Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 3d A 288/17.O
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1967 geborene Beklagte erwarb im Jahre 1988 die Allgemeine Hochschulreife. Am 1. September 1988 trat er als Stadtinspektoranwärter unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf in den Dienst der Klägerin. Nach Bestehen der Laufbahnprüfung wurde er am 12. September 1991 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Stadtinspektor zur Anstellung ernannt. Mit Wirkung vom 12. März 1994 wurde er zum Stadtinspektor ernannt, nachdem zunächst eine Verlängerung der Probezeit wegen schlechter Leistungen des Beklagten im Bauverwaltungsamt angedacht war. Mit Wirkung vom 26. September 1994 wurde ihm die Eigenschaft eines Beamten auf Lebenszeit verliehen und mit Wirkung vom 1. Januar 2000 wurde er zum Stadtoberinspektor befördert.
3Nach Bestehen der Laufbahnprüfung war der Beklagte im Bauverwaltungsamt, dem Haupt- und Personalamt sowie ab dem 13. Juni 1996 im Sozialamt tätig, wo er zunächst als Sachbearbeiter im Bereich Wohngeld und ab dem 18. November 1996 im Bereich Asylangelegenheiten eingesetzt war. Ab dem Jahr 2001 bearbeitete er nach dem Ausscheiden eines Kollegen zusätzliche Sachen. Bis zu seiner vorläufigen Dienstenthebung am 26. August 2011 war er sodann für die Bearbeitung und Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sowie für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) und der Sozialhilfe (SGB XII) zuständig. In dieser Zeit sind bei ihm erwähnenswerten Fehlzeiten ausgeblieben.
4Seine Arbeitsleistungen wurden im Rahmen der leistungsorientierten Bezahlung am 21. Oktober 2008 mit dem Durchschnittswert 3,75, am 5. November 2009 mit dem Durchschnittswert 3,50 bewertet. Die Bewertungsstufe 3 bezeichnet dabei die Normalleistung. Die Bewertungsstufe 4 steht für „übertrifft die Anforderungen des Arbeitsplatzes“. Die letzte Bewertung vom 10. November 2010 weist einen Durchschnittswert von 2,75 aus. Die Bewertungsstufe 2 steht für „entspricht bedingt den Anforderungen des Arbeitsplatzes“.
5Mit Ausnahme des hier zu beurteilenden Sachverhaltes ist der ledige Beklagte bisher weder straf- noch disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten.
6Nach seiner Arbeitsplatzbeschreibung oblag dem Beklagten u.a. die abschließende Bearbeitung der Leistungsgewährung nach dem AsylbLG. Hiervon erfasst waren die Antragsaufnahme, die Bewilligung und die Auszahlung von laufenden und einmaligen Beihilfen an die Asylbewerber. Seit Mai 2008 erfolgte die abrechnungstechnische Abwicklung der Bewilligung und Auszahlung für alle drei Rechtsgebiete über das vom Kreis C. den Kommunen bereitgestellte Programm OPEN/PROSOZ, wobei der Kreis im Bereich SGB II und XII Aufgabenträger war. Die Abwicklung geschieht dabei in der Weise, dass der zuständige Sachbearbeiter die Bedarfe in den einzelnen Fällen prüft, erfasst und die Eingaben abspeichert. Im Anschluss daran rechnet das Programm den Fall erneut durch und ermittelt die Höhe des Auszahlungsbetrages. Sodann stellt es einen sog. Prüflauf mit der Aufstellung der zur Auszahlung bereit gestellten Zahlbeträge den örtlichen Behörden zur Verfügung. Diese können dann noch einzelne Zahlungen von der Auszahlung ausschließen oder diese durch Betätigen des Buttons „Zahlungen bestätigen und anweisen“ zur Anweisung bringen. Darüber hinaus kann der entsprechende Bewilligungsbescheid ausgedruckt werden, da die notwendigen Bescheidvorlagen in dem Programm hinterlegt sind. Aufgrund der Programmstruktur nahm der jeweils zuständige Sachbearbeiter – also auch der Beklagte – die notwendigen Eingaben vor und erteilte grundsätzlich die Freigaben zur Auszahlung. Ein Vier-Augen-Prinzip war insoweit nicht vorgesehen.
7Am 6. Juli 2010 richtete der damalige Leiter des Fachbereichs 50 (Soziales), Herr C1. , ein Schreiben an den Beklagten, der zu dieser Zeit in Südafrika das Fußballweltmeisterschaftsturnier besuchte, in dem es heißt:
8„…wie ich feststellen musste, haben sich in Ihrem Arbeitsbereich erneut erhebliche Arbeitsrückstände angesammelt, bzw. die von mir bereits angemahnten sind immer noch nicht abgearbeitet.
9Ich habe Sie bereits mehrfach mündlich darauf hingewiesen und angeordnet, die Rückstände binnen einer Frist abzuarbeiten, letztmalig zu Beginn dieses Jahres…“
10Der Beklagte wurde angewiesen, bis zum 31. Juli 2010 die Arbeitsrückstände abzuarbeiten, insbesondere offene Rechnungen, Mahnungen und hilferelevante Vorgänge. Die sich auf seinem Schreibtisch stapelnden Vorgänge seien ebenfalls bis dahin zu bearbeiten und in die jeweiligen Hilfeakten einzusortieren. Die Hilfeakten seien zukünftig ordnungsgemäß zu führen. Auszahlungsanordnungen, die über den monatlichen Regelbedarf hinausgingen, seien ihm - dem Fachgebietsleiter - zukünftig zusammen mit der Hilfeakte und schriftlicher sachlicher Begründung vorzulegen. Für den Fall, dass es gewichtige Gründe gebe, die ihm, dem Beklagten, die Aufgabe erschwerten, wurde ihm vom Fachbereichsleiter C1. ein Gespräch hierüber angeboten.
11Dieses Schreiben wurde nach der Suspendierung des Beklagten in den Unterlagen auf seinem Schreibtisch gefunden
12Bereits zuvor, noch vor der Umstellung auf OPEN/PROSOZ, waren Herrn G. als damaligem Fachbereichsleiter für den Bereich Finanzen und Controlling die verhältnismäßig hohen Ausgaben der Klägerin im Bereich Asyl aufgefallen. Hintergrund war ein von ihm vorgenommener Ausgabenvergleich mit gleich großen Kommunen. Im Rahmen eines Gesprächs zwischen dem damaligen Kämmerer, Herrn G. und Herrn C1. , erklärte letzterer die Höhe der Ausgaben u.a. mit hohen Krankheitskosten und einer hohen Zuweisungszahl. Auch den ab 2008 im Amt befindlichen neuen Kämmerer informierte Herr G. entsprechend. Eine Prüfung unterblieb. Bei einer nachfolgenden Prüfung des Sozialamtes der Klägerin durch den Kreis C. als Aufsichtsbehörde blieb der Bereich der Asylangelegenheiten ungeprüft. Nach dem Dienstantritt der neuen Kämmerin – der jetzigen Bürgermeisterin – informierte Herr G. im Frühjahr 2011 auch diese über die auffällig hohen Ausgaben im Asylbereich. Vor einer von ihr veranlassten genaueren Prüfung durch das Rechnungsprüfungsamt führte Herr C1. als Fachbereichsleiter eine stichprobenartigen Überprüfung der Zahlungsläufe für Juli und August 2011 durch. Dabei gelangte er zu dem Ergebnis, dass nach seiner „Vermutung“ bei mehreren vom Beklagten veranlassten Zahlungen von einmaligen Beihilfen nach dem AsylbLG eine ausreichende rechtliche Begründung gefehlt habe. Ferner fielen ihm Zahlungen an Empfänger auf, die nicht im laufenden Leistungsbezug standen. Bei der daraufhin durchgeführten Überprüfung sämtlicher Auszahlungsläufe für den Zeitraum von Januar bis August 2011 stellte er fest, dass der Beklagte in dieser Zeit immer wieder nicht ausreichend begründete einmalige Beihilfen nach dem AsylbLG ausgezahlt hatte. Nach einer entsprechenden Zusammenstellung beliefen sich die in der Zeit vom 1. Januar 2010 bis August 2011 gewährten einmaligen Beihilfen, für die weder im Programm noch in den Akten hinreichende Gründe belegt waren, auf 206.615,00 €. Herr C1. sprach den Beklagten auf das Ergebnis der Prüfung an. Der genaue Inhalt des Gesprächs ist strittig. Der Beklagte meldete sich ab dem 5. August 2011 krank.
13Am 15. August 2011 erstattete die Klägerin Strafanzeige und leitete mit Verfügung vom 22. August 2011 ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein. Gleichzeitig setzte sie dieses wegen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens aus.
14Mit Verfügung vom 26. August 2011 wurde der Beklagte vorläufig des Dienstes enthoben und die Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge dem Grunde nach angeordnet. Die Höhe des einzubehaltenden Teils der Dienstbezüge wurde mit Verfügung vom 10. Oktober 2011 auf 50 Prozent festgesetzt.
15Die Staatsanwaltschaft N. erhob gegen den Beklagten – nachdem die Klägerin weitere Fälle in der Vergangenheit ermittelt hatte – unter dem 16. Januar 2012 Anklage wegen in der Zeit vom 28. Dezember 2007 bis zum 5. August 2011 begangener 724 selbständiger Handlungen der Untreue im Rahmen der Bewilligung von einmaligen Beihilfen nach dem AsylbLG mit einem Gesamtschaden in Höhe von 409.910,00 €. Nach weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft eröffnete das Landgericht N. das Hauptverfahren mit Beschluss vom 29. August 2013.
