Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 2 ARs 21/08; 2 ARs 21/2008

Tenor

Dem gerichtlich bestellten Beistand der Nebenklageberechtigten RA … wird für die Vertretung der Nebenklageberechtigten im vorbereitenden Verfahren eine Pauschgebühr in Höhe von

2.116,00 EUR

(in Worten: zweitausendeinhundertsechzehn Euro)

bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird

z u r ü c k g e w i e s e n .

Die Ansprüche des Beistandes der Nebenklageberechtigten auf Erstattung von Auslagen und Mehrwertsteuer bleiben unberührt. Festgesetzte oder schon ausbezahlte Gebühren sind anzurechnen.

Gründe

 
I.
Am 30. Oktober 2000 wurde der 11-jährige ... getötet. In dem bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen C.V. geführten Ermittlungsverfahren legitimierte sich der Antragsteller am 15. Juni 2001 als Beistand der Eltern. Mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 31. August 2006 wurde er gemäß §§ 406 g Abs. 3 Nr. 1, 397 a Abs. 1 StPO als deren Beistand bestellt. Am 21. September 2006 stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Ermittlungen ein. Auf die am 4. Oktober 2006 durch den Antragsteller eingelegte und am 15. November 2006 begründete Beschwerde wurden das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen und weitere Ermittlungen durchgeführt. Am 27. Februar 2007 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren erneut ein. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart am 13. Juni 2007 zurückgewiesen. Gegen den letztgenannten Bescheid hat der Antragsteller für die Eltern des getöteten Kindes ein Klageerzwingungsverfahren mit dem Ziel angestrengt, die Erhebung der öffentlichen Anklage gegen den Beschuldigten wegen Mordes anzuordnen. Dieser Antrag wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. Juni 2007 als unbegründet verworfen.
Der Antragsteller hat die Bewilligung einer Pauschgebühr in Höhe von 5.000,- EUR beantragt. Er trägt vor, bei dem Ermittlungsverfahren habe es sich um eine besonders umfangreiche und schwierige Strafsache gehandelt. Das Aktenstudium sei wegen der vorliegenden verschiedenen Sachverständigengutachten äußerst zeitaufwändig gewesen. Die Akten hätten mehrfach aus Anlass der beiden Beschwerdebegründungen und der Begründung für das Klageerzwingungsverfahren intensiv durchgearbeitet werden müssen. Begleitend seien über die Jahre mehrere mehrstündige Besprechungen mit den seinerzeitigen Ermittlungsbeamten und den Eltern des getöteten Kindes erforderlich gewesen. Ferner habe er mehrere Besprechungen mit einem von der Staatsanwaltschaft Stuttgart Anfang 2006 vernommenen weiteren Zeugen durchgeführt.
Der Vertreter der Staatskasse tritt der Zubilligung einer Pauschgebühr gemäß § 51 RVG dem Grunde nach nicht entgegen. Er verweist darauf, dass der gesetzliche Gebührenanspruch bei 244,- EUR liege (Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG sowie Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4104 VV RVG). Die Höchstgebühren eines Wahlverteidigers bildeten grundsätzlich bei der Bemessung der Pauschgebühr die Obergrenze. Auch wenn die Vergütung des Pflichtverteidigers nach dem gesetz-geberischen Willen keinen vollen, sondern nur einen billigen Ausgleich für die entfaltete Tätigkeit darstelle, könne analog § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG die für einen Wahlverteidiger höchstmögliche Pauschgebühr, somit 1.100,- EUR festgestellt werden.
II.
Die Voraussetzung des § 51 Abs. 1 RVG liegen vor, da das Verfahren besonders umfangreich und schwierig war und der gesetzliche Gebührenanspruch nicht zumutbar ist. Sowohl der Umfang der Ermittlungsakten wie auch die Dauer des Verfahrens weichen von üblichen Ermittlungsverfahren gravierend nach oben ab. Der vom Antragsteller zu betreibende Aufwand war erheblich, da über die Jahre eine mehrfache Einarbeitung in den Sachverhalt und die erhobenen Beweismittel vonnöten war. Darüber hinaus war der Verfahrensstoff komplex. Es wurden eine Vielzahl von Sachverständigengutachten zu Art und Lage der Tatortspuren sowie zum Todeszeitpunkt eingeholt. Mehrere Einlassungen des Beschuldigten gegenüber den Ermittlungsbehörden und Äußerungen gegenüber Medien waren zu würdigen. Dies erwies sich als äußerst schwierig, da die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Beschuldigten nach dem eingeholten jugend-psychiatrischen Sachverständigengutachten im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und geistiger Behinderung liegt und seine Aussagen dem entsprechend „teils wirr und konfus“ - so der Sachverständige - waren.
