Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (1. Zivilsenat) - 1 U 41/21
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 05.05.2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
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Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen in seinem Fahrzeug eingebauter unzulässiger Abschalteinrichtungen.
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Der Kläger kaufte von der X GmbH & Co. KG am 20.09.2018 einen gebrauchten Mercedes Benz C 220 BLUETEC zu einem Preis von 24.400,00 €. Das Fahrzeug war am 17.03.2015 erstmals zugelassen worden und wies beim Kauf eine Laufleistung von 65.800 km auf (Anlage K 1, Bl. 40 d. A.). Es ist mit einem Motor OM 651 ausgestattet und in die Schadstoffklasse EU 6 eingeteilt.
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Der Kläger zahlte 1.500,00 € an und finanzierte den restlichen Kaufpreis durch ein Darlehen der A Bank AG. Nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen hat der Kläger unter anderem das Fahrzeug zur Sicherheit übereignet und Forderungen zur Sicherheit abgetreten, darunter sämtliche Forderungen gegen die Beklagte (Anlage K 2, Bl. 41 - 49 d. A.).
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In dem Motor wird der Stickoxidausstoß einerseits über eine Abgasrückführung minimiert. Dabei werden Abgase in den Verbrennungsraum zurückgeführt, was zu einer Abkühlung des Verbrennungsprozesses und dadurch zu einer verringerten Bildung von Stickoxiden führt. Andererseits steigt dadurch die Bildung von Rußpartikeln. Die Abgasrückführung wird über ein sogenanntes Thermofenster reguliert, das heißt abhängig unter anderem von den Außentemperaturen verändert sich die Rate der Abgasrückführung.
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Andererseits ist in dem Fahrzeug ein SCR-Katalysator (selective catalytic reduction) eingebaut. In diesem Katalysator wird Harnstofflösung (AdBlue) zugegeben, die zu Ammoniak und Kohlendioxid reagiert. Mit diesen Stoffen reagieren Stickoxide zu Wasser und Stickstoff. Die Zugabe von AdBlue wird nach Rechenmodellen dosiert, die einerseits einen für die Reaktion notwendigen Füllstand erreichen sollen, andererseits verhindern sollen, dass bei einer Überdosierung giftiges Ammoniak entweicht. Ein Sensor, der zwischen Ammoniak und Stickoxiden unterscheiden könnte, ist nicht eingebaut.
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Die Motorsteuerung verfügt über eine sogenannte Kühlmittelsolltemperatur-Regelung. Das Kühlmittel wird nach dem Start des Fahrzeugs heruntergekühlt, was zu einer abgesenkten Verbrennungstemperatur und dadurch zu einer Reduzierung von Stickoxiden führt. Wegen dieser Regelung hat das Kraftfahrt-Bundesamt für bestimmte mit einem Motor OM 651 ausgerüstete Modelle einen Rückruf angeordnet. Das Fahrzeug des Klägers ist davon nicht betroffen.
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Die Beklagte bietet als freiwillige Kundendienstmaßnahme ein Update an, das zu einer Reduzierung des Schadstoffausstoßes führen soll. Das betrifft auch das Fahrzeug des Klägers.
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Die EU-Kommission hat unter anderem gegen die Beklagte wegen Kartellabsprachen hinsichtlich der Größe der AdBlue-Tanks ermittelt. Sie geht davon aus, dass der AdBlue-Verbrauch und die Wirksamkeit der Abgasreinigung reduziert worden seien.
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Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt gegen Mitarbeiter der Beklagten Ermittlungen wegen des Verdachts des Betruges und der strafbaren Werbung.
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Bei Messungen durch die Deutsche Umwelthilfe kam es zu Abweichungen der Stickoxidemissionen zwischen kalter und warmer Motorphase.
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Der Kläger hat behauptet, die Motorsteuerung verfüge über eine Prüfstanderkennung durch die Vorkonditionierung für den Test. Nur dann erfolgte die Abgasreinigung in vollem Umfang.
In Anlehnung an den Temperaturbereich im NEFZ werde die Abgasreinigung außerhalb von 20 °C bis 30 °C reduziert beziehungsweise eingestellt. Die Temperatur der angesaugten Umgebungsluft habe keinen Einfluss auf die Verbrennungstemperatur, sie werde ohnehin erst gekühlt und dann bei der Verbrennung erhitzt. Eine Versottung bzw. Ablagerungen im Motor seien unvermeidlich.
