Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 4325/19.A
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwaltskanzlei X. & E. aus N. wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
G r ü n d e
2I. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
4Der von dem Kläger (allein) gerügte Verfahrensmangel der Versagung rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
5Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können und mit ihren Ausführungen und Anträgen durch das Gericht gehört werden. Das Gericht ist jedoch nicht verpflichtet, den Ausführungen eines Beteiligten in der Sache zu folgen. Die Gehörsrüge ist daher nicht geeignet, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung oder Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann vielmehr nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist dabei davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Dies gilt unabhängig davon, ob sie sich in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich hiermit auseinandersetzen. Aus einem Schweigen der Entscheidungsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann deshalb noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese nicht beachtet und erwogen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten bei seiner Entscheidungsfindung nicht in Erwägung gezogen hat.
6Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. Juli 2017– 1 A 1436/17.A –, juris, Rn. 3, vom 18. September 2014 – 13 A 2557/13.A –, juris, Rn. 3 bis 6, m. w. N., und vom 16. Dezember 2016 – 1 A 2199/16.A –, juris, Rn. 14.
7Ausgehend hiervon ist eine Gehörsverletzung auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht feststellbar.
8Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung wesentliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Das Gericht führe zur Begründung seiner Entscheidung aus, es sei nicht überzeugt, dass der Kläger bei seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen Wehrdienstentziehung zu einer Haftstrafe verurteilt werden würde. Es lasse sich aus den Erkenntnismitteln nicht entnehmen, dass Menschen, die sich dem Wehrdienst entziehen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vor Militärgerichten strafrechtlich verfolgt und zu Haftstrafen verurteilt würden. Er habe jedoch in seiner Klagebegründung vorgetragen, dass Wehrdienstentziehung nach der Auskunftslage in Algerien strafbar sei. Nach Algerien zurückgekehrte Wehrpflichtige würden zur Ableistung des Wehrdienstes den Wehrbehörden überstellt. Wehrdienstpflichtige, die das 27. Lebensjahr überschritten und sich nicht strafbar dem Wehrdienst entzogen hätten, würden nicht mehr eingezogen. Strafbar sei die Entziehung nach Zustellung eines Eiberufungsbescheides, der auf der Grundlage der Registrierung bei den Meldebehörden erstellt werde. Der Strafrahmen für Wehrdienstentziehung betrage nach dem Militärstrafgesetzbuch drei Monate bis fünf Jahre Haft. Wehrdienstentziehung könne dann zu weiteren Repressalien führen, wenn besondere, als staatsgefährdend eingestufte Handlungen hinzuträten. Im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung käme es zu Folterfällen. Der Militärgeheimdienst DRS halte weiterhin Personen, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtigt würden, in geheimer Haft ohne Kontakt zur Außenwelt fest. Der DRS habe in der Vergangenheit oft Folter an den Gefangenen angewandt. Im Januar 2016 sei der DRS aufgelöst und durch die „Direktion der Sicherheitsdienste“ ersetzt worden.
9Aus diesem Vorbringen lässt sich ein Gehörsverstoß nicht herleiten. Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung den Vortrag des Klägers nicht übergangen. Es hat nicht nur im Tatbestand (UA S. 2) den individuellen Vortrag des Klägers wiedergegeben. Auch im Rahmen der Prüfung, ob ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (UA S. 7 f.) oder subsidiärer Schutz zu gewähren ist (UA S. 9 ff.), werden seine individuellen Fluchtgründe ausführlich gewürdigt. So kommt das