Die gesetzlichen Gebühren betragen - wie vom Vertreter der Staatskasse zutreffend festgestellt - 244,- EUR (Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG sowie Nr. 4104 VV RVG). Die vom Antragsteller darüber hinaus ursprünglich in Ansatz gebrachten Gebühren gemäß Nr. 4301 Nr. 5 VV RVG sowie Nr. 4302 Nr. 3 RVG sind nicht angefallen, da gemäß der amtlichen Vorbemerkung 4.3. Abs. 1 zum 3. Abschnitt des 4. Teils des Vergütungsverzeichnisses zum RVG diese Gebühren nur für Einzeltätigkeiten anfallen, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Vertretung übertragen worden ist. Demgegenüber hat das Landgericht Stuttgart im Beschluss vom 31. August 2006 den Antragsteller als Beistand der Eltern des getöteten Kindes im gesamten vorbereitenden Verfahren bestellt.
Die angefallenen gesetzlichen Gebühren sind unzumutbar. Hinsichtlich der Höhe der Pauschgebühr normiert § 51 RVG keine gesetzliche Obergrenze. Daher darf diese die gesetzlichen Rahmenhöchstgebühren eines Wahlverteidigers grundsätzlich auch überschreiten. Allerdings hat die Höchstgebühr eines Wahlverteidigers in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in der Regel die obere Grenze der Pauschgebühr nach § 51 RVG gebildet (OLG Hamm NJW 2007, 311; OLG Karlsruhe Rechtspfleger 2005, 694). Gleichwohl ist in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte anerkannt, dass die Zubilligung einer Pauschgebühr deutlich über der Höchstgebühr eines Wahlverteidigers von § 51 RVG gedeckt ist (OLG Hamm a.a.O.; OLG Köln Beschluss vom 31. Januar 2006 - 2 ARs 14/06 - juris).
Auch die Kommentarliteratur hält es für zulässig, dass die Pauschgebühr nach § 51 RVG die Höchstgebühr eines Wahlverteidigers überschreitet, wobei teilweise in analoger Anwendung von § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG eine Beschränkung maximal auf das Doppelte der Wahlverteidiger-Höchstvergütung vorgenommen (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 51 Rn. 33; Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., § 51 Rn. 23), teilweise eine solche Begrenzung abgelehnt wird (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., § 51 Rn. 16; Burhoff, RVG, 2. Aufl., § 51 Rn. 39, 40).
Der Senat hält eine analoge Anwendung der Obergrenze des § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG auf die Pauschvergütung des bestellten Rechtsbeistandes gemäß § 51 RVG für nicht zulässig. Gegen das Vorliegen einer Regelungslücke in § 51 RVG spricht bereits der Umstand, dass beide Pauschvergütungsregelungen vom Gesetzgeber zeitgleich und in bewusst gleicher Terminologie normiert worden sind (Begründung zum Gesetzesentwurf Bundestagsdrucksache 15/1971, Seite 198). Zudem unterscheiden sich die Grundlagen einer Pauschvergütung nach § 42 RVG deutlich von der gemäß § 51 RVG. Bei der Bemessung einer Pauschgebühr nach § 42 RVG fließen nämlich gemäß § 14 RVG die dort genannten Umstände mittelbar mit ein. Eine Pauschgebühr nach § 42 RVG wird daher vorrangig dann in Betracht kommen, wenn bereits die Bedeutung der Sache für den Angeklagten und/oder die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers überdurchschnittlich sind sowie zusätzlich ein besonderer Umfang der anwaltlichen Tätigkeit bzw. eine besondere Schwierigkeit derselben vorliegen. Erstere Gesichtspunkte spielen bei der Bemessung einer Pauschgebühr gemäß § 51 RVG aber keine Rolle. Insofern liegt trotz des fast identischen Wortlautes beider Regelung ein wesentlicher Unterschied vor (Thüringer Oberlandesgericht NJW 2006, 933).
Zudem steht dem Wahlverteidiger über die Höchstgrenze des § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG hinaus die Möglichkeit offen, eine darüber hinaus gehende Vergütung mit seinem Mandanten zu vereinbaren (§ 4 RVG; Bundestagsdrucksache a.a.O.) und auf diese Weise eine eventuelle Unzumutbarkeit der Wahlverteidigergebühren geltend zu machen. Diese Möglichkeit hat der bestellte Beistand/Verteidiger hingegen nicht. Letzterer kann eine Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren ausschließlich im Rahmen des Verfahrens nach § 51 RVG geltend machen. Hieraus folgt, dass die angemessene Höhe der Pauschgebühr gemäß § 51 RVG nur anhand der Umstände des Einzelfalles zu bestimmen ist. Eine analoge Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 4 RVG scheidet damit aus (so im Ergebnis auch OLG Köln a.a.O.).
10 
Die Vertretung der Eltern des getöteten Kindes war aufgrund der langen Dauer des Verfahrens, der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten und der wiederholten Einarbeitung mit einem so großen Aufwand für den Antragsteller verbunden, das eine Vervielfachung der gesetzlichen Gebühren geboten ist, um dem Aufwand des Beistandes annähernd gerecht werden zu können. Der Senat hält über die gesetzlich verdienten Gebühren in Höhe von 244,- EUR hinaus für den Einarbeitungsaufwand zusätzlich vier fiktive Grundgebühren gemäß Nr. 4100 VV RVG (528,-- EUR) sowie für den Aufwand insbesondere bei Fertigung der Beschwerdebegründungen sowie im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens weitere 12 fiktive Verfahrensgebühren gemäß Nr. 4104 VV RVG (1344,-- EUR) für angemessen, was zu einer Pauschgebühr in Höhe von 2.116,- EUR führt. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

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