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Die dem SCR-Katalysator zugeführte AdBlue-Menge werde im normalen Fahrbetrieb nach dem Anfall einer bestimmten Menge Stickoxid reduziert. Dies werde dadurch verstärkt, dass durch die temperaturabhängige Reduzierung der Abgasrückführungsrate mehr Stickoxide anfielen. Es gebe ein Patent für eine Technik, die Stickoxide und Ammoniak erkennen könne. Der Tank für AdBlue sei wegen des Volumens und des Gewichts als Problem angesehen worden.
Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung halte nach einem Gutachten (Anlage K 12, Bl. 368 - 374 d. A.) die Temperatur des Kühlmittels bei bestimmten Drehzahlen und Luftmassenströmen, die praktisch nur im NEFZ, im normalen Betrieb wegen einer stärkeren Beschleunigung aber nicht vorkämen, bei 70 °C. Die stärkere Kühlung führe zur Einhaltung des Grenzwerts, aber auch zu einem höheren Verschleiß. Sie sei technisch nicht sinnvoll. Würden die Parameter überschritten, würde eine Solltemperatur von 100 °C eingestellt. Der Effekt würde dadurch verstärkt, dass bei einem Sollwert von 70 °C die Kühlerjalousie bereits vor Erreichen des Sollwerts geöffnet werde, was zu einem weiteren Herunterkühlen führe, technisch aber nicht sinnvoll sei.
Die Beklagte habe im Typenzulassungsverfahren unvollständige Angaben gemacht, indem sie nur die Steuerung der Abgasrückführungsrate über die Lufttemperatur angegeben habe.
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Der Kläger hat die Zahlung von 3.593,92 € nebst Zinsen und die Freistellung von weiteren Darlehensraten Zug um Zug gegen die Übergabe des Fahrzeugs und Abtretung des Anwartschaftsrechts und die Feststellung des Annahmeverzugs begehrt. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
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Die Beklagte hat behauptet, die Senkung der Abgasrückführungsrate bei niedrigen Temperaturen sei zum Schutz des Motors vor Ablagerungen notwendig. Es handele sich um einen Industriestandard. Die Abgasrückführung sei noch bei zweistelligen Minusgraden aktiv.
Bei hoher Last könne die Kapazität des SCR-Katalysators an ihre Grenzen kommen. Die Reinigungsleistung könne nicht im selben Maße wie der Anstieg der Rohemissionen gesteigert werden.
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Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sei für die Einhaltung des Grenzwerts nicht ausschlaggebend. Sie diene der Reduktion der Emissionen nach einem Kaltstart. Die Steuerungsbedingungen seien auf der Straße genau so geregelt wie auf dem Prüfstand. Das von dem Kläger vorgelegte Gutachten sei unbrauchbar. So verfüge das untersuchte Fahrzeug ebenso wenig wie das Fahrzeug des Klägers über eine Kühlerjalousie.
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Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, weil er alle Ansprüche gegen die Beklagte wirksam an die A Bank AG abgetreten habe. Es handele sich nicht um eine überraschende Klausel. Der Kläger werde nicht unangemessen benachteiligt.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Klausel sei wegen seiner unangemessenen Benachteiligung unwirksam.
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Der Kläger trägt ergänzend vor, nach einem Bericht des Bayrischen Rundfunks vom 10.02.2021 (Anlage BK 1, AB) werte das Kraftfahrt-Bundesamt eine Funktion des SCR-Katalysators als unzulässige Abschalteinrichtung. Unter den Bedingungen der Typprüfung weise er einen effektiven Modus auf, nach Erreichen einer bestimmten Stickoxidmasse nach Ablauf des Prüfzyklus einen dauerhaft weniger effektiven Modus.
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Die Kühlmittelsolltemperatur-Regelung sorge bei bestimmten Bedingungen hinsichtlich Temperatur, Luftdruck, Drehzahl und Motorlast, die beim NEFZ herrschten, im normalen Fahrbetrieb aber praktisch nicht vorkämen, durch die geringere Temperatur für die Einhaltung des Grenzwerts. Das sei im Genehmigungsverfahren nicht bekannt gemacht worden. Bei einer Kühlmitteltemperatur ab 80 °C sei die Abgasrückführungsrate geringer. Zudem werde durch einen Timer nach Ablauf von 19 Minuten und 40 Sekunden eine höhere Kühlmittelsolltemperatur und dadurch eine niedrigere Abgasrückführungsrate eingeregelt. (Gutachten Anlagen BK 2 und BK 3, Auskunft KBA Anlage BK 4, AB).
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Unter den Bedingungen des NEFZ werde eine höhere Abgasrückführungsrate eingeregelt, die zum Einhalten des Grenzwerts führe. Das werde durch einen Timer abgeschaltet, sodass die Regelung im Straßenverkehr anders sei. (Auskunft KBA Anlage BK 5, AB).
- 21
Der Kläger hat zunächst die Zahlung von 4.955,77 € und die Freistellung von 16.691,36 € begehrt. Er beantragt nunmehr im Hinblick auf weitere gezahlte Darlehensraten und die aktuelle Fahrleistung des Fahrzeugs,
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unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Itzehoe Az.: 7 O 90/20
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.641,00 EUR sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen und die Klagepartei von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der A Bank AG aus dem Darlehensvertrag zur Darlehensvertragsnummer in Höhe von derzeit noch 14.512,40 EUR freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges Mercedes-Benz C 220 BLUETEC mit der Fahrzeugidentifikationsnummer und Übertragung des der Klagepartei gegenüber der Mercedes-Benz Bank AG zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeuges;
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festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeuges Mercedes-Benz C 220 BLUETEC mit der Fahrzeugidentifikationsnummer zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet;
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festzustellen, dass der Rechtsstreit im Übrigen erledigt ist;
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hilfsweise,
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das Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
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Sie trägt vor, das geregelte Kühlmittelthermostat arbeite auf dem Prüfstand genau so wie im Straßenverkehr und sei zum Einhalten des Grenzwerts nicht erforderlich (Auskünfte KBA Anlagen BB 10, BB 12, AB). Sie habe nur dann Auswirkungen, wenn die Kühlmitteltemperatur 70 °C erreiche, was bei Kurzfahrten nicht der Fall sei. Eine Erkennung der Drehzahl gebe es nicht. Der Sachverständige Y sei wegen der Anfertigung von Privatgutachten befangen. Ihm fehle die notwendige Sachkunde zur Beantwortung technischer Fragen. So seien etwa seine Annahmen zum Beschleunigungsverhalten im Straßenverkehr nicht haltbar. Das Gutachten des Sachverständigen Z sei auf das Fahrzeug des Klägers nicht übertragbar, weil es einen anderen Fahrzeugtyp und eine andere Abgasklasse betreffe. Es bestätige, dass das geregelte Kühlmittelthermostat auf dem Prüfstand nicht anders arbeite als im Straßenverkehr. Die Anpassung der Abgasrückführungsrate ab gewissen Kühlmittel- bzw. Motortemperaturen diene dem Motorschutz. Bei einem warmen Motor entstünden vermehrt Rußpartikel, die Regenerationsintervalle des Dieselpartikelfilters verkürzten sich, dadurch verdünne sich das Motoröl und es bestehe die Gefahr, dass vermehrt Rußpartikel in das Motoröl gerieten. Die Anpassung der Abgasrückführungsrate sei nicht von der Kühlmittelsolltemperatur abhängig.
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Die Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts vom 29.04. 2012 (Anlage BK 5) beruhe auf einem Irrtum. Die „Strategie B“ sei in keinem Fahrzeug mit dem Motor OM 651 vorhanden, was dem Kraftfahrtbundesamt bekannt sei. In dem betroffenen Fahrzeug habe es vielmehr eine auf das SCR-System bezogene Funktion (“Strategie A“) beanstandet.
II.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob dem Kläger aufgrund der umfassenden Abtretung der Ansprüche gegen die Beklagte die Aktivlegitimation fehlt oder ob diese Abtretungsvereinbarung als Allgemeine Geschäftsbedingung wegen einer unangemessenen Benachteiligung unwirksam ist. Jedenfalls stehen dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche aus anderen Gründen nicht zu. Soweit der Senat im Termin vom 03.12.2021 eine andere Auffassung vertreten hat, hat er mit Verfügung vom 03.01.2022 (Bl. 1033 d. A.) auf seine geänderte Rechtsauffassung hingewiesen.
