Urteil vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 Bf 112/12
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2012 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Klägerin der erhöhte Unterkunftsbedarf nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG zusteht.
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Die Klägerin studiert seit dem Wintersemester 2010/2011 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Fachbereich Soziale Arbeit. Auf ihren Antrag bewilligte ihr die Beklagte – zuletzt mit Bescheid vom 6. Dezember 2010 – Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum September 2010 bis August 2011 in Höhe von monatlich 597,-- Euro. Dabei legte sie einen Unterkunftsbedarf in Höhe von 224,-- Euro gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG zugrunde.
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Im Zuge ihres Weiterförderungsantrags teilte die Klägerin mit Schreiben vom 24. Juni 2011 mit, dass sie im Januar 2011 aus ihrer bisherigen Wohngemeinschaft in der R.straße aus- und in eine Wohnung in der M. Straße eingezogen sei. Die Miete betrage dort ca. 500,-- Euro monatlich. Sie habe ursprünglich beabsichtigt, für diese Wohnung einen Mitbewohner zu suchen. Dann aber sei ihrer Mutter, die insolvent geworden sei und die mittlerweile Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beziehe, die Wohnung gekündigt worden. Sie – die Klägerin – habe daher mit ihrer Mutter einen Untermietvertrag geschlossen, nachdem die ARGE erklärt habe, insoweit von einer Haushalts- und nicht von einer Bedarfsgemeinschaft auszugehen. Ihre Mutter sei am 16. April 2011 in die Wohnung in der M. Straße eingezogen und zahle einen monatlichen (Unter-) Mietzins in Höhe von 250,-- Euro.
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Mit Bescheid vom 14. Juli 2011 berechnete die Beklagte die Ausbildungsförderung für den Zeitraum Mai 2011 bis August 2011 mit monatlich 422,-- Euro neu. Ferner bewilligte sie Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum September 2011 bis August 2012 in Höhe von monatlich 422,-- Euro. Dabei legte sie jeweils einen Unterkunftsbedarf in Höhe von 49,-- Euro gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG zugrunde. Für den Zeitraum Mai 2011 bis Juli 2011 bereits ausgezahlte Ausbildungsförderung in Höhe von 525,-- Euro forderte die Beklagte von der Klägerin zurück.
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Gegen den Bescheid vom 14. Juli 2011 erhob die Klägerin Widerspruch: Sie führe mit ihrer Mutter keinen gemeinsamen Haushalt und wirtschafte nicht mit ihr zusammen. Man haushalte getrennt – getrenntes Einkaufen, getrenntes Waschen, getrennte Kontoführung –, habe einen unterschiedlichen Tagesrhythmus und hege keine besonders herzlichen Gefühle füreinander. Sie – die Klägerin – habe ihre Mutter in ihre Wohnung aufgenommen, weil deren Wohnung gekündigt worden sei und sie keine Wohnung gefunden habe. Sie lebe mit ihrer Mutter in einer Wohngemeinschaft.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2011 zurück: § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG sei in pauschalierender Weise und ungeachtet etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls auszulegen. „Bei seinen Eltern“ im Sinne dieser Vorschrift wohne ein Auszubildender, der mit seinen Eltern „unter einem Dach“ lebe. Auf eine gemeinsame Haushaltsführung komme es ebenso wenig an wie darauf, ob die Eltern in der Lage seien, zum Lebensunterhalt oder zu den Unterkunftskosten des Auszubildenden finanziell beizutragen.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin ergänzend geltend gemacht: Sie habe ihre Mutter in einer Notlage bei sich aufgenommen, weil diese von Obdachlosigkeit bedroht gewesen sei. Unter anderen Umständen hätte sie ihre Mutter nicht bei sich aufgenommen. Diese lebe bei ihr – der Klägerin –, nicht umgekehrt sie – die Klägerin – bei ihrer Mutter. Sie – die Klägerin – werde finanziell nicht dadurch entlastet, dass sie mit ihrer Mutter zusammenlebe.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 4. August 2011 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, ihr Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum September 2011 bis August 2012 unter Berücksichtigung eines Unterkunftsbedarfs gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG zu bewilligen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat auf ihren Widerspruchsbescheid Bezug genommen und ergänzend geltend gemacht: Der Gesetzgeber habe eine individuelle Prüfung der Verhältnisse im Rahmen des § 13 Abs. 2 BAföG mit Blick darauf, dass es sich bei dem Recht der Ausbildungsförderung um Massenverwaltung handele, vermeiden wollen. Es komme allein darauf an, dass ein Studierender mit seinen Eltern „unter einem Dach“ wohne. Etwaige Härtefälle seien hinzunehmen. Es bestehe aber auch kein Bedürfnis, vorliegend aufgrund besonderer Einzelfallumstände von diesem Verständnis abzuweichen. Für den Fall, dass die Eltern eines Auszubildenden Leistungen nach dem SGB II bezögen, bestehe für ihn die Möglichkeit, einen Zuschuss auf der Grundlage des § 27 Abs. 3 SGB II zu erhalten.
