Urteil vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 L 435/04
Tenor
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 19.05.2004 für wirkungslos erklärt.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin, geboren 1981, ist verheiratet mit dem Kläger des Verfahrens 3 L 391/04. Beide stammen nach eigenen Angaben aus Aserbaidschan. Die Klägerin stammt von einer Mutter armenischer Volkszugehörigkeit und einem Vater aserbaidschanischer Volkszugehörigkeit ab; sie bezeichnet sich selbst als armenische Volkszugehörige. Ihr Ehemann ist aserbaidschanischer Volkszugehöriger.
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Die Klägerin und ihr Ehemann reisten nach eigenen Angaben im September 2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten Asylanträge. Ihre gemeinsamen Kinder wurden 2003, 2006 und 2007 in Deutschland geboren.
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Die Anhörung der Klägerin und ihres Ehemannes beim Bundesamt am 26.09.2002 wurde auf Aseri durchgeführt. Die Klägerin gab an, darüber hinaus noch Russisch und Türkisch zu sprechen.
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Die Klägerin gab an, ihre armenische Mutter sei verstorben. Zu ihrem Vater habe sie keinen Kontakt mehr. Sie habe nur von 1987 bis 1989 die Schule besucht; danach sei ein Schulbesuch nicht mehr möglich gewesen.
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Der Ehemann erklärte, seine Eltern, geboren 1947 und 1950, lebten noch in Baku. Er habe ferner einen Onkel irgendwo in Russland, zu dem er aber keinen Kontakt habe. Er sei von 1984 bis 1992 in Neftchala zur Schule gegangen. Weiterbildende Schulen habe er nicht besucht. Bis zu seiner Einberufung habe er gearbeitet und danach für 150 bis 200 US-Dollar monatlich Gelegenheitsarbeiten verrichtet.
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Die Klägerin und ihr Ehemann haben nach eigenen Angaben am 28.06.2002 in Baku geheiratet.
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Auf die Frage, ob es bei der Eheschließung keine Probleme wegen ihrer armenischen Volkszugehörigkeit gegeben habe, erklärte die Klägerin, man habe den Standesbeamten bestochen.
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Sie erklärten weiter: Sie hätten in Aserbaidschan über persönliche Dokumente verfügt, die – bis auf die Geburtsurkunde der Klägerin - der Schlepper bei der Ausreise einbehalten habe. Im Falle der Klägerin seien dies die Geburtsurkunde und die Heiratsurkunde, im Falle ihres Ehemannes eine Geburtsurkunde, der sowjetische Inlandspass, der Militärpass und die Heiratsurkunde.
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Sie hätten bis zu ihrer Ausreise in Baku in der Siedlung Nzs, Haus 1, Wohnung Nr. 1 gewohnt. Für seine Eltern hatte der Ehemann der Klägerin die selbe Anschrift genannt. Aserbaidschan hätten sie am 08.09.2002 an Bord eines Flugzeugs von Baku nach Frankfurt/Main verlassen. Die Papiere habe der Schlepper gehabt. Sie hätten ihre Reisepässe nur für die Kontrollen in den Händen gehabt. Es habe sich um grüne Pässe gehandelt. Das seien wohl aserbaidschanische Pässe gewesen. Unter welchen Personalien sie geflogen seien wüssten sie nicht. Insgesamt hätten sie 6.000 Dollar für die Reise aufbringen müssen.
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Sie - die Klägerin - sei als armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan von allen Seiten unterdrückt und benachteiligt worden. Sie habe von 1990 bis 1996 mit ihrer Mutter bei einer Familie im Dorf Nowchany gewohnt. Zu ihrem Vater bestehe bereits seit 1990 kein Kontakt mehr. Vermutlich sei der Vater Opfer der Unruhen von Januar 1990 in Baku geworden. An diesem Tag habe der Vater ganz normal das Haus verlassen, um zur Arbeit zu gehen; seither fehle von ihm jede Spur. Die Mutter habe anschließend in einer Siedlung bei Baku bei einer Freundin eine Wohnung gefunden. Es habe dann aber Missverständnisse zwischen den Frauen gegeben. 2000 sei die Mutter mit der Klägerin nach Neftchala zu einer anderen Freundin gezogen, wo die Klägerin dann ihren Mann kennen gelernt habe. Sie hätten noch vor dem Tod der Mutter geheiratet. Der Schlepper habe durch Bestechung dafür gesorgt, dass die Papiere vom Standesamt gekommen seien. Er habe ihnen schon vorher gesagt, dass sie nur heiraten könnten, wenn sie den Standesbeamten bestechen würden.
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Den letzten Anstoß zum Verlassen Aserbaidschans habe die Beerdigung ihrer Mutter in Neftchala gegeben. Dabei habe sich herausgestellt, dass sie armenischer Volkszugehörigkeit sei. Vorher habe sich die Familie im Dorf eigentlich frei bewegen können, da sie so getan hätten als seien sie Moslems. Sie hätten das Haus grundsätzlich nur mit Kopftuch verlassen. Die Nachbarn und Behörden hätten ihr Schwierigkeiten gemacht. Letztendlich sei die Mutter beerdigt worden, aber auf dem Grabstein habe der Hinweis auf die armenische Volkszugehörigkeit gefehlt.
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Für den Fall einer Rückkehr nach Aserbaidschan befürchteten die Klägerin und ihr Ehemann große Probleme. Vielleicht würden sie auch getötet. Der Ehemann erklärte, er werde erhebliche gesellschaftliche Probleme haben. Er habe niemandem klar machen können, dass er mit einer Armenierin verheiratet sei.
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Mit Bescheid vom 12.11.2002 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte der Klägerin die Abschiebung nach Armenien oder Aserbaidschan an. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt: Aus dem wenig substantiierten Vorbringen ergäben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie sich aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte oder bei einer Abschiebung nach Aserbaidschan oder nach Armenien mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen müsse. Im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan drohten armenisch-stämmigen Bürgern zwar Benachteiligungen; sie hätten aber „keine Gruppenverfolgung asylrelevanten Ausmaßes“ zu befürchten. Es bestehe ferner eine inländische Fluchtalternative in Berg-Karabach.
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Mit Schreiben vom 12.03.2003 machte die Klägerin gegenüber dem Bundesamt geltend, der Dolmetscher habe sie bei der Anhörung nicht ausreden lassen sondern gesagt, dass diese Angaben reichen würden. Tatsächlich sei mehr vorgefallen als im Anhörungsprotokoll aufgeführt. Sie seien in Aserbaidschan von Nachbarn geschlagen worden. Ein Nachbar habe Angehörige im Karabach-Konflikt verloren und einen Hass auf Armenier gehabt.