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1. Dem Kläger steht kein Anspruch aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung oder ein anderer Deliktsanspruch zu. Alle infrage kommenden deliktischen Ansprüche setzen voraus, dass die Beklagte oder ihre Erfüllungsgehilfen durch ein vorsätzliches sittenwidriges, täuschendes Verhalten die Zulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs gefährdet hätten. Das hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Es genügt regelmäßig nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2017, 250, 251 f., Rn. 16).
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Danach kann ein Autohersteller, der auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts systematisch, langjährig und in hohen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr bringt, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, sittenwidrig handeln. Damit ist die Gefahr verbunden, dass bei Aufdeckung der unzulässigen Abschalteinrichtung Betriebsbeschränkungen oder -untersagungen erfolgen. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der betroffenen Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16 bei juris).
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b) Das Fahrzeug des Klägers müsste mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet sein, die zum Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt führen kann.
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aa) Eine Abschalteinrichtung ist nach Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das bestimmte Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, wenn nicht bestimmte Ausnahmen vorliegen.
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Diese Vorschriften sind dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung vorliegt, wenn die Motorsteuerung während des Tests Parameter ermittelt, um die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesem Test zu verbessern, auch dann, wenn solche Verbesserung auch unter normalen Nutzungsbedingungen punktuell eintreten (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, NJW 2020, 1216, 1220 f., Rn. 91 ff., 102). Ein solches System ist auch dann nicht von der Ausnahme nach § 5 abs. 2 lit. a VO 715/2007/EG gedeckt, wenn es dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern (a. a. O, S. 1221, Rn. 103 ff., 115).
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(1) Ob es sich nach dieser Definition bei dem Thermofenster um eine Abschalteinrichtung handelt, kann offen bleiben. Zweifel bestehen, weil zwar die Lufttemperatur ermittelt und je nach Lufttemperatur die Rate der Abgasrückführung verändert wird, das aber im Grundsatz im normalen Straßenverkehr in gleicher Weise geschieht. Der Kläger hat jedenfalls nicht hinreichend dargelegt, dass die Beklagte bei der Implementierung des Thermofensters sittenwidrig gehandelt hat.
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(2) Die Veränderung der Dosierung von AdBlue nach verschiedenen Rechenmodellen stellt keine Abschalteinrichtung dar. Jedenfalls hat der Kläger auch insoweit ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht hinreichend dargelegt.
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Auch die Berechnung der Dosierung arbeitet im Grundsatz im Straßenverkehr ebenso wie auf dem Prüfstand. Die Veränderung der Dosierung dient den Zielen, einerseits genügend Ammoniak im SCR-Katalysator vorzuhalten, um die Stickoxide in unschädliche Stoffe umzuwandeln, andererseits ein Entweichen überschüssigen Ammoniaks in die Umwelt zu vermeiden. Die Erreichung dieser Ziele ist geboten.
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Etwaige Ungenauigkeiten der Rechenmodelle ändern daran ebenso wenig etwas wie der Umstand, dass kein Sensor zur Unterscheidung von Ammoniak und Stickoxiden eingebaut ist. Zudem bedeutet der Umstand, dass ein Patent auf einen solchen Sensor erteilt wurde, nicht, dass er am Markt verfügbar ist.
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Anders wäre es, wenn die Dosierung bei erkanntem Prüfstandbetrieb verändert würde, um so die Einhaltung des Grenzwerts zu gewährleisten. In diesem Fall lägen zwei verschieden Betriebsmodi vor.
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(3) Bei einer Kühlmittelsolltemperatur-Regelung, die, wie der Kläger behauptet, nur unter den Bedingungen des NEFZ aktiv ist, würde es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, Rn. 24 bei juris). Denn es würden zwei verschiedene Betriebszustände geschaffen. Das wäre der Fall, wenn die Solltemperatur nur unter Bedingungen, die im Straßenverkehr praktisch nicht vorkommen, bei 70 °C gehalten wird.