16Im Zuge der insgesamt 15 Verhandlungstermine erstatte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. C2. unter dem 15. Oktober 2014 ein psychiatrisches Gutachten zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beklagten. Darin kam er zu dem Ergebnis, dass bezogen auf den Tatzeitraum zwar die Kriterien einer Suchtmittelabhängigkeit gegeben seien. Diese hätten jedoch keinen erheblichen Einfluss auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit gehabt. Es könne ausgeschlossen werden, dass Substanzen oder eine psychische Störung zum Tatzeitraum zu einer erheblichen Beeinflussung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Sinne des § 21 StGB geführt hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen.
17Mit Beschluss vom 17. Februar 2015 stellte das Landgericht das Strafverfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 3.000,00 € vorläufig und – nach Erfüllung der Auflage – mit Beschluss vom 10. März 2015 endgültig ein. Hintergrund war die von der Strafkammer nach bisheriger Beweisaufnahme im Termin am 27. Januar 2015 getroffene vorläufige Einschätzung, dass ein strafrechtlich relevanter Schaden nur schwer feststellbar, der notwendige Vorsatz fraglich und ausreichende Kontrollmechanismen nicht oder nicht im erforderlichen Maße vorhanden gewesen seien. Es sei davon auszugehen, dass die Arbeitsweise des Beklagten seinen Vorgesetzten bekannt gewesen sei, ohne dass es zu einer Entlastung gekommen sei. Zudem habe er mit nicht unerheblichen beamtenrechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorläufige Einschätzung Bezug genommen.
18Hinsichtlich der Taten, die nicht Teil der Anklage gewesen waren, wurde das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 15. Juni 2015 endgültig gem. § 153a Abs. 1 StPO eingestellt.
19Nach Beendigung des Strafverfahrens fasste der Ermittlungsführer im fortgesetzten Disziplinarverfahrens das Ergebnis der Ermittlungen unter dem 1. Oktober 2015 zusammen. Die dem Beklagten eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme ließ dieser ungenutzt.
20Zuvor hatte das Verwaltungsgericht der Klägerin auf Antrag des Beklagten vom 15. September 2015 mit Beschluss vom 12. Oktober 2015 im Verfahren 13 K 2006/15.O eine Frist zur Entscheidung über den Abschluss des Disziplinarverfahrens bis zum 15. Dezember 2015 gesetzt.
21Am 15. Dezember 2015 hat die Klägerin mit einem Schriftsatz, der den Briefkopf der von ihr beauftragten Rechtsanwaltskanzlei trägt und von ihrem Prozessbevollmächtigten unterschrieben ist, beim Verwaltungsgericht Disziplinarklage erhoben. Darin hat sie im Wesentlichen ausgeführt:
22In den von der Strafkammer zugrunde gelegten neun Schadensfällen habe der Beklagte rechtsgrundlose Zahlungen an Leistungsempfänger und Dritte in Höhe von 410.824,78 € geleistet. Für sämtliche Leistungsbewilligungen, die zum Gegenstand der Disziplinarklage gemacht worden seien, lägen weder schriftliche Anträge noch schriftliche Bewilligungsbescheide vor. Eine Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei den streitgegenständlichen Fällen sei praktisch ausgeblieben. Eine geordnete Aktenführung sei, wie der Beklagte im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren anwaltlich habe einräumen lassen und wie sich aus der Sichtung der vorgefundenen Unterlagen ergeben habe, nicht erfolgt. Seine Tätigkeit habe sich insbesondere bei den hier streitgegenständlichen Fällen darauf beschränkt, Leistungen und Beihilfen zur Auszahlung bringen zu lassen. Sämtliche aufgelisteten Zahlungen seien ohne Rechtsgrund bzw. ohne korrespondierenden Anspruch der Zahlungs- und/oder Leistungsempfänger erfolgt. Der Beklagte sei vorschriftswidrig und unrechtmäßig mit den ihm anvertrauen Befugnissen und Vermögen umgegangen. Dieses innerdienstliche Dienstvergehen, das ein Versagen im Kernbereich seiner Dienstpflichten darstelle, rechtfertige die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift Bezug genommen.
23Die Klägerin hat beantragt,
24den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
25Der Beklagte hat beantragt,
26die Klage abzuweisen, hilfsweise ein milderes Disziplinarmittel zu verhängen.
27Er hat die Ansicht vertreten, das durchgeführte Disziplinarverfahren leide unter erheblichen Verfahrensfehlern, weil der Ermittlungsführer entgegen § 21 LDG NRW keine eigenen unmittelbaren Ermittlungen angestellt habe, Vernehmungen möglicherweise ohne Beteiligung des Beklagten erfolgt seien, der Personalrat nicht mitgewirkt habe und die Klageschrift nicht den gesetzlichen Anforderungen genüge, weil sie jedenfalls nicht aus sich heraus verständlich sei.
28In der Sache hat er geltend gemacht, nie Zahlungen ohne sachlichen und rechtlichen Grund im Rahmen seiner Amtsausübung angewiesen zu haben. Seine Arbeitsweise sei der Fachbereichsleitung und der sonstigen Führungsebene bekannt gewesen. Die zumindest „geduldeten“ Abläufe würden nunmehr als Zahlungsanweisungen ohne sachlichen und rechtlichen Grund dargestellt. Aus gesundheitlichen Gründen sei er im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Aktenführung und/oder dem Absetzen einer Überlastungsanzeige in der Lage gewesen. Er habe zu diesem Zeitpunkt u.a. unter einer schweren depressiven Episode bei Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren und schizoiden Anteilen gelitten.
29Aufgrund der Einstellung des Strafverfahrens könne nicht mehr auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden.
30Nach Klageerhebung hat die Klägerin die Gleichstellungsbeauftragte und den Personalrat beteiligt. Die Gleichstellungsbeauftragte hat der Erhebung der Disziplinarklage am 18. Mai 2016 und der Personalrat am 10. August 2016 zugestimmt.
31Das Verwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung das Disziplinarverfahren gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW auf die in der Klageschrift benannten Asylfälle 2 „D. “, 14 „O. S. “ und 20 „O1. T. “ beschränkt, soweit dem Beklagten hierbei die Auszahlung von einmaligen Leistungen ohne Dokumentation von Antragstellung und Prüfung der Leistungsvoraussetzungen und ohne Bescheiderteilung vorgeworfen wird. Die übrigen Vorwürfe – einschließlich der in dem Fall 20 vorgeworfenen Zahlungen an sonstige Zahlungsempfänger (Bl. 108 der Disziplinarklage) – hat das Verwaltungsgericht ausgeschieden.
32Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht den Beklagten wegen eines schweren Dienstvergehens aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die Disziplinarklage weise keine wesentlichen Mängel auf. Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen 232 Zahlungen, die zwischen Ende 2008 und Mitte 2011 erfolgt seien, hat die Disziplinarkammer festgestellt, dass zu den Zahlvorgängen kein Antrag durch den Beklagten aufgenommen, in keinem der Fälle eine Prüfung der sachlichen Voraussetzungen der Leistungsbewilligung dokumentiert und Bewilligungsbescheide nicht erlassen worden seien. Ferner habe der Beklagte angebliche Abschlagszahlungen nicht dokumentiert und Dritte bei Auszahlungen nicht als Bedarfsperson angelegt.
33Die Auszahlung der Leistungen ohne jegliche Einhaltung der grundlegendsten Anforderung einer ordnungsgemäßen Aktenführung stelle ein einheitlich zu bewertendes innerdienstliches Dienstvergehen dar. Hierdurch habe der Beklagte elementar gegen die Grundsätze ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns verstoßen und im Kernbereich seiner Dienstpflichten gefehlt.
34Durch seine Auszahlungspraxis habe er das Ansehen seines Dienstherrn und der öffentlichen Verwaltung insgesamt erheblich beeinträchtigt. Es sei der Eindruck erweckt worden, dass öffentliche Leistungen nach Gutdünken vergeben würden. Der Beklagte sei aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, da durch sein Fehlverhalten das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Dienstherrn endgültig zerstört sei. Durchgreifende Milderungsgründe seien nicht erkennbar. Insbesondere seien objektive und belastbare Anhaltspunkte für eine Überlastung des Beklagten nicht erkennbar und Anhaltspunkte für ein Einverständnis der Vorgesetzten mit der Auszahlungspraxis nicht ersichtlich. Eine eingeschränkte Schuldfähigkeit sei aufgrund des im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens zu verneinen. Ein durchgreifendes Organisationsverschulden oder eine zu berücksichtigende Verletzung von Kontrollpflichten liege nicht vor.
35Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er geltend macht, die Disziplinarklage sei bereits unzulässig, jedenfalls unbegründet.
36Unzulässig sei die Klage, weil die Klägerin innerhalb der ihr im Verfahren 13 K 2006/15.O gesetzten Frist keine wirksame Abschlussentscheidung vorgelegt habe. Die Klageschrift sei entgegen § 32 Abs. 5 LDG NRW nicht ordnungsgemäß gezeichnet, da sie von einer nicht zeichnungsbefugten Person unterschrieben sei.
37Die Klägerin habe bei ihren Ermittlungen gegen § 21 LDG NRW verstoßen, weil sie angesichts der Einstellung des Strafverfahrens u.a. aufgrund eines Organisationsversagens auf ihrer Seite weitere – entlastende - Ermittlungen, insbesondere zur Rolle des Fachbereichsleiters C1. , unterlassen habe.
38Zudem sei die Klägerin – ebenso wie das Verwaltungsgericht – Beweisangeboten verfahrenswidrig nicht nachgegangen.
39Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liege kein schuldhaftes Dienstvergehen vor. Aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen, zu denen auch seine Alkoholabhängigkeit gehöre, sei er in der bestehenden Belastungssituation der Überforderung und der Struktur seines Arbeitsumfeldes außer Stande gewesen, seine Arbeit korrekt auszuführen und zu dokumentieren. Selbst zu einer Überlastungsanzeige sei er wegen seiner gesundheitlichen Probleme und seiner Persönlichkeit nicht mehr in der Lage gewesen. Diese Situation sei der zuständigen Fachbereichsleitung auch hinreichend bekannt gewesen und sein Vorgehen gebilligt worden. Dem stehe auch das im Strafverfahren zur Frage der Schuldfähigkeit eingeholte Gutachten nicht entgegen.
40Nach der Einstellung des sachgleichen Strafverfahrens rechtfertige sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls nicht mehr.
41Die Verhängung der Höchstmaßnahme sei zudem ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig. So treffe die Begründung des Verwaltungsgerichts nicht zu, wonach er mit seiner Auszahlungspraxis der Klägerin deshalb einen erheblichen Schaden zugefügt habe, weil bei den Leistungsempfängern der Eindruck entstanden sei, dass öffentliche Leistungen nach Gutdünken vergeben würden. Vielmehr hätten die Leistungsempfänger eine Prüfung ihrer Anspruchsvoraussetzungen durch den Beklagten und seine Entscheidung für oder gegen die beantragten Zahlungen, die ihnen gegenüber auch begründet worden sei, erfahren, wie die Strafkammer festgestellt habe.
42Selbst wenn seitens der Leistungsempfänger vereinzelt ein solcher Eindruck entstanden wäre, habe das Verwaltungsgericht nicht festgestellt, dass das Ansehen der Klägerin oder das der öffentlichen Verwaltung insgesamt hierdurch (erheblich) beeinträchtigt worden sei.
43Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nach § 13 LDG NRW habe das Verwaltungsgericht mildernde Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen, insbesondere die von der Strafkammer beschriebene besondere Arbeitsplatzsituation, seine über viele Jahre hinweg fehlende Entlastung durch die Klägerin, seine lange dienst- und strafrechtliche Unbescholtenheit, seine damalige Überforderungssituation, seine damalige Alkoholabhängigkeit und seine damalige schwere depressive Episode bei Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren, abhängigen und schizoiden Anteilen.
44Als weiterer Milderungsgrund sei die unzureichende Dienstaufsicht der Klägerin als Verletzung ihrer Fürsorgepflicht zu berücksichtigen. Zudem bestehe keine Wiederholungsgefahr aufgrund der eingeleiteten fachärztlichen Behandlungen und habe das Strafverfahren auf ihn ausreichend gewirkt, so dass eine weitere disziplinarrechtliche Einwirkung entbehrlich sei.
45Im Übrigen habe er sich gegenüber der Staatsanwaltschaft bereit erklärt, bei der Aufklärung der Sachverhalte mitzuhelfen.
46Der Beklagte beantragt,
47das angefochtene Urteil abzuändern und die Disziplinarklage abzuweisen,
48hilfsweise, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
49Die Klägerin beantragt,
50die Berufung zurückzuweisen.
51Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
52Die Disziplinarklage stelle eine Abschlussentscheidung dar, etwaige Mängel seien vom Beklagten nicht innerhalb der Monatsfrist gerügt worden.
53Ein Mangel der Klage ergebe sich auch nicht in Form eines Verstoßes gegen § 21 LDG NRW. Die Angriffe des Beklagten seien insoweit zu pauschal, zudem sei die Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts mit Erhebung der Disziplinarklage auf das Gericht übergegangen. Der Sachverhalt, der nach der Beschränkung vom Gericht zugrunde gelegt worden sei, sei ausermittelt gewesen, insbesondere habe der Beklagte die insoweit zugrunde liegenden Feststellungen nicht bestritten.
54Etwas anderes folge nicht aus dem Einstellungsvermerk der Strafkammer. Diesem komme disziplinarrechtlich keine Bedeutung zu, worauf die Strafkammer in dem Vermerk auch hingewiesen habe.
55Aus der Einstellung des Strafverfahrens ergebe sich nichts Gegenteiliges, da diese auch im Hinblick auf die disziplinarrechtlichen Folgen erfolgt sei.
56Die Schuldfähigkeit des Beklagten sei durch das im Strafverfahren eingeholte Gutachten bestätigt worden. Spätere Einschränkungen seien nicht maßgebend. Einen möglichen Stellenwechsel habe der Beklagte im Ergebnis abgelehnt.
57Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten, die in dem Protokoll der mündlichen Verhandlung aufgeführt sind, Bezug genommen.
58E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
59A.
60Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht aus dem Dienst entfernt.
61Ein wesentlicher Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens, der zu dessen Einstellung führen würde oder dem Senat Veranlassung gibt, der Klägerin zur Behebung eine Frist gemäß den §§ 65 Abs. 1, 54 Abs. 3 LDG NRW zu setzen, ist nicht gegeben (I.). Der Beklagte hat ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen begangen (II.), das nach umfassender Würdigung aller Aspekte nur den Schluss zulässt, dass er das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (III.).
62I.Das Disziplinarverfahren war weder vom Verwaltungsgericht oder dem Senat nach den §§ 54 Abs. 3, 65 Abs. 1 LDG NRW durch Beschluss einzustellen, noch weisen Klageschrift oder behördliches Disziplinarverfahren wesentliche Mängel auf, die Anlass geben, eine Frist zur Beseitigung gemäß den §§ 65 Abs. 1, 54 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW zu setzen.
631.Das Disziplinarverfahren ist nicht deshalb einzustellen, weil die Klägerin innerhalb der ihr vom Verwaltungsgericht im Verfahren 13 K 2006/15.O gesetzten Frist keine wirksame Abschlussentscheidung vorgelegt hat.
64a)Ein Fristablauf ohne Verfahrensbeendigung nach § 62 Abs. 3 LDG NRW liegt nur dann vor, wenn die gesetzte (verlängerte) Frist abgelaufen ist, ohne dass es zum Abschluss des behördlichen Verfahrens in den Formen der §§ 32 bis 34 LDG NRW gekommen ist.
65Vgl. Weiß in GKÖD Bd. II M § 62 Rn. 48.
66Demzufolge hat das Gericht nur die Einstellungsvoraussetzung, also den– fruchtlosen – Fristablauf zu prüfen.
67Vgl. Weiß in GKÖD Bd. II M § 62 Rn. 50.
68Die bis zum 15. Dezember 2015 gesetzte Frist hat die Klägerin durch die an diesem Tage beim zuständigen Verwaltungsgericht eingegangene Disziplinarklage eingehalten. Diese beendete das behördliche Disziplinarverfahren.
69b)Entgegen der Auffassung des Beklagten folgt nichts anderes daraus, dass die Disziplinarklage unter einem Formmangel litt, weil sie entgegen § 32 Abs. 3 und 2 LDG NRW nicht vom Bürgermeister der Klägerin als deren gesetzlichem Vertretungsorgan unterschrieben worden ist.
70aa)Die Klägerin hat § 32 Abs. 5 LDG NRW jedenfalls dadurch verletzt, dass die beim Verwaltungsgericht eingereichte Disziplinarklage von einem Rechtsanwalt unterschrieben ist. Denn § 32 Abs. 5 LDG NRW regelt auch die Zeichnungsbefugnis für die Disziplinarklage.
71Vgl. Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl., § 34 Rn. 23; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand Juli 2017, § 34 Rn. 43
72Danach zählt ein von einer Kommune bevollmächtigter Rechtsanwalt nicht zu den Personen, die nach § 32 Abs. 5 LDG NRW zur Erhebung der Disziplinarklage gegen einen Gemeindebeamten befugt sind.
73Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2017 – 2 C 12.17 –, juris Rn. 29.
74Ist die Disziplinarklageschrift von einer hierfür nicht zuständigen Person unterzeichnet, leidet sie an einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 54 Abs. 1 LDG NRW.
75Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2013 – 2 C 3.12 –, juris Rn. 58 und Beschluss vom 18.12.2007 – 2 B 113.07 –, juris Rn. 7.
76Dieser Mangel kann jedoch durch die Vorlage einer vom zuständigen Amtswalter unterzeichneten Disziplinarklage geheilt werden, soweit dem keine schutzwürdigen Interessen des Beamten entgegenstehen. Aus dem Wortlaut und der Systematik des § 65 Abs. 1 LDG NRW folgt dabei, dass die diesen Mangel beseitigende neue Disziplinarklageschrift auch im Berufungsverfahren eingereicht werden kann.
77Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2017 – 2 C 12.17 –, juris Rn. 30; Beschluss vom 10.07.2014 – 2 B 54.13 –, juris Rn. 7.
78bb)
79Eine solche Heilung ist hier eingetreten. Durch die von der Klägerin nunmehr beim Senat eingereichte, von der Bürgermeisterin der Klägerin unterzeichnete neue Disziplinarklageschrift werden schutzwürdige Interessen des Beklagten nicht beeinträchtigt. Denn die vorgelegte Klageschrift vom 7. Mai 2019 ist mit der ursprünglichen Klageschrift inhaltsgleich. Demgemäß ist sichergestellt, dass sie keine neuen belastenden Tatsachen und Beweismittel enthält.
80Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.2013 – 2 C 3.12 –, juris Rn. 63 und Beschluss vom 18.12.2007 – 2 B 113.07 –, juris Rn. 7.
81Die Bürgermeisterin der Klägerin war auch gem. § 32 Abs. 5 LDG NRW für die Unterzeichnung der Klageschrift zuständig, vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LBG NRW i.V.m. § 73 Abs. 2 GO NRW.
822.
83Auf sich beruhen kann, ob die Klägerin bei ihren Ermittlungen gegen § 21 LDG NRW verstoßen hat, weil sie angesichts der Möglichkeit eines Organisationsversagens auf ihrer Seite weitere – entlastende – Ermittlungen, insbesondere zur Rolle des Fachbereichsleiters C1. , möglicherweise nicht vorgenommenen hat. Ein etwaiger darin liegender Mangel des Disziplinarverfahrens würde gegebenenfalls durch das gerichtliche Verfahren geheilt.