- 13
Das Verwaltungsgericht hat, nachdem es zuvor bereits einem Eilantrag der Klägerin mit Beschluss vom 30. August 2011 stattgegeben hatte (2 E 1781/11), der Klage mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2012 stattgegeben: Der Unterkunftsbedarf der Klägerin in dem von der Klage erfassten Zeitraum (Mai 2011 bis August 2012) bestimme sich nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG. „Bei seinen Eltern“ i.S.v. § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG wohne ein Auszubildender, der mit seinen Eltern in einem Haushalt zusammenwohne und – als zusätzliches qualifizierendes Merkmal – diesen gegenüber in mannigfaltiger Abhängigkeit von verschiedenartigen Zuwendungen stehe. Hierfür sei im Wege einer typisierenden Betrachtung auf das tatsächliche Erscheinungsbild des Zusammenwohnens abzustellen. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht erfüllt. Die Wohngemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrer Mutter stelle sich als atypische Gestaltung eines Zusammenwohnens von Kind und Elternteil dar. Typisch sei, dass ein Kind über den Beginn der Ausbildung hinaus weiter in der elterlichen Wohnung lebe oder in eine bereits von den Eltern genutzte Wohnung einziehe. Die Klägerin sei aber bereits in jungem Alter aus ihrem Elternhaus ausgezogen und habe ihre Mutter, nachdem sie mehrere Jahre allein gelebt habe, in eine von ihr bereits genutzte Wohnung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit aufgenommen. Die Klägerin empfange auch weder unmittelbar noch mittelbar wirtschaftliche oder sonstige Unterstützung durch ihre Mutter. Diese unterstütze sie nicht finanziell. Dies gelte auch für die Beteiligung an den Wohnkosten, denn die Mutter der Klägerin erhalte als Kosten der Unterkunft nur den hälftigen Mietanteil als Leistung nach dem SGB II. Etwas anderes ergebe sich nicht daraus, dass die Klägerin ggf. Anspruch auf einen Unterkunftskostenzuschuss nach § 27 Abs. 3 SGB II habe. § 27 Abs. 3 SGB II knüpfe an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG an und habe daher bei der Auslegung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG außer Betracht zu bleiben. Es handele sich bei einer Leistung nach § 27 Abs. 3 SGB II nicht um einen finanziellen Vorteil, der sich typischerweise aus einem Zusammenleben eines Auszubildenden mit den Eltern ergebe. Offen bleiben könne, ob § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG auch deshalb nicht einschlägig sei, weil die Vorschrift – ebenso wie § 2 Abs. 1a Satz 1 BAföG – eine Haushaltsgemeinschaft zwischen einem Auszubildenden und seinen Eltern voraussetze. Die Beklagte sei auch gehalten gewesen, die vorgenannten Einzelfallumstände zu berücksichtigen. Zwar seien nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einzelfallbezogene Besonderheiten bei der Anwendung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG nicht zu berücksichtigen. Gleichwohl sei die Beklagte vorliegend aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und mit Blick auf Sinn und Zweck des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG gehalten gewesen, die besonderen Umstände des Zusammenwohnens der Klägerin mit ihrer Mutter zu berücksichtigen. Denn die Klägerin ziehe aus dem Zusammenwohnen mit ihrer Mutter keine finanziellen oder sonstigen Vorteile, wie sie sich typischerweise aus einem Zusammenwohnen eines Auszubildenden mit einem Elternteil unter einem Dach ergäben. Auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei angelegt, dass trotz der danach gebotenen typisierenden Betrachtungsweise besondere Einzelfallumstände berücksichtigt werden könnten.
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Mit Beschluss vom 19. Februar 2013 hat der erkennende Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 13. April 2012 zugelassen.