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Etwas anderes folgt nicht aus den von der Beklagten in Bezug genommen Entscheidungen. Dort wird nur ausgeführt, dass die jeweiligen Feststellungen der Berufungsgerichte revisionsrechtlich unbedenklich seien (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, Rn. 13, 17, 20 bei juris; BGH, Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 179/21, Rn. 23, 25 bei juris; BGH, Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 99/21, Rn. 22, 24, n. v., Anlage BB 18, Bl. 778 ff. d. A.).
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bb) Die Behauptungen des Klägers zum Einbau von Abschalteinrichtungen in sein Fahrzeug sind nicht hinreichend substantiiert, um eine Beweisaufnahme zu veranlassen.
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(1) Ein Sachvortrag ist hinreichend substantiiert, wenn er in Verbindung mit einem Rechtssatz zu der von der Partei begehrten Rechtsfolge führt. Einzelheiten, die für die Rechtsfolge nicht von Bedeutung sind, müssen nicht mitgeteilt werden, vor allem wenn die Partei keinen Einblick in den Sachverhalt haben kann. Es ist dann Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und gegebenenfalls einem Sachverständigen die Streitfragen zu unterbreiten. Eine Partei darf auch Aufklärung über Tatsachen verlangen, über die sie kein zuverlässiges Wissen erlangen kann, die sie aber nach Lage der Dinge für möglich hält, wenn sie mangels eigener Sachkunde keine Kenntnis von der Tatsache haben kann. Eine Behauptung ist erst unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufgestellt wird. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten. In der Regel ist sie nur anzunehmen, wenn jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte fehlen (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/21, Rn. 20 ff. bei juris; BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, Rn. 4, 7 ff. bei juris).
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Bei der Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung können greifbare Anhaltspunkte etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder verpflichtende Rückrufe des Kraftfahrt-Bundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung von Fahrzeugen mit dem im Streit stehenden Motortyp sein (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, Rn. 11 f. bei juris). Es kann ausreichen, wenn die Partei Presseberichte einreicht, nach denen das Kraftfahrt-Bundesamt wegen des Verdachts einer Abschalteinrichtung in dem betroffenen Motor ein Anhörungsverfahren eingeleitet und amtliche Rückrufe durchgeführt habe (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/21, Rn. 24 f. bei juris). Auch eine Überschreitung des Grenzwerts bei einem Test unter leichter Abweichung von den Bedingungen des NEFZ kann ein greifbarer Anhaltspunkt sein (Senat, Urteil vom 09.04.2021, 1 U 94/21, Rn. 38 ff. bei juris).
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Zu beachten ist jeweils, dass es nur um Anhaltspunkte für die aufgestellte Behauptung geht, die eine Beweiserhebung erlauben. Ein bestimmter Grad an Gewissheit, erst recht in einem Maß, wie es für einen Beweis notwendig wäre, kann daher nicht verlangt werden.
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(2) Der Kläger legt nicht hinreichend dar, dass nur auf dem Prüfstand in ausreichender Menge AdBlue in den SCR-Katalysator eingebracht und die Dosierung im normalen Straßenverkehr abgesenkt wird. Für diese Behauptung teilt er keine greifbaren Anhaltspunkte mit.
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(a) Der Kläger kann sich für diese Behauptung nicht auf die Ermittlungen der EU-Kommission zu Absprachen der Beklagten mit anderen Herstellern über die Größe des AdBlue-Tanks stützen. Zwar kann ein zu kleiner Tank ein Motiv für eine geringere Dosierung von AdBlue sein. Indes ergibt sich aus der in der Klageschrift zitierten Pressemitteilung der EU-Kommission (Bl. 12 R d. A.), dass die Ermittlungen nur den Zeitraum zwischen 2006 und 2014 betrafen. Sie haben für das am 17.03.2015 erstmals zugelassene (Anlage K 1, Bl. 40 d. A.) Fahrzeug des Klägers keine Aussagekraft.
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(b) Aus dem Bericht des Bayrischen Rundfunks vom 10.02.2021 (Anlage BK 1, AB) ergibt sich nur, dass die Dosierung von AdBlue bei dem Kleintransporter Vito beanstandet worden sei. Welche Modelle oder Motoren sonst betroffen sind, insbesondere dass das Fahrzeug des Klägers betroffen ist, ergibt sich daraus nicht.
