Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 M 200/07

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 07.11.2007 - 2 B 449/07 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Rücknahme einer fiktiven Baugenehmigung.

2

Mit Bescheid vom 31.05.2007 lehnte der Antragsgegner einen Bauantrag des Antragstellers vom 15.12.2006 ab und nahm hilfsweise für den Fall, dass eine gerichtliche Nachprüfung die Genehmigungsfiktion des Bauantrages feststellt, die fiktive Baugenehmigung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zurück.

3

Mit dem beschwerdegegenständlichen Beschluss hat das Verwaltungsgericht auf den Antrag des Antragstellers die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die (hilfsweise) Rücknahme einer fiktiven Baugenehmigung wiederhergestellt. Es erscheine bereits zweifelhaft, ob der Antragsgegner die Rücknahmeentscheidung unter eine aufschiebende Bedingung habe stellen dürfen. Jedenfalls fehle es mangels einer Festlegung des Antragsgegners über den Eintritt der Genehmigungsfiktion an einem besonderen Vollzugsinteresse. Den weiteren Antrag auf vorläufige Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion und den auf Neubescheidung des Bauantrages gerichteten Hilfsantrag hat das Verwaltungsgericht wegen unzulässiger Vorwegnahme der Hauptsache abgelehnt.

II.

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Die gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die für sofort vollziehbar erklärte hilfsweise Rücknahme der fiktiven Baugenehmigung gerichteten Widerspruchs des Antragstellers gerichtete Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Der Antragsgegner konnte die fiktive Baugenehmigung hilfsweise zurücknehmen (1.). Er hat hierzu auch ein besonderes Vollzugsinteresse dargelegt (2.).

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1. Da § 48 VwVfG grundsätzlich auch auf fingierte Verwaltungsakte anwendbar ist (Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 48 Rn. 49 m.w.N. zur fiktiven Baugenehmigung unter Anm. 121; vgl. OVG Bautzen, u. v. 18.01.2006 - 1 B 444/05 -, BRS 70 Nr. 198 zur denkmalschutzrechtlichen Genehmigung), konnte der Antragsgegner die fiktive Baugenehmigung zurücknehmen. Er hat in dem angefochtenen Bescheid das ihm nach § 48 Abs. 1 VwVfG M-V eingeräumte Ermessen zunächst erkannt und mit der im Widerspruchsbescheid vom 06.12.2007 gegebenen Begründung, die gem. § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG M-V nachgeholt werden durfte (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 39 Rn. 59), auch erkennbar fehlerfrei ausgeübt.

6

Der Antragsgegner konnte die Rücknahme auch hilfsweise erklären. Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 VwVfG M-V kann grundsätzlich unter eine aufschiebende Bedingung i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG M-V gestellt werden, da unter den Begriff des Verwaltungsaktes i.S.d. § 36 Abs. 1 und 2 VwVfG grundsätzlich alle Formen des § 35 VwVfG fallen (vgl. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 36 Rn. 56), soweit nicht das Fachrecht Nebenbestimmungen bei bestimmten Arten von Verwaltungsakten ausschließt (vgl. Henneke in: Knack, VwVfG, 7. Aufl., § 36 Rn. 15). Hierbei ist anerkannt, dass Bedingungen bei - insbesondere rechtsgestaltenden - Verwaltungsakten unzulässig sind, die ihrer Natur nach oder nach dem Zweck des Gesetzes bedingungsfeindlich sind. Diese Verwaltungsakte lassen nämlich ihrer statusrechtlichen Bedeutung wegen einen durch die Bedingung herbeigeführten Schwebezustand zwischen dem endgültigen Erlass des Verwaltungsaktes und dem Eintritt seiner Rechtswirksamkeit nicht zu. Sind Nebenbestimmungen nicht bereits nach dem Fachrecht unzulässig, steht deren Erlass im Ermessen der Behörde (Stelkens, a.a.O., Rn. 62 f).

7

Ein hilfsweise zu einem anderen Verwaltungsakt erlassener Verwaltungsakt ist rechtstechnisch eine Regelung mit einer aufschiebenden Bedingung (§§ 43 Abs. 1 Satz 2, 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Der Verwaltungsakt wird mit seiner Bekanntgabe äußerlich wirksam (§ 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Inhaltlich wird er wirksam, wenn der hauptsächlich erlassene Verwaltungsakt (in einem weiten Sinn verstanden) "wegfällt". Es gibt keinen Rechtssatz, der hilfsweise erlassene Regelungen - sei es den Erlass eines Verwaltungsaktes oder die Aufrechterhaltung der ursprünglichen Fassung eines nachträglich geänderten Verwaltungsaktes - ausschließt (VGH München, U. v. 02.07.2004 - 1 B 02.1006 -, NVwZ-RR 2005, 787). Gleiches gilt, wenn die Behörde die Regelungswirkung eines Verwaltungsaktes von dem objektiven Eintritt einer bestimmten Rechtslage abhängig macht.