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Mit ihrer am 7. März 2013 eingegangenen Berufungsbegründung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend: Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG seien nicht nur dann erfüllt, wenn die Eltern eine (wirtschaftlich) „dominierende Rolle“ innehätten. Auch auf etwaige rechtsgeschäftliche Abreden komme es nicht an. Vielmehr sei bei der Anwendung von § 13 Abs. 2 BAföG schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität eine typisierende Betrachtungsweise geboten, auch wenn dies zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit gehen könne. Es sei im Übrigen nicht belegt und – sofern dies überhaupt entscheidungserheblich sei – ggf. aufzuklären, ob die Mutter der Klägerin tatsächlich in einer Notsituation gewesen sei, in der ihr die Obdachlosigkeit gedroht hätte. Auch aus diesem Grund könne vorliegend nicht ohne Weiteres von einem atypischen Sachverhalt ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang sei ferner zu berücksichtigen, dass es der Auszubildende in der Hand habe, die Wohngemeinschaft mit seinen Eltern bzw. einem Elternteil aufzulösen, um die höhere Unterkunftspauschale nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG in Anspruch nehmen zu können. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass das Zusammenleben für die Klägerin keine Vorteile biete, denn ihre Mutter übernehme immerhin die Hälfte der Unterkunftskosten. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht hinreichend gewürdigt, dass die Klägerin voraussichtlich einen Anspruch auf einen Zuschuss zu den Unterkunftskosten gemäß § 27 Abs. 3 SGB II habe. Da diese Möglichkeit bestehe, gebe es auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit keinen Anlass, vorliegend von der typisierenden Betrachtungsweise im Rahmen des § 13 Abs. 2 BAföG abzuweichen. § 27 Abs. 3 SGB II könne als „Notventil“ zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse betrachtet werden, ohne dass dem entgegenstehe, dass sich diese Regelung in einem anderen Gesetz befinde. Denn die Regelungen im BAföG und im SGB II nähmen aufeinander Bezug. Gegen eine Berücksichtigung von Einzelfallumständen bei der Anwendung von § 13 Abs. 2 BAföG spreche auch, dass es insoweit keine praktikablen, mit vertretbarem Verwaltungsaufwand zu ermittelnde Kriterien gebe.
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Die Beklagte beantragt,
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das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2012 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und verweist darauf, dass Typisierungen verfassungsrechtlich dann umso weniger zulässig seien, je mehr sie zu einem ungerechtfertigten Ausschluss von Personen von einer Vergünstigung führen könnten. § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG beziehe sich typischerweise auf Fälle, in denen der Auszubildende Wohnraum der Eltern, der diesen gehöre oder von diesen gemietet sei, mitnutze. Der Gesetzgeber hätte eine andere Formulierung gewählt, wenn er in jedem Fall des Zusammenwohnens eines Auszubildenden mit seinen Eltern die verminderte Unterkunftspauschale habe zugrunde legen wollen. Dafür, dass in der vorliegenden Konstellation § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG einschlägig sein müsse, spreche ferner, dass sie – die Klägerin – dann, wenn sie nur die verminderte Unterkunftspauschale nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG erhielte, keinen Anspruch darauf habe, Wohngeld nach den Vorschriften des Wohngeldgesetzes zu beziehen. Stünde ihr aber nur ein Betrag in Höhe von 49,-- Euro als Unterkunftsbedarf zur Verfügung, verstieße dies gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG). Aber selbst wenn die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG nicht erfüllt sein sollten, könne sie den Anspruch auf die erhöhte Unterkunftspauschale zumindest auf der Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geltend machen. Die Beklagte habe es versäumt, sie auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, einen Antrag auf Gewährung eines Zuschusses zu den Unterkunftskosten nach § 27 Abs. 3 SGB II beim Jobcenter zu stellen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 24. September 2015 hat die Klägerin beantragt, ihre Mutter als Zeugin zu vernehmen zum Beweis dafür, dass sie mit ihrer Mutter ab Mai 2011 nicht in einem Haushalt zusammengelebt habe, insbesondere nur Küche, WC, Bad und Flur gemeinsam genutzt worden seien, sie für sich selbst eingekauft, ihr eigenes Essen zubereitet, ihre Wäsche allein gewaschen und einen anderen Tagesrhythmus als ihre Mutter gehabt habe. Diesen Beweisantrag hat der erkennende Senat mit einem in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluss abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Sachakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige, insbesondere fristgerecht begründete Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben.
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Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 4. August 2011 sind insoweit rechtmäßig, als die Beklagte darin für den Bewilligungszeitraum September 2011 bis August 2012 nur die verminderte Unterkunftspauschale gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG zugrunde gelegt hat. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass bei der Bedarfsberechnung die erhöhte Unterkunftspauschale gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG zugrunde gelegt wird (hierzu I.). Die Bescheide sind ferner insoweit rechtmäßig, als die Beklagte darin die Ausbildungsförderung für den (Bewilligungs-) Zeitraum Mai 2011 bis August 2011 neu berechnet und für den Zeitraum Mai 2011 bis Juli 2011 bereits ausgezahlte Ausbildungsförderung teilweise zurückgefordert hat (hierzu II.).