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(c) Das Gutachten des Sachverständigen W vom 28.09.2020 (Anlage BK 7, Bl. 689 ff. d. A.) belegt eine unzulässige Dosierung von AdBlue in dem Fahrzeug des Klägers nicht. Das Testfahrzeug war ein Mercedes E 350 Bluetec mit einem Motor OM 642 (S. 5 GA). Der Kläger legt nicht dar, inwiefern Erkenntnisse zu diesem Motor auf den Motor OM 651 übertragbar sein sollen.
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(3) Der Kläger legt nicht hinreichend dar, dass sein Fahrzeug von einer unzulässigen Regelung des Kühlmittelthermostats betroffen ist. Auch dafür fehlen greifbare Anhaltspunkte.
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(a) Der Kläger nicht auf die Rückrufe durch das Kraftfahrt-Bundesamt stützen. Denn diese betreffen andere Modelle, nicht das Fahrzeug des Klägers. Es ist unstreitig, dass die Kühlmittelsolltemperatur-Regelung vom Kraftfahrt-Bundesamt nur bei bestimmten Modellen beanstandet worden ist. Inwiefern vor diesem Hintergrund Erkenntnisse zu anderen Modellen auf das Fahrzeug des Klägers übertragbar sein sollen, teilt er nicht mit.
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Die Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts vom 09.03.2021 (Anlage BK 4, AB) stützt die Behauptung des Klägers so nicht. Sie betrifft das Modell C 220 CDI, für das ein Rückruf ergangen ist, nicht das Modell des Fahrzeugs des Klägers C 220 Bluetec, für das unstreitig kein Rückruf vorliegt.
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Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Bericht des Bayrischen Rundfunks vom 10.02.2021 (Anlage BK 1, AB). Dort wird nur der bekannte Umstand beschrieben, dass die Regelung vom Kraftfahrt-Bundesamt bei betroffenen Fahrzeugen als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet wird. Welche Fahrzeuge betroffen sind, geht daraus nicht hervor.
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(b) Die Gutachten des Sachverständigen Y vom 12.11.2020 (Anlage K 12, Bl. 368 - 374 d. A.) und 23.06.2021 (Anlage BK 2, AB) bieten keinen greifbaren Anhaltspunkt für eine unzulässige Kühlmittelsolltemperatur-Regelung in dem Fahrzeug des Klägers. Denn der Kläger teilt nicht mit, inwiefern die Erkenntnisse dazu auf sein Fahrzeug übertragbar sein sollen.
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Bezüglich des Gutachtens vom 12.11.2020 ist bereits unklar, die Motorsteuerung welches Fahrzeugmodells der Sachverständige untersucht hat. Er hat ausgeführt (S. 2 GA), dass er die Software für das streitgegenständliche Modell, einen Mercedes-Benz E 250, nicht habe beschaffen können und so die Software vergleichbarer Modelle untersucht habe. Welche das waren, teilt er nicht mit. Aus dem Gutachten geht außerdem nicht hervor, welcher Motortyp untersucht worden ist. Das Gutachten vom 23.06.2021 betrifft wiederum ein anderes Modell als das Fahrzeug des Klägers, nämlich das Modell C 220 d.
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Für die Übertragbarkeit der Erkenntnisse reicht es angesichts der differenzierenden Beurteilung durch das Kraftfahrt-Bundesamt nicht aus, dass auch das Fahrzeug des Klägers unstreitig über eine Kühlmittelsolltemperatur-Regelung verfügt.
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Dasselbe gilt für das Gutachten des Sachverständigen Z vom 16.02.2021 (Anlage BK 3, AB). Dieses betrifft das Modell GLK 220 CDI 4Matic.
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(4) Die Überschreitungen des Grenzwerts für Stickoxidemissionen bei Messungen im realen Fahrbetrieb, wie sie die Deutsche Umwelthilfe nach Kenntnis des Senats aus anderen Verfahren gegen die Beklagte und andere Hersteller durchführt, lassen nicht auf eine Abschalteinrichtung schließen. Ursache können auch abweichende Bedingungen wie andere Umgebungstemperaturen, eine höhere Motorbelastung oder die Zuschaltung von Verbrauchern wie Heizung oder Klimaanlage sein.