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Die Klägerin hat am 20.11.2002 Klage erhoben.
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Der Prozessbevollmächtigte hat folgende undatierte Schilderung der Klägerin zu den Akten gereicht: „Die Antwort des Gerichts vom 26.09.2002“ (gemeint ist offenbar das Anhörungsprotokoll) sei nicht richtig übersetzt worden. Sie habe, nachdem sie 1987 eingeschult worden sei, 1989 die Schule wieder verlassen müssen. Nach Beginn der ethnischen Auseinandersetzungen sei die Familie 1990 nach Novhaniya umgezogen. 1990 sei der Vater verschwunden; danach habe eine gute Freundin der Mutter ihnen geholfen. Eine andere Kollegin der Mutter habe den Nachbarn gesagt, dass sie Armenier seien. Die Mutter sei auf dem Heimweg von der Arbeit überfallen und geschlagen worden, ihr ganzer Körper sei zerquetscht gewesen und sie habe innere Infektionen gehabt. Wieder mit Hilfe der Freundin der Mutter seien sie 2000 nach Neftcalaya zu einer allein lebenden Frau umgezogen. 2001 hätten sie dort den Kläger kennen gelernt. Seinen Heiratsantrag habe sie wegen ihrer teilweise armenischen Abstammung zunächst nicht annehmen wollen. Sie hätten dann aber doch am 28.06.2002 geheiratet. Statt auf einem staatlichen Standesamt sich trauen zu lassen, hätten sie auf einem öffentlichen Standesamt gegen Geld sich das Ja-Wort gegeben. Ihr Mann sei gegen den Krieg. Er habe keinen Wehrdienst geleistet, aber eine Urkunde gekauft, die dessen Ableistung bescheinige.
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Am 12.07.2002 sei die Mutter gestorben. Das Krankenhaus habe die Leiche nicht herausgeben wollen, weil herausgekommen sei, dass die Mutter Armenierin war. Es hätten sich Menschen vor dem Krankenhaus versammelt und die Leiche ihrer Mutter gewollt. Ihren Mann hätten sie verprügelt. Mit Hilfe der Polizei hätten sie nach Hause gehen können; später habe die Polizei auch die Leiche der Mutter gebracht, die die Familie ihres Mannes in der Nacht beigesetzt habe. Die schlimmsten Zeiten hätten damit erst angefangen. Wenn ihr Mann unter Menschen gegangen sei, sei er ausgebuht worden und ihm sei vorgeworfen worden, mit einer Armenier-Tochter verheiratet zu sein. Sie selbst habe den ganzen Tag zu Hause verbracht. Einen Tag habe sie aus dem Haus gehen wollen, die Nachbarn seien mit Benzin gefüllten Flaschen auf sie zu gekommen, hätten sie auf ihr ausgeleert und sie angezündet. Sie hätten sie auch mit Steinen beworfen, die sie überall getroffen hätten, auch am Kopf.
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Bei einem Besuch am Grab ihrer Mutter gemeinsam mit ihrem Ehemann seien plötzlich vier Männer mit Knüppeln in der Hand auf sie zu gekommen und hätten sie verprügelt. Sie sei in Ohnmacht gefallen und zu Hause inmitten von Blut und mit fast durchgeschnittenem Hals aufgewacht. Ihr Mann habe einen Arzt geholt, mit dem er verwandt sei, der habe ihren Hals genäht. Zwei Tage hintereinander sei ihr Haus mit brennenden Gegenständen beworfen worden. Dann habe sich vor dem Haus eine Menschengruppe gebildet. Sie hätten erst ihren Mann, dann sie haben wollen und gerufen: „Wir werden das Blut unserer Söhne reinigen.“ Sie hätten dann ihren Mann zusammengeschlagen. Sie selbst sei an den Haaren nach draußen geschleift worden; es sei gesagt worden: „Nehmt diese armenische Hundetochter und bringt sie um.“ Dann sei die Polizei gekommen, die sie vorher habe anrufen können, und die Leute seien weggelaufen. Der Onkel ihres Ehemannes habe sie zu sich mitgenommen und ihnen empfohlen umzuziehen. Sie hätten dann ihr Haus verkauft und seien nach Baku gezogen in den Bezirk Nzs. Sie sei noch nicht zu sich gekommen gewesen. Sie habe nicht einmal mehr essen können. Als sie zusammengeschlagen worden sei, habe sie auch einige Zähne verloren.
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Im übrigen hat die Klägerin vorgetragen: Sie könne nicht in Armenien Zuflucht finden, weil sie dort – anknüpfend an die Abstammung des Vaters - als Aserbaidschanerin angesehen werde und dort nicht aufgenommen und als Flüchtling registriert werde; ferner könne sie auch keine Wohnung anmieten oder eine Arbeit aufnehmen. Aus den selben Gründen könne sie – wie im einzelnen näher ausgeführt wurde - nicht auf Berg-Karabach als inländische Fluchtalternative verwiesen werden.
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In Aserbaidschan unterlägen Personen halbarmenischer Herkunft, auch wenn der Vater Aseri sei, einer Gruppenverfolgung. Der aserbaidschanische Staat sei auch nicht bereit, vertriebene armenische Volkszugehörige trotz ihrer formal weiter bestehenden aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit wieder aufzunehmen.
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Sie sei – wie im einzelnen näher ausgeführt und durch ärztliche Bescheinigungen belegt wurde – mehrfach in ärztlicher Behandlung gewesen. Im Hinblick auf das unzureichende Gesundheitswesen sowohl in Aserbaidschan als auch in Armenien komme ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG a.F. in Betracht.
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Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens hat das Bundesamt Kopien einer offenbar bei der Ausländerbehörde vorliegenden Heiratsurkunde nebst beglaubigter Übersetzung eingereicht, nach der die Klägerin und ihr Ehemann am 09.06.2002 in Baku geheiratet haben. Der Prozessbevollmächtigte hat ferner eine beglaubigte Übersetzung der Geburtsurkunde der Klägerin vorgelegt, ausgestellt am 02.12.1998, nach der sie am 23.01.1981 als Tochter eines Vaters aserbaidschanischer Nationalität und einer Mutter armenischer Nationalität in Binagadi geboren wurde. Eine angekündigte Erläuterung dazu, wann und wie die Klägerin diese Schriftstücke erhalten habe, ist nicht erfolgt.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Ehemann der Klägerin erklärt, er habe letztmalig 2 Monate zuvor mit seinen Eltern in Baku telefoniert. Ihnen sei von aserbaidschanischen Mitbürgern vorgeworfen worden, dass er eine armenische Volkszugehörige geheiratet habe. Zu seinem in Russland lebenden Onkel habe er weiterhin keinen Kontakt.
