Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 10 W 2/11

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 17.12.2010, AZ: 3 O 242/2010,

a u f g e h o b e n

und das Verfahren zur Rechtswegentscheidung an das Landgericht Tübingen

z u r ü c k v e r w i e s e n .

2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

 
I.
Am 29.9.2010 hat der Kläger seine Klage auf Vergütung und Aufwendungsersatz beim Landgericht Tübingen eingereicht. Gleichzeitig beantragte er Prozesskostenhilfebewilligung. Die Klage wurde dem Beklagten nicht zugestellt, sondern mit Verfügung vom 30.9.2010 dem Prozessgegner zur Stellungnahme zum Prozesskostenhilfegesuch des Klägers zugeleitet. Mit Beschluss des Landgerichts vom 17.12.2010, AZ: 3 O 242/10, wurde der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Da ausreichende Anhaltspunkte für eine freie Mitarbeit des Klägers fehlten, liege eine scheinselbständige Tätigkeit des Klägers vor, weshalb für etwaige Ansprüche keine Rechtswegzuständigkeit zum Landgericht bestehe, sondern zu den Arbeitsgerichten. PKH könne nicht bewilligt werden, da nach noch überwiegender Auffassung in diesem Fall § 17a GVG nicht anwendbar sei und die Klage vor einem unzuständigen Gericht keine Aussicht auf Erfolg habe.
Gegen den am 22.12.2010 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 30.12.2010 sofortige Beschwerde eingelegt. Die Beschwerde wird unter anderem damit begründet, der Beklagte habe unstreitig gestellt, dass der Kläger als Freelancer für ihn tätig gewesen sei.
Mit Beschluss vom 3.1.2011 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Beschluss vom 8.4.2011 hat der Einzelrichter gemäß § 568 Satz 2 ZPO das Verfahren dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses. Das Landgericht hat vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers von Amts wegen die Zulässigkeit des Rechtswegs zu prüfen und gegebenenfalls den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht zu verweisen.
1.
Ob § 17a GVG im Prozesskostenhilfeverfahren - entsprechend - anwendbar ist, ist streitig (ablehnend: OLG München, Beschluss vom 26.11.2010, AZ. 1 W 2523/10, zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, MDR 2007, 1390; befürwortend: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 30.12.2009, AZ 3 O 133/09, zitiert nach juris; ähnlich LAG Nürnberg, Beschluss vom 2.6.2010, AZ. 4 TA 131/09 (Vorabentscheidung über den Gerichtsweg); vgl. auch Zöller-Lückemann, ZPO 28. Aufl., vor §§ 17 bis 17b GVG RN 12 m.w.N.).
Jedenfalls wenn mit dem Prozesskostenhilfeantrag gleichzeitig die Hauptsache vom Kläger anhängig gemacht wird, ist vor Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag über die Zulässigkeit des eingeschlagenen Rechtswegs zu entscheiden und gegebenenfalls das Verfahren an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG zu verweisen.
Die Prozessvoraussetzungen, zu denen auch die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs nach § 13 GVG gehört, sind vom Erstgericht in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (vgl. Zöller-Greger a.a.O. vor § 253 RN 9; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann ZPO 69. Aufl., § 17 GVG RN 1). Diese Prüfung setzt Rechtshängigkeit, also die Zustellung der Klage, nicht voraus. Vielmehr ist die Rechtswegzuständigkeit bereits bei Anhängigkeit der Klage zu klären. Ein solches Verständnis wird dem Zweck des § 17a GVG, eine möglichst frühzeitige Bestimmung der Zuständigkeit zu ermöglichen (vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, a.a.O., § 17a GVG RN 1), gerecht.
Insbesondere kann einer Rechtswegentscheidung nach § 17a GVG vor Rechtshängigkeit nicht § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG entgegen gehalten werden (so wohl Zöller-Lückemann a.a.O. vor § 17 bis 17b GVG RN 12). § 17b GVG regelt die Wirkungen der Verweisung, also deren Folgen, und nicht deren Voraussetzungen. Es ist in § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG - deklaratorisch - festgehalten, dass die Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen bleiben, soweit sie beim verweisenden Gericht schon eingetreten ist. Damit ist nicht festgelegt, dass die Rechtshängigkeit Voraussetzung für eine Verweisung nach § 17a GVG wäre, sondern wenn das Verfahren beim verweisenden Gericht anhängig, aber noch nicht rechtshängig ist, greift lediglich die Folge der Verweisung nach § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG nicht ein, weil deren Voraussetzung, bereits bestehende Rechtshängigkeit, nicht erfüllt ist.
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Auch § 17 Abs. 1 GVG regelt keine Voraussetzungen für eine Prüfung der Rechtswegzuständigkeit und Verweisung, sondern Wirkungen der Rechtshängigkeit. Dadurch wird eine Verweisung im Stadium der Anhängigkeit der Klage nicht ausgeschlossen.
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Bei Anhängigkeit der Hauptsache hat deshalb ein Gericht vor der Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag von Amts wegen die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu prüfen und gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG durch Beschluss vorab über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu befinden und ggf. den Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen. Allein dieses Gericht, das auch eine Entscheidung in der Hauptsache selbst zu treffen hat, ist berufen, die erforderlichen Erfolgsaussichten des Klagebegehrens und die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu prüfen und einer Entscheidung zuzuführen (LAG Nürnberg a.a.O., juris RN 12 und 13, allerdings dort für das Prozesskostenhilfeverfahren vor Anhängigkeit der Klage).
12 
Das nach eigener Auffassung für die Sachentscheidung nicht berufene Landgericht war hier nicht befugt, wegen des nach seiner Auffassung nicht eröffneten Rechtswegs die beantragte Prozesskostenhilfe zu versagen.
13 
Wäre das Landgericht nicht verpflichtet, eine Rechtswegentscheidung zur anhängigen Klage vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zu treffen, wäre der Kläger angesichts der Begründung der ablehnenden Entscheidung über seinen Prozesskostenhilfeantrag gezwungen, seine Klage beim Arbeitsgericht neu anhängig zu machen. Weil das Arbeitsgericht an den Beschluss des Landgerichts mit der Ablehnung von Prozesskostenhilfe nicht gebunden wäre, wäre es nicht gehindert, den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten bei einer Vorabentscheidung über die Prozesskostenhilfebewilligung für unzulässig zu halten mit der Folge, dass dem Kläger auch dort kein Rechtsschutz zu Teil werden würde. Er hätte keine zumutbare Möglichkeit, eine sachliche Entscheidung über sein Prozesskostenhilfegesuch zu erreichen (vgl. BGH MDR 2009, 1295, juris RN 11).
3.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO i.V.m. Nr. 1812 KV / GKG.
15 
Trotz grundsätzlicher Bedeutung ist die Rechtsbeschwerde an den BGH nicht zuzulassen, weil die PKH-Beschwerde nicht zurückgewiesen, sondern der PKH-Beschluss aufgehoben wurde.
16 
Vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass der Senat nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage die vom Landgericht angenommene Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte zumindest für naheliegend hält.

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