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Der Verordnungsgeber ging sicherlich davon aus, dass die Einrichtungen zur Abgasbehandlung und -reinigung bei vom NEFZ abweichenden Bedingungen im Grundsatz ebenso funktionieren wie auf dem Prüfstand. Wenn der Grenzwert aber zu jedem Zeitpunkt des Betriebes, unabhängig von den Umgebungsbedingungen und der Motorbelastung, einzuhalten wäre, hätte es der Normierung eines Testverfahrens nicht bedurft.
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(5) Der Kläger kann sich nicht auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart oder die Verurteilung von Mitarbeitern der Beklagten stützen. Er teilt nicht mit, mit welchem konkreten Vorwurf die Verfahren geführt werden. Die Verfahren müssen nicht den Verdacht des Einsatzes einer unzulässigen Steuerung der AdBlue-Dosierung oder einer unzulässigen Kühlmittelsolltemperatur-Regelung in dem streitgegenständlichen Fahrzeugmodell betreffen.
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(6) Eine Steigerung der Abgasrückführungsrate auf dem Prüfstand in dem Fahrzeug des Klägers geht nicht aus der Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts vom 29.04.2021 (Anlage BK 5, AB) hervor. Diese betrifft nicht das Modell des Fahrzeugs des Klägers, sondern einen Mercedes-Benz GLC 250 d. Inwiefern die Erkenntnisse übertragbar sein sollen, teilt der Kläger nicht mit. Das wäre angesichts der differenzierenden Beurteilung des Kraftfahrt-Bundesamts hinsichtlich der Kühlmittelsolltemperatur-Regelung notwendig.
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(7) Gegen den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung spricht, dass für das Fahrzeug des Klägers unstreitig eine freiwillige Servicemaßnahme angeboten wird.
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Die freiwillige Kundendienstmaßnahme zur Reduzierung des Stickoxidausstoßes ist kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung. Es ist allgemein bekannt, dass die Automobilhersteller mit der Bundesregierung vereinbart haben, solche Maßnahmen zur Luftverbesserung durchzuführen, und zwar unabhängig von Verstößen gegen Bestimmungen zur Schadstoffreduzierung in Abgasen. Deswegen kann aus dem Angebot eines Updates nicht auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung geschlossen werden.
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Die freiwillige Servicemaßnahme ist vielmehr ein Indiz dafür, dass die Motorsteuerung in dem Fahrzeug des Klägers keine unzulässige Abschalteinrichtung enthält. Denn das Kraftfahrt-Bundesamt hat mitgeteilt, dass die freiwilligen Maßnahmen nur an Fahrzeugen zugelassen werden, in deren Motorsteuerung bei einer Untersuchung keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden sind (Auskunft vom 30.11.2021, Anlage BB 17, Bl. 775 f. d. A.). Das bedeutet, dass bei diesen Fahrzeugen gerade keine zu beanstandende Kühlmittelsolltemperatur-Regelung festgestellt worden ist, wie sie für bestimmte Fahrzeuge mit dem Motor OM 651 zum Rückruf geführt hat.
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(8) Der Vortrag des Klägers hat nicht bereits nach § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig zu gelten, weil die Beklagte einer sekundären Darlegungslast der Beklagten bzgl. der technischen Einzelheiten des Thermofensters nicht nachgekommen wäre.
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Der Gegner der darlegungsbelasteten Partei kann sich nicht auf einfaches Bestreiten beschränken, wenn der darlegungsbelasteten Partei der Beweis nicht möglich oder nicht zumutbar ist und sie außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während die Gegenpartei diese Kenntnis hat und ihr nähere Angaben zumutbar sind (BGH NJW 1983, 687, 688; BGH, NJW 1987, 2008, 2009; BGH NJW 1999, 579, 580; BGHZ 163, 209, 214). Von der Gegenpartei wird dann im Rahmen des Zumutbaren ein substantiiertes Bestreiten der behaupteten Tatsachen unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt (BGH NJW 2008, 982, 984, Rn. 16).
