Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (6. Senat) - 6 Bs 105/21
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. April 2021, soweit darin sein Antrag auf Gewährung von Abschiebungsschutz abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
2. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. April 2021, soweit darin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
- 1
Der Antragsteller begehrt Abschiebungsschutz und wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.
- 2
Der ... geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste Ende 2001 in das Bundesgebiet ein. Seinen kurz nach der Einreise gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit inzwischen rechtskräftigem Bescheid vom 4. Juni 2004 ab und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei nach Ablauf der gesetzten Ausreisefrist an.
- 3
Am 18. August 2004 wurde dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner deutschen Ehefrau, Frau ..., geb. ..., erteilt, mit der er am 23. April 2004 die Ehe geschlossen hatte. Die Ehe wurde nach Angaben des Antragstellers am 15. Januar 2013 geschieden. Aus der Ehe sind die Kinder ..., geb. am ..., und ..., geb. am ..., hervorgegangen. Mit Urteil vom 11. April 2006 wurden die Eheleute wegen Körperverletzung zum Nachteil des Kindes ... zu einer Geldstrafe verurteilt.
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Der Antragsteller ist zudem Vater des am 21. Juli 2009 geborenen ... Dessen Mutter, Frau ..., die ebenfalls türkische Staatsangehörige ist, übt das alleinige Sorgerecht für ... aus. Sie ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG, der Sohn ..., der ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, nach § 33 AufenthG.
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Die dem Antragsteller erteilte Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen wurde fortlaufend verlängert und zwar nach Trennung von seiner Ehefrau nach Aktenlage zunächst im Hinblick auf die Ausübung der elterlichen Sorge gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Unter dem 18. Juni 2015 wurde ihm im Hinblick auf das Zusammenleben mit Frau ... sowie dem gemeinsamen Kind ... eine bis zum 26. März 2017 gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG erteilt. Am 11. September 2018 sprach der Antragsteller bei der Antragsgegnerin vor und beantragte die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Er gab u.a. an, Koch zu sein und immer gearbeitet zu haben. Ihm wurde zunächst eine Duldung erteilt.
- 6
Unter dem 11. März 2019 teilte Frau ... mit, dass der letzte Kontakt zwischen dem Antragsteller und ... ca. vor zwei Jahren gewesen sei. ... wolle keinen Kontakt zu seinem Vater und bitte, ihn nicht mehr sehen zu müssen. Ebenfalls unter dem 11. März teilte Frau ... mit, dass sie das alleinige Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder habe und der letzte Kontakt zwischen dem Antragsteller und den Kindern vor 8 Jahren gewesen sei. Im September 2020 hat die Tochter ... erklärt, den Antragsteller einmalig sehen zu wollen, einen dauerhaften Kontakt aber ausdrücklich abgelehnt.
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Mit Verfügung vom 12. Dezember 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab. Zugleich drohte sie ihm nach Ablauf der bis zum 15. Januar 2020 gesetzten Ausreisefrist die Abschiebung in die Türkei an.
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Gegen die ihm am 17. Dezember 2019 zugestellte Verfügung hat er am 8. Januar 2020 Widerspruch erhoben, den er am 13. Mai 2020 begründet hat. Er macht u.a. geltend, aufgrund seiner langjährigen Erwerbstätigkeit ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB 1/80 zu besitzen.
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Mit Verfügung vom 11. November 2020 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass vorgesehen sei, ihn abzuschieben. Für den Fall der Abschiebung verhängte sie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das sie gemäß § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG auf zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Abschiebung befristete.
