Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 1 HEs 147 - 150/10; 1 HEs 147/10; 1 HEs 148/10; 1 HEs 149/10; 1 HEs 150/10

Tenor

Die Untersuchungshaft der Angeklagten hat

f o r t z u d a u e r n .

Die weitere Haftprüfung wird bis zum 02. Mai 2011 der mit der Sache befassten Strafkammer des Landgerichts Stuttgart übertragen.

Gründe

 
Die Angeklagten F. und D. wurden jeweils am 4. Mai 2010 festgenommen und befinden sich seither ununterbrochen auf Grund von Haftbefehlen des Amtsgerichts Stuttgart vom 3. Mai 2010 in dieser Sache in Untersuchungshaft. Der Angeklagte K. wurde am 29. April 2010 vorläufig festgenommen und befindet sich seit 30. April 2010 durchgängig in dieser Sache in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Weiden in der Oberpfalz von diesem Tag. Mit Beschluss vom 04. November 2010 ordnete der Senat u. a. bezüglich dieser drei Angeklagten die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus an.
Die nun vom Senat gem. §§ 121 Abs. 1, 122 Abs. 1 StPO vorzunehmende erneute Prüfung ergibt, dass die Untersuchungshaft bei den drei Angeklagten auch über neun Monate hinaus aufrecht erhalten werden darf.
(…)
Die besonderen Voraussetzungen der Haftfortdauer nach § 121 Abs. 1 StPO liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen. Das Verfahren ist mit der bei Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden. Bezüglich des Verfahrensablaufs bis zur Haftfortdauerentscheidung des Senats vom 04. November 2010 wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen dieses Beschlusses Bezug genommen. Nachdem die polizeilichen Ermittlungen am 19. Oktober 2010 abgeschlossen waren, konnte die Staatsanwaltschaft Stuttgart bereits am 24. November 2010 die 40 Seiten umfassende Anklageschrift fertig stellen. Weil sich unter den Angeklagten eine Heranwachsende, die 20-jährige S., befand, wurde die Anklage an die Große Jugendkammer gerichtet. Am 25. November 2010 ging die Anklageschrift beim Landgericht Stuttgart ein. Am 30. November 2010 verfügte der Vorsitzende der 3. Großen Jugendkammer die Zustellung der Anklage und setzte den Verfahrensbeteiligten eine Frist von zwei Wochen zur Einlassung. Zugleich wies er auf eine mögliche Abtrennung der (einzigen) Heranwachsenden S. von den übrigen vier erwachsenen Angeklagten hin. Diesbezüglich gewährte er rechtliches Gehör innerhalb der Einlassungsfrist. Die drei Angeklagten äußerten sich hierzu nicht. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2010 trennte die 3. Große Jugendkammer das Strafverfahren gegen die vier Erwachsenen vom Verfahren gegen die Heranwachsende S. ab und eröffnete das Hauptverfahren gegen S. vor der 3. Großen Jugendkammer, das gegen die vier weiteren erwachsenen Angeklagten dagegen vor der nach der Turnusliste zuständigen (allgemeinen) Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart. Zugleich beschloss die 3. Große Jugendkammer die Fortdauer der Untersuchungshaft bei allen fünf Angeklagten. Nachdem der Senat am 10. Januar 2011 die Haftbeschwerde des Angeklagten K. verworfen hatte, bestimmte der Vorsitzende der 7. Großen Strafkammer mit Verfügung vom 18. Januar 2011 den Beginn der Hauptverhandlung auf den 21. März 2011 mit Fortsetzungsterminen am 28. März, 05. April, 07. April, 12. April, 14. April, 03. Mai und 06. Mai 2011. Ein früherer Beginn der Hauptverhandlung war wegen der zeitlichen Inanspruchnahme der beteiligten Verteidiger durch Termine in anderen umfangreichen Strafverfahren nicht möglich. Die gesondert verfolgte S. wurde am 11. Januar 2011 von der 3. Jugendkammer des Landgerichts Stuttgart wegen 10 Fällen des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge - in zwei Fällen in Tateinheit mit bandenmäßiger unerlaubter Einfuhr - zu der Jugendstrafe von 4 Jahren 6 Monaten verurteilt.
