Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 6 Ws 7/09

Tenor

Die sofortigen Beschwerden der Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts S vom 10. Februar 2009 werden als unzulässig

v e r w o r f e n .

Die Beschwerdeführer tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht - Jugendrichter - N hatte die zur Tatzeit neunzehn Jahre alten Beschwerdeführer am 2. Dezember 2008 wegen Sachbeschädigung unter Anwendung von Erwachsenenstrafrecht jeweils zu der Geldstrafe von fünfzehn Tagessätzen zu je 30 EUR bzw. 15 EUR verurteilt. Durch den angefochtenen Beschluss vom 10. Februar 2009 hat die Jugendkammer des Landgerichts § 313 StPO angewandt und die Berufungen der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts als unzulässig verworfen. Mit ihren sofortigen Beschwerden wenden sich beide - die Tatvorwürfe bestreitenden - Verurteilten gegen die Annahme des Landgerichts, ihre Berufungen seien „offensichtlich unbegründet“ i.S.d. § 313 Abs. 2 StPO.
II.
1. Die sofortigen Beschwerden der Verurteilten sind nicht statthaft und damit unzulässig. Nach § 322 a Satz 2 StPO ist die Entscheidung über die Nichtannahme der Berufung nach § 313 Abs. 2 StPO grundsätzlich nicht anfechtbar. Etwas anderes gilt, wenn zwischen den Verfahrensbeteiligten Streit darüber besteht, ob die Voraussetzungen der Annahmeberufung vorliegen (vgl. OLG Stuttgart Justiz 2006, 256) oder unabhängig vom Vorliegen eines Streits zu dieser Frage die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO tatsächlich nicht vorlagen (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2006, 346). Beides ist hier nicht der Fall. § 313 StPO ist im Jugendstrafverfahren anwendbar, wenn wie hier ein Heranwachsender unter Anwendung des Erwachsenenstrafrechts zu einer Geldstrafe von nicht mehr als fünfzehn Tagessätzen verurteilt wurde (so im Ergebnis wohl auch KG Berlin Beschluss vom 23. Juni 2000 - (4) 1 Ss 152/00 -).
2. a) Dem Wortlaut nach ist hier ein Fall der Annahmeberufung nach § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO gegeben. Ausdrückliche Regelungen des Jugendgerichtsgesetzes stehen der Anwendbarkeit nicht entgegen. Grundsätzlich gilt bei Heranwachsenden, bei denen nach § 105 JGG Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt, das Rechtsmittelsystem der Strafprozessordnung, soweit § 109 JGG nicht die Vorschriften des Jugendstrafverfahrens für entsprechend anwendbar erklärt oder selbst eine besondere Regelung trifft (vgl. Eisenberg, JGG, 12. Aufl., § 109 Rn. 3). Damit gelten mangels entgegenstehender Regelung bei Anwendung des allgemeinen Strafrechts auch die §§ 312 ff. StPO einschließlich § 313 StPO für Heranwachsende.
b) Für dieses Ergebnis sprechen nicht zuletzt die Gesetzesmaterialien. Durch das am 1. März 1993 in Kraft getretene Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl. I S. 50) wurden zur Straffung und Vereinfachung des Strafverfahrens sowohl § 313 StPO als auch § 407 Abs. 2 Satz 2 StPO in die Strafprozessordnung aufgenommen. Auf Empfehlung des Rechtsausschusses wurde zugleich § 109 Abs. 3 JGG (BGBl. I a.a.O. Art. 7 Nr. 5) in das Jugendgerichtsgesetz eingefügt, der in dem ursprünglichen Gesetzentwurf des Bundesrates (BTDrucks. 12/1217) zunächst nicht vorgesehen war (BTDrucks. 12/3832, S. 16). Nach § 109 Abs. 3 JGG ist die Anwendung des § 407 Abs. 2 Satz 2 StPO in einem Verfahren gegen einen Heranwachsenden ausdrücklich ausgeschlossen. Damit schloss sich der Rechtsausschuss den Bedenken der Bundesregierung an, die die Möglichkeit, gegen einen Heranwachsenden im Wege des Strafbefehlsverfahrens eine Freiheitsstrafe mit Bewährung zu verhängen, für nicht vertretbar hielt. In der Begründung für den Ausschluss des § 407 Abs. 2 Satz 2 StPO wird darauf abgestellt, dass im Strafbefehlsverfahren eine eingehende Überprüfung des Jugendgerichtshilfeberichts mangels eines persönlich gewonnenen Eindrucks durch den Jugendrichter nicht erfolgen könne. Daher erscheine bei Heranwachsenden eine Hauptverhandlung, in der die Voraussetzungen der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Angeklagten abschließend geprüft werden, grundsätzlich unverzichtbar (BTDrucks. 12/3832, S. 45).
c) Die Vorschriften über die Annahmeberufung werden demgegenüber durch § 109 Abs. 3 JGG in Verfahren gegen Heranwachsende nicht ausgeschlossen. Dem jugendstrafrechtlichen Gedanken möglichst umfassender Persönlichkeitserforschung (vgl. §§ 43, 73 i.V.m. § 109 Abs. 1 Satz 1 JGG) wird in den Fällen des § 313 StPO in ausreichender Weise Rechnung getragen. Hier prüft das Berufungsgericht die Anwendbarkeit des Erwachsenenstrafrechts auf den Heranwachsenden - anders als in dem grundsätzlich auch gegen Heranwachsende möglichen Strafbefehlsverfahren - nach vorangegangener mündlicher Verhandlung unter Beteiligung der Jugendgerichtshilfe (§§ 38, 50 Abs. 3 i.V.m. §§ 107, 109 Abs. 1 JGG) vor dem erstinstanzlich zuständigen Jugendrichter. Es entfällt - und dies auch nur in Bagatellsachen - lediglich eine weitere Hauptverhandlung.