- 10
Den am 26. April 2021 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowie die beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. April 2021 abgelehnt. Der Antragsteller habe keine Tatsachen glaubhaft gemacht, aus denen sich ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO rechtfertigender Anordnungsanspruch ergebe. Alle Voraussetzungen für eine Abschiebung nach § 58 AufenthG lägen vor. Der Antragsteller sei vollziehbar ausreisepflichtig. Er sei nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels. Es sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller Kontakt zu seinen Kindern habe. Auch ein Aufenthaltstitel nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) bestehe nicht. Zwar habe der Antragsteller ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 2. Gedankenstrich ARB 1/80 erworben. Dieses Recht sei jedoch dadurch wieder erloschen, dass der Antragsteller aus dem regulären Arbeitsmarkt während des Zeitraums von Ende November 2015 bis zum 7. Januar 2017 ausgeschieden sei. Zwar sei die dreimonatige (Ersatz-)Freiheitsstrafe vom 30. November 2015 bis zum 1. April 2016 wegen der kurzen Dauer unschädlich. Jedoch habe sich daran eine längere Arbeitslosigkeit angeschlossen, ohne dass sich der Antragsteller während dieser Zeit ordnungsgemäß arbeitssuchend gemeldet habe. Der Antragsteller habe sich nach seinem Vortrag erst im November 2016 arbeitssuchend gemeldet. Er habe auch keine Beschäftigung in Aussicht gehabt, so dass es entbehrlich gewesen sein könnte, sich zeitnah bei der Arbeitsvermittlung zu melden. Der Antragsteller habe sich von April bis November 2016 weder um eine Beschäftigung bemüht, noch habe er eine Beschäftigung ausgeübt, noch habe er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Zu einem späteren Zeitpunkt habe der Antragsteller nicht erneut Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben. Der Antragsteller habe auch keine Umstände glaubhaft gemacht, aus denen sich ein Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung und Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergeben würde. Insbesondere bestehe kein rechtliches Abschiebungshindernis aus Art. 8 EMRK. Die Abschiebung stelle keinen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Privatleben dar; insbesondere sei er nicht zu einem „faktischen Inländer“ geworden. Ein Abschiebungshindernis folge auch nicht aus der beabsichtigten Eheschließung des Antragstellers, weil die Eheschließung nicht unmittelbar bevorstehe.
- 11
Der Antragsteller hat am 28. April 2021 Beschwerde erhoben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten vom 28. April 2021 sowie 21. und 26. Mai 2021 Bezug genommen.
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Die für den 29. April 2021 geplante Abschiebung ist aufgrund vorübergehender gesundheitlicher Probleme des Antragstellers nicht durchgeführt worden. Die Antragsgegnerin hat mitgeteilt, an der Abschiebung festhalten zu wollen.
- 13
Die Antragsgegnerin ist der Beschwerde entgegengetreten.
II.
- 14
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde gegen die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere fristgerecht (vgl. § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhoben und begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO). Aus den von dem Antragsteller innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht vorliegend gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ist der angefochtene Beschlusses des Verwaltungsgerichts Hamburg nicht zu ändern.
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1. Der Antragsteller macht geltend, ihm stehe ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB 1/80 zu. Unzutreffend gehe das Verwaltungsgericht davon aus, dass er nach seiner Haftentlassung am 1. April 2016 aus dem regulären Arbeitsmarkt ausgeschieden sei. Er sei im Jahr 2016 lediglich im Dezember für wenige Wochen arbeitslos gewesen. Mit Schriftsatz vom 21. Mai 2021 trägt er hierzu vor, nach der Inhaftierung habe er Anfang April 2016 bei seinem alten Arbeitgeber „...“ wieder angefangen zu arbeiten. Er sei einfach wieder zur Arbeit zurückgekehrt und habe in Vollzeit gearbeitet. Er habe auch sein volles Einkommen - wie vor der Inhaftierung - erhalten. Gegenüber dem Jugendamt habe der Arbeitgeber im September 2016 auch bestätigt, dass er, der Antragsteller, jeden Samstag arbeiten müsse. Bei dem alten Arbeitgeber habe er bis Ende September bzw. Anfang Oktober 2016 gearbeitet, habe aber hierzu nichts Schriftliches. Er habe auch keine Lohnabrechnungen erhalten. Er habe „erst spät“ erfahren, dass der Arbeitgeber ihn nach der Inhaftierung im Jahr 2016 abgemeldet und dann nicht mehr angemeldet habe. Der Arbeitgeber habe ihn schwarzarbeiten lassen, worüber er aber keine Kenntnis gehabt habe. Nachdem er erfahren habe, dass er schwarz beschäftigt werde, habe es ein Gespräch zwischen ihm und dem Inhaber gegeben. Nachdem der Inhaber sich geweigert habe, ihn rückwirkend anzumelden, habe er sich eine neue Arbeit gesucht. Er habe sich bei verschiedenen Restaurants beworben. Vor der Arbeitsaufnahme im Januar 2017, wohl ca. Mitte Oktober bis Mitte Dezember habe er ein Praktikum bei dem Restaurant „...“ absolviert, mit dem Ziel einer Übernahme in ein Arbeitsverhältnis, zu der es aber nicht gekommen sei. Seine Verlobte, die er im April 2016 im Restaurant „...“ kennengelernt habe, könne bestätigen, dass er dort gearbeitet habe. Auch könne sie bestätigen, dass er sie während des Krankenhausaufenthalts gebeten habe, seine Unterlagen zusammenzustellen. Die eingereichte Arbeitsbestätigung beim Jugendamt sei dem Antragsteller erst „im Laufe dieser Woche“ eingefallen. Seine Schilderung zur Arbeitssuche im Schriftsatz vom April 2021, wonach er nach seiner Haftentlassung ununterbrochen eine Arbeitsstelle gesucht habe und im Juni bzw. Juli 2016 ein Praktikum absolviert habe, sowie die entsprechende eidesstattliche Versicherung seien unzutreffend und auf seinen Krankheitszustand und die belastende Situation im Zusammenhang mit der drohenden Abschiebung zurückzuführen.