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Nach diesen Grundsätzen ist die Regelung nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner legt im angefochtenen Bescheid vom 31.05.2007 und im Widerspruchsbescheid vom 06.12.2007 hinreichend deutlich seine Rechtsauffassung dar, wonach die Genehmigungsfunktion des Bauantrages des Antragstellers vom 15.12.2006 nach § 63 Abs. 2 LBauO M-V wegen des ausdrücklich nach § 64 LBauO M-V gestellten Antrages und wegen unvollständiger Unterlagen nicht in Lauf gesetzter Frist nicht eingetreten ist. Darauf aufbauend lehnt er die beantragte Baugenehmigung ab. Hiervon ausgehend ergibt die weitere Auslegung der angefochtenen Bescheide, dass der Antragsgegner dann hilfsweise für den Fall, dass dieser Rechtsauffassung nicht gefolgt und vom Eintritt der Genehmigungsfiktion ausgegangen wird, diese zurücknimmt. Dem Zusatz, "dass eine gerichtliche Nachprüfung die Genehmigungsfiktion des Bauantrages feststellt", kommt bei verständiger Auslegung des Bescheides keine eigenständige Bedeutung im Sinne einer aufschiebenden Bedingung zu. Ein derartiges Verständnis würde dem den Bescheiden im Übrigen hinreichend deutlich zu entnehmenden Zweck der Anordnung zuwiderlaufen, wonach die Ausnutzung der Genehmigungsfiktion bei Eintritt der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels gegen den Rücknahmebescheid verhindert werden soll. Dieser Zweck könnte im Falle der aufschiebenden Bedingung einer (rechtskräftigen?) gerichtlichen Entscheidung gerade nicht erreicht werden.

9

Der Erlass der Nebenbestimmung in Form der aufschiebenden Bedingung erscheint auch nicht ermessensfehlerhaft. Unter Zugrundelegung der o.g. Grundsätze läßt sich weder feststellen, dass der Erlass einer Nebenbestimmung bei der Rücknahme einer fiktiven Baugenehmigung nach den baurechtlichen Vorschriften ausgeschlossen wäre noch dass die vorliegende Bedingung der hilfsweisen Rücknahme dem Zweck der Rücknahme zuwiderläuft. Sie führt zusammen mit der Versagung der Genehmigung einer Nutzungsänderung durch das Vorhaben des Antragstellers insbesondere nicht zu einem Schwebezustand, sondern dient letztlich der Klarstellung und Rechtssicherheit. Der Antragsgegner hat die vom Antragsteller beantragte Nutzungsänderung weder genehmigt noch geht er vom Eintritt einer Genehmigungsfiktion aus. Hierbei erscheint es zum einen nicht ermessenfehlerhaft, den letztgenannten Aspekt im Interesse der Rechtssicherheit für den Antragsteller klarstellend auch im Verfügungsteil des Bescheides zu regeln. Selbst wenn der Antragsgegner für den Fall, dass der Antragsteller unter Berufung auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion mit dem Vorhaben beginnt, mit einer für sofort vollziehbar erklärten Baueinstellungsverfügung reagieren könnte, ist es nicht zu beanstanden, wenn er aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen des sonst zu befürchtenden Schaffens von Fakten seinen Rechtsstandpunkt auch inhaltlich mit einer Verfügung untersetzt. Mit dem vom Antragsgegner zur Frage des (fehlenden) Eintritts der Genehmigungsfiktion eingenommenen Standpunkt erscheint es zum anderen nicht ermessenfehlerhaft sondern vielmehr nahezu zwingend, eine Rücknahme hilfsweise nur für den Fall auszusprechen, dass entgegen dem eigenen Standpunkt von einer anderen Rechtslage (nämlich dem Eintritt der Genehmigungsfiktion) auszugehen ist. Der vom Verwaltungsgericht erhobene Vorwurf der Entscheidungsunsicherheit wäre vielmehr gerade dann begründet, wenn der Antragsgegner die Rücknahme der Genehmigungsfiktion unbedingt und nicht hilfsweise ausgesprochen hätte.

10

2. Die gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgebliche Beschwerdebegründung legt den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechend dar, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ein besonderes Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung der hilfsweisen Rücknahme besteht. Auch wenn dies im angefochtenen Bescheid möglicherweise noch nicht hinreichend gegenüber dem allgemeinen Vollzugsinteresse abgegrenzt wurde, ergibt es sich jedenfalls in einer den inhaltlichen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO und den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechenden Weise aus der vertieften Begründung im Widerspruchsbescheid vom 06.12.2007, die nachgeholt werden durfte (vgl. Senatsbeschluss vom 20.11.1998 - 3 M 67/98 -, NVwZ-RR 1999, 192; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rn. 750, Redeker in: Redeker/V.Oertzen, VwGO, 14. Aufl. § 80 Rn. 27 a) und auch innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist erfolgte. Hieraus ergibt sich, dass der Antragsgegner die sofortige Vollziehung zur Vermeidung der Errichtung des aus seiner Sicht nicht genehmigungsfähigen Vorhabens des Antragstellers deshalb für erforderlich hält, weil sonst die Rücknahme erst mit Bestandskraft des Verwaltungsaktes auch zum rückwirkenden Wegfall der Baugenehmigung führen würde und wegen eines andauernden Klageverfahrens unter Ausnutzung der Genehmigungsfiktion irrevisible Fakten geschaffen werden könnten. Damit wird ein über das bloße Vollzugsinteresse an der Rücknahme hinausgehendes besonderes Interesse deutlich.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 47 GKG.

12

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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