Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 8 WF 273/18

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tuttlingen - Familiengericht - vom 03.12.2018 (Az.: 33 F 605/14) wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

 
Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RpflG, 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der mit Beschluss vom 14.11.2014 bewilligten Verfahrenskostenhilfe gem. §§ 76 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO liegen vor. Auf die zutreffenden Ausführungen der Rechtspflegerin in dem angegriffenen Beschluss, dem Nichtabhilfebeschluss vom 17.12.2018 und in ihrem Anschreiben an die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 22.10.2018 (Bl. 54/56 d.A.) wird Bezug genommen.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der seit dem 01.01.2014 geltenden, hier anwendbaren Fassung, soll das Gericht die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe aufheben, wenn der Beteiligte entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO dem Gericht wesentliche Verbesserungen seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen seiner Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Die Aufhebung der Verfahrenskostenhilfe setzt demnach ein qualifiziertes Verschulden des Beteiligten voraus. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspricht dem der groben Fahrlässigkeit und liegt vor, wenn der bedürftige Beteiligte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BAG, Beschluss vom 18. August 2016 - 8 AZB 16/16 – 8 Rn. 24, juris).
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen gebieten es zwar, die Situation Bemittelter und Unbemittelter im Bereich des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen und Letzteren den Zugang zu den Gerichten nicht unverhältnismäßig zu erschweren. Sie verbieten es jedoch nicht, dem Beteiligten, der Verfahrenskostenhilfe in Anspruch nimmt, aufzuerlegen, den Fortbestand der persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvoraussetzungen in redlicher Weise darzulegen, und an ein grob nachlässiges oder unredliches Verhalten eines Beteiligten die Verwirkung des Anspruchs auf Verfahrenskostenhilfe zu knüpfen (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - IV ZB 16/12 - Rn. 30; BAG, a.a.O., Rn. 22).
Der Argumentation der Beschwerde, die Antragsgegnerin habe nicht grob nachlässig gehandelt, kann nicht gefolgt werden. In dem von ihr am 04.08.2014 unterschriebenen Formular über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat die Antragsgegnerin unter „K“ - fettgedruckt und grau unterlegt folgende Erklärung abgegeben:
„Mit ist auch bekannt, dass ich während des Gerichtsverfahrens und innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren seit der rechtskräftigen Entscheidung oder der sonstigen Beendigung des Verfahrens verpflichtet bin, dem Gericht wesentliche Verbesserungen meiner wirtschaftlichen Lage oder eine Änderung meiner Anschrift unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. Bei laufenden Einkünften ist jede nicht nur einmalige Verbesserung von mehr als 100 EUR (brutto) im Monat mitzuteilen....
Ich weiß, dass die Bewilligung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bei einem Verstoß gegen diese Pflicht aufgehoben werden kann, und ich dann die gesamten Kosten nachzahlen muss.“
Dennoch hat sie in Kenntnis ihrer in dem Formular klar und eindeutig formulierten Obliegenheit mehrfach gegen die aus § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO resultierenden Mitteilungspflichten verstoßen, indem sie über mehrere Jahre weder den Wohnungswechsel von der ... in ... in die ... in ... im August 2014, noch den späteren Umzug innerhalb Tuttlingens von der ... in die ... im Juli 2015 dem Gericht mitgeteilt hat. Da beide Umzüge zeitlich im nahen Zusammenhang mit der Abgabe der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 04.08.2014 und der VKH-Bewilligung vom 14.11.2014 standen und das Scheidungsverfahren, für welches der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, noch nicht abgeschlossen war, kann das grobfahrlässige Verhalten der Antragsgegnerin auch nicht damit entschuldigt werden, dass die Antragsgegnerin es schlicht vergessen hat, die Änderung ihrer Anschrift dem Gericht unverzüglich mitzuteilen.
10 
Überdies weist die Rechtspflegerin zu Recht darauf hin, dass die Antragsgegnerin auch verpflichtet war, die mit Aufnahme ihrer Tätigkeit bei der Firma ... im Zeitraum vom 01.04.2018 bis 31.08.2018 verbundene wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuteilen, und gegen diese Mitteilungspflicht verstoßen hat. Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe am 14.11.2014 basierte u.a. auf der Erklärung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin vom 07.10.2014 (Bl. 11 f. d.A.), wonach die Antragsgegnerin ihre Arbeitsstelle verloren und Arbeitslosengeld beantragt habe. Dies zugrunde gelegt war mit der Aufnahme der Tätigkeit bei der Firma ... eine wesentliche Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin verbunden. Aufgrund der abgegebenen Formularerklärung war der Antragsgegnerin auch bekannt, dass von einer solchen gemäß § 120a Abs. 2 Satz 2 ZPO bereits bei einer Zunahme der Bruttoeinkünfte um mehr als 100 EUR monatlich auszugehen ist, ohne dass es für die Entscheidung über die Aufhebung der Verfahrenskostenhilfebewilligung nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wegen des Sanktionscharakters dieser Norm darauf ankäme, ob der Einkommenszuwachs tatsächlich zu einer Änderung der Zahlungsanordnung führt (BGH a.a.O. für die gleich lautende Regelung in § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
11 
Die mehrfache Nichtbeachtung der sich aus § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO ergebenden Auskunftspflichten seitens der Antragsgegnerin spricht für eine besondere Gleichgültigkeit gegenüber den gesetzlichen Pflichten im Zusammenhang mit der Gewährung von staatlichen Fürsorgemitteln und erfüllt deshalb den Tatbestand der groben Nachlässigkeit.
12 
Die Antragsgegnerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, sie sei davon ausgegangen, ihr Verfahrensbevollmächtigter werde die ihr auferlegten Mitteilungspflichten erfüllen. Die Verpflichtung, eine Änderung der Wohnanschrift unverzüglich mitzuteilen, dient dem Zweck die jederzeitige Erreichbarkeit des bedürftigen Beteiligten durch das Gericht sicherzustellen, um dieses letztlich in die Lage zu versetzen, ohne weitergehende aufwändige Ermittlungen ein Verfahren zur Änderung oder Aufhebung der Bewilligung zu betreiben (BAG a.a.O., Rn. 25). Dieser Zweck kann nur dann erreicht werden, wenn der Beteiligte eingetretene Änderungen selbst mitteilt, aktiv dafür Sorge trägt, dass der bestellte Verfahrensbevollmächtigte eingetretene Änderungen dem Gericht weitergibt, was die Mitteilung solcher Änderungen an ihn voraussetzt, oder zumindest anderweitig - substantiiert vorzutragende - Maßnahmen trifft, um seine jederzeitige Erreichbarkeit durch das Gericht sicherzustellen (BAG a.a.O., Rn. 25). Auf diese Weise kann das von dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin im letzten Satz seiner Beschwerdebegründung geschilderte Szenario, dass er selbst auf seine Kosten den Mandanten ausfindig macht, um das Überprüfungsverfahren mit dem Mandanten durchzustehen, vermieden werden. Könnte sich der bedürftige Beteiligte sanktionslos auf die Beachtung der Mitteilungspflichten durch den bestellten Verfahrensbevollmächtigten verlassen, bedürfte es seiner diesbezüglichen Belehrung nicht mehr.
13 
Kosten: Nr. 1912 KV-FamGKG; § 127 Abs. 4 ZPO

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen