Kläger kann sich nicht auf Ermittlungen der StA Braunschweig stützen. Er teilt nicht mit, gegen wen und mit welchen Vorwurf sie geführt werden. Die Ermittlungen müssen damit nicht den Verdacht des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung betreffen.
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(12) Der Vortrag des Klägers hat nicht bereits nach § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig zu gelten, weil die Beklagte einer sekundären Darlegungslast der Beklagten bzgl. der technischen Einzelheiten des Thermofensters nicht nachgekommen wäre.
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Der Gegner der darlegungsbelasteten Partei kann sich nicht auf einfaches Bestreiten beschränken, wenn der darlegungsbelasteten Partei der Beweis nicht möglich oder nicht zumutbar ist und sie außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während die Gegenpartei diese Kenntnis hat und ihr nähere Angaben zumutbar sind (BGH NJW 1983, 687, 688; BGH, NJW 1987, 2008, 2009; BGH NJW 1999, 579, 580; BGHZ 163, 209, 214). Von der Gegenpartei wird dann im Rahmen des Zumutbaren ein substantiiertes Bestreiten der behaupteten Tatsachen unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt (BGH NJW 2008, 982, 984, Rn. 16).
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Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass eine Autoherstellerin verpflichtet wäre, auf jede Behauptung eines Klägers, es liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, die genaue Funktion der Motorsteuerung offen zu legen. Voraussetzung wäre zumindest eine substantiierte Behauptung einer Abschalteinrichtung durch den Kläger (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, Rn. 21, n. v.).
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c) Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten bei der Ausgestaltung des Thermofensters.
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Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16 bei juris; BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 13 bei juris. Es reicht dabei nicht aus, dass eine Motorsteuerung objektiv als rechtswidrig zu beurteilen ist. Ein solcher Gesetzesverstoß ist für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz einer Steuerungssoftware durch die für die Herstellerin handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Für die Sittenwidrigkeit eines Verhaltens genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 16 bei juris.
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Bei einer Abschalteinrichtung, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, so dass es bereits an der objektiven Sittenwidrigkeit fehlt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 30 bei juris; BGH, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 25 ff. bei juris; BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, Rn. 18 bei juris; OLG Schleswig, Urteil vom 18.09.2019, 12 U 123/18, Rn. 46 ff. bei juris). Das gilt auch dann, wenn sich das Temperaturfenster nahe an den Temperaturen bewegt, die auf dem Prüfstand herrschen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 19, 24 bei juris).
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Es kann auf der Grundlage des Vortrags des Klägers nicht festgestellt werden, dass das Thermofenster, das in die Motorsteuerung des Fahrzeugs des Klägers integriert ist, auf dem Prüfstand wesentlich anders als im Straßenverkehr. Weitere Umstände, die danach zur Feststellung eines sittenwidrigen Verhaltens notwendig wären, legt der Kläger nicht dar. Ein solcher Umstand liegt nicht vor, wenn dem Kraftfahrt-Bundesamt die genaue Wirkungsweise des Thermofensters nicht offengelegt worden sein sollte (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 26 bei juris). Dem Senat ist aus anderen Verfahren gegen die Beklagte und weitere Hersteller bekannt, dass alle Hersteller zur Regulierung der Abgasrückführungsrate Thermofenster einsetzen. Es ist ausgeschlossen, dass dies dem Kraftfahrt-Bundesamt nicht bekannt war. Somit es ebenso ausgeschlossen, dass die Beklagte versucht haben könnte, über die genaue Wirkweise des Thermofensters zu täuschen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.
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Die Zulassung der Revision ist nicht angezeigt, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, wann ein substantiierter Parteivortrag vorliegt, ist geklärt. Ob der Vortrag im vorliegenden Verfahren danach substantiiert ist, ist eine Entscheidung im Einzelfall. Ohne Bedeutung wäre es, wenn der Senat Umstände nicht als greifbare Anhaltspunkte für den Vortrag des Klägers angesehen haben sollte, die von anderen Obergerichten als ausreichend beurteilt worden sind. Denn solange ihr keine abweichenden Rechtssätze zugrunde liegen, ist die abweichende Beurteilung desselben Sachverhalts durch verschiedene Gerichte kein Revisionsgrund (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, II ZR 95/06, Rn. 2 bei juris; BGH, Beschluss vom 16.09.2003, XI ZR 238/02, Rn. 2 f. bei juris).
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Referenzen
- II ZR 95/06 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- VI ZR 889/20 1x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 433/19 1x (nicht zugeordnet)
- 12 U 123/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 abs. 2 lit. a VO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 540 Inhalt des Berufungsurteils 1x
- VI ZR 252/19 2x (nicht zugeordnet)
- 10 VO 715/20 1x (nicht zugeordnet)
- 2 VO 715/20 1x (nicht zugeordnet)
- VII ZR 286/20 5x (nicht zugeordnet)
- VII ZR 126/21 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht 1x
- BGB § 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung 1x
- XI ZR 238/02 1x (nicht zugeordnet)
- 1 U 94/21 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- VI ZR 128/21 2x (nicht zugeordnet)
- VIII ZR 57/19 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- ZPO § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel 1x
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x