84Nach § 21 Abs. 1 LDG NRW sind zur Aufklärung des Sachverhalts die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Dabei sind die belastenden, die entlastenden und die Gesichtspunkte zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind. § 24 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW sieht insoweit das Erheben der erforderlichen Beweise vor.
85Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.07.2010 – 2 A 4.09 –, juris Rn. 133.
86Eventuelle Verstöße gegen die Ermittlungspflicht sowie das Recht auf Beweisteilhabe im behördlichen Verfahren können jedoch durch die Verwaltungsgerichte selbst geheilt werden. Sie ziehen keine prozessualen Konsequenzen nach sich, wenn die Beweiserhebung vom Gericht im gerichtlichen Disziplinarverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Dies ergibt sich aus der Pflicht der Gerichte zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung, die unabhängig von der Tätigkeit der Behörden besteht.
87Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.02.2010 – 2 B 62.09 –, juris Rn. 11 m.w.N.
88II.
89Der Beklagte hat ein sehr schwerwiegendes Dienstvergehen begangen.
901.
91In tatsächlicher Hinsicht legt der Senat die vom Verwaltungsgericht nach Beschränkung des Disziplinarverfahrens getroffenen Feststellungen (vgl. S. 16 Abs. 2 bis S. 31 des Abdrucks des angefochtenen Urteils), denen der Beklagte weder vor dem Verwaltungsgericht noch im Rahmen des Berufungsverfahrens substantiiert entgegen getreten ist, nach eigener Prüfung zugrunde und verweist darauf.
92Soweit der Beklagte erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2019 behauptet hat, gestellte Anträge aufgenommen, nur nicht eingeordnet zu haben, was sich aus den stapelweise in seinem Büro sichergestellten Unterlagen ergebe, rechtfertigt dies keine andere Bewertung. Die Erklärung steht im Widerspruch zu seinem bisherigen Vortrag und bietet mangels hinreichender Substanz keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen. Die Darstellung widerspricht eklatant dem, was der Beklagte zuvor behauptet hat, nämlich die Anträge zwar geprüft, aber wegen Überforderung keine Aktenführung vorgenommen zu haben. Darüber hinaus fehlt dem Vortrag jegliche Substanz, da kein Bezug zu den hier verfahrensgegenständlichen Sachverhalten hergestellt wird und auch keine Abgrenzung zu den anderen Tätigkeitsbereichen des Beklagten im Bereich der Leistungsverwaltung erfolgt.
93Der Senat legt daher zugrunde, dass der Beklagte in den drei Leistungsfällen betreffend B. D. („Fall 2“), O. S. („Fall 14“) und O1. T. („Fall 20“) in insgesamt 232 Fällen einmalige Beihilfen oder Abschlagszahlungen nach dem AsylbLG zur Auszahlung gebracht hat, ohne in jedem einzelnen Leistungsfall einen Antrag aufzunehmen, die Prüfung der sachlichen Voraussetzungen der Leistungsbewilligung zu dokumentieren und einen Bewilligungsbescheid zu erlassen. Soweit die Leistungen auf die Konten dritter Personen gezahlt wurden, hat er zudem diese weder in der jeweiligen Fallakte als Bedarfspersonen aufgeführt noch einen sonstigen Aktenvorgang zu diesen dritten Personen angelegt.
942.
95Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat der Beklagte ein vorsätzliches, einheitlich zu bewertendes innerdienstliches Dienstvergehen begangen.
96a)Ein Beamter begeht ein Dienstvergehen, wenn er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt, § 83 Abs. 1 S. 1 LBG NRW a.F., § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG. Maßgeblich ist insofern die Rechtslage zum jeweiligen Tatzeitpunkt, weil sich aus dem Inkrafttreten des Beamtenstatusgesetzes am 1. April 2009 kein materiell-rechtlich günstigeres Recht ergibt.
97Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.06.2015 – 2 C 9.14 –, juris Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 07.03.2012– 3d A 317/11.O –, juris Rn. 39 m.w.N.
98Durch das festgestellte Verhalten hat der Beklagte mehrere Dienstpflichten verletzt.
99aa)
100Der Beklagte hat durch die beschriebene Arbeitsweise in den vorgenannten Verfahren nach dem AsylbLG gegen die Pflicht aus § 57 Satz 1 LGB NRW a.F. bzw. § 34 Satz 1 BeamtStG verstoßen, sich seinem Beruf mit vollem persönlichen Einsatz zu widmen.
101Diese Pflichtenregelung zielt primär auf die Erfüllung der Dienstleistungspflicht des Beamten in qualitativer und inhaltlicher Hinsicht ab. Diese Verpflichtung begründet zum einen die Arbeitspflicht des Beamten. Er hat seine gesamten geistigen und körperlichen Kräfte für den Dienstherrn einzusetzen und den ihm möglichen optimalen dienstlichen Einsatz zu erbringen. Er ist verpflichtet, sich mit allen Fähigkeiten und Kräften voll für die ihm übertragenen dienstlichen Aufgaben einzusetzen. Die Pflicht, sich mit vollem persönlichem Einsatz dem Beruf zu widmen, verletzt daher auch derjenige Beamte, der seine Arbeit in quantitativer oder qualitativer Hinsicht schuldhaft nicht oder grob mangelhaft erfüllt.
102Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.01.2016 – 2 B 44.14 –, juris Rn. 11.
103Eine insoweit tatbestandliche fehlerhafte Arbeitsweise ist allerdings nur bei ausgesprochener Widersetzlichkeit oder bewusster Gleichgültigkeit gegenüber konkreten Anforderungen sowie bei grober Nachlässigkeit pflichtwidrig, die im gegebenen Einzelfall voraussehbar zu erheblichen Nachteilen geführt hat bzw. einem nachlässigen Gesamtverhalten mit einer nennenswerten Zahl von gewichtigen Arbeitsmängeln, die Ausdruck einer pflichtwidrigen Diensteinstellung oder sogar dienstfeindlichen Einstellung sind.
104Vgl. Werres in: BeckOK Beamtenrecht Bund, Stand: 01.02.2019, § 34 BeamtStG Rn. 4.
105Auch der fähigste und zuverlässigste Beamte ist Schwankungen seiner Arbeitskraft unterworfen und macht gelegentlich Fehler, die eine Verwaltung vernünftigerweise in Kauf nehmen muss. Die Pflicht zum ordnungsgemäßen Ausüben des Dienstes hat deshalb regelmäßig nur eine im Ganzen durchschnittliche Leistung zum Gegenstand. Um ein nachlässiges Gesamtverhalten als in disziplinarrechtlicher Hinsicht pflichtwidrig zu kennzeichnen, bedarf es des Nachweises mehrerer einigermaßen gewichtiger Mängel der Arbeitsweise, die insgesamt über das in Einzelfällen bei einem durchschnittlichen Beamten noch hinnehmbare Versagen hinausgehen und sich als echte Schuld von bloßem Unvermögen abgrenzen lassen.
106Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.01.2016 – 2 B 44.14 –, juris Rn. 11, und vom 09.11.2000 – 1 D 8.96 –, juris Rn. 58; Urteil vom 12.02.1992 – 1 D 2.91 –, juris Rn. 39.
107Ein solches schuldhaft pflichtwidriges Verhalten liegt hier vor. Der Beklagte hat seiner beamtenrechtlichen Kernpflicht nicht genügt, da er die ihm mögliche und auch zumutbare Diensterfüllung in von ihm zu vertretender grob unzureichender Weise erbracht hat.
108Er hat in den Jahren 2008 bis 2011 in insgesamt 232 Einzelfällen (wie erwähnt) Beihilfen bzw. in einzelnen Fällen auch Abschlagszahlungen nach dem AsylbLG zur Auszahlung gebracht, ohne zuvor in jedem einzelnen Leistungsfall einen Antrag aufzunehmen, die Prüfung der sachlichen Voraussetzungen der Leistungsbewilligung zu dokumentieren und einen Bewilligungsbescheid zu erlassen. Soweit die Leistungen auf die Konten dritter Personen gezahlt wurden, hat er zudem diese weder in der jeweiligen Fallakte als Bedarfsperson aufgeführt noch einen sonstigen Aktenvorgang zu dieser dritten Person angelegt.
109Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Beklagten, es sei von seiner Seite tatsächlich eine Prüfung erfolgt und jede einzelne Zahlung sei berechtigt gewesen. Dieses Vorbringen, dessen Wahrheitsgehalt dahingestellt bleiben kann, das für die Einstellung des Strafverfahrens durch die Strafkammer mitentscheidend war, greift hier nicht durch. Denn hiervon unabhängig hatte zur dem Beklagten obliegenden Arbeitsweise eine ordnungsgemäße, insbesondere die wesentlichen verfahrenserheblichen Informationen dokumentierende Aktenführung gehört. Diese ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, unabdingbar, um ein gesetzmäßiges Verwaltungshandeln zu sichern. Durch seine Arbeitsweise hat der Beklagte in den hier verfahrensgegenständlichen Fällen eine Kontrolle seiner eigenen Entscheidungen unmöglich gemacht. Darüber hinaus hat er die Weiterführung der Fälle erheblich erschwert. Aufgrund der fehlenden Aktenführung lässt sich insbesondere nicht mehr feststellen, welche Leistungen auf welche Bedarfspositionen bereits erbracht worden sind, sodass in der Zukunft deshalb kein Anspruch mehr besteht. Hierdurch hat er die Gefahr unberechtigter Mehrfachleistungen hervorgerufen. Die vom Beklagten praktizierte Leistungsgewährung ohne jegliche Aktenführung stellt aufgrund dessen einen gewichtigen, nicht mehr hinnehmbaren Mangel seiner Arbeitsweise dar. Dieser geht eindeutig über das in Einzelfällen bei einem durchschnittlichen Beamten noch tolerierbare Versagen hinaus und ist nicht mehr mit bloßem Unvermögen erklärbar.