I.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass bei der Bedarfsberechnung für den Bewilligungszeitraum September 2011 bis August 2012 die erhöhte Unterkunftspauschale gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG zugrunde gelegt wird. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 4. August 2011, mit denen die Beklagte der Sache nach die Bewilligung der erhöhten Unterkunftspauschale gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG für den vorbenannten Bewilligungszeitraum abgelehnt hat, sind insoweit rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG erhält der Auszubildende die geringe Unterkunftspauschale in Höhe von monatlich 49,-- Euro, wenn er „bei seinen Eltern wohnt“. Umgekehrt erhält gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG derjenige Auszubildende die erhöhte Unterkunftspauschale in Höhe von monatlich 224,-- Euro, der „nicht bei seinen Eltern wohnt“.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der erkennende Senat folgt, wohnt ein Auszubildender „bei seinen Eltern“ i.S.v. § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG, wenn er mit diesen – bzw., was ausreichend ist, mit einem Elternteil (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1977, V C 68.76, BVerwGE 55, 54, juris Rn. 9; Urt. v. 13.4.1978, 5 C 54.76,
FamRZ 1979, 181, juris Rn. 14) – in einem Haushalt räumlich zusammenlebt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1977, a.a.O., juris Rn. 10; Urt. v. 13.4.1978, a.a.O., juris Rn. 15). Denn in einem solchen Fall ist typischerweise davon auszugehen, dass mit dem Zusammenleben für den Auszubildenden erhebliche Ersparnisse im Hinblick auf die Unterkunftskosten und sonstige Annehmlichkeiten von zum Teil ebenfalls geldwerten Charakter verbunden sind, auf die der Auszubildende deshalb angewiesen ist, weil er regelmäßig noch nicht auf eigenen Füßen stehen kann und sich „in einem Zustand mannigfaltiger Abhängigkeiten von verschiedenartigen Zuwendungen befindet“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1977, a.a.O., juris Rn. 11 f.).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es aufgrund der vorzunehmenden typisierten Betrachtung grundsätzlich unerheblich, ob der Auszubildende, der mit seinen Eltern in dem o.g. Sinne in einer "häuslichen Familien-Wohngemeinschaft" (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.2.1993, 11 C 10.92, FamRZ 1993, 1005, juris Rn. 13) zusammenlebt, tatsächlich von diesem Zusammenleben wirtschaftlich oder sonst wie profitiert. Namentlich kommt es nicht darauf an, dass die Eltern eine (wirtschaftlich) dominierende Stellung einnehmen, dass sie dem Auszubildenden gegenüber unterhaltspflichtig sind bzw. diesem Unterhalt leisten oder dass sie (Haupt-) Mieter der gemeinsam bewohnten Wohnung sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1977, V C 68.76, BVerwGE 55, 54, juris Rn. 10 ff.). Ebenfalls ist es rechtlich unerheblich, ob das Zusammenleben die Merkmale eines traditionellen Familienverbandes aufweist oder ob es sich bei den Eltern und dem Auszubildenden um gleichberechtigte, voneinander unabhängige (Wohn-) Partner handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1977, a.a.O., juris Rn. 14). Ohne Belang ist überdies, ob der Auszubildende ein eigenes – schuldrechtliches oder dingliches – Nutzungsrecht an der gemeinsam genutzten Wohnung hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.4.1978, 5 C 54.76, FamRZ 1979, 181, juris Rn. 17) und ob und ggf. welche rechtsgeschäftlichen Abreden insoweit bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1977, a.a.O., juris Rn. 10). Entscheidend ist allein, dass typischerweise die Annahme gerechtfertigt ist, der Auszubildende profitiere davon, mit seinen Eltern in einem Haushalt zusammenzuleben. Diese typische Annahme bildet das das bloße Zusammenwohnen weiter qualifizierende Merkmal, das es rechtfertigt, in § 13 Abs. 2 BAföG unterschiedliche Unterkunftspauschalen abhängig davon vorzusehen, ob der Auszubildende „bei seinen Eltern“ wohnt oder nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1977, a.a.O., juris Rn. 10; Urt. v. 13.4.1978, juris Rn. 15).
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Die Notwendigkeit der grundsätzlich einzelfallunabhängigen typisierenden Betrachtung rechtfertigt das Bundesverwaltungsgericht mit der Erwägung, dass der Gesetzgeber gerade im Rahmen der Leistungsverwaltung aus Gründen der Praktikabilität berechtigt ist, von einem typischen Erscheinungsbild auszugehen und danach die zu gewährenden Leistungen generalisierend zu regeln. Im Bereich der Massenverwaltung, zu der das Recht der Ausbildungsförderung zählt, kann im Interesse der Praktikabilität auf die gesetzestechnischen Mittel der Typisierung, Generalisierung und Pauschalisierung nicht verzichtet werden, auch wenn dies zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit gehen kann. Ein Gesetz, das seiner Natur nach typisieren muss, kann nicht alle Einzelfälle berücksichtigen. Es genügt, wenn es eine für möglichst viele Tatbestände angemessene Regelung schafft. Gewisse Härten für Einzelne müssen dann in Kauf genommen werden. Es kann vor diesem Hintergrund nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe den für das Ausbildungsförderungsrecht zuständigen Ämtern die Aufgabe zuweisen wollen, bei der Anwendung des § 13 Abs. 2 BAföG die näheren Umstände des Zusammenlebens zwischen einem Auszubildenden und seinen Eltern zu untersuchen und förderungsrechtlich zu bewerten (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 24.11.1977, V C 68.76, BVerwGE 55, 54, juris Rn. 14).