Vermeidbare Verzögerungen liegen nicht vor. Da gegen M. bezüglich zweier Tatkomplexe ermittelt wurde (Heroinlieferungen von der Türkei in die Tschechische Republik zum einen und Kokainlieferungen von der Tschechischen Republik nach Deutschland zum anderen) war - auch wenn einer dieser Tatkomplexe (Drogentransport von der Türkei in die Tschechische Republik) die drei Angeklagten F., D. und K. nicht betrifft - eine diesbezügliche Abtrennung des Verfahrens gegen die drei Angeklagten nicht angezeigt und hätte wegen der dann auf zwei Gerichte verteilten Beweisaufnahme eher zu einer Verzögerung der Erledigung des Verfahrens insgesamt geführt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2001, 4 Ws 508-516/01). Angesichts der Komplexität des Falles, der Zahl der angeklagten Taten (21) und Personen sowie des Umfanges der Ermittlungsakten (27 Stehordner) erfolgte die Einarbeitung der 3. Großen Jugendkammer innerhalb eines Zeitraumes von nicht einmal einem Monat sehr zügig. Zu beanstandende Zeitverluste sind auch beim Wechsel der Zuständigkeit bezüglich der vier erwachsenen Angeklagten - M., F., D. und K. - von der 3. Großen Jugendkammer zur 7. Großen Strafkammer durch die Abtrennung nicht erkennbar. Weder die Zeit, die die 3. Große Jugendkammer zur Prüfung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens nötigen hinreichenden Tatverdachts hinsichtlich der Angeklagten F., D. und K. benötigte, noch die Zeit, die die nun für die vier erwachsenen Angeklagten zuständige 7. Große Strafkammer für die Einarbeitung in das Verfahren gegen die vier übrigen Angeklagten und dessen Terminierung benötigte, stellen vermeidbare Verzögerungen dar.
Dass die 3. Große Jugendkammer prüfte, ob ein hinreichender - aufgrund der gemäß § 207 Abs. 4 StPO erforderlichen Entscheidung über die Haftfortdauer sogar ein dringender - Tatverdacht auch hinsichtlich der vier erwachsenen Angeklagten vorliegt, war durch die gesetzlichen Regelungen zwingend vorgegeben. Die Jugendkammer hatte nicht die Möglichkeit, das Verfahren gegen die Angeklagten F., D. und K. dadurch schneller zu fördern, dass sie das Verfahren gegen sie und den weiteren Angeklagten M. sofort abtrennt und bei ihnen dann die Prüfung des Tatverdachtes der nach der Abtrennung zuständigen allgemeinen Strafkammer überlässt. Denn die Jugendkammer musste aufgrund der ihr gemäß den §§ 209 Abs. 1, 209a Nr. 2 a) StPO eingeräumten Eröffnungskompetenz mit der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung im Hinblick auf die Heranwachsende S. zwingend zugleich auch über die Eröffnung des Hauptverfahrens bezüglich der vier erwachsenen Angeklagten entscheiden und daher auch bezüglich jener die Verdachtslage prüfen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.1993, 4 Ws 263/93; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.11.1990, 3 Ws 936/90, NStZ 1991, 145; Eisenberg JGG, 13. Aufl., § 103 Rn. 18; Brunner/Dölling JGG, 11. Aufl., § 103 Rn. 10).
Auch dass die 7. Große Strafkammer sodann Zeit für die Vorbereitung der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten und zur Absprache von Terminen mit den Verfahrensbeteiligten benötigte, ist nicht zu beanstanden. Dies ist vielmehr die unvermeidbare Kehrseite der Prüfungskompetenz und gegebenenfalls Abtrennungspflicht, die das Gesetz den Jugendgerichten bei verbundenen Verfahren zuweist. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart klagte - in Ausübung des ihr eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens (vgl. Eisenberg JGG, 14. Aufl., § 103 Rn. 11) - alle fünf Angeklagte ersichtlich aus dem nachvollziehbaren sachlichen Grund, das Verfahren, bei dem eine umfangreiche Beweisaufnahme zu erwarten war, auf dem effizientesten Weg in nur einem Gerichtsverfahren zu erledigen, gemeinsam zur Jugendkammer an. Dieser Gesichtspunkt vermag grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine gemeinsame Verhandlung i. S. d . § 103 Abs. 1 JGG darzustellen (vgl. KG, Beschluss vom 16.12.1998, 1 AR 1379/98 - 3 Ws 674/98; OLG Celle, Beschluss vom 06.12.2007, 2 Ws 383/07). Die besonderen Ziele des Jugendgerichtsverfahrens gemäß § 2 Abs. 1 JGG ordnete die Staatsanwaltschaft diesem Ziel - vertretbar - unter. Mit der Möglichkeit der Trennung verbundener Sachen weist die gesetzliche Regelung der §§ 209, 209 a StPO i. V. m. § 103 Abs. 3 JGG dem Jugendgericht das Recht - zugleich aber auch die Pflicht - zu, eigenständig und unabhängig von der Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen (vgl. Eisenberg JGG, 14. Aufl., § 103 Rn. 12) zu entscheiden, ob ein Verfahren, in dem Jugendliche/Heranwachsende und Erwachsene gemeinsam von der Staatsanwaltschaft angeklagt werden, auch gemeinsam weiter geführt werden soll. Nach den gesetzgeberischen Vorstellungen und den sich hieran orientierenden Richtlinien des Jugendgerichtsgesetzes (Nr. 1 zu § 103 JGG) soll die Verbindung von Strafsachen gegen Jugendliche/Heranwachsende und Erwachsene in Betracht kommen, wenn im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung die besseren Gründe für eine Verbindung sprechen (KG, Beschluss vom 06.01.2006, 1 AR 1324/05 - 4 Ws 183/05; OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.11.1994, 1 Ws 225/94). Im vorliegenden Fall gewichtete die 3. Große Jugendkammer des Landgerichts Stuttgart die Argumente anders als die Staatsanwaltschaft Stuttgart und gab den besonderen Zwecken des Jugendstrafverfahrens den Vorrang vor der effizienten gemeinsamen Verhandlung. Auch diese Entscheidung ist vertretbar. Denn eine getrennte Verhandlung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Jugendliche/Heranwachsende geständig ist und/oder eine Beeinflussung des Jugendlichen/Heranwachsenden, z. B. wegen verwandtschaftlicher Beziehung zu erwachsenen Mitangeklagten (OLG Stuttgart, a. a. O), zu befürchten ist. Im vorliegenden Fall ist die gesondert verfolgte S. - seit ihrer Vernehmung am 18. November 2010 - geständig; sie ist dazu die Geliebte des M., so dass bei einer gemeinsamen Verhandlung eine Beeinflussung der 20-jährigen S. durch den 20 Jahre älteren M. zu besorgen gewesen wäre. Beide Entscheidungen, die der Staatsanwaltschaft Stuttgart und die der 3. Großen Jugendkammer, sind somit ersichtlich von sachlichen Erwägungen getragen und nicht willkürlich. Dass es, wenn das Jugendgericht von der Entscheidung der Staatsanwaltschaft abweicht und das Verfahren hinsichtlich der erwachsenen Angeklagten von dem gegen Jugendliche/Heranwachsende abtrennt, dazu führt, dass sich das dann für die Erwachsenen zuständig werdende Gericht neu in das Verfahren einarbeiten muss, wird nach den gesetzlichen Regelungen in Kauf genommen. Dies wird der besonderen Beurteilungskompetenz des Jugendgerichts hinsichtlich der Frage, wann die besonderen Ziele des Jugendstrafrechts gemäß § 2 Abs. 1 JGG eine Abtrennung des Verfahrens gegen Erwachsene von dem gegen Jugendliche/Heranwachsende erfordern, untergeordnet. Alleine die durch die Abtrennung erforderlich gewordene zusätzliche Einarbeitungs- und Vorbereitungszeit stellt daher - wenn die Sache wie hier (vgl. das Gegenbeispiel OLG München, Beschluss vom 06.09.2007, 3 Ws 507/07 H, 3 Ws 508/07 H) ansonsten mit der in Haftsachen erforderlichen Beschleunigung betrieben wird - keine vermeidbare Verzögerung dar.
Sowohl die 3. Große Jugendkammer als auch die 7. Große Strafkammer haben daher das Verfahren mit der bei Haftsachen erforderlichen Beschleunigung gefördert. Vermeidbare Verzögerungen in der Verfahrensbearbeitung liegen nicht vor.

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