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Nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ist bei der Klägerin im rechten unteren Kinnbereich eine sehr schwach ausgeprägte Narbe von ungefähr 1,5 cm Länge sichtbar.
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Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt: Sie habe 4 Zähne verloren, die in Aserbaidschan durch neue Zähne ersetzt worden seien. Dazu könne sie keine Bescheinigung vorlegen, da sie seinerzeit von einem befreundeten Zahnarzt behandelt worden sei. Die geschilderten Angriffe mit Benzin hätten sich nur auf ihr Haar bezogen, das sie damals mit einem längeren Schnitt getragen habe. Anlässlich eines Grabbesuches zusammen mit ihrem Ehemann sei sie von Jugendlichen mit Holzstöcken traktiert worden. Darauf sei die Narbe im Kinnbereich zurückzuführen.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat die Klägerin den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen.
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Im übrigen hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 19.05.2004, in vollständiger Form zugestellt am 15.09.2004, die Klage abgewiesen. Der Klägerin drohe keine politische Verfolgung. Dies gelte sowohl in Bezug auf Aserbaidschan als auch in Bezug auf Armenien, so dass nicht festgestellt zu werden brauche, ob und ggf. welche Staatsangehörigkeit die Klägerin besitze. In Aserbaidschan stehe der Klägerin Berg-Karabach als inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG liege nicht vor.
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Auf den am 16.09.2004 gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Senat mit Beschluss vom 28.03.2011, zugestellt am 06.04.2011, die Berufung zugelassen.
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Die Klägerin hat die Berufung am 06.05.2011 begründet. Sie trägt vor: Sie könne nicht in Armenien Zuflucht finden. Mit Armenien verbinde sie nichts rechtlich Relevantes. Sie stamme zwar in weiblicher Linie von armenischen Vorfahren ab. Auch sie könne aber dort wegen ihrer Abstammung auch von aserbaidschanischen Vorfahren nicht verfolgungsfrei leben. Sie sei – wie im einzelnen näher begründet wurde - vor mittelbarer staatlicher Verfolgung nicht sicher und auch nicht in der Lage, dort ihr Überleben im Sinne der Absicherung des Existenzminimums zu sichern. Anders als möglicherweise assimilierte Aserbaidschaner, die originär in Armenien ansässig seien, könnten sie und ihr Ehemann nicht an vorhandene Kontakte anknüpfen oder sich bei ethnischen Armeniern verstecken. Auch an ihrem Namen seien sie unschwer sofort als Aserbaidschaner erkennbar. Entsprechendes gelte in Bezug auf Berg-Karabach, das deshalb auch nicht als inländische Fluchtalternative in Bezug auf Aserbaidschan angesehen werden könne. Dort würden sie und ihr Ehemann allein durch ihre Anwesenheit als bedrohliches Element bezogen auf die ausschließlich ethnisch legitimierte Gebietsherrschaft angesehen werden.
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Sie bedürfe nach wie vor qualifizierter ärztlicher Behandlung. Diese würde sie – wie im einzelnen näher ausgeführt wurde - in Armenien und Berg Karabach nicht erhalten.
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In der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin ergänzend angehört worden, ebenso in dem Verfahren 3 L 391/04 ihr Ehemann.
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Die Klägerin hat angegeben: Im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Mutter sei ihre armenische Abstammung bekannt geworden. Die Verwandten ihres Mannes hätten dies als Schande angesehen und Druck auf ihn ausgeübt sich scheiden zu lassen. Sie und ihr Ehemann seien an ihrem Wohnort in Neftchala angegriffen worden. In das Haus seien brennende Flaschen geworfen worden. Als sie aus dem Haus hätten fliehen wollen, sei sie mit einem Stock angegriffen worden. Man habe ihr einen brennenden Holzstock an den Hals gestoßen. Die Angreifer habe sie nicht gekannt. Sie seien gezwungen gewesen nach Baku zu gehen. Dort habe ihr Mann einen kleinen Laden betrieben, einen Kiosk. Die Verwandten hätten ihren Mann aber auch in Baku aufgesucht; es habe Streit gegeben. Auch den Verkäufern in der Nähe sei ihre armenische Abstammung bekannt geworden. Ein Bekannter hätte ihnen dann gesagt, dass sie keine Ruhe finden würden, und ihnen geholfen auszureisen. Sie hätten dafür den Laden verkauft. Auf entsprechende Fragen hat die Klägerin erklärt, in Neftchala die Polizei zu rufen, sei nicht notwendig gewesen, weil ihr Mann genug einflussreiche Verwandte und Bekannte bei der Polizei gehabt habe. Ansonsten habe ihnen niemand geholfen. Die Mutter sei in Neftchala anonym beerdigt worden.
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Ursprünglich sei ihre Familie aus dem eigenen Haus in Baku von aserischen Flüchtlingen aus Armenien vertrieben worden. Bereits zuvor habe es etliche Vorfälle gegeben, bei denen sie beschimpft und zusammengeschlagen worden seien. Die Polizei habe ihnen nicht geholfen. Ihre Mutter habe mit einem gebrochenen Bein nicht zum Arzt gehen können. Nachdem ihr Vater verschwunden war, sei sie mit ihrer Mutter zusammen 8-10 mal umgezogen. Sie hätten sich immer wieder verstecken müssen. Sie sei in Binagadi zwei Jahre zur Schule gegangen. Danach habe ihr Vater einen weiteren Schulbesuch nicht mehr zugelassen. Das habe so seinen Vorstellungen entsprochen. Er habe auch Wert darauf gelegt dass in der Familie nur Aseri gesprochen wurde. Nachdem ihr Vater verschwunden war, habe sie deshalb nicht wieder zur Schule gehen können, weil sie dann ihre Geburtsurkunde hätte vorlegen müssen, mit der ihre armenische Abstammung bekannt geworden wäre. Sie und ihr Ehemann hätten auf einem Standesamt in Baku geheiratet. Durch eine Geldzahlung hätten sie erreicht, dass sie die übliche Wartezeit nicht hätten einhalten müssen.