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Gemessen hieran wohnte die Klägerin in dem Bewilligungszeitraum September 2011 bis August 2012 „bei ihren Eltern“ i.S.v. § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG. Denn sie wohnte mit ihrer Mutter in einem gemeinsamen Haushalt. Die näheren Umstände des Zusammenlebens, wie sie nach dem Vorbringen der Klägerin vorlagen, sind aufgrund der vorzunehmenden typisierenden Betrachtung demgegenüber irrelevant. Weder ist es von Belang, dass die Klägerin Hauptmieterin und ihre Mutter Untermieterin der gemeinsam genutzten Wohnung waren, noch kommt es darauf an, dass die Klägerin ihre Mutter in die zuvor nur von ihr bewohnte Wohnung aufgenommen hat und nicht umgekehrt die Klägerin zu ihrer Mutter gezogen ist. Dass der Anlass für die Aufnahme der Verlust der Wohnung der Mutter und das Abwenden von ansonsten befürchteter Obdachlosigkeit war, ist genauso unerheblich wie der Umstand, dass die Lebensgestaltung der Klägerin und ihrer Mutter unterschiedlich ist, dass diese nicht gemeinsam wirtschaften oder haushalten, dass sie nicht alle Räume der gemeinsamen Wohnung auch gemeinschaftlich nutzen und dass sie „keine besonders herzlichen Gefühle füreinander“ hegen. All diese Einzelfallumstände sind bei der Anwendung des § 13 Abs. 2 BAföG deshalb außer Betracht zu lassen, weil sie der typischerweise gerechtfertigten Annahme, der Auszubildende profitiere wirtschaftlich von einem Zusammenwohnen mit seinen Eltern, nicht entgegen stehen.
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Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen war der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag, der darauf gerichtet war, die näheren Umstände des Zusammenwohnens mit ihrer Mutter aufzuklären, gemäß § 86 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Denn diese Umstände sind für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits aufgrund der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise bei der Anwendung des § 13 Abs. 2 BAföG nicht von Belang. Ein Gericht darf von der Vernehmung eines benannten Zeugen absehen, wenn es auf die Beweistatsache nicht ankommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.1981, 4 C 71.79, NVwZ 1982, 244, juris Rn. 7).
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Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass auch einer an sachbezogenen Merkmalen orientierten Typisierung Grenzen durch den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1977, V C 68.76, BVerwGE 55, 54, juris Rn. 15). Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung oder unverhältnismäßige Belastung könnte die vorstehend vorgenommene typisierende Betrachtungsweise aber für solche mit ihren Eltern zusammenwohnenden Auszubildenden bedeuten, deren Eltern – wie dies auch bei der Mutter der Klägerin der Fall war – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. SGB II beziehen und als Kosten der Unterkunft i.S.v. § 22 SGB II lediglich den hälftigen Mietanteil erhalten. Führte dies dazu, dass der Unterkunftsbedarf des Auszubildenden bei Anwendung des § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG nicht gedeckt ist, könnte in Betracht zu ziehen sein, in derartigen Fällen von der typisierenden Betrachtungsweise bei der Anwendung des § 13 Abs. 2 BAföG abzuweichen (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 14.3.2008, 4 So 179/06, BA S. 3 f).
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Indes besteht eine solche Notwendigkeit in der vorliegenden Konstellation nicht. Denn in den Fällen, in denen der Auszubildende deshalb von dem Zusammenwohnen mit seinen Eltern nicht profitieren kann, weil diese Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen und in diesem Rahmen die Unterkunftskosten nur anteilig ersetzt erhalten, hat der Auszubildende aus § 27 Abs. 3 SGB II (§ 22 Abs. 7 SGB II a.F.) einen eigenen Anspruch auf ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, der neben den Anspruch auf Ausbildungsförderung tritt und mit dem der andernfalls ungedeckte Unterkunftsbedarf bezuschusst wird. Fälle dieser Art hatte der Gesetzgeber konkret vor Augen, als er – abweichend von dem in § 7 Abs. 5 SGB II festgeschriebenen Grundsatz, dass Auszubildende, deren Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähig ist, grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben – den Zuschuss zu den Kosten der Unterkunft für bei den Eltern wohnende BAföG-Empfänger eingeführt hat: „Mit dem neuen Absatz 7 wird eine Regelung für solche Auszubildenden getroffen, die Ausbildungsförderung nach dem BAföG (...) beziehen, und die bislang von den Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen sind. Im Einzelnen sind dies Auszubildende, die (...) BAföG als Studierende im Haushalt der Eltern beziehen und Kosten für die Unterkunft und Heizung beisteuern müssen, weil die Eltern den auf das studierende Kind entfallenden Wohnkostenanteil nicht tragen können, insbesondere wenn sie selbst hilfebedürftig sind und daher einen Teil der Wohnkosten nicht erstattet bekommen“ (BT-Drs. 16/1410 [vom 9. Mai 2006], S. 24).