3. a) Dies ist jedoch die unmittelbare und im Interesse der Verfahrensbeschleunigung gewollte Folge etwa auch der Rechtsmittelbeschränkungen des Jugendgerichtsgesetzes bei Anwendung materiellen Jugendstrafrechts, im Fall des § 59 Abs. 1 JGG (vgl. etwa OLG Düsseldorf a.a.O.; Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl., § 59 Rn. 2) oder der Wahlrevision gemäß § 55 Abs. 2 JGG. Damit hindert auch der Erziehungsgedanke (vgl. Brunner/Dölling, a.a.O., § 2 Rn. 2), der auch für altersgemäß entwickelte Heranwachsende noch Bedeutung hat (vgl. BGHSt 52, 316), nicht die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Annahmeberufung. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Strafe nur dann die notwendige erzieherische Wirkung habe, wenn sie der Tat sobald wie möglich folgt (vgl. Brunner/Dölling, a.a.O., Einf. II Rn. 4 ff., 25; Eisenberg, a.a.O., § 55 Rn. 35 ff., § 59 Rn. 3; RLJGG Nr. 6 zu § 43). Dem Ziel, das Strafverfahren möglichst rasch abzuschließen, wie es erzieherisch geboten ist, dient nicht zuletzt die eingeschränkte Anfechtbarkeit jugendgerichtlicher Urteile.
b) Nach § 55 Abs. 1 JGG ist eine auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung nicht statthaft, wenn lediglich Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel verhängt wurden. § 55 Abs. 2 JGG verkürzt - nicht nur in Bagatellfällen wie § 313 StPO - den Rechtszug aus erzieherischen Gründen auf zwei Instanzen. Auch die Rechtsmittelbeschränkung des § 55 Abs. 2 JGG dient daneben wie die Annahmeberufung nach § 313 StPO dem Interesse der Verfahrensökonomie (vgl. Eisenberg, a.a.O., Rn. 54). Gemäß § 59 Abs. 1 JGG schließlich kann die Entscheidung über die (Nicht-) Aussetzung einer Jugendstrafe zur Bewährung nicht isoliert mit der Berufung, sondern nur mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Die Kriminalprognose für den jugendlichen Angeklagten wird durch das Beschwerdegericht in Ausübung eigenen Ermessens (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1982, 120) nach Aktenlage (vgl. Brunner/Dölling, a.a.O., § 59 Rn. 2) erstellt.
c) Letztlich führen die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Annahmeberufung in gleicher Weise wie die Rechtsmittelbeschränkungen des Jugendgerichtsgesetzes zu einer Verfahrensbeschleunigung und stehen so mit dem Erziehungsgedanken des Jugendgerichtsgesetzes im Einklang. Nach § 313 StPO ist die Berufung in Bagatellfällen nur zulässig, wenn sie angenommen wird. Die Berufung wird als unzulässig verworfen, wenn sie „offensichtlich unbegründet“ ist (§ 313 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das Berufungsgericht führt eine umfassende eigene Prüfung der Sach- und Rechtslage anhand der Akten durch. Das von Schäfer (NStZ 1998, 330, 334; vgl. auch Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 313 Rn. 5; Brunner/Dölling, a.a.O., § 55 Rn. 1. jeweils unter Hinweis auf Schäfer) gegen die Anwendbarkeit des § 313 StPO im vorliegenden Fall der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Heranwachsende vorgebrachte Argument, dadurch werde die Überprüfung des § 105 JGG im Berufungsverfahren vereitelt, greift danach nicht durch. Das Berufungsgericht prüft auch die Anwendbarkeit des Erwachsenenstrafrechts auf den Heranwachsenden nach § 105 JGG in Ausübung eigenen Ermessens nach Aktenlage. Die Möglichkeit der Sprungrevision anstatt der Berufung (§ 335 StPO) bleibt zudem nach herrschender Meinung in den Fällen der Annahmeberufung erhalten (Paul in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 313 Rn. 4; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 335 Rn. 21 m.w.N.).
5. Die Umdeutung der unzulässigen sofortigen Beschwerden in Anhörungsrügen nach § 33 a StPO (vgl. OLG Karlsruhe Justiz 2005, 311) kommt vorliegend nicht in Betracht. Die Verurteilten, die ihre Berufungen gegen das Urteil des Jugendrichters nicht begründet haben, machen nicht geltend, durch den Beschluss der Jugendkammer in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden zu sein. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich. Die Jugendkammer hat keine Tatsachen verwertet, die den Beschwerdeführern unbekannt waren.
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6. Eine Prüfung der offensichtlichen Unbegründetheit der Berufungen i.S.d. § 313 StPO ist dem Senat wegen § 322a StPO verwehrt. Die Nachprüfung durch das Beschwerdegericht ist darauf beschränkt, ob das Berufungsgericht die formellen Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 StPO - wie hier - zu Recht angenommen hat (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).

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