- 16
Er habe auch Kontakt mit dem Jobcenter aufgenommen, was aber bisher nicht geantwortet habe. Aus den bereits eingereichten Unterlagen gehe aber hervor, dass der Antragsteller im Jahr 2016 auch in Kontakt mit dem Jobcenter gestanden habe. Er wisse nicht mehr, für welchen Zeitraum er Leistungen des Jobcenters erhalten habe. Er habe in der Vergangenheit Leistungen vom Jobcenter erhalten (Schriftsatz vom 21.5.2021, S. 8). Hierzu hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 28. April 2021 vorgetragen, dass er bis zum Mai 2016 Arbeit gesucht und sich nicht beim Jobcenter gemeldet habe, weil er dem Irrtum unterlegen sei, dass er diese Leistungen nur beantragen könne, wenn er einen festen Wohnsitz und eine Meldeanschrift habe. Dies sei auch die Auskunft des Sachbearbeiters beim Jobcenter gewesen. Nachdem er sich am 24. Mai 2016 mit einem Wohnsitz angemeldet habe, habe er sogleich Leistungen nach dem SGB II beantragt. Aus der Anlage 27 gehe hervor, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt in Bezug von SGB II Leistungen gestanden habe.
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Darüber hinaus wolle er seine Verlobte heiraten. Die vollständigen Unterlagen lägen bereits seit mehreren Wochen dem zuständigen Standesamt vor.
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2. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist aufgrund dieser Darlegungen nicht zu ändern.
- 19
a) Der Beschwerdesenat hat durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit des vom Antragsteller bei Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist als maßgeblich mitgeteilten Geschehensablaufs, der sich im Wesentlichen aus dem Schriftsatz vom 21. Mai 2021 und der vom selben Tag datierenden eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers ergibt; durchgreifende Zweifel bestehen insoweit, als der Antragsteller geltend macht, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass er von April bis Anfang Oktober 2016, also über einen Zeitraum von 6 Monaten, schwarz gearbeitet habe, und ab Mitte Oktober 2016 ein zweimonatiges Praktikum bei einem anderen Arbeitgeber absolviert zu haben. Die durchgreifenden Zweifel folgen nicht nur daraus, dass der Antragsteller unter dem 28. April 2021 einen deutlich abweichenden Geschehensablauf geschildert und eidesstattlich versichert hat; die gravierenden Abweichungen lassen sich zur Überzeugung des Senats nicht durch seine kurzfristige Erkrankung erklären. Die durchgreifenden Zweifel werden dadurch verstärkt, dass der Antragsteller erstinstanzlich seine Erwerbsbiografie detailliert geschildert hat, ohne eine Erwerbstätigkeit von April bis Dezember 2016 zu erwähnen. Dies obwohl gerade diese Beschäftigung für den Antragsteller und nicht nur für seine Verlobte besonders gut erinnerlich sein dürfte, weil sie sich unmittelbar an die Verbüßung der Haftstrafe anschloss und er nach eigenem Vortrag im April 2016 während der Arbeit seine jetzige Verlobte kennengelernt hat.
