Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 19 U 83/12

Tenor

1. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Begründung der Berufung wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Einzelrichterin der 23. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 17.04.2012 (Aktenzeichen: 23 O 21/11) wird als unzulässig

v e r w o r f e n.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Streitwert der Berufung: Bis 65.000,00 EUR

Gründe

 
I.
Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde das die Klage als unzulässig abweisende Urteil des Landgerichts am 18. April 2012 zugestellt. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte fristgemäß Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist wurde bis zum 18. Juli 2012 verlängert; die Berufungsbegründungsschrift ging erst am 19. Juli 2012, einem Donnerstag, mit dem Vermerk „Vorab per Telefax“ beim Oberlandgericht Stuttgart ein. Ein entsprechender Hinweis des Vorsitzenden vom 20. Juli 2012 zur Verfristung wurde dem Klägervertreter am 30. Juli 2012 zugestellt.
Mit am 17. August 2012 eingegangenem Schriftsatz beantragt die Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
Sie führt aus, am Vormittag des 17. Juli 2012 sei der Entwurf der Berufungsbegründung von den Prozessbevollmächtigten an die Klägerin weitergeleitet worden. Im Zuge dessen sei die zuständige Büroangestellte von dem mandatsführenden Prozessbevollmächtigten angewiesen worden, die Berufungsbegründung, sobald die Klägerin die Freigabe erteilt habe, für die Abgabe zum Gericht fertig zu machen und diese am nächsten Tag, dem 18. Juli 2012, aufgrund seiner Abwesenheit, einem anderen, namentlich bezeichneten, mandatierten Mitglied der Anwaltskanzlei zur Unterschrift vorzulegen und die Berufungsbegründung sodann dem OLG Stuttgart vorab per Fax zuzusenden sowie schriftsätzlich zur täglich um 13:00 Uhr ausgehenden Gerichtspost zu geben.
Die Freigabe durch die Klägerin sei am 17. Juli 2012 per Email erteilt und von ihrem Prozessbevollmächtigten an die zuständige Büroangestellte weitergeleitet worden, mit der Bitte, die Sache wie besprochen zu erledigen.
Die Büroangestellte habe weisungsgemäß das Mitglied der Anwaltskanzlei die Berufungsbegründung unterzeichnen lassen und diesem bestätigt, dass der Schriftsatz noch am selben Tag per Telefax an das Oberlandesgericht Stuttgart und sodann per Gerichtspost übersandt werde. Das Mitglied der Anwaltskanzlei habe diese Vorgehensweise bestätigt und die Büroangestellte angewiesen, den mandatsführenden Rechtsanwalt der Klägerin nach erfolgter Erledigung in Kenntnis zu setzen.
Die Übermittlung per Telefax sei unterblieben, die Berufungsbegründung nach Abholung gegen 13:30 Uhr in das hausinterne Postfach zur Gerichtspost gegeben worden.
Die zuständige Büroangestellte habe dem mandatsführenden Rechtsanwalt die ordnungsgemäße Übermittlung des Schriftsatzes entsprechend der erteilten Weisungen per Email bestätigt.
Zur Glaubhaftmachung hat sich die Klägerin auf die eidesstattlichen Versicherungen des das Mandat führenden Rechtsanwalts, des die Berufungsbegründungsschrift unterzeichnenden Prozessbevollmächtigten sowie der Büroangestellten und auf eine Email an die Klägerin bezogen.
II.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen. Die unzulässige, da verfristet, begründete Berufung wird nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
1.
10 
Dagegen, dass die Berufungsbegründung verfristet ist, weil sie nicht innerhalb der nach § 520 Abs. 1 BGB maßgebenden Frist beim Oberlandesgericht Stuttgart eingelegt wurde, wendet sich die Klägerin zu Recht nicht. Die Berufungsbegründung ging erst an dem auf den Fristablauf folgenden Tag ein.
2.
11 
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist bleibt erfolglos. Der verspätete Eingang der Berufungsbegründungsschrift ist auf ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zurückzuführen, das gemäß § 85 Abs. 2 ZPO deren Verschulden gleichsteht, sodass die Voraussetzungen der Bestimmung des § 233 ZPO nicht vorliegen.
12 
a) Ein Rechtsanwalt darf zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung befolgt. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung - wie hier - einen solch wichtigen Vorgang wie die Wahrung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anordnung in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen Organisationsmangel. Eine besondere Vorkehrung mag ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn die Bürokraft die unmissverständliche Weisung erhält, einen Vorgang sogleich auszuführen. Lässt der Anwalt seiner Angestellten hingegen - wie hier - einen zeitlichen Spielraum nicht nur von mehreren Stunden, sondern über den Tag hinaus zur Erledigung der aufgetragenen Arbeit, besteht die Gefahr, dass der Auftrag im Drange der sonstigen Geschäfte vergessen wird. Dieser Fehler kann auch ansonsten verlässlichen Kanzleiangestellten unterlaufen. Der Rechtsanwalt muss deshalb, wenn er nicht die sofortige Ausführung seiner Einzelweisung anordnet, durch eine allgemeine Weisung oder durch einen im Einzelfall zu erteilenden Auftrag Vorkehrungen hiergegen treffen (statt aller BGH, Beschl. v. 4. April 2007 - III ZB 85/06, BGHReport 2007, 623). Das ist nicht der Fall.
13 
b) Die per Email am 18. Juli 2012 ausgesprochene Bitte des mandatsführenden Rechtsanwalts an die zuständige Büroangestellte, „die Sache wie besprochen zu erledigen“, war hierzu nicht geeignet, weil sie die Gefahr, dass der Inhalt des Gesprächs vom Vortag beziehungsweise eines Teils dessen in Vergessenheit gerät, wie sie sich hier verwirklicht hat, nicht ausräumt, da der Inhalt der Anweisung nicht wiedergegeben ist.
14 
c) Ebenfalls vermag die Bestätigung des weiteren Vorgehens des weiteren Mitglieds der Anwaltskanzlei keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, welcher zeitliche Spielraum der zuständigen Büroangestellten nach der Unterzeichnung der Berufungsbegründungsschrift für dessen Übersendung verblieben wäre.
3.
15 
Im Übrigen hat die Klägerin nicht dargetan, dass im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten eine Ausgangskontrolle eingerichtet ist, die den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügt. Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Maßnahmen die Kontrolle der Erledigung fristgebundener Prozesshandlungen gewährleistet ist.
16 
a) So fehlt es bereits an einem Vorbringen dazu, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird, was erforderlich ist (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Januar 2012 - VI ZB 11/11, NJW-RR 2012, 427).
17 
b) Und selbst wenn eine solche Kontrolle, wie nicht, stattgefunden hätte, ist nicht vorgetragen, wodurch sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor der irrtümlichen Löschung der Fristen im Fristenkalender geschützt hat (BGH, Beschl. v. 27. März 2012 - II ZB 10/11, NJW-RR 2012, 745). Anderenfalls hätte das Versäumnis am Abend des 18. Juli 2012, mithin vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, auffallen müssen.
4.
18 
Kosten: § 97 Abs. 1 ZPO.

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