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Die Möglichkeit eines Zuschusses aus § 27 Abs. 3 SGB II ist vorliegend nicht deshalb außer Betracht zu lassen, weil dieser Anspruch in einem anderen Gesetz geregelt ist als § 13 Abs. 2 BAföG. Denn § 27 Abs. 3 SGB II nimmt ausdrücklich auf § 13 Abs. 2 BAföG Bezug und soll diese Regelung nach dem Willen des Gesetzgebers ergänzen (s.o.). Es ist auch, anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat, nicht aus systematischen Gründen ausgeschlossen, die Regelung aus § 27 Abs. 3 SGB II bei der Auslegung des § 13 Abs. 2 BAföG und im Zusammenhang mit der hierbei relevanten Frage, ob die vorzunehmende typisierende Betrachtungsweise in Sonderfällen an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen stößt, zu berücksichtigen. Wäre es nämlich zutreffend, dass ein Auszubildender, dessen Eltern den Unterkunftsbedarf der Familie nicht vollständig deckende Leistungen nach dem SGB II erhalten und der mit seinen Eltern in einem Haushalt wohnt, im ausbildungsrechtlichen Sinne gleichwohl nicht bei seinen Eltern wohnt (und daher die erhöhte Unterkunftspauschale aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG erhält), so hätte § 27 Abs. 3 SGB II keinen Anwendungsbereich. Ohne Belang ist schließlich, dass es sich bei dem Unterkunftskostenzuschuss aus § 27 Abs. 3 SGB II nicht um einen finanziellen Vorteil handelt, „wie er sich typischerweise aus dem Zusammenwohnen eines Kindes mit seinen Eltern unter einem Dach ergibt“. Dies ist für die Frage, ob eine typisierende Betrachtungsweise bei der Anwendung des § 13 Abs. 2 BAföG in einer besonders gelagerten Fallkonstellation gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, nicht von Belang.
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Ob die Anwendung des § 27 Abs. 3 SGB II im Einzelfall dazu führen kann, dass ein Teil der auf den Auszubildenden entfallenden Unterkunftskosten gleichwohl ungedeckt bleibt oder dass der Zuschuss zu den Unterkunftskosten nach § 27 Abs. 3 SGB II geringer ausfällt als die Differenz zwischen der niedrigen und der erhöhten Unterkunftspauschale gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 BAföG, kann offen bleiben. Denn dies hätte für die Auslegung und typisierende Anwendung des § 13 Abs. 2 BAföG keine Bedeutung, sondern könnte allenfalls die Frage aufwerfen, ob die Ausgestaltung des § 27 Abs. 3 SGB II den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Ferner kann offen bleiben, ob die Klägerin aufgrund der geltend gemachten Umstände des Zusammenwohnens mit ihrer Mutter einen Anspruch auf Gewährung von Wohngeld hatte. Auch hierauf kommt es für die Auslegung und Anwendung von § 13 Abs. 2 BAföG wegen der Möglichkeit, einen Zuschuss zu den Unterkunftskosten nach § 27 Abs. 3 SGB II zu erhalten, nicht an.
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Einen Anspruch auf Gewährung einer erhöhten Unterkunftspauschale kann die Klägerin gegen die Beklagte auch nicht, wie sie mit ihrem Schriftsatz vom 12. September 2015 geltend macht, auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen.