- 20
Insbesondere die fehlende Kenntnis des Antragstellers, dass er von April bis Mitte Oktober 2016 gearbeitet hat, ohne dass das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß der Sozialversicherung gemeldet war, ist auch nicht durch die eidesstattliche Versicherung vom 21. Mai 2021 glaubhaft gemacht. Denn diese bleibt gerade zu der Frage, wann und unter welchen Umständen der Antragsteller hiervon Kenntnis erlangt hat, substanzlos und zu unscharf.
- 21
b) Selbst wenn der Beschwerdesenat aber die Richtigkeit des Beschwerdevorbringens unterstellt, wie es sich im Wesentlichen aus dem Schriftsatz vom 21. Mai 2021 und der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers vom selben Tag ergibt, war der Antragsteller im Zeitraum von April 2016 bis Mitte Oktober 2016 aus dem regulären Arbeitsmarkt ausgeschieden, so dass seine zuvor erworbenen Rechte aus Art. 6 Abs. 1 2. Gedankenstrich ARB 1/80 aufgrund dessen erloschen sind.
- 22
Bis zum Erwerb der Rechte aus Art. 6 Abs. 1 3. Gedankenstrich ARB 1/80 ist es notwendig, dass der Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaats angehört und ununterbrochen eine ordnungsgemäße Beschäftigung von entsprechender Dauer ausübt oder die Zeiten der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit gemäß Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 den Zeiten einer ordnungsgemäßen Beschäftigung gleichgestellt sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor und handelt es sich nicht um Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder Abwesenheit wegen langer Krankheit (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80), so erlöschen sowohl die nach Art. 6 Abs. 1 1. und 2. Gedankenstrich erworbenen Ansprüche als auch die Anwartschaftszeiten, die noch nicht in einen Anspruch erwachsen sind (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2020, D 5.2, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 6, 75; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Auflage 2020, § 3 Rn. 219; zur fehlenden Geltung des Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 für Fälle des Art. 6 Abs. 1 3. Gedankenstrich ARB 1/80: EuGH, Urt. v. 7.7.2005, C-383/03, Dogan, InfAuslR 2005, 350; Gutmann in GK-AufenthG, Stand Mai 2021, zu Art. 6 ARB 1/80 Rn. 190.1; vgl. auch: BVerwG, Urt. v. 23.5.1995, 1 C 3.94, BVerwGE 98, 298, juris Rn. 41). So liegt der Fall hier. Die Rechte des Antragstellers aus Art. 6 Abs. 1 2. Gedankenstrich ARB 1/80, die er durch seine Erwerbstätigkeit bis Ende 2015 erworben hatte, sind dadurch erloschen, dass er von Anfang April 2016 bis Mitte Oktober 2016 weder als Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt aufgrund einer ordnungsgemäße Beschäftigung angehört (aa) noch sich ordnungsgemäß arbeitssuchend gemeldet hat (bb).
- 23
aa) Die von April bis Mitte Oktober 2016 nach den Angaben des Antragstellers ausgeübte Beschäftigung bei dem Restaurant „...“ war nach eigenem Vorbringen eine illegale Schwarzarbeit, d.h. die zwingenden sozialversicherungsrechtlichen Melde- und Beitragspflichten sowie steuerrechtlichen Pflichten wurden nicht erfüllt. Dieses Arbeitsverhältnis vermittelt dem Antragsteller vorliegend nicht die Rechtsposition eines dem regulären Arbeitsmarkt aufgrund einer ordnungsgemäßen Beschäftigung angehörenden Arbeitnehmers i.S.v. Art. 6 Abs. 1 1. bis 3. Gedankenstrich ARB 1/80, da die im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis stehenden grundlegenden sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Pflichten nicht erfüllt worden sind. Denn für die Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers, der im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zur Ausübung einer tatsächlichen und echten wirtschaftlichen Tätigkeit eingestellt wurde, zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats i.S.v. Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kommt es u.a. darauf an, dass der Arbeitnehmer die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise in das Hoheitsgebiet und die Ausübung einer Beschäftigung beachtet hat und somit das Recht hat, die Berufstätigkeit im Hoheitsgebiet auszuüben (vgl. EuGH, Urt. v. 26.11.1998, C-1/97, Birden, InfAuslR 1999, 6, Rz. 48, 51; Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, zu Art. 6 ARB 1/80 Rn. 5). Nur wenn eine Beschäftigung im Einklang mit den arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats steht, handelt es sich auch um eine ordnungsgemäße Beschäftigung i. S. v. Art. 6 Abs. 1 1. bis 3. Gedankenstrich ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.5.2013, 1 C 16.12, BVerwGE 146, 271, juris Rn. 18); die Ordnungsmäßigkeit einer während eines bestimmten Zeitraums ausgeübten Beschäftigung ist anhand der Rechtsvorschriften des Aufnahmestaats zu prüfen, die die Voraussetzungen regeln, unter denen der türkische Staatsangehörige in das nationale Hoheitsgebiet gelangt ist und dort eine Beschäftigung ausübt (vgl. EuGH, Urt. v. 6.6.1995, C-434/93, Bozkurt, InfAuslR 1995, 261, Rz. 27).
