Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 Bs 124/17

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 31. Mai 2017 aufgehoben.

Für das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist der Verwaltungsrechtsweg unzulässig.

Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht Hamburg-Harburg verwiesen.

Die (weitere) Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen ein Fahrverbot.

2

Wegen einer im Straßenverkehr am 22. Juli 2016 in Hamburg, G.-Straße gegenüber Hausnummer 245, begangenen Ordnungswidrigkeit, nämlich einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von 50 km/h um 43 km/h, erließ die Antragsgegnerin am 22. September 2016 gegen den Antragsteller einen Bußgeldbescheid mit Fahrverbot. Der Antragsteller legte Einspruch ein und beantragte vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Antragsgegnerin verwarf sowohl den Einspruch als auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig. Der Antragsteller beantragte hiergegen die gerichtliche Entscheidung.

3

Mit Schreiben vom 22. Februar 2017 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, unverzüglich seinen Führerschein zu übersenden, denn das gegen ihn im Bußgeldverfahren wegen seiner Ordnungswidrigkeit vom 22. Juli 2016 verhängte Fahrverbot von einem Monat sei seit dem 15. Februar 2017 wirksam. Weiterhin sei das Bußgeld noch zu begleichen.

4

Der Antragsteller forderte die Antragsgegnerin mit Email seines Bevollmächtigten vom 6. März 2017 auf, ihm zu bestätigen, dass das Schreiben vom 22. Februar 2017 gegenstandslos sei und dass die Antragsgegnerin die Akte zur gerichtlichen Entscheidung weitergeleitet habe. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung sei ihm das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht untersagt.

5

Am 15. März 2017 leitete die Antragsgegnerin den Antrag auf gerichtliche Entscheidung an das Amtsgericht Hamburg-Harburg weiter. Sie teilte dies dem Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 15. März 2017 mit und wies darauf hin, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 OWiG keine aufschiebende Wirkung habe. Das Fahrverbot sei seit dem 15. Februar 2017 wirksam.

6

Beim Amtsgericht Hamburg-Harburg ging die Akte am 21. März 2017 ein und erhielt das Geschäftszeichen 618 OWi 132/17.

7

Am 11. April 2017 hat der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht Hamburg erhoben (15 K 4400/17). Mit dieser Klage begehrt er die Aufhebung des im Bußgeldbescheid vom 22. September 2016 in der Gestalt des nach seiner Auffassung als Widerspruchsbescheid zu wertenden Schreibens der Antragsgegnerin vom 15. März 2017 verhängten Fahrverbots. Hilfsweise begehrt er die Feststellung, dass der Ausspruch des Fahrverbots nicht rechtskräftig sei. Er vertritt die Auffassung, dass die Antragsgegnerin hier keine selbstständige Ordnungsverfügung erlassen habe. Das Fahrverbot beruhe auf einem noch nicht rechtskräftigen Bußgeldbescheid. Nur die Rechtskraft dieses Bußgeldbescheides könne die dort vorgesehene Rechtsfolge auslösen. Hinsichtlich aller weiteren Fragen, ob ihm überhaupt ein Geschwindigkeitsverstoß nachzuweisen sei und ob der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid verfristet gewesen sein könnte, habe nach seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur der zuständige Bußgeldrichter zu entscheiden.

8

Am 24. April 2017 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Hamburg einen so bezeichneten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt (15 E 5041/17). Mit diesem begehrt er die Anordnung der Aussetzung der Vollziehung des im Bußgeldbescheid vom 22. September 2016 in der Gestalt des nach seiner Auffassung als Widerspruchsbescheid zu wertenden Schreibens vom 15. März 2017 verhängten Fahrverbots. Die Antragsgegnerin bestreite die aufschiebende Wirkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid. Er habe jedoch ein evidentes Interesse daran, dass über die ihm zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit erst rechtmäßig entschieden werde, bevor er die Lasten eines Fahrverbots zu tragen habe. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für das Eilverfahren ergebe sich daraus, dass für ihn effektiver Rechtsschutz vor einer rechtmäßigen Entscheidung durch den zuständigen Bußgeldrichter nicht oder zumindest nicht kurzfristig zu erlangen sei. Im Übrigen ergebe sich auch für das Hauptsacheverfahren die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts daraus, dass die Antragsgegnerin eine grundsätzlich falsche Rechtsauffassung über die Vollziehbarkeit von Fahrverboten in Bußgeldbescheiden vertrete, deren Rechtmäßigkeitsüberprüfung nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bußgeldrichter falle.

9

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 31. Mai 2017 den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt. Dieser sei unzulässig. Der Verwaltungsrechtsweg sei nicht eröffnet, da die Streitigkeit durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sei. Eine Verweisung des am 24. April 2017 eingegangenen Eilantrags an das zuständige Amtsgericht Hamburg-Harburg scheide gleichwohl aus, weil dort seinerzeit aufgrund der mit Schreiben vom 15. März 2017 erfolgten Abgabe durch die Bußgeldstelle bereits der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG anhängig gewesen sei. Dem Antragsteller stehe es offen, im dortigen Verfahren auch die Anordnung der Aussetzung der Vollziehung gem. § 307 StPO zu beantragen.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit welcher er geltend macht, dass es offen sei, ob das Verfahren bei dem für Bußgeldsachen zuständigen Gericht anhängig sei. Lediglich das Schreiben der Antragsgegnerin vom 15. März 2017 spreche dafür. Es bleibe unklar, ob die zuständige Staatsanwaltschaft tatsächlich das Verfahren bei dem Amtsgericht Hamburg-Harburg eröffnet habe. Zudem würde selbst eine Anhängigkeit noch keine Rechtshängigkeit bedeuten. Es sei vielmehr so, dass mit der Rechtshängigkeit der Sache bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit keine Rechtshängigkeit der Sache beim Amtsgericht eintreten könne. Damit könne er, der Antragsteller, auch nicht die Aussetzung der Vollziehung dort beantragen. Er begehre eine abschließende Entscheidung über den zulässigen Rechtsweg. Es solle vermieden werden, dass sich auch das Amtsgericht Hamburg-Harburg für diese Fallkonstellation für sachlich unzuständig erkläre.

II.

11

Die Beschwerde ist zulässig und führt in der Sache zum Erfolg.

12

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, den Rechtsstreit trotz der Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs nicht gem. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen, sondern stattdessen den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als unzulässig abzulehnen, ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das sachlich und örtlich zuständige Amtsgericht Hamburg-Harburg zu verweisen. Dies hat das Beschwerdegericht gem. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG von Amts wegen zu tun, sodass es nicht darauf ankommt, ob der Antragsteller die Gründe hierfür den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO entsprechend dargelegt hat.

13

1. Der Verwaltungsrechtsweg ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, in einem gerichtlichen Verfahren gegen ein Fahrverbot, das in einem Bußgeldbescheid verhängt wurde, nicht eröffnet. Er ist, wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, auch nicht eröffnet bei einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine nach § 69 Abs. 1 Satz 1 OWiG erfolgte Verwerfung eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig. Vielmehr sind solche Streitigkeiten i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Bundesgesetz, nämlich durch § 68 Abs. 1 OWiG bzw. durch § 69 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 62 Abs. 2 Satz 1 OWiG, einem anderen Gericht, nämlich dem Amtsgericht, ausdrücklich zugewiesen.

14

2. Das Verwaltungsgericht ist weiterhin zu Recht davon ausgegangen, dass sich eine Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs entgegen den Ausführungen des Antragstellers auch nicht damit begründen lässt, dass für ihn effektiver Rechtsschutz vor einer rechtmäßigen Entscheidung durch das Amtsgericht nicht oder zumindest nicht kurzfristig zu erlangen sei. Denn bereits der Ausgangspunkt dieser Argumentation trifft nicht zu. Dem Antragsteller steht nämlich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend aufgezeigt hat, die Möglichkeit zur Verfügung, vor dem Amtsgericht gem. § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG i.V.m. § 307 Abs. 2 StPO zu beantragen, dass die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung ausgesetzt wird.