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Der in der Rechtsprechung auch des Bundesverwaltungsgerichts anerkannte (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.6.2011, 3 C 36.10, BVerwGE 140, 103, juris Rn. 15 ff.; bislang offen gelassen für das Ausbildungsförderungsrecht: BVerwG, Urt. v. 23.2.2010, 5 C 13.09, NVwZ-RR 2010, 570, juris Rn. 16; bejahend auch insoweit: OVG Hamburg, Beschl. v. 10.10.2013, 4 Bf 189/12.Z, BA S. 11 f., m.w.N.) Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal für einen sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten ist. Außerdem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (vgl. BSG, Urt. v. 30.9.2009, B 9 VG 3/08 R, BSGE 104, 245, juris Rn. 41; Urt. v. 18.2.2004, B 10 EG 10/03 R, BSGE 92, 182, juris Rn. 33 f.).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Dabei ist bereits zweifelhaft, ob die Beklagte eine Auskunfts- und Beratungspflicht verletzt hätte, wenn sie – was vorliegend keiner Entscheidung bedarf – die Klägerin nicht (hinreichend bzw. rechtzeitig) auf die Möglichkeit, einen Antrag auf Gewährung einer Leistung nach § 27 Abs. 3 SGB II zu stellen, hingewiesen haben sollte. Zwar sind die BAföG-Ämter gemäß § 41 Abs. 3 BAföG gehalten, die Auszubildenden und ihre Eltern über die individuelle Förderung der Ausbildung nach bundes- und landesrechtlichen Vorschriften zu beraten. Allerdings besteht bereits die allgemeine Aufklärungspflicht nach § 13 SGB I für die Leistungsträger nur „im Rahmen ihrer Zuständigkeit“ und sind für die Beratung gemäß § 14 Satz 2 SGB I diejenigen Leistungsträger zuständig, „denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind“. Allerdings hat das Bundessozialgericht in anderem Zusammenhang entschieden, dass sich die Beratungspflicht nicht auf Normen beschränke, die der betreffende Sozialversicherungsträger (aktuell) anzuwenden habe (vgl. BSG, Urt. v. 12.12.2007, B 12 AL 1/06 R, BSGE 99, 271, juris Rn. 16). Und auch das Bundesverwaltungsgericht hat leistungsträgerübergreifende Beratungspflichten und eine wechselseitige Zurechnung jedenfalls dort für möglich gehalten, wo eine Behörde arbeitsteilig in den Vorgang einer Leistungsgewährung einer anderen Behörde eingeschaltet ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.6.2011, 3 C 36.10, BVerwGE 140, 103, juris Rn. 21 f.). All dies kann im Ergebnis aber auf sich beruhen. Denn die Beklagte kann nicht, wie dies für die Bejahung des geltend gemachten Herstellungsanspruchs aber notwendig wäre, durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung denjenigen Zustand herstellen, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht – was im vorliegenden Zusammenhang unterstellt wird – verletzt hätte. Die Beklagte könnte nicht zu Gunsten der Klägerin eine ergänzende Leistung nach § 27 Abs. 3 SGB II bewilligen, weil ihr hierfür die Zuständigkeit fehlt. Sie könnte der Klägerin aber auch nicht die erhöhte Unterkunftspauschale nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG bewilligen, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen (s.o.). Ob die Klägerin gegen die Beklagte wegen einer – unterstellten – Beratungspflichtverletzung einen Schadensersatzanspruch hat, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu klären. Denn der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist nicht auf die Gewährung von Schadensersatz gerichtet. Ebenso wenig braucht geklärt zu werden, ob die Klägerin gegen die für die Bewilligung eines Zuschusses nach § 27 Abs. 3 SGB II zuständige Behörde einen (Herstellungs-) Anspruch für den hier streitigen Bewilligungszeitraum hat und insoweit ein etwaiger Beratungsfehler durch die Beklagte zugerechnet werden könnte. Denn ein solcher Anspruch ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits und wäre auch nicht gegen die Beklagte dieses Verfahrens gerichtet.
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Der erkennende Senat ist schließlich auch nicht gehalten, den vorliegenden Rechtsstreit gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob die in § 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BAföG vorgesehenen Bedarfssätze den Anforderungen an die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entsprechen. Die Höhe des in § 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG vorgesehenen Bedarfssatzes ist nicht streitgegenständlich und deshalb auch nicht entscheidungserheblich, denn die Klägerin hat mit ihrer Klage ausdrücklich (nur) beantragt, die Beklagte zur Bewilligung von Ausbildungsförderung „unter Berücksichtigung eines Unterkunftsbedarfs gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG“ zu verpflichten. Nicht entscheidungserheblich ist ferner, ob die Höhe des in § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG vorgesehenen Bedarfssatzes gegen Verfassungsrecht verstoßen kann, weil jedenfalls für die Klägerin die Möglichkeit eines Zuschusses zu den Unterkunftskosten nach § 27 Abs. 3 SGB II in Betracht kam (s.o.). Im Übrigen lässt sich den von der Klägerin in dem Schriftsatz vom 12. September 2015 genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 3.9.2014, 1 BvR 1768/11, juris Rn. 21 ff. und Beschl. v. 8.10.2014, 1 BvR 886/11, juris Rn. 13) nicht entnehmen, dass die in § 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BAföG vorgesehenen Bedarfssätze nicht den Anforderungen an die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entsprächen. Vielmehr hat es das Bundesverfassungsgericht in den angeführten Entscheidungen für unbedenklich gehalten, dass Auszubildende im Grundsatz keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II haben, wenn und weil das menschenwürdige Existenzminimum „vorrangig“ durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bzw. dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch zu decken ist. Hieraus ergibt sich weder, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung der BAföG-Bedarfssätze nicht davon ausgehen darf, Auszubildende bestritten ihren Lebensunterhalt nicht ausschließlich aus BAföG-Mitteln, noch ergibt sich hieraus, dass ein etwaiger aufgrund der Höhe der Bedarfssätze ausgelöster faktischer Zwang, eine Ausbildung mangels ausreichender öffentlicher Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts abbrechen zu müssen, die teilhaberechtliche Dimension des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG verletzt (vgl. hierzu BVerfG, a.a.O., Rn. 24 bzw. Rn. 14).