110bb)
111Darüber hinaus hat der Beklagte durch seine beschriebene Arbeitsweise gegen die ihm obliegende Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen. Nach dieser Vorschrift muss das Verhalten des Beamten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert. Die Wohlverhaltenspflicht ist verletzt, wenn das Verhalten des Beamten die Funktionsfähigkeit der Verwaltung unmittelbar in der Erfüllung der Amtsaufgaben und der Wahrung der dienstlichen Interessen beeinträchtigt.
112Vgl. Werres in: BeckOK Beamtenrecht Bund, a.a.O., Rn. 14
113Diese Voraussetzungen sind mit der beschriebenen Leistungsgewährung ohne jegliche Aktenführung in den hier verfahrensgegenständlichen Fällen erfüllt. Die fehlende Aktenführung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltung, die weder die einzelnen Auszahlungen überprüfen noch für die Zukunft auf notwendige Informationen des jeweiligen Leistungsfalls zurückgreifen kann. Dadurch ist die Klägerin in der Erfüllung ihrer Amtsaufgaben und der Wahrung ihrer dienstlichen Interessen im Bereich des AsylbLG beeinträchtigt.
114cc)
115Der Beklagte hat zudem gegen seine Gehorsamspflicht nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG verstoßen. Danach sind Beamte verpflichtet, dienstliche Anordnungen ihrer Vorgesetzten und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen. Die Gehorsamspflicht besteht mit Bezug auf allgemeine Richtlinien und dienstliche Anordnungen.
116Vgl. Vgl. Werres in: BeckOK Beamtenrecht Bund, § 35 BeamtStG, Rn. 7.
117Unstrittig sah die PROSOZ-Software die Dokumentation der Beihilfebewilligung nach dem AsylbLG vor. Diese war im Programmablauf auch angelegt und stellte damit eine vom Dienstherrn vorgegebene Anordnung dar, wie Beihilfeanträge softwaregestützt zu behandeln waren. Dieser Anordnung hat der Beklagte zuwider gehandelt, indem er jegliche Dokumentation, insbesondere auch die von der Software unterstützte Erstellung eines Bewilligungsbescheides im Einzelfall, unterlassen hat. Darüber hinaus stellt die ordnungsgemäße Aktenführung einen elementaren Teil der dienstpflichtgemäßen Tätigkeit eines Beamten dar.
118dd)
119Dahinstehen kann, ob mit dem Verwaltungsgericht darüber hinaus ein Verstoß gegen § 36 Abs. 1 BeamtStG anzunehmen ist. Nach dieser Vorschrift trägt der Beklagte für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung. Die Vorschrift verlangt von einem Beamten eine sorgfältige Kontrolle. Ob und in welchem Umfang die vom Beklagten in den hier verfahrensgegenständlichen Fällen veranlassten Leistungsbewilligungen rechtmäßig waren, lässt sich im Nachhinein nicht mehr abschließend klären; die sachliche Berechtigung der von ihm veranlassten Auszahlungen ist mangels überprüfbarer Unterlagen nicht zu widerlegen. Dies wirkt sich, wie noch darzulegen ist, auf die Maßnahmebemessung indes nicht aus.
120b)
121Die Dienstpflichtverletzungen stellen ein innerdienstliches Dienstvergehen dar. Das Verhalten des Beklagten war in sein Amt und die damit verbundene Tätigkeit eingebunden.
122Vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.07.2016 – 2 B 24.16 –, juris Rn. 14 = NVwZ–RR 2016, 876 ff., und Urteile vom 19.08.2010 – 2 C 5.10 –, juris Rn. 9, sowie vom 18.06.2015 – 2 C 9.14 –, juris Rn. 10.
123Das Unterlassen jeglicher Aktenführung im Rahmen der ihm übertragenen Leistungsverwaltung in den hier verfahrensgegenständlichen Fällen betraf den Kernbereich seiner Tätigkeit als Stadtoberinspektor.
124c)
125Der Beklagte handelte auch vorsätzlich und schuldhaft. Der Senat ist davon überzeugt, dass er die Dienstpflichtverletzungen bewusst und gewollt beging.
126Dem Beklagten war aus seiner Ausbildung für den gehobenen Dienst und aus langer Tätigkeit in verschiedenen Bereichen der Verwaltung die grundlegende Bedeutung ordnungsgemäßer Aktenführung bekannt. Demzufolge war ihm bewusst, dass die wesentlichen leistungsbestimmenden Umstände für die von ihm veranlassten Leistungsgewährungen in den verfahrensgegenständlichen Fällen aktenmäßig zu dokumentieren waren. Trotz dieser Kenntnis hat er über einen mehrjährigen Zeitraum hinweg bei 232 Fällen der Gewährung einmaliger Beihilfen oder Vorschüsse keine Anträge aufgenommen, das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen nicht aktenmäßig dokumentiert und keine Bescheide erteilt. Dies geschah in dem Bewusstsein seiner gegenteiligen Verpflichtungen und war ersichtlich vom dem Motiv getragen, dadurch seinen eigenen Arbeitsaufwand zu reduzieren.
127Weder seine Alkoholabhängigkeit noch die Entwicklung einer depressiven Symptomatik rechtfertigen die Annahme, der Beklagte sei für sein Verhalten nicht verantwortlich.
128Nicht gefolgt werden kann zunächst seiner Darstellung, aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit sei er in der bestehenden Belastungssituation der Überforderung und der Struktur seines Arbeitsumfeldes außer Stande gewesen, seine Arbeit korrekt auszuführen und zu dokumentieren. Im Rahmen seiner Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. C2. hat er selbst erklärt, mit dem Alkohol habe es keine Alltagsbeeinträchtigungen gegeben. Hierfür spricht auch, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen bis zur Beurlaubung suchtspezifische Maßnahmen unterblieben sind. Aufgrund dessen ist der Sachverständige zu der – nachvollziehbaren – Einschätzung gelangt, dass zwar die Kriterien einer Suchtmittelabhängigkeit gegeben seien, diese jedoch keinen erheblichen Einfluss auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit habe. Entsprechendes hat der Sachverständige hinsichtlich der beim Beklagten unterschiedlich ausgeprägten depressiven Symptomatik angenommen, so dass bereits das Vorliegen eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB vom Sachverständigen ausgeschlossen wurde.
129Diese Feststellungen werden durch die vom Beklagten vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen des Dr. T1. vom 15. November 2011, 9. Februar 2012 und 24. Februar 2017 nicht erschüttert. Die Befunderhebungen des Dr. T1. in den Jahren 2011 und 2012 hat der Sachverständige bereits in seinem Gutachten berücksichtigt, ohne dass sie zur Annahme einer Schuldunfähigkeit geführt hätten. Die Bescheinigung des Dr. T1. vom 24. Februar 2017 äußert lediglich die Vermutung, dass der Beklagte aufgrund der Suchtproblematik und der depressiven Symptomatik kaum in der Lage gewesen sei, Tätigkeiten korrekt auszuführen bzw. Entscheidungen richtig zu treffen. Unabhängig davon, dass dies gerade keine Schuldunfähigkeit belegt, ist diese nicht weiter begründete Vermutung ungeeignet, das Ergebnis des im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens des Dr. C2. zu erschüttern. Zudem steht die von Dr. T1. aufgestellte Vermutung im Gegensatz zur eigenen Darstellung des Beklagten, der geltend macht, sämtliche Auszahlungen seien materiell zu Recht erfolgt.
130Da auch sonst aus der Akte keine Anhaltspunkte zu entnehmen sind, dass der Beklagte während des in Rede stehenden Zeitraums schuldunfähig gewesen sein könnte, bestand für den Senat keine Veranlassung Dr. T1. zu vernehmen.
131III.
132Nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Gesichtspunkte ist der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Er hat durch das einheitliche Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren (§ 13 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW).
133Die Auswahl der im Einzelfall erforderlichen Disziplinarmaßnahme im Sinne des § 5 Abs. 1 LDG NRW richtet sich gemäß § 13 Abs. 2 Sätze 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 LDG NRW nach der Schwere des Dienstvergehens. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen zunächst nach seiner Schwere einer der in § 5 LDG NRW aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums zu gewährleisten.
134Vgl. BVerwG, Urteile vom 28.02.2013 – 2 C 62.11 –, juris Rn. 36 ff. = NVwZ–RR 2013, 693, 696, vom 19.08.2010 – 2 C 13.10 –, juris Rn. 22 ff. = NVwZ 2011, 299, 301, vom 03.05.2007 – 2 C 9.06 –, juris Rn. 12 ff. = NVwZ–RR 2007, 695, 696, und vom 20.10.2005 – 2 C 12.04 –, juris Rn. 28 ff. = NVwZ 2006, 469, 472.
135Dazu sind die genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht zu ermitteln und in die Entscheidung einzustellen, um dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) zu genügen. Die Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen.
136Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 13 m.w.N. = BVerwGE 147, 229 (zu § 13 BDG).
137Setzt sich ein Dienstvergehen – wie hier – aus verschiedenen Pflichtverletzungen zusammen, so bemisst sich die Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach dem schwerwiegendsten Pflichtenverstoß. Da hier die Pflichtverletzungen gleich schwer wiegen, ist bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme auf sämtliche Pflichtverletzungen abzustellen.
1381.
139Das Dienstvergehen des Beklagten wiegt sehr schwer.