15

3. Zu Unrecht hat sich hingegen das Verwaltungsgericht durch das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG) daran gehindert gesehen, den Rechtsstreit an das für Bußgeldsachen sachlich und örtlich zuständige Amtsgericht – hier aufgrund von § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 OWiG i.V.m. § 1 Satz 1 der Verordnung über die örtliche Zuständigkeit der Amtsgerichte in Bußgeldsachen auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts (HmbGVBl. 1968, 296) das Amtsgericht Hamburg-Harburg, in dessen Bezirk die Ordnungswidrigkeit begangen worden ist – zu verweisen. Denn das Eilrechtsschutzbegehren des Antragstellers, die Aussetzung der Vollziehung des Fahrverbots im Bußgeldbescheid vom 22. September 2016 anzuordnen, ist dort nicht anderweitig rechtshängig. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG i.V.m. § 307 Abs. 2 StPO hat der Antragsteller, was sich aus der vom Beschwerdegericht beigezogenen Akte 618 OWi 132/17 des Amtsgerichts Hamburg-Harburg ergibt, dort nicht gestellt. Beim Amtsgericht Hamburg-Harburg liegt lediglich sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 69 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 62 OWiG) gegen die nach § 69 Abs. 1 Satz 1 OWiG erfolgte Verwerfung seines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 22. September 2016 als unzulässig vor. Das Verwaltungsgericht hat den Antragsteller im angefochtenen Beschluss im Übrigen selbst darauf hingewiesen, dass es ihm offen stehe, einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG i.V.m. § 307 Abs. 2 StPO im Verfahren nach § 62 OWiG bei dem Amtsgericht Hamburg-Harburg zu stellen, ist also auch davon ausgegangen, dass dieser Antrag dort noch nicht gestellt worden ist.

16

4. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 5 GVG, wonach das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht prüft, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist, steht einer Verweisung an das sachlich und örtlich zuständige Amtsgericht Hamburg-Harburg durch das Beschwerdegericht nicht entgegen. Diese Vorschrift findet nur dann Anwendung, wenn vom vorinstanzlichen Gericht eine Sachentscheidung („in der Hauptsache“) getroffen worden ist, also wenn nach einer Entscheidung über den Rechtsweg eine Entscheidung in einer Sachfrage erfolgt ist (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 6.8.1991, 5 S 885/91, NJW 1992, 707, juris Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl. 2017, § 17a GVG Rn. 19 m.w.N.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 17a GVG Rn. 43 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat sich jedoch zur Sache, also zur Frage der Aussetzung der Vollziehung des Fahrverbots im Bußgeldbescheid vom 22. September 2016, gerade nicht verhalten, weil es – zu Recht – den Verwaltungsrechtsweg als nicht eröffnet angesehen hat.

17

5. Die Beteiligten sind gem. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG mit Schreiben vom 21. Juni 2017 zur beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Amtsgericht Hamburg-Harburg angehört worden.

III.

18

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

19

Hat das Verwaltungsgericht entgegen § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG einen Rechtsstreit nicht an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verwiesen, sondern eine Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen bzw. (wie hier) einen Eilantrag als unzulässig abgelehnt, so enthält der im Rechtsmittelverfahren ergehende Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, mit welchem die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und der Rechtsstreit an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verwiesen wird, keine Kostenentscheidung (vgl. VGH München, Beschl. v. 14.6.2002, 7 B 01.2030, NVwZ 2002, 1392, juris Rn. 16; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 155 Rn. 119; jeweils m.w.N.). Kosten einer Rechtsmittelinstanz, die durch ein verfahrensfehlerhaftes Vorgehen des Verwaltungsgerichts anfallen, werden i.S.v. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG als Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht behandelt. Spricht erst das Oberverwaltungsgericht die Verweisung aus, die bereits von dem Verwaltungsgericht auszusprechen war, enthält dieser Verweisungsbeschluss ebenso wenig eine Kostenentscheidung, wie sie eine entsprechende erstinstanzliche Entscheidung enthalten hätte (vgl. Neumann, a.a.O.).

IV.

20

Die Zulassung der (weiteren) Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gem. § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG scheidet bereits deswegen aus, weil es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt (so BVerwG, Beschl. v. 8.8.2006, 6 B 65.06, NVwZ 2006, 1291, juris Rn. 5; Beschl. v. 4.9.2006, 6 B 68.06, juris Rn. 6; ebenso OVG Hamburg - 4. Senat -, Beschl. v. 6.9.2016, 4 So 75/16, n.v.; v. 25.7.2012, 4 So 66/12, n.v.; anders hingegen OVG Hamburg - 3. Senat -, Beschl. v. 17.10.2013, 3 So 119/13, NJW 2014, 1196, juris Rn. 12). Abgesehen hiervon stellt sich im vorliegenden Verfahren auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG. Das Beschwerdegericht weicht auch nicht im Sinne dieser Vorschrift von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ab.

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