- 24
Diese Voraussetzungen erfüllt eine in Schwarzarbeit ausgeübte Beschäftigung nicht. Schwarzarbeit stellt keine legale bzw. ordnungsgemäße, den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland entsprechende Beschäftigung dar; sie verstößt vielmehr gegen sozialversicherungs- und steuerrechtliche Regelungen. Auch hat der Antragsteller weder aufenthaltsrechtlich noch arbeitsrechtlich ein Recht, eine Beschäftigung in Schwarzarbeit auszuüben (vgl. insgesamt: Allgemeine Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum ARB 1/80 vom 26.11.2013, Nr. 3.5.2 zu Art. 6 ARB 1/80, abgedruckt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, zu Art. 6 ARB 1/80; vgl. auch Bergmann/Dienelt, a.a.O., zu Art. 6 ARB 1/80 Rn. 52; zu fehlenden Rechten eines Arbeitnehmers aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt FreizügG bei Schwarzarbeit: LSG Essen, Beschl. v. 29.4.2015, L 2 AS 2388/14 B ER, juris Rn. 13; LSG Potsdam, Beschl. v. 20.10.2014, L 29 AS 2052/14 B ER, juris Rn. 58; LSG Darmstadt, Beschl. v. 13.9.2007, L 9 AS 44/07, info also 2008, 32, juris Rn. 41; vgl. zur Notwendigkeit einer Beschäftigung in Übereinstimmung mit den Gesetzen: Gutmann in GK-AufenthG, Stand Mai 2021, zu Art. 6 ARB 1/80 Rn. 129). Dabei kann offenbleiben, ob der Antragsteller positive Kenntnis davon hatte, dass es sich um Schwarzarbeit handelte, wovon der Beschwerdesenat aufgrund der Geschehensabläufe (s. Ausführungen unter 2.a) ausgeht. Denn jedenfalls hätte es sich dem Antragsteller bereits während der Tätigkeit von April bis Mitte Oktober 2016 aufdrängen und er hätte Kenntnis von seiner Schwarzarbeit haben müssen, weil er - noch dazu als im deutschen Arbeitsmarkt erfahrener Arbeitnehmer - zumindest aufgrund der fehlenden Lohnabrechnungen hätte erkennen müssen, dass das Arbeitsverhältnis nicht ordnungsgemäß war. In einem solchen Fall obliegt es dem Arbeitnehmer, sich insoweit Kenntnis von der Ordnungsgemäßheit des Arbeitsverhältnisses zu verschaffen. Anders als in Fällen eines rückwirkenden Widerrufs der die legale Erwerbstätigkeit zu einem früheren Zeitraum erst begründenden Aufenthaltserlaubnis (vgl. hierzu: EuGH, Urt. v. 29.9.2011, C-187/10, Unal, NVwZ 2012, 31, Rz. 41 ff.; BVerwG, Urt. v. 14.5.2013, 1 C 16.12, BVerwGE 146, 271, juris Rn. 26) ist es in einem solchen Fall nicht erforderlich, dass eine Täuschung des Arbeitnehmers vorliegen und dieser positive Kenntnis von dem Fehlen der Voraussetzungen gehabt haben muss. Denn Ziel des Beschlusses Nr. 1/80 zum Assoziationsratsabkommen ist die fortschreitende Integration eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden Arbeitnehmers. Dieses Ziel wird nicht dadurch gefördert, dass der Arbeitnehmer unter Verletzung der ihm im Zusammenhang mit seiner Erwerbstätigkeit obliegenden Sorgfaltspflichten unter Verstoß gegen zwingende Rechtsvorschriften „illegal“ beschäftigt wird.