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Der Ehemann der Klägerin hat angegeben: Er habe noch einen älteren Bruder, der in Russland lebe, zu dem habe er keinen Kontakt. Er habe sich geweigert Wehrdienst zu leisten und gelte daher als Deserteur. Er habe immer wieder Geldzahlungen leisten müssen um nicht einberufen zu werden. Als er seine Frau kennen gelernt habe, habe sie ein Kopftuch getragen. Er habe nicht gewusst, dass sie eine armenische Mutter hatte. Das habe er erst erfahren als ihre Mutter gestorben sei. Seine Frau habe ihm dann gesagt, sie habe Angst gehabt, ihm das zu erzählen. Mit der Hochzeit hätten sie es eilig gehabt, weil seine Frau bereits schwanger gewesen sei. Sie hätten am 09.06.2002 standesamtlich geheiratet; die Feier sei am 28.06.2002 gewesen. Für seine Eltern spiele die Volkszugehörigkeit seiner Frau keine Rolle. Nach der Heirat hätten sie für etwa eine Woche bei seinen Eltern in Neftchala gelebt. Danach seien sie nach Baku gezogen, wo er gearbeitet habe. Dort sei sein kleiner Laden angegriffen worden. Die Leute hätten alles zusammengeschlagen und ihn selbst angegriffen. Es sei eine Schande, dass er mit einer armenischen Frau verheiratet sei. Er habe sich verteidigt und zurückgeschlagen. Die Polizei habe ihn festgenommen aber nach etwa zwei Stunden wieder freigelassen, nachdem er einen Bekannten angerufen habe. Der jüngere Bruder seines Vaters sei bei der Polizei, seinerzeit als Leutnant. Er habe mit ihm schon in Aserbaidschan eine Auseinandersetzung gehabt. Der Onkel habe auf ihn eingeprügelt und gesagt, dass er ihn ins Gefängnis bringen werde. Er habe sich damals natürlich verteidigt. Vielleicht sei das der Grund, weshalb der Onkel ihn noch heute verfolge. Ein Grund sei auch seine Frau. Bei dem Ereignis bei dem seine Frau an den Haaren gezerrt worden sei, habe es sich um den Vorfall mit seinem Onkel gehandelt. Er – der Ehemann der Klägerin – habe seine Frau verteidigt und sich deshalb mit dem Onkel geprügelt. Nun setze der Onkel seinen Vater unter Druck. Der solle ihm sagen wo er lebe. Vor zwei bis drei Monaten sei sein Vater festgenommen worden, aus welchem Grund wisse er nicht. Er selbst werde bis nach Deutschland verfolgt. Im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan könne er von der dortigen Polizei keinen Schutz erwarten. Die schaue nur ob jemand die notwendigen Beziehungen habe. Das zeige auch dass die Polizei ihn nicht habe schützen könne, obwohl er eigene Verwandte bei der Polizei habe. Man könne sich nur ständig freikaufen.
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Wegen des weiteren Inhalts wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Abschiebungsandrohung hinsichtlich Armenien und die insoweit maßgebenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid aufgehoben hatte, haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Im übrigen beantragt die Klägerin,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts B-Stadt vom 19.05.2004 teilweise zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 12.11.2002 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise das Vorliegen eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG festzustellen sowie
weiter hilfsweise, das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beteiligte hat sich im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung sowie den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes einschließlich der Vorgänge zum hiesigen Verfahren 3 L 391/04 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren beendet und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts B-Stadt vom 19.05.2004 für wirkungslos zu erklären, § 173 VwGO iVm § 269 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
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Im übrigen ist die Berufung zulässig, aber unbegründet.
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I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist (§ 3 Abs. 1 AsylVfG). Dies ist der Fall, wenn in diesem Staat sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist (§ 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung in diesem Sinne vorliegt, ergänzend die Art. 4 Abs. 4 und 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl L 304/12 v. 30.09.2004 – QRL) heranzuziehen. Was unter einer Verfolgungshandlung rechtlich mindestens zu verstehen ist, definiert Art. 9 QRL. Die Verfolgungsgründe, an die die Verfolgungshandlungen anknüpfen müssen, um im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigungsfähig zu sein, ergeben sich aus Art. 10 QRL. Art. 4 Abs. 4 QRL regelt eine Beweiserleichterung zu Gunsten von Personen, die bereits Verfolgung erlitten haben bzw. von Verfolgung bedroht waren (vgl. BVerwG, U. v. 07.09.2010 – 10 C 11.09 -, Juris Rn. 14 f.).
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Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben erfüllt die Klägerin nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie hält sich nicht aus begründeter Furcht vor politischer Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland auf (vgl. Art. 2 Buchst. c QRL).
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a) Der maßgebliche Staat für die Prüfung, ob die Furcht der Klägerin vor politischer Verfolgung begründet ist, ist Aserbaidschan. Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin aserbaidschanische Staatsangehörige ist. Als ursprünglich sowjetische Staatsangehörige mit aserbaidschanischer Republikzugehörigkeit (vgl. Transkaukasus-Institut an VG Ansbach v. 08.03.2006 S. 23 f.) hat sie die Staatsangehörigkeit des seit dem 18.10.1991 unabhängigen Staates Aserbaidschan nach den Bestimmungen des aserbaidschanischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 26.06.1990, in Kraft getreten am 01.01.1991, erworben. Nach Art. 4, 1.Alt. dieses Gesetzes wurden alle Personen, die am Tage des In-Kraft-Tretens des Gesetzes Angehörige der aserbaidschanischen SSR waren, zu aserbaidschanischen Staatsangehörigen, wobei es auf den faktischen und amtlich registrierten Wohnsitz ankam (zur Maßgeblichkeit beider Gesichtspunkte vgl. Institut für Ostrecht München an VG Neustadt v. 02.03.2001 S. 2; Institut für Ostrecht an VG Berlin v. 22.11.2000 S. 3; Prof. Luchterhandt an VG Würzburg v. 17.10.2000 S. 2). Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Klägerin in der Aserbaidschanischen SSR und erfüllte damit die maßgeblichen Voraussetzungen. Konkrete Anhaltspunkte für einen nachträglichen Verlust der Staatsangehörigkeit bestehen nicht (dazu näher unten b) bb) (4)). Jedenfalls aber wäre Aserbaidschan auch als Staat des gewöhnlichen Aufenthalts für die Prüfung maßgeblich, ob die Klägerin den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist.
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b) Die Klägerin ist in Aserbaidschan nicht den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt. Ihre Furcht vor politischer Verfolgung ist nicht begründet.
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aa) Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin in Aserbaidschan wegen ihrer teilweise armenischen Abstammung politische Verfolgung erlitten hat. Sie ist nach eigenen Angaben 1990 durch Flüchtlinge aus Armenien mit ihrer Familie aus dem eigenen Haus in Baku vertrieben worden und hat in der Folgezeit mit ihrer Mutter zurückgezogen und versteckt gelebt; die Mutter ist offenbar von Mitbürgern körperlich angegriffen worden. Jedenfalls zu Beginn der 1990er Jahre bestand in Aserbaidschan auch eine Situation mittelbarer Gruppenverfolgung armenischer Volkszugehöriger (vgl. OVG Koblenz, U. v. 20.09.2001 – 6 A 11840/00.OVG -, S. 10 ff.).
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bb) Die Klägerin hat jedoch heute im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan keine politische Verfolgung mehr zu befürchten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung nach § 4 Abs. 4 QRL. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Solche stichhaltigen Gründe sind hier gegeben.
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(1) Die persönliche Situation der Klägerin hat sich grundlegend geändert. Sie lebt nicht mehr mit ihrer armenischen Mutter zusammen. Diese ist zwischenzeitlich verstorben. Sie ist ferner mit einem aserbaidschanischen Volkszugehörigen verheiratet. Da die Klägerin, die von einem aserbaidschanischen Vater abstammt, schon von Kindheit an einen aserbaidschanischen Namen trägt und aserischsprachig aufgewachsen ist, war ihre teilweise armenische Abstammung bereits in der Vergangenheit nur mittelbar über den Kontakt zu ihrer Mutter erkennbar. Heute bestehen für diese Abstammung keinerlei äußerlich erkennbaren Anzeichen mehr, die privaten Dritten mit feindseliger Einstellung gegenüber Armeniern Anlass zu Nachstellungen oder Diskriminierung geben könnten.
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(2) Soweit die Klägerin auch für die Zeit nach ihrer Eheschließung – allerdings maßgeblich anknüpfend an die Beerdigung der Mutter - von massiven körperlichen Angriffen und Bedrohungen berichtet hat, hat der Senat sich auch nach dem Ergebnis der Anhörungen der Klägerin und ihres Ehemannes in der mündlichen Verhandlung am 02.03.2012 nicht die erforderliche Überzeugung von diesem Geschehen bilden können. Dabei berücksichtigt der Senat, dass beide Anhörungen jeweils in Anwesenheit des Ehepartners erfolgten, der damit die Möglichkeit hatte, die Angaben des anderen zu korrigieren oder zu erläutern; mangels solcher Korrekturen oder Erläuterungen geht der Senat davon aus, dass beide sich die Angaben des jeweils anderen zu eigen machen.
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Die §§ 15, 23 und 25 AsylVfG legen sowohl allgemeine als auch besondere Mitwirkungspflichten des Flüchtlings fest, die den gesetzlichen Rahmen der dem Flüchtling obliegenden Mitwirkungspflichten vorgeben. Der Ausländer ist danach persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 15 AsylVfG); er muss selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor politischer Verfolgung begründen und die erforderlichen Angaben hierzu machen (§ 25 AsylVfG). Zu diesen Angaben gehören zunächst valide Aussagen über seine Identität, Herkunft, seine Staatsangehörigkeit, seine letzten Aufenthaltsorte und seine familiären und sonstigen Bindungen in seinem Heimatland. Sodann gehört als Kern seiner Mitwirkungspflicht die Schilderung der fluchtauslösenden Ereignisse, die Schilderung dessen, welche Verfolgungsmaßnahmen er hat erleiden müssen, von wem diese verübt worden sind und/oder vor welchen befürchteten Verfolgungsmaßnahmen er geflohen ist. Die im Asylverfahrensgesetz geregelten Mitwirkungspflichten sind im Wesentlichen deckungsgleich mit der in Art. 4 Abs. 2 QRL niedergelegten Mitwirkungspflicht, so dass davon auszugehen ist, dass insgesamt die Vorschriften des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 5 QRL auch im Bundesgebiet Geltung entfalten (vgl. VGH Kassel, U. v. 24.08.2010 – 3 A 2049/08.A -, Juris Rn. 26).
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zudem geklärt, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht dort ihre Grenze findet, wo das Vorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. So besteht im Asylrechtsstreit Anlass zu weiterer Sachaufklärung generell dann nicht, wenn der Asylbewerber unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflichten seine guten Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung nicht unter Angabe genauer Einzelheiten schlüssig schildert (vgl. BVerwG, U. v. 29.06.1999 - 9 C 36.98 - unter Hinweis auf BVerwG, B. v. 19.03.1991 - 9 B 56.91 – u. U. v. 10.05.1994 - 9 C 434.93 -, jeweils in Juris).
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Diesen Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag wird der Vortrag der Klägerin nicht gerecht. Maßgeblich ist, dass der Vortrag im Verlauf des Verfahrens immer wieder in zentralen Punkten geändert worden ist, und zwar sowohl betreffend das konkrete verfolgungsbegründende Geschehen einschließlich der näheren Umstände der Heirat als auch betreffend die allgemeinen Lebensverhältnisse wie Wohnort und berufliche Tätigkeit des Ehemannes. Dabei fällt auf, dass ursprünglich in der Anhörung beim Bundesamt für die Zeit kurz vor der Ausreise kein individuelles Verfolgungsgeschehen berichtet worden war, und die nachfolgenden Schilderungen massiver körperlicher Angriffe und Bedrohungen in der zu Beginn des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von der Klägerin eingereichten schriftlichen Darstellung in der Folgezeit Stück für Stück ausdrücklich zurückgenommen oder geändert oder nicht wiederholt worden sind. Dem gegenüber hat der Ehemann der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in mehreren Punkten völlig neue Sachverhalte vorgetragen, von denen zuvor nicht die Rede gewesen war.
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In der Anhörung beim Bundesamt hatten die Klägerin und ihr Ehemann keinerlei Angaben über gegen sie erfolgte Gewalttätigkeiten gemacht. Allerdings hatten sie in der Folgezeit erklärt, der Dolmetscher habe sie nicht ausreden lassen und gesagt, dass die bisherigen Angaben reichen würden; der Prozessbevollmächtigte hatte deshalb eine Beschwerde an das Bundesamt gerichtet. Die Klägerin hat dann eine schriftliche Darstellung vorgelegt, in der sie vor allem für die Zeit unmittelbar vor der Ausreise massive Angriffe und Bedrohungen durch Gruppen aserbaidschanischer Bürger in dramatischer Weise schildert. Indes ist es bei dieser Darstellung dann nicht geblieben, sondern die Schilderung von Gewalttätigkeiten, denen das Ehepaar vor der Ausreise ausgesetzt gewesen sein soll, wurde im Verlauf des Verfahrens – nicht nur im Rahmen der Klarstellung von Übertragungsfehlern, die bei der seinerzeitigen Übersetzung der russisch-sprachigen Aufzeichnungen der Klägerin unterlaufen sein könnten – wieder abgeschwächt und mehrfach geändert.
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So hatte die Klägerin in ihrer beim Verwaltungsgericht eingereichten schriftlichen Darstellung geschildert, sie sei von Nachbarn mit Benzin übergossen und angezündet worden, sodann in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aber erklärt, die Angriffe mit Benzin hätten sich nur auf ihr Haar bezogen. Schriftlich hatte sie geltend gemacht, ihr sei bei einem Besuch am Grab ihrer Mutter fast der Hals durchgeschnitten worden, und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht dann erklärt, sie und ihr Mann seien bei einem Besuch am Grab ihrer Mutter von Jugendlichen mit Holzstöcken traktiert worden, worauf die Narbe im Kinnbereich – das Protokoll hält eine etwa 1,5 cm lange schwach ausgeprägte Narbe im rechten unteren Kinnbereich fest - zurückzuführen sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin dann die Narbe an ihrem Hals wiederum in einen anderen Zusammenhang gebracht und berichtet, ihr Haus sei mit brennenden Flaschen angegriffen worden; als sie aus dem Haus hätten fliehen wollen, sei sie mit einem Stock angegriffen worden; man habe ihr einen brennenden Holzstock an den Hals gestoßen.
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Der Ehemann der Klägerin hat von all diesen Ereignissen zu keinem Zeitpunkt selbst berichtet, auch nicht im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Er hat umgekehrt in der mündlichen Verhandlung erstmals andere gewalttätige Ereignisse geschildert, von denen zuvor nicht die Rede gewesen war. So hat er einen Streit in der Familie geschildert, bei dem seine Frau von seinem Onkel an den Haaren gezerrt worden sei, woraufhin er – der Ehemann der Klägerin – sich mit dem Onkel geprügelt habe; diese Auseinandersetzung sei in eine dauerhafte Feindschaft mit dem Onkel gemündet, der ihm bis nach Deutschland nachstelle. Seine Ehefrau hatte zuvor ein Zerren an den Haaren in ihrer schriftlichen Schilderung zu Beginn des gerichtlichen Verfahrens in einem anderen Zusammenhang angesprochen: Nachdem das Haus mehrere Tage mit brennenden Gegenständen beworfen worden sei, seien ihr Mann und seine Eltern zusammengeschlagen worden; sie selbst sei an den Haaren nach draußen geschleift und mit dem Tode bedroht worden. Ferner hat der Ehemann der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals einen Angriff auf den von ihm in Baku betriebenen Kiosk geschildert; im Zusammenhang mit der sich daraus ergebenden Schlägerei sei er kurzzeitig festgenommen worden.
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Was die Umstände der Heirat angeht, hatten die Klägerin und ihr Ehemann in der Anhörung beim Bundesamt angegeben, sie hätten wegen der armenischen Abstammung der Klägerin den Standesbeamten bestechen müssen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben beide hingegen nur geschildert, sich mit der Geldzahlung einen vorzeitigen Heiratstermin erkauft zu haben, wobei der Ehemann der Klägerin zusätzlich angegeben hat, Grund für die Eile sei gewesen dass seine Frau bereits schwanger gewesen sei.
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Hinsichtlich der persönlichen Lebensverhältnisse ergibt sich für den Senat ebenfalls kein klares Bild.
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Dies gilt zunächst für die berufliche Tätigkeit und den Wohnort des Ehemannes der Klägerin. In der Anhörung beim Bundesamt hatte er auf die Frage nach seinem Beruf oder einem eigenen Geschäft geantwortet, nach seiner Einberufung habe er Gelegenheitsarbeiten verrichtet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin demgegenüber angegeben, ihr Mann habe in Baku einen kleinen Laden, einen Kiosk geführt. Die Ausreise sei mit dem Verkauf des Ladens finanziert worden. Auch der Ehemann der Klägerin hat von diesem Kiosk berichtet. Hinzu kommt, dass die Klägerin in ihrer schriftlichen Darstellung zu Beginn des gerichtlichen Verfahrens angegeben hatte, nach der Beerdigung ihrer Mutter und nach einem massiven Angriff auf ihr Haus - in Neftchala - hätten sie das Haus verkauft und seien in den Bezirk Nzs in Baku gezogen. Allerdings erscheint wenig plausibel, wie der Ehemann der Klägerin, wenn er erst nach dem 12.07.2002, dem Zeitpunkt der Beerdigung der Schwiegermutter, nach Baku gezogen ist, bis zum Zeitpunkt der Ausreise am 08.09.2002 einen eigenen Laden erworben und geführt sowie zur Finanzierung der Ausreise wieder verkauft haben soll. Wenn er den Laden aber bereits zuvor in Baku geführt und dort gelebt hatte – wofür seine Äußerungen in der mündlichen Verhandlung sprechen, er sei bereits im Zusammenhang mit der bevorstehenden Einberufung 1996 nach Baku gezogen, und sie hätten nach der Heirat etwa eine Woche bei seinen Eltern in Neftchala gelebt und seien danach nach Baku gezogen, wo er gearbeitet habe – dann sind die von der Klägerin geschilderten Erlebnisse nach dem Tod ihrer Mutter nicht plausibel, die sich in Neftchala abgespielt haben sollen. Ein widerspruchsfreies Bild ergibt sich auch dann nicht, wenn „unser Haus“ im Sinne der schriftlichen Darstellung der Klägerin das Haus ihrer Schwiegereltern in Neftchala gewesen sein sollte. Denn ihr Ehemann hatte in der Anhörung beim Bundesamt angegeben, seine Eltern hätten vor der Ausreise in Baku gelebt, und zwar unter der gleichen Anschrift wie er und die Klägerin. Von einem kurzfristigen Umzug zusammen mit den Eltern war aber zu keinem Zeitpunkt die Rede.
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Ferner ergibt sich auch kein klares Bild von der Qualität der Beziehungen in der Verwandtschaft. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist – nachdem der Ehemann der Klägerin in der Anhörung beim Bundesamt lediglich allgemein geäußert hatte, er habe niemandem klar machen können, dass er mit einer Armenierin verheiratet sei - erstmals ausdrücklich von Familienstreitigkeiten berichtet worden. Der Ehemann der Klägerin hat von einer körperlichen Auseinandersetzung mit seinem Onkel – dem jüngeren Bruder seines Vaters, der Leutnant bei der Polizei gewesen sei – gesprochen. Der habe auf ihn eingeprügelt und gesagt, er werde ihn ins Gefängnis bringen; er – der Ehemann der Klägerin - habe sich verteidigt. Die Schlägerei sei entstanden, weil der Onkel die Klägerin an den Haaren gezerrt habe; er – der Ehemann der Klägerin – habe seine Frau verteidigt und sich deshalb mit dem Onkel geprügelt. Nun setze der Onkel seinen Vater unter Druck, damit der sage, wo er sich aufhalte. Vor zwei bis drei Monaten sei der Vater festgenommen worden. Der Onkel habe ihn sogar in Deutschland angerufen und gesagt, er werde dafür sorgen dass er kein ruhiges Leben habe. Auch die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals angegeben, die Verwandten ihres Mannes hätten gemeint es sei eine Schande für einen aserischen Mann, mit einer Frau armenischer Abstammung verheiratet zu sein, und den Kläger unter Druck gesetzt sich scheiden zu lassen. Die Verwandten hätten ihren Ehemann mit diesem Ansinnen auch in Baku aufgesucht; es habe Streit gegeben. Hingegen wurde in der zu Beginn des gerichtlichen Verfahrens eingereichten schriftlichen Darstellung der Ehefrau die Familie des Klägers lediglich positiv erwähnt: Sie habe seinerzeit unter schwierigen Umständen für eine kurzfristige Beerdigung ihrer armenischen Mutter gesorgt. Der Onkel des Klägers habe sie nach einem näher geschilderten massiven Angriff zu sich mitgenommen und ihnen empfohlen umzuziehen.
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Auf der Grundlage eines derart wechselnden Vortrags ist dem Senat die Bildung einer Überzeugung von den geschilderten Erlebnissen der Klägerin vor der Ausreise nicht möglich. Der Senat kann daher auf dieser Grundlage auch nicht davon ausgehen, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr systematische Nachstellungen durch Mitbürger oder Verwandte ihres Ehemannes zu erwarten hat.
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(3) Maßgeblich ist ferner die Änderung der allgemeinen Lage für Personen, die armenischer Volkszugehörigkeit sind bzw. von armenischen Volkszugehörigen abstammen.
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Für die vergangenen Jahre werden keinerlei gewalttätige Übergriffe auf solche Personen berichtet. Entsprechendes teilt jeweils der Country Report on Human Rights Practices des U.S. State Department für die Jahre 2008 bis 2010 ausdrücklich mit („There were no reports of violence against Armenians during the year.”) Im übrigen fehlen auch in allen anderen Quellen Berichte über Übergriffe, obwohl offenbar noch Armenier in Aserbaidschan leben (U.S. Department of State, 2010 Human Rights Report Azerbaijan, S. 26: etwa 20.000; AA, Lagebericht 2010, S. 13: es gebe keine verlässlichen Zahlen; das Staatskomitee für Statistik spreche von 1.000 Personen; nach Transkaukasus-Institut vom 18.10.2005 an OVG M-V, S. 2 stammt die Zahl von etwa 20.000 aus dem Jahr 2004 und erschien dem Gutachter plausibel; er merkte aber an, dass sich die Zahl der armenischen Volkszugehörigen durch Auswanderung und Versterben fortlaufend reduziere). Da gleichzeitig über Benachteiligungen armenischer Volkszugehöriger im sozialen Leben berichtet wird, sind diese offenbar trotz der Tendenz zur Assimilation auch nicht völlig unerkennbar.
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Auch Vorfälle wie die aus dem Jahr 2003 berichtete Ablehnung von Visa für drei ausländische Bürger armenischer Abstammung mit der Begründung, deren Sicherheit in Baku könne nicht garantiert werden (U.S. Department of State, 2003 Human Rights Report Azerbaijan, S. 19) sind nicht mehr berichtet worden.
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Allerdings gibt es nach wie vor Berichte über Benachteiligungen armenischer Volkszugehöriger durch Behörden und im sozialen Leben. Nach dem Lagebericht 2011 des Auswärtigen Amtes (s.d. S. 13) hat die Botschaft Hinweise darauf, dass Armenier öfter Behördenwillkür ausgesetzt sind als ethnische Aserbaidschaner; es sei jedoch schwierig, dies zu belegen, da sich die berichteten Fälle auf Probleme beziehen, die auch ethnische Aserbaidschaner betreffen (Beschlagnahme von Wohnungen, Nichtausstellungen von Pässen, Nichtauszahlung der Rente, Schwierigkeiten von Kindern in der Schule). Aus der russischen Botschaft in Baku sei bekannt, dass russischen Aeroflot-Piloten mit armenischen Namen der Aufenthalt verweigert wurde. Viele Armenier hätten einen aserbaidschanischen Namen angenommen, um ihre Herkunft zu verschleiern, und in Baku würden armenische Namen nicht verwendet. Ebenso berichtet das U.S. Department of State (2010 Human Rights Report Azerbaijan, S. 26): “Some of the … citizens of Armenian descent … historically complained of discrimination in employment, schooling, housing, the provision of social services, and other areas. Citizens who were ethnic Armenians often concealed their ethnicity by legally changing the ethnic designation in their passports.”
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Der Senat geht aber davon aus, dass die Beeinträchtigungen, denen armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan nach wie vor ausgesetzt sein können, die Klägerin nicht in relevanter Weise betreffen.
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Soweit es um Benachteiligungen durch Behörden geht, knüpfen diese jedoch maßgeblich an eine amtlich armenische Volkszugehörigkeit an. In diesem Sinne ist die Klägerin aber aserbaidschanische Volkszugehörige. Die amtliche Volkszugehörigkeit leitet sich in Aserbaidschan nach einer Auskunft des Transkaukasus-Instituts bei Kindern aus amtlich registrierten Ehen vom Vater ab (Auskunft an OVG Mecklenburg-Vorpommern v. 18.10.2005 S. 1). Nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes (Auskunft an VG München v. 08.01.1997) ergibt sich die Volkszugehörigkeit aus einer Vereinbarung der Eltern, zumeist jedoch der Volkszugehörigkeit des Vaters. Nach dieser Auskunft würde sich für die Klägerin nichts anderes ergeben. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat berichtet, der Vater habe nicht gewollt, dass sie länger als zwei Jahre zur Schule gehe. Er habe Wert darauf gelegt, dass in der Familie nur Aseri gesprochen worden sei. Der Vater hat danach gleichsam über die „kulturelle Orientierung“ der Familie entschieden, und zwar im Sinne seiner eigenen aserbaidschanischen Herkunft. Dem entsprechend hat die Klägerin selbst sich in der Anhörung beim Bundesamt als aserbaidschanische Volkszugehörige bezeichnet. Sie hat auch im gerichtlichen Verfahren stets ihre aserbaidschanische Prägung betont und damit begründet, weshalb es ihr nicht möglich sei in Armenien oder Berg-Karabach zu leben.
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Allerdings ist auch bei einer Person mit amtlich aserbaidschanischer Volkszugehörigkeit die Zuschreibung „Armenierin“ durch Personen in ihrer Umgebung nicht ausgeschlossen ist (vgl. ThürOVG, U. v. 28.02.2008 – 2 KO 899/03 -, Juris Rn. 46 f mwN; zur Unterscheidung der amtlichen Volkszugehörigkeit einerseits und der Volkszugehörigkeit nach Selbst- und Fremdzuordnung andererseits vgl. auch Transkaukasus-Institut aaO). Soweit es um Benachteiligungen durch Private geht, die armenischstämmige Personen betreffen können, bietet die Klägerin hierzu jedoch keinen Anlass, weil sie einen aserischen Namen trägt, Aseri spricht und mit einem Aserbaidschaner verheiratet ist. Sie ist damit gleichsam vollständig aserbaidschanisch integriert – was wie gesagt auch ihrem Selbstverständnis entspricht -; ihre armenische Herkunft mütterlicherseits tritt nicht mehr in Erscheinung.
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Ob die für armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan noch bestehenden Beeinträchtigungen die in Art. 9 QRL vorausgesetzte Schwere erreichen und die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte erreichen (zu den Voraussetzungen der Gruppenverfolgung vgl. BVerwG, U. v. 18.07.2006 – 1 C 15/05 – BVerwGE 126, 243; zu den im wesentlichen identischen Maßstäben unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie vgl. BVerwG U. v. 21.04.2009 – 10 C 11/08 -, NVwZ 2009, 1237; U. v. 19.01.2009 – 10 C 52/07 -, BVerwGE 135, 55), so dass jedenfalls unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL noch von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung für armenische Volkszugehörige in Aserbaidschan ausgegangen werden kann, erscheint dem Senat sehr fraglich. Letztlich bedarf diese Frage jedoch keiner Entscheidung, weil die Klägerin der etwaig noch verfolgten Gruppe der „Personen mit erkennbar armenischer Abstammung“ nicht angehört.
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(4) Die Klägerin ist nicht auch wegen einer Entziehung der Staatsangehörigkeit oder der Vorenthaltung der Rechte aus der Staatsangehörigkeit politisch verfolgt (zu diesem Gesichtspunkt vgl. BVerwG, U. v. 11.05.2009 – 10 C 50.07 -, BVerwGE 133, 203). Die Praxis in Aserbaidschan, armenische Volkszugehörige im Falle langfristiger Auslandsaufenthalte aus den Melderegistern zu löschen bzw. ihnen die Anerkennung der Staatsangehörigkeit bzw. die Wiedereinreise zu verweigern (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2011 S. 13 sowie Auskunft an VG Münster v. 02.04.2007; Transkaukasus-Institut an OVG Mecklenburg-Vorpommern v. 16.04.2005 S. 3) knüpft soweit ersichtlich an den Namen (Auswärtiges Amt, Lagebericht 2011 S. 13) oder die amtliche Volkszugehörigkeit an (Transkaukasus-Institut an VG Ansbach v. 17.07.2006 S. 25). Allenfalls aserische Volkszugehörige im Familienverbund mit einem armenischen Volkszugehörigen würden „abgeblockt“ (Transkaukasus-Institut aaO); hingegen ist nicht bekannt, dass eine Person mit amtlich aserbaidschanischer Volkszugehörigkeit allein wegen einer armenischen Mutter abgemeldet worden wäre bzw. deren aserbaidschanische Staatsangehörigkeit nicht anerkannt worden wäre (Transkaukasus-Institut an VG Ansbach v. 06.10.2005 S. 9) (vgl. zum Vorstehenden auch Thür.OVG, U. v. 28.02.2008 – 2 KO 899/03 -, Juris Rn. 93 ff.)
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II. Unionsrechtliche Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die ebenfalls bezogen auf den Herkunftsstaat, nämlich den Staat der Staatsangehörigkeit oder - bei Staatenlosen – des gewöhnlichen Aufenthalts zu prüfen sind (vgl. BVerwG, U.v.24.06.2008 – 10 C 43.07 -, NVwZ 2008, 1241, 1244), hier also bezogen auf Aserbaidschan, liegen nicht vor.
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III. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass bezogen auf Aserbaidschan als Zielstaat der Abschiebung ein nationalrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen würde. Insbesondere hat die Klägerin auch nach entsprechender Aufforderung vor der mündlichen Verhandlung keine Angaben zu einer aktuell vorliegenden behandlungsbedürftigen Erkrankung gemacht, im Hinblick auf die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen sein könnte.
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IV. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit wegen der Aufhebung der Abschiebungsandrohung hinsichtlich Armenien teilweise für erledigt erklärt haben, handelt es sich nur um einen geringen Teil des Streitgegenstandes, der bei der insoweit gemäß § 161 Abs. 2 VwGO zu treffenden Kostenentscheidung entsprechend dem Rechtsgedanken des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO unberücksichtigt bleibt. Im übrigen folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
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Referenzen
- VwGO § 132 1x
- VwGO § 155 1x
- 1 C 15/05 1x (nicht zugeordnet)
- 10 C 52/07 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 15 AsylVfG 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 1 AsylVfG 1x (nicht zugeordnet)
- 10 C 11/08 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
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- VwGO § 161 1x
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- VwGO § 173 1x
- 2 KO 899/03 2x (nicht zugeordnet)
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- § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
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- 3 A 2049/08 1x (nicht zugeordnet)
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- §§ 15, 23 und 25 AsylVfG 3x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- 3 L 391/04 3x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 269 Klagerücknahme 1x
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