140a)
141Das Unterlassen jeglicher Aktenführung bei der Gewährung von einmaligen Leistungen und Vorschüssen an drei Bedarfsgemeinschaften in mehr als 200 Fällen in einem Zeitraum von mehr als drei Jahren mit einer Gesamtsumme der undokumentiert gewährten Leistungen von mehr als 100.000,00 € stellt ein Versagen des Beklagten im Bereich seiner Kernpflichten dar. Er hat damit elementar gegen die Grundsätze ordnungsgemäßen Verwaltungshandels verstoßen. Wie bereits dargelegt, lässt sich aufgrund der fehlenden Aktenführung und der damit einhergehenden fehlenden Dokumentation der Grundlagen der Auszahlungsvorgänge für die Klägerin nicht mehr klären, welche Leistungen tatsächlich aus welchem Rechtsgrund ausgekehrt worden sind und ob die einzelnen Auszahlungen zu Recht erfolgt sind oder nicht. Dadurch ergibt sich für die Klägerin im Rahmen der Fortführung der entsprechenden Leistungsverhältnisse das erhebliche – ggf. unlösbare – Problem, mangels aussagekräftiger Unterlagen festzustellen, ob zukünftig beantragte Beihilfen oder Abschläge auf Bedarfe entfallen, für die Leistungen bereits bewilligt worden sind.
142Angesichts dieser ganz erheblichen Beeinträchtigung der Verwaltungstätigkeit der Klägerin ist es unerheblich, ob der Beklagte durch sein Verhalten bei den Leistungsempfängern zusätzlich noch den Eindruck erweckt hat, dass öffentliche Leistungen nach Gutdünken vergeben werden. Dass ein solcher Eindruck tatsächlich entstanden ist, lässt sich einzelnen Erklärungen von Leistungsempfängern im Rahmen der straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen möglicherweise entnehmen. Entscheidend für die Schwere des Dienstvergehens ist aber, dass der Beklagte durch die fehlende Aktenführung ein Überprüfen und Nachvollziehen der von ihm im Rahmen des AsylbLG veranlassten Zahlungen praktisch unmöglich gemacht hat. Dabei handelte er – auf Grundlage der behaupteten Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung – allein aus dem eigennützigen Motiv, sich die Arbeit zu erleichtern. Hierdurch hat er das Vertrauen der Klägerin und der Allgemeinheit in seine ordnungsgemäße Dienstausübung grundlegend erschüttert.
143b)
144Die Einstellung des gegen ihn geführten Strafverfahrens führt unter Zugrundelegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht dazu, dass die Verhängung der Höchstmaßnahme nicht in Betracht kommt.
145Die Bestimmung der Schwere eines begangenen Dienstvergehens und dessen Zuordnung zu einer der Disziplinarmaßnahmen im Sinne von § 5 Abs. 1 LDG NRW hat sich nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
146vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2015 – 2 C 6.14 –, juris Rn. 19, 17,
147der der Senat gefolgt ist, bei innerdienstlich begangenen Straftaten am gesetzlich bestimmten Strafrahmen zu orientieren. Durch die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen wird eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung der Dienstvergehen gewährleistet. Mit der Anknüpfung an die Strafandrohung wird zugleich verhindert, dass die Disziplinargerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen. Nicht die Vorstellung des jeweiligen Disziplinargerichts, sondern die Einschätzung des Parlaments bestimmt, welche Straftaten als besonders verwerflich anzusehen sind.
148Dies folgt zunächst aus § 24 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, der direkt und ausschließlich an den Strafausspruch der Strafgerichte anknüpft. Unterhalb der in dieser Vorschrift genannten Schwelle kommt der strafgerichtlichen Aburteilung zwar keine unmittelbare Verbindlichkeit für die disziplinarrechtliche Beurteilung zu. Auch bei weniger gravierenden Verurteilungen kann der Ausspruch der Strafverfolgungsorgane aber als Indiz für die Schwere einer begangenen Straftat und für Abstufungen innerhalb des Orientierungsrahmens herangezogen werden.
149Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2015 – 2 C 6.14 –, juris Rn. 19, 17; Beschlüsse vom 14.05.2012 – 2 B 146.11 –, juris Rn. 10 = NVwZ-RR 2012, 658, und vom 25.05.2012 – 2 B 133.11 –, juris Rn. 10 = NVwZ-RR 2012, 607, jeweils a.E..
150Im Streitfall wird dem Beklagten jedoch keine Straftat zur Last gelegt, sondern ein schwerwiegender Verstoß gegen leicht einsehbare, grundlegende Kernpflichten einer jeden Verwaltungstätigkeit, namentlich derjenigen in der Leistungsverwaltung. Daher scheidet eine Orientierung an strafgesetzlichen Strafrahmen aus. Im Übrigen wäre die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Beklagen, hätte er sich strafbar gemacht, auch deshalb ohne Belang, weil bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen – wie hier – nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weder dem ausgeurteilten Strafmaß noch einer Einstellungsentscheidung bei der Bestimmung der konkreten Disziplinarmaßnahme eine indizielle oder präjudizielle Bedeutung zu kommt. Denn der Beamte ist nicht wie jeder andere Bürger, sondern in seiner dienstlichen Pflichtenstellung und damit als Garant einer unparteilichen und gesetzestreuen Verwaltung betroffen.
151Vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.07.2016 – 2 B 24.16 –, juris Rn. 15, m.w.N.
1522.
153Ist demzufolge aufgrund der Schwere des dem Beklagten zur Last fallenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung, so kommt es für die Bestimmung der im konkreten Einzelfall zu verhängenden Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beklagten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung nach § 13 Abs. 2 Sätze 2 und 3 LDG NRW derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist.
154Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 17 m.w.N = BVerwGE 147, 229, sowie Beschluss vom 01.03.2012 – 2 B 140.11 –, = juris Rn. 9 = USK 2012, 164.
155Derartige erhebliche Milderungsgründe, die den Schluss rechtfertigen, der Beklagte habe das Vertrauen der Klägerin und der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren, sind nicht gegeben.
156a)Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder ob es etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder psychischen Ausnahmesituation davon abweicht.
157Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12.2013 – 2 B 35.13 –, juris Rn. 6 = NVwZ–RR 2014, 314.
158Je schwerwiegender das Dienstvergehen oder die mit ihm einhergehende Vertrauensbeeinträchtigung ist, umso gewichtiger müssen die sich aus dem Persönlichkeitsbild ergebenden mildernden Umstände sein, um gleichwohl eine andere Maßnahme zu rechtfertigen.
159Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 18 m.w.N.
160aa)Von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannte Milderungsgründe, die regelmäßig zu einer Herabsetzung der an sich indizierten Disziplinarmaßnahme führen, liegen nicht vor.
161(1)Insbesondere lag bei dem Beklagten im Tatzeitraum nicht eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB vor. Es fehlt bereits an einem der Eingangsmerkmale des § 20 StGB beim Beklagten. Dies steht – wie bereits dargelegt – aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Dr. C2. in seinem Gutachten vom 15. Oktober 2014 fest. Auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil nimmt der Senat insoweit Bezug.
162(2)
163Der vom Beklagten für sich reklamierte Milderungsgrund der negativen Lebensphase ist nicht gegeben. Insoweit weist der Beklagte insbesondere auf seine von der Strafkammer beschriebene besondere Arbeitsplatzsituation, seine über viele Jahre hinweg fehlende Entlastung durch die Klägerin, seine damalige Überforderungssituation und Alkoholabhängigkeit sowie seine damalige schwere depressive Episode bei Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren, abhängigen und schizoiden Anteilen als Milderungsgrund hin.
164Eine so genannte negative Lebensphase während des Tatzeitraums setzt außergewöhnliche Verhältnisse voraus, die den Beamten während des Tatzeitraums oder im Tatzeitpunkt aus der Bahn geworfen haben. Hierfür müssen außergewöhnlich belastende Umstände vorliegen, die inzwischen überwunden sind.
165Vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.10.2014– 2 B 60.14 –, juris Rn. 32 = NVwZ–RR 2015, 50 ff., und Urteil vom 10.12.2015 – 2 C 6.14 –, juris Rn. 36 = NVwZ 2016, 772 ff.
166Hier sind bereits keine Anhaltspunkte für eine negative Lebensphase in diesem Sinne ersichtlich und werden vom Beklagten auch nicht vorgetragen. Nach seinem eigenen Vorbringen gegenüber dem Sachverständigen Dr. C2. haben sämtliche vom Beklagten im Berufungsverfahren vorgebrachten Arbeitsumstände und gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht dazu geführt, seine Lebensführung und – insbesondere – Dienstausübung schwerwiegend zu beeinträchtigen und ihn gleichsam „aus der Bahn zu werfen“. Im Gegenteil hat er weiterhin – wenngleich unter Reduktion seiner Bemühungen um korrekte Aktenführung – seinen Dienst versehen, wobei er nach eigenem Bekunden Freude an der Arbeit hatte, und sich in der Lage gesehen, für drei Wochen die Fußball-WM in Südafrika zu besuchen. Darüber hinaus sind namentlich die vom Beklagten beschriebenen Arbeitsumstände auch nicht als so außergewöhnlich anzusehen, dass sie ihn hätten aus der Bahn werfen können. Darauf, ob der Beklagte, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, seine Probleme zwischenzeitlich überwunden hat, kommt es daher nicht an.
167(3)Der Beklagte kann sich nicht auf den Milderungsgrund der freiwilligen Offenbarung des Fehlverhaltens vor Tatentdeckung berufen.
168Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.05.2007 – 2 C 25.06 –, juris Rn. 21.