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bb) Der Zeitraum von April bis Mitte Oktober 2016 und darüber hinaus bis zur Meldung des Antragstellers als arbeitssuchend - nach dem Vortrag des Antragstellers wohl im November 2016 - lässt auch nicht gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 die aus der vorherigen Beschäftigung erworbenen Ansprüche aufgrund einer unverschuldeten Arbeitslosigkeit unberührt. Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit lassen die zuvor erworbenen Ansprüche nur dann für einen angemessenen Zeitraum der Arbeitssuche unberührt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich eine neue Arbeit sucht und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung steht, insbesondere sich als arbeitssuchend gemeldet hat (vgl. EuGH, Urt. v. 7.7.2005, C-383/03, Dogan, InfAuslR 2005, 350, Rz. 19; Urt. v. 23.1.1997, C-171/95, Tektik, InfAuslR 1997, 146, Rz. 41 f.). Der Antragsteller hat eine solche Meldung als arbeitssuchend für den Zeitraum von April bis Oktober 2016 nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr trägt er auch mit der Beschwerde vor, sich wohl erst im November an das Jobcenter gewandt zu haben, da er keinerlei Einnahmen mehr gehabt habe. Soweit der Antragsteller mit der Beschwerde zudem behauptet, im Jahr 2016 mehrfach beim Jobcenter gewesen zu sein, kann diesem Vortrag bereits nicht entnommen werden, dass er sich zu einem früheren Zeitpunkt als arbeitssuchend gemeldet hat. In der vom Antragsteller in Bezug genommenen Anlage 27 bescheinigt das Jobcenter dem Antragsteller zur Vorlage bei einem möglichen Vermieter nur, welche Teile der Miete bei den Leistungen nach dem SGB II berücksichtigt werden würden. Eine Meldung als arbeitssuchend für einen Zeitraum vor November 2016 kann der Bescheinigung nicht entnommen werden.
- 26
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass gerade die ordnungsgemäße Meldung als Arbeitssuchender bei der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats gewährleisten soll, dass der türkische Staatsangehörige innerhalb eines angemessenen Zeitraums, der ihm zur Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses einzuräumen ist, sein Aufenthaltsrecht in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht missbraucht, sondern tatsächlich eine neue Beschäftigung sucht (vgl. EuGH, Urt. v. 23.1.1997, C-171/95, Tektik, InfAuslR 1997, 146, Rz. 42).
- 27
c) Soweit der Antragsteller mit der Beschwerde geltend macht, er wolle seine Verlobte heiraten, die vollständigen Unterlagen lägen bereits seit mehreren Wochen dem zuständigen Standesamt vor, verhilft dieser Vortrag der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Insoweit wiederholt der Antragsteller lediglich sein erstinstanzliches Vorbringen, ohne sich mit den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (vgl. Beschluss S. 8) auseinanderzusetzen.
- 28
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 und 2 GKG.
III.
- 29
1. Die zulässige Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat ebenfalls keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt. Auch nach Auffassung des Beschwerdegerichts hatte die erstinstanzliche Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Hinreichende Aussicht auf Erfolg ist zwar bereits dann anzunehmen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der beabsichtigten Rechtsverfolgung besteht. Denn die Prüfung der Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung seitens einer unbemittelten Partei unverhältnismäßig zu erschweren und die Gewährung von Prozesskostenhilfe von einem schon hoch wahrscheinlichen oder gar sicheren Prozesserfolg abhängig zu machen; die Rechtsverfolgung würde sonst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.1.1994, 1 A 14.92, Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 33). Auch gemessen an diesem großzügigeren Maßstab hat das Verwaltungsgericht die hinreichenden Erfolgsaussichten zutreffend verneint. Soweit der Antragsteller mit der Beschwerde neue Gesichtspunkte vorgetragen hat, rechtfertigen diese keine andere rechtliche Bewertung. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen unter II. sowie ergänzend auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Unabhängig davon war die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Eilverfahren abzulehnen, weil der Antragsteller seine wirtschaftliche Bedürftigkeit bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Eilverfahrens nicht auf dem dafür vorgesehenen Vordruck dargelegt hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m §§ 114 Abs. 1 Satz 1, 117 Abs. 4 VwGO).
- 30
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die - pauschale - Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) ergibt.
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