II.
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Der Bescheid vom 14. Juli 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 4. August 2011 sind auch insoweit, als die Beklagte darin die Ausbildungsförderung für den (Bewilligungs-) Zeitraum Mai 2011 bis August 2011 neu berechnet und für den Zeitraum Mai 2011 bis Juli 2011 bereits ausgezahlte Ausbildungsförderung teilweise zurückgefordert hat, rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Neuberechnung ab Mai 2011 hat die Beklagte zu Recht auf § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG gestützt. Danach wird ein Bewilligungsbescheid dann, wenn sich ein für die Leistung der Ausbildungsförderung maßgeblicher Umstand ändert, zuungunsten des Auszubildenden vom Beginn des Monats an, der auf den Eintritt der Änderung folgt, geändert. Diese Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt. Die Beklagte hatte (zuletzt) mit Bescheid vom 6. Dezember 2010 Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum September 2010 bis August 2011 bewilligt und dabei den erhöhten Unterkunftsbedarf in Höhe von 224,-- Euro gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG zugrunde gelegt. Im April 2011 war die Mutter der Klägerin bei dieser eingezogen. Dies hatte zur Folge, da die Klägerin nunmehr „bei ihren Eltern“ i.S.v. § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG wohnte, dass sie nur noch Anspruch auf die geringe Unterkunftspauschale hatte (s.o.). Da sich hierdurch ein für die Leistung der Ausbildungsförderung maßgeblicher Umstand zu Ungunsten der Klägerin geändert hatte, war die Beklagte gehalten, den Bewilligungsbescheid für die Zeit ab Mai 2011 gemäß § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG zu ändern.
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Vertrauensschutz steht der Änderung des Bewilligungsbescheides nicht entgegen. Die Regelungen über den Vertrauensschutz in § 48 SGB X sind vorliegend nicht anzuwenden, da § 53 Satz 3 HS 1 BAföG die Anwendbarkeit des § 48 SGB X ausdrücklich ausschließt. Auch in den Fällen des § 53 BAföG ist jedoch Vertrauensschutz zu gewähren, wenn dies nach den unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Mindestanforderungen erforderlich ist. Danach ist eine ungünstige Änderung des Bescheides für die Vergangenheit nur unter solchen besonderen Umständen zulässig, die das Gewicht des Vertrauensschutzinteresses gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung geringer erscheinen lassen. Wenig schutzwürdig ist ein Vertrauen in den unveränderten Bestand eines begünstigenden Verwaltungsakts dann, wenn sich die Änderung im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält, d.h. wenn der Betroffene mit der Änderung rechnen musste (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1992, 11 C 6.92, BVerwGE 91, 306, juris Rn. 15 ff.).
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So liegt der Fall hier. Die Frage, ob die Klägerin bei ihren Eltern oder einem Elternteil wohnt, war in dem Formular zur Beantragung von Ausbildungsförderung zu beantworten (Zeilen 55 ff.). Ferner hatte die Beklagte in den Bewilligungsbescheiden darauf hingewiesen, dass Änderungen derjenigen Tatsachen anzuzeigen sind, über die der Auszubildende „im Zusammenhang mit dem Antrag auf Ausbildungsförderung Erklärungen abzugeben“ hatte, insbesondere „eine Änderung der Anschrift des Auszubildenden und seiner Eltern“. Im Übrigen zeigt der Umstand, dass die Klägerin die Beklagte von sich aus darauf hingewiesen hat, dass ihre Mutter bei ihr zur Untermiete eingezogen und wie das Zusammenwohnen tatsächlich und rechtlich ausgestaltet sei, dass sie diesen Umständen förderungsrechtliche Erheblichkeit beigemessen hat.
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Die Rückforderung überbezahlter Ausbildungsförderung in Höhe von 525,-- Euro (3 x 175,-- Euro [Differenzbetrag zwischen verminderter und erhöhter Unterkunftspauschale]) hat die Beklagte zu Recht auf § 53 Satz 3 HS 2 BAföG, § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt. Gemäß § 53 Satz 3 HS 2 BAföG richten sich Erstattungen bei der nachträglichen Änderung eines Bewilligungsbescheides nach § 50 SGB X. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Ermessen hat die Behörde insoweit nicht auszuüben.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in genannten § 132 Abs. 2 VwGO Gründe gegeben ist.
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- Nichtannahmebeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 3. Kammer) - 1 BvR 886/11 1x
- Nichtannahmebeschluss vom Bundesverfassungsgericht (1. Senat 3. Kammer) - 1 BvR 1768/11 1x
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