Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 17 UF 352/11

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart-Bad Cannstatt vom 10. Oktober 2011 - 2 F 417/11 -

abgeändert:

Der Scheidungsantrag des Antragsgegners wird

zurückgewiesen.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart - Bad Cannstatt vom 10. Oktober 2011 - 2 F 417/11 - ist hinsichtlich der dort zu Ziff. 2 getroffenen Regelung (Entscheidung über die Folgesache Versorgungsausgleich)

gegenstandslos.

3. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Beschwerdewert: EUR 4.813,00

(Ehescheidung: EUR 3.813,00, Versorgungsausgleich EUR 1.000,00)

Gründe

 
I.
Die beteiligten Eheleute sind türkische Staatsangehörige. Sie haben am 10. März 1977 in C. in der Türkei die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind zwei mittlerweile volljährige Kinder hervorgegangen. Seit 2005 leben die Eheleute nach dem Auszug des Antragsgegners aus der Ehewohnung voneinander getrennt.
Im Mai 2006 reichte die Antragstellerin einen Scheidungsantrag ein, um eine Rückkehr des Antragsgegners in die Türkei zu verhindern. Sie wollte die damals sich noch in der Ausbildung befindenden Kinder durch ihren Ehemann materiell versorgt sehen. Der Antragsgegner trat dem Scheidungsbegehren entgegen. Einen Scheidungsantrag stellte die Antragstellerin in den anberaumten mündlichen Verhandlungsterminen nicht mehr.
Im März 2011 begehrte der Antragsgegner auf Grund seines Scheidungswunsches die Fortsetzung des Scheidungsverfahrens. Im Oktober 2011 nahm die Antragstellerin ihren noch rechtshängigen Scheidungsantrag zurück, weil sie sich von ihrem Ehemann nicht scheiden lassen wollte.
Das Familiengericht hat mit der angefochtenen Entscheidung die Ehe nach türkischem Recht geschieden und auf den Hilfsantrag der Antragstellerin den Versorgungsausgleich nach deutschem Recht durchgeführt.
Das Familiengericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Eheleute seit 2005 getrennt voneinander leben und eine vollständige Zerrüttung eingetreten sei. Der Widerspruch der Antragstellerin sei rechtsmissbräuchlich, da der Ehefrau die eheliche Gesinnung abhanden gekommen sei und sie keine ernsthaften Anstrengungen unternommen habe, die Ehe wieder herzustellen. Unbeachtlich sei der aus der Scheidung resultierende Status einer geschiedenen Frau und der damit verbundene Verlust ihres Ansehens.
Gegen den Scheidungsausspruch wendet sich die Ehefrau mit ihrer Beschwerde. Mit ihrer Beschwerde bringt sie vor, ihrer Ansicht nach stehe dem Antragsgegner auf Grund seiner Gewalttätigkeiten in der Ehe kein eigenes Scheidungsrecht zu. Da der Antragsgegner die Zerrüttung der Ehe allein verschuldet habe, stehe ihr auch ein Widerspruchsrecht zu, dessen Geltendmachung nicht rechtsmissbräuchlich sei.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart-Bad Cannstatt vom 18. Juli 2011 - 3 F 1151/10 - aufzuheben und den Scheidungsantrag des Antragsgegners zurückzuweisen.
Der Antragsgegner beantragt,
10 
die Beschwerde zurückzuweisen.
11 
Gegenüber seiner Ehefrau sei er nicht gewalttätig geworden. Seine Ehefrau habe ihn im Rahmen einer Auseinandersetzung in die Hand gebissen. Er möchte in jedem Fall geschieden werden, da er beabsichtige seine Freundin zu heiraten. Seine Ehefrau handle widersprüchlich, wenn sie, obwohl sie einen eigenen Scheidungsantrag gestellt habe, sich dem Scheidungsbegehren widersetze.
12 
Der Senat hat mit den Beteiligten am 13. März 2012 mündlich verhandelt; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
II.
13 
Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte und zulässige Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Zurückweisung des Scheidungsantrages.
1.
14 
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 lit. a erster Spiegelstrich VO (EG) 2201/2003 vom 27. November 2003 (Brüssel IIa-VO). Beide Eheleute haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
2.
15 
Die Ehescheidung ist nach türkischem Recht zu beurteilen (Art. 17 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB), wobei nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch dessen internationales Privatrecht anzuwenden ist (vgl. Palandt-Thorn, EGBGB, 71. Aufl., Art. 4 Rn. 1). Damit findet auch das türkische Gesetz Nr. 5718 vom 27.11.2007 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht Anwendung. Nach Art. 14 Ziffer 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten anzuwenden. Das türkische Recht nimmt somit die Verweisung an. Eine Rückverweisung erfolgt nur bei verschiedener Staatsangehörigkeit und einem gemeinsamen Aufenthalt.
3.
16 
Nach Art. 166 Abs. 1 des türkischen Zivilgesetzbuches (tZGB) in der Fassung vom 22.11.2001 (Gesetz Nr. 40721) ist jeder der Ehegatten berechtigt, den Scheidungsantrag zu erheben, sofern die eheliche Gemeinschaft so grundlegend zerrüttet ist, dass dem Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden kann.
17 
Allerdings ist nach der Rechtsprechung des türkischen Kassationshofs (FamRZ 1993, 1208, 1209) der Scheidungsgrund der Zerrüttung nur gegeben, wenn neben der objektiven Zerrüttung der Ehe festgestellt werden kann, dass dem anderen nicht scheidungswilligen Ehegatten wenigstens in geringfügigem Umfang ein Verschulden hieran trifft; dabei obliegen dem scheidungswilligen Ehegatten nicht nur Darlegung und Beweis der Zerrüttung, sondern auch eines mindestens geringfügigen Mitverschuldens des anderen Ehegatten. Denn der Ehegatte, der das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trägt, ist nicht berechtigt, einen Scheidungsantrag nach Art. 166 Abs. 1 tZGB zu stellen (vgl. u.a. OLG Hamm, FamRZ 2011, 220; OLG Stuttgart, Urteil vom 19.06.2007 - 17 UF 150/07, n.v.; OLG München FamRZ 1995, 935, OLG Oldenburg FamRZ 1994, 1113). Somit ist die Ehe auch dann nicht zu scheiden, wenn aus (objektiver) Sicht des Gerichts eine grundlegende Zerrüttung eingetreten ist. Nachdem die Ehefrau ausdrücklich den Widerspruch erklärt hat, kommt es nicht auf die Streitfrage an, ob die Ehe auch dann nicht geschieden werden kann, wenn sich die Ehefrau der Scheidung nicht widersetzt (vgl. einerseits Öztan, FamRZ 2007, 1517, 1518, andererseits Rumpf FamRZ 1993, 1208, 1210).
18 
Ein wenigstens geringfügiges Verschulden der Antragstellerin an der Zerrüttung hat der Antragsgegner allerdings nicht nachgewiesen.
19 
Der Ehemann ist 2005 aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen, ohne dass hierfür beachtliche Gründe ersichtlich sind. Eine Mitschuld seiner Ehefrau an dem unberechtigten Auszug konnte der Antragsgegner jedoch nicht nachweisen. Seinen bestrittenen Vortrag, seine Ehefrau sei ihm gegenüber gewalttätig geworden sei, vermochte der antragstellende Ehemann nicht zu beweisen. Demgegenüber hat er sich einer neuen Partnerin zugewandt. Dass die Ehefrau damals selbst einen - inzwischen zurückgenommenen - Scheidungsantrag gestellt hat, kann ihr nicht als Verschulden angelastet werden. Für ihre damalige Vorgehensweise hat sie im Interesse der beiden Kinder vernünftige Gründe angeführt. Hinzu kommt, dass sich die Ehefrau nie zur Stellung eines Scheidungsantrags vor Gericht durchringen konnte. Das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe ist deshalb alleine dem Ehemann anzulasten, weshalb er nicht berechtigt ist, einen Scheidungsantrag nach Maßgabe des Art. 166 Abs. 1 tZGB zu stellen.
4.
20 
Unabhängig von dem Vorliegen einer Zerrüttung würde das Scheidungsbegehren darüber hinaus - ohne dass es bei der gegebenen Sachlage noch darauf ankäme - auch am Widerspruch der Ehefrau nach Art. 166 Abs. 2 Satz 1 tZGB scheitern.
21 
Nach dieser Vorschrift kann der Ehegatte, den an dem Scheitern der Ehe weniger Schuld trifft, dem Scheidungsantrag widersprechen, und zwar auch dann wenn die eheliche Gemeinschaft voraussichtlich nicht wieder hergestellt werden kann (vgl. insoweit auch OLG Köln, Beschluss vom 2.8.2011 - 4 UF 110/11). Ein überwiegendes Verschulden des Ehemanns ergibt sich bereits aus dem Auszug aus der Ehewohnung, ohne dass er substantiiert vorgetragen hätte, wonach ihm die Ehefrau für ein derartiges Verhalten hinreichend Veranlassung gegeben hat (vgl. u.a. OLG Frankfurt, FamRZ 2005, 1681), zumal ihn die Ehefrau zur Rückkehr aufgefordert hat. Überdies hat der Antragsgegner trotz bestehender Ehe seit längerem eine neue Partnerin und keine hinreichende Gründe seinerseits vorgetragen, wonach er sich um eine Wiederherstellung der Ehe bemüht.
5.
22 
Die Erhebung des Widerspruchs ist auch nicht rechtsmissbräuchlich.
23 
Dem widersprechenden Ehegatten steht ein Widerspruchsrecht gem. Art. 166 Abs. 2 Satz 2 tZGB nicht zu, wenn sein Widerspruch ohne ersichtlichen Grund eingelegt wurde, obwohl dem Widersprechenden in Wahrheit nichts am Fortbestand der Ehe liegt (OLG Hamm, FamRZ 1996, 1148; KG, FamRZ 2006, 1386). Will der Widersprechende den anderen Ehegatten nur bestrafen oder quälen, liegt ein Rechtsmissbrauch nahe (Türkischer Kassationshof, FamRZ 2001, 99).
24 
Die Antragsgegnerin, die immer wieder betont hat, sie wolle an der Ehe trotz der ihr zugefügten Tätlichkeiten weiter festhalten, weil sie ihren Mann noch liebe, hat ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Ehe - jedenfalls gegenwärtig - noch nicht geschieden wird. Nach der türkischen Rechtswirklichkeit genießt eine noch verheiratete Frau gegenüber einer geschiedenen Ehefrau ein wesentlich höheres Ansehen (vgl. u.a. OLG Hamm, FamRZ 2011, 220; OLG Hamm, NJWE-FER 2000, 49, 50 sowie OLG Stuttgart, Urteil vom 19.06.2007 - 17 UF 45/07). Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn die Ehefrau nicht das „Stigma“ der geschiedenen Ehefrau auf sich nehmen will. Ihre soziale Stellung ist damit weitaus gefestigter (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 2.8.2011 - 4 UF 110/11).
6.
25 
Ein Verstoß gegen den deutschen „ordre public“ liegt nicht vor. Mit der Abweisung des Scheidungsantrages aufgrund des türkischen Rechtes dem Ehemann das Recht, sich zukünftig scheiden zu lassen, nicht genommen. Nach Art. 166 Abs. 4 des türkischen Zivilgesetzbuches kann der Ehemann nach Abweisung des Antrages drei Jahre nach Rechtskraft erneut einen Scheidungsantrag stellen, sofern die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder hergestellt worden ist.
III.
26 
Da der Scheidungsantrag zurückzuweisen war, wurde auch die zur Folgesache Versorgungsausgleich getroffene Entscheidung gegenstandslos (§ 142 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Der Senat hat dies klarstellungshalber in die Beschlussformel aufgenommen.
IV.
27 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 Abs. 2 Satz 1 FamFG. Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde stützt sich auf § 70 Abs. 1 und 2 FamFG. Der Beschwerdewert war nach Maßgabe von §§ 40, 43 Abs. 1 Satz 2 FamGKG festzusetzen.

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