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Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass eine Autoherstellerin verpflichtet wäre, auf jede Behauptung eines Klägers, es liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, die genaue Funktion der Motorsteuerung offen zu legen. Voraussetzung wäre zumindest eine substantiierte Behauptung einer Abschalteinrichtung durch den Kläger (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, Rn. 21; Anlage BB 1).
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cc) Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Verantwortlichen bei der Beklagten bei der Ausgestaltung des Thermofensters oder der Berechnung der Dosierung von AdBlue.
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Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16 bei juris; BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 13 bei juris). Es reicht dabei nicht aus, dass eine Motorsteuerung objektiv als rechtswidrig zu beurteilen ist. Ein solcher Gesetzesverstoß ist für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz einer Steuerungssoftware durch die für die Herstellerin handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Für die Sittenwidrigkeit eines Verhaltens genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 16 bei juris).
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Bei einer Abschalteinrichtung, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, so dass es bereits an der objektiven Sittenwidrigkeit fehlt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 30 bei juris; BGH, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 25 ff. bei juris; BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, Rn. 18 bei juris; OLG Schleswig, Urteil vom 18.09.2019, 12 U 123/18, Rn. 46 ff. bei juris). Das gilt auch dann, wenn sich das Temperaturfenster nahe an den Temperaturen bewegt, die auf dem Prüfstand herrschen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 19, 24 bei juris; BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rn. 14 bei juris).
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Das Thermofenster, das in die Motorsteuerung des Fahrzeugs des Klägers integriert ist, funktioniert auch nach dem Vortrag des Klägers auf dem Prüfstand nicht wesentlich anders als im realen Straßenverkehr. Weitere Umstände, die danach zur Feststellung eines sittenwidrigen Verhaltens notwendig wären, legt der Kläger nicht dar. Ein solcher Umstand liegt nicht vor, wenn dem Kraftfahrt-Bundesamt die genaue Wirkungsweise des Thermofensters nicht offengelegt worden sein sollte (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 286/20, Rn. 26 bei juris). Dem Senat ist aus anderen Verfahren gegen die Beklagte und weitere Hersteller bekannt, dass alle Hersteller zur Regulierung der Abgasrückführungsrate Thermofenster einsetzen. Es ist ausgeschlossen, dass dies dem Kraftfahrt-Bundesamt nicht bekannt war. Somit es ebenso ausgeschlossen, dass die Beklagte versucht haben könnte, über die genaue Wirkweise des Thermofensters zu täuschen.
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Nichts Anders gilt für die AdBlue-Dosierung, die auf dem Prüfstand ebenso funktioniert wie im realen Straßenverkehr. Auch dazu fehlt Vortrag zu weiteren Umständen, die auf ein täuschendes Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten hindeuten.
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2. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV steht dem Kläger nicht zu. Dieser würde ebenfalls ein Fehlverhalten der Beklagten bei der Entwicklung und Zulassung des Motors voraussetzen.
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Im Übrigen handelt es sich bei den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht um Schutzgesetze. Der behauptete Schaden liegt in dem Eingehen einer nicht gewollten Verbindlichkeit. Die Vorschriften über die Typenzulassung und die Übereinstimmungsbescheinigung bezwecken indes nicht den Schutz der Handlungsfreiheit und vor dem Abschluss nicht gewollter Verträge (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 76 bei juris; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, Rn. 11 bei juris; BGH, Beschluss vom 04.08.2021, VII ZR 245/21, juris).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Zulassung der Revision ist nicht angezeigt, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, wann ein substantiierter Parteivortrag vorliegt, ist geklärt. Ob der Vortrag im vorliegenden Verfahren danach substantiiert ist, ist eine Entscheidung im Einzelfall. Ohne Bedeutung wäre es, wenn der Senat Umstände nicht als greifbare Anhaltspunkte für den Vortrag des Klägers angesehen haben sollte, die von anderen Obergerichten als ausreichend beurteilt worden sind. Denn solange ihr keine abweichenden Rechtssätze zugrunde liegen, ist die abweichende Beurteilung desselben Sachverhalts durch verschiedene Gerichte kein Revisionsgrund (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, II ZR 95/06, Rn. 2 bei juris; BGH, Beschluss vom 16.09.2003, XI ZR 238/02, Rn. 2 f. bei juris).
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- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
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- §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV 4x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x