169Er hat sich erst nach Tatendeckung im Rahmen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens gegenüber der Staatsanwaltschaft bereit erklärt, bei der Aufklärung der Sachverhalte mitzuhelfen. Hinzu kommt, dass er lediglich zu einzelnen Auszahlungen Angaben gemacht hat, die mangels Unterlagen nicht verifizierbar waren.
170(4)Da sich das Verhalten auch über einen längeren Zeitraum hinzog, liegt auch keine einmalige, persönlichkeitsfremde Augenblickstat auf Seiten des Beklagten vor.
171Vgl. BVerwG, Urteil v. 24.02.1999 – 1 D 31.98 –, juris Rn. 19.
172(5)
173Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt ein Mitverschulden von Vorgesetzen in der Form einer mangelnden Dienstaufsicht nicht als Milderungsgrund in Betracht, wegen dessen von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte.
174Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen bloße mangelnde Dienstaufsicht und unterbliebene Überprüfungen keine Rechtfertigung für ein dienstpflichtwidriges Verhalten dar. Denn für die Erfüllung seiner Dienstpflichten trägt jeder Beamte die Eigen- und Letztverantwortung.
175Vgl. BVerwG, Urteil vom 07.05.1998 – 2 WD 29.97 –, juris Rn. 7.
176Etwas anderes gilt nur, wenn der Beamte der Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht.
177Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.06.2015 – 2 WD 12.14 –, juris Rn. 48 m.w.N.
178Voraussetzung ist, dass Kontrollmaßnahmen durch Vorgesetzte aufgrund besonderer Umstände unerlässlich waren und pflichtwidrig unterlassen wurden.
179Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.03.2004 – 2 WD 17.03 –, juris (nicht vollständig abgedruckt).
180Daran fehlt es hier. Der Dienstherr musste sich nicht zu Kontrollmaßnahmen oder einem Einschreiten veranlasst sehen. Hierzu im Einzelnen:
181(a)
182Bereits nach der eigenen Darstellung des Beklagten bestand für seine Vorgesetzten keine Veranlassung zu etwaigen Kontrollmaßnahmen. Gegenüber dem Sachverständigen Dr. C2. hat der Beklagte ausdrücklich erklärt, bis zu seiner Suspendierung seiner Arbeitstätigkeit uneingeschränkt nachgekommen zu sein, ohne dass seine Alkoholsucht offenbar wurde. Entsprechendes gilt hinsichtlich seiner psychischen Erkrankung.
183Im Rahmen des am 1. August 2008 geführten Personalentwicklungsgesprächs hat der Beklagte eine Umsetzung wegen der Belastung als Sachbearbeiter für Asylangelegenheit im Sozialamt nicht erbeten. Auch eine etwaige Überlastungsanzeige ist ausgeblieben.
184Nicht zu folgen ist dem Vorbringen des Beklagten, seine Arbeitsbedingungen und die Bearbeitung konfliktbeladener Sachverhalte hätten Anlass für Kontrollmaßnahmen sein müssen. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Gericht Bezug auf die einschlägigen Darlegungen des Verwaltungsgerichts, denen es sich nach eigener Prüfung anschließt (Seite 42, 4. Abs. bis Seite 43, 1. Abs. des Urteilsabdrucks). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen des Beklagten auch in sich widersprüchlich ist. Seine vorgetragene Überlastung musste seinem Vorgesetzten nicht auffallen, weil er dem gerade dadurch entgegenwirkte, dass er die gebotene Aktenführung weitgehend unterließ.
185Soweit er nunmehr im Rahmen der mündlichen Verhandlung seinen Vortrag geändert und behauptet hat, die Anträge aufgenommen, nur nicht eingeordnet zu haben, glaubt das Gericht dem Beklagten aus den bereits genannten Gründen nicht. Diese Erklärung ist aus Sicht des Senats allein dem Druck des Berufungsverfahrens geschuldet und entbehrt jeglicher Substanz.
186(b)
187Eine Mitverantwortung der Klägerin bzw. des Vorgesetzten C1. , die sich die Klägerin zurechnen lassen müsste, ergibt sich auch nicht aus der Behauptung des Beklagten, die ihm vorgeworfene Arbeitsweise sei der Klägerin und dem Vorgesetzten bekannt gewesen. Hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Eine derartige Kenntnis ergibt sich insbesondere nicht aus der Anweisung des Herrn C1. vom 6. Juli 2010, wonach er, der Beklagte, u.a. die sich auf dem Schreibtisch stapelnden Vorgänge bearbeiten und in die jeweiligen Hilfeakten einsortieren sowie die Hilfeakten ordnungsgemäß führen sollte. Diese Anweisung bezog sich auf Mängel der – erfolgten – Papieraktenführung durch den Beklagten. Hieraus ergibt sich nicht, dass Herrn C1. bekannt gewesen wäre, dass der Beklagte in weiten Bereichen der Leistungsgewährung eine derartige Aktenführung pflichtwidrig gänzlich unterließ. Es ist ferner nicht ersichtlich, dass Herr C1. eine Kenntnis hiervon aus seiner Bearbeitung von Leistungsfällen, in denen Klagen vor dem Sozialgericht erhoben wurden, gewonnenen hätte oder hätte gewinnen müssen. Zum einen ist nicht ersichtlich und wird vom Beklagten auch nicht substantiiert vorgetragen, dass Herr C1. in diesem Rahmen überhaupt Leistungsfälle bearbeitet hat, in denen der Beklagte – ohne jede Dokumentation in den Akten – die Auszahlung von einmaligen Leistungen oder Vorschüssen veranlasst hat. Aus dem pauschalen Hinweis des Beklagten, er habe zu einem bestimmten Problemkreis Klagen vor dem Sozialgericht gegeben, ergibt sich hierfür nichts. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass und inwiefern es bei einer derartigen Bearbeitung hätte auffallen sollen, dass Leistungen erbracht wurden, deren Dokumentation in den Akten der Beklagte gerade unterlassen hatte. Auch im Übrigen spricht für eine Kenntnis des Herrn C1. von dem hier streitigen Versagen des Beklagten im Kernbereich der ihm obliegenden Pflichten nichts.
188Aber auch wenn der Vorgesetzte C1. von der fehlenden Aktenführung und Dokumentation Kenntnis gehabt haben sollte, kann dies für den Beklagten keinen durchgreifenden Milderungsgrund begründen, der ein Absehen von der Dienstentfernung rechtfertigt. Bei der Pflicht zur Aktenführung handelt es sich um eine Kernpflicht und eine derart grundlegende Anforderung an die Verwaltungstätigkeit eines Beamten, dass der Beklagte nicht davon ausgehen konnte, er könne hiervon wirksam befreit werden. Vielmehr lag auf der Hand, dass ein Vorgesetzter, der das Unterbleiben einer Aktenführung hinnahm, selbst grob dienstpflichtwidrig handelte. Der Beklagte bedurfte auch in diesem Falle nicht eines hilfreichen Eingreifens einer Dienstaufsicht, um zu erkennen, dass er zur korrekten Aktenführung und Dokumentation verpflichtet war. Schon deshalb brauchte der Senat der Frage einer Kenntnis des Herrn C1. nicht weiter nachzugehen.
189Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin selbst Kenntnis von der fehlenden Aktenführung und Dokumentation durch den Beklagten hatte und dies tolerierte, wie der Beklagte behauptet, entbehren nach Aktenlage jeglicher Grundlage.
190Zunächst ist bereits unklar, wen der Beklagte mit „die Klägerin“ meint, die als juristische Person des öffentlichen Rechts selbst keine Kenntnis erlangen kann, allenfalls können ihr Kenntnisse ihrer Organe und Beschäftigten zugerechnet werden. Insoweit kommt allenfalls die Kenntnis des Vorgesetzten C1. in Betracht. Dieser hat aber nach der eigenen Darstellung des Beklagten sein eigenes Fehlverhalten in Form von fehlender Aufsicht vor der Klägerin verheimlicht und zu vertuschen versucht.
191Dementsprechend kann der Beklagte nicht mit Erfolg als mildernd geltend machen, die Klägerin habe ihm gegenüber zeitlich früher und abgestuft disziplinarrechtlich vorgehen müssen, um größeren Schaden zu vermeiden. Ohne entsprechende Kenntnis war ihr dies nicht möglich.
192Die Auffälligkeiten im Bereich der Leistungen nach dem AsylbLG wurden vielmehr erst kurz vor Aufdecken der Dienstpflichtverletzungen bei der Klägerin bekannt. Eine vorherige Kenntnis von Mitarbeitern der Klägerin von den hier streitigen Dienstpflichtverletzungen des Beklagten lässt sich den Akten nicht entnehmen. Auch der Beklagte trägt hierzu nichts von Substanz vor.
193Da das Dienstvergehen des Beklagten gerade in der vollständig unterlassenen Aktenführung und Dokumentation liegt, führt auch die beantragte Beiziehung bestimmter Akten des Sozialgerichts nicht weiter. Zum einen handelt es sich bei diesen Akten nicht um hier verfahrensgegenständliche Fälle. Zum anderen ist nicht erkennbar, dass und inwiefern sich die unterlassene Aufnahme von Anträgen, die fehlende Dokumentation ihrer Prüfung und der fehlende Erlass von Bewilligungsbescheiden in den Akten des Sozialgerichtes widerspiegeln sollten. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Klägerin die entsprechenden Einmalzahlungen an Asylbewerber bekannt waren. Ihm werden nicht diese, sondern die fehlende Aktenführung vorgeworfen.
194(d)
195Dass das PROSOZ-System kein Vier-Augen-Prinzip vorsah, kann ebenfalls nicht durchgreifend zugunsten des Beklagten berücksichtigt werden. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen können, dass ein Beamter seine Pflichten von sich aus korrekt erfüllt und seine Arbeit ordnungsgemäß verrichtet.
196(6)
197Der Milderungsgrund einer unverschuldeten ausweglosen wirtschaftlichen Notlage liegt auf Seiten des Beklagten nicht vor. Nach Aktenlage zog er keinen wirtschaftlichen Nutzen aus seinem Dienstvergehen.
198bb)Das Fehlen anerkannter Milderungsgründe besagt allerdings nicht zwangsläufig, dass gegen den Beklagten wegen des ihm zur Last fallenden Dienstvergehens die durch dessen Schwere indizierte Höchstmaßnahme verhängt werden müsste. Unter Geltung der Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 LDG NRW kann mildernden Umständen im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht zukommen, wenn sie zum Erfüllen eines so genannten anerkannten Milderungsgrundes nicht ausreichen. Sie dürfen deshalb nicht außer Betracht bleiben.
199Die anerkannten Milderungsgründe bieten jedoch Vergleichsmaßstäbe für die Bewertung, welches Gewicht entlastenden Gesichtspunkten in der Summe zukommen muss, um eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses in Betracht ziehen zu können. Generell gilt, dass deren Gewicht umso größer sein muss, je schwerer das Dienstvergehen aufgrund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Tathandlungen, der Begehung von „Begleitdelikten“ und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelfall wiegt.
200Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 25.
201Dies zugrunde gelegt führt die prognostische Gesamtwürdigung sämtlicher be– und entlastender Gesichtspunkte des Streitfalls zu der Bewertung, dass es nicht möglich ist, von der durch die Schwere des dem Beklagten zur Last fallenden Delikts indizierten Höchstmaßnahme abzusehen.
202(1)
203Zugunsten des Beklagten hat der Senat berücksichtigt, dass er bislang disziplinarisch unbelastet ist. Dies und seine zum Teil guten Leistungen und Beurteilungen können den Beklagte allerdings nicht erheblich entlasten, weil auch ein beanstandungsfreies Verhalten mit überdurchschnittlichen Beurteilungen regelmäßig nicht geeignet ist, gravierende Dienstpflichtverletzungen in einem durchgreifend milderen Licht erscheinen zu lassen. Jeder Beamte ist generell verpflichtet, bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz der Arbeitskraft zu erbringen und sich achtungs- sowie vertrauenswürdig, insbesondere gesetzestreu zu verhalten. Die langjährige Erfüllung dieser Verpflichtung kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen an das inner- und außerdienstliche Verhalten abgesenkt werden. Weder die langjährige Beachtung der Dienstpflichten noch überdurchschnittliche Leistungen sind daher geeignet, schwere Pflichtenverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen.
204(2)
205Zu Gunsten des Beklagten hat der Senat ferner berücksichtigt, dass bei ihm– wie der Sachverständige Dr. C2. festgestellt hat – im Tatzeitraum eine Suchtmittelabhängigkeit und eine unterschiedlich ausgeprägte depressive Symptomatik vorlagen, die aber nicht zur Schuldunfähigkeit oder eingeschränkten Schuldfähigkeit geführt haben.
206Auch dies entlastet den Beklagten indes angesichts der Schwere seines Vergehens nicht durchgreifend. Insoweit ist in den Blick zu nehmen, dass die Dienstpflichtverletzungen des Beklagten den elementaren Kernbereich seiner dienstlichen Tätigkeit betrafen, nämlich die korrekte Aktenführung im Rahmen der Leistungsverwaltung. Dass dies für ihn nicht erkennbar war, schließt der Sachverständige in seinem Gutachten ausdrücklich aus. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte durchgängig sowohl im Straf- als auch im Disziplinarverfahren behauptet hat, die Anträge auf Beihilfen ordnungsgemäß geprüft, bewilligt und rechtmäßig ausgezahlt zu haben. Wenn er insoweit seine dienstliche Tätigkeit korrekt ausführen konnte, wäre es ihm ohne unzumutbaren Aufwand möglich gewesen, dies auch in den Akten zu dokumentieren.
207Dementsprechend kann auch die vom Beklagten behauptete Überforderungssituation oder die Mitnutzung seines Büros durch Hausmeister, Auszubildende und Praktikanten ihn nicht entlasten, da er seine Tätigkeit – mit Ausnahme der Aktenführung – nach Recht und Gesetz ausgeübt haben will. Unabhängig davon lassen sich die Dienstpflichtverletzungen, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat, hiermit in keiner Weise erklären. Auch die pauschale Behauptung, nicht mehr zur Abgabe einer Überlastungsanzeige in der Lage gewesen zu sein, entbehrt jeglicher Grundlage. Sie wird im Übrigen durch den eigenen Vortrag zur Rechtmäßigkeit der Auszahlungen sowie den Besuch der Fußball-WM in Südafrika in Frage gestellt.
208Für eine etwaige Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit unterhalb der Schwelle eines Eingangsmerkmals i. S. v. § 20 StGB ist ebenfalls nichts Greifbares erkennbar.
2093.Bei einer abschließenden Gesamtabwägung des Gewichts des dem Beklagten zur Last fallenden einheitlichen Dienstvergehens, der erörterten den Beklagte be- und entlastenden Umstände seines Persönlichkeitsbildes sowie des erheblichen Ausmaßes der von ihm zu verantwortenden Vertrauensbeeinträchtigung gelangt das Gericht zu der Bewertung, dass als Sanktion für sein Fehlverhalten allein die Höchstmaßnahme angezeigt ist. Der Beklagte hat das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit unwiderruflich zerstört.
210Durch sein als gravierendes Dienstvergehen zu bewertendes Verhalten hat der Beklagte das für die Ausübung seines Berufs erforderliche Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit irreparabel zerstört.
211Das Unterlassen der Aktenführung in den mehr als 200 hier verfahrensgegenständlichen Fällen betrifft einen elementaren Bereich der Verwaltungstätigkeit des Beklagten. Ihm war die Leistungsverwaltung mit der konkreten Befugnis, die Anträge auf Beihilfen nach dem AsylbLG zu prüfen, die Leistungen zu bewilligen und auch die Auszahlung zu bewirken, übertragen, was einen ganz erheblichen Vertrauensbeweis des Dienstherrn darstellt. Dieses Vertrauen hat der Beklagte durch das Unterlassen jeglicher Aktenführung als elementarer Kernpflicht in den streitigen Fällen zerstört, da die Rechtmäßigkeit seines Handelns für seinen Dienstherrn mangels aussagekräftiger Unterlagen nicht mehr überprüfbar war und ist. Eine effektive Leistungsverwaltung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Derartiges Handeln zerstört das Vertrauen der Allgemeinheit in die Berufsgruppe der Beamten und Beamtinnen, die letztlich mit Steuermitteln die Aufgaben der Leistungsverwaltung wahrnehmen. Denn wegen der fehlenden Überprüfbarkeit weckt eine derartige Leistungsbewilligung sowohl für die Kollegen innerhalb der Verwaltung als auch für einen objektiven Dritten den Anschein von Gutdünken. Darauf, ob die Leistungsempfänger im konkreten Fall des Beklagten diesen Eindruck haben mussten bzw. hatten, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, kommt es insoweit nicht mehr entscheidend an.
212Im Hinblick auf die besondere Schwere des Dienstvergehens ist durch das Dienstvergehen bei dem Dienstherrn und der Allgemeinheit ein vollständiger Vertrauensverlust eingetreten. Die von dem Beklagten verursachte Ansehensschädigung ist bei seinem Verbleib nicht wieder gutzumachen.
213Es ist dem Dienstherrn nicht zuzumuten und wäre der Allgemeinheit nicht verständlich zu machen, wenn der Beklagte weiterhin als Beamter tätig würde.
2144.Die Verhängung der Höchstmaßnahme verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Beklagte hat ein besonders schweres Fehlverhalten gezeigt. Er hat die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses endgültig zerstört. Die Entfernung aus dem Dienst ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Beamten ist nicht unverhältnismäßig oder unvereinbar mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise. Sie beruht auf dem vorangegangenen Fehlverhalten des für sein Handeln verantwortlichen Beklagten, der sich gerade angesichts des Versagens im Kernbereich seiner Aufgaben bewusst sein musste, dass er hiermit seine berufliche Existenz aufs Spiel setzte.
215Dahinstehen kann auch, ob das Disziplinarverfahren unverhältnismäßig lange gedauert hat. Denn eine lange Dauer des Disziplinarverfahrens wäre nicht geeignet, das vom Beamten zerstörte Vertrauensverhältnis wiederherzustellen.
216Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.10.2014 – 2 B 66.14 –, juris Rn. 7 m.w.N., und Urteil vom 25.07.2013 – 2 C 63.11 –, juris Rn. 40 = NVwZ–RR 2014, 105 ff.
217B.Zu einer Abänderung des Unterhaltsbeitrags (§ 10 Abs. 3 Sätze 2 und 3 LDG NRW) besteht kein Anlass.
218C.Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 154 Abs. 2 VwGO.
219Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 3 Abs. 1 LDG NRW, § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
220Ein Grund, die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
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Referenzen
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- BeamtStG § 47 Nichterfüllung von Pflichten 1x
- § 55 Abs. 1 Satz 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 65 Abs. 1, 54 Abs. 3 Satz 1 LDG 2x (nicht zugeordnet)
- § 5 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 21 Verminderte Schuldfähigkeit 2x
- §§ 32 bis 34 LDG 3x (nicht zugeordnet)
- StPO § 153a Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen 2x
- StGB § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen 2x
- § 32 Abs. 5 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 34 Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten 3x
- § 13 Abs. 1 Satz 2 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- § 24 Abs. 1 Satz 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 65 Abs. 1, 54 Abs. 3 LDG 2x (nicht zugeordnet)
- § 21 LDG 3x (nicht zugeordnet)
- § 57 Satz 1 LGB 1x (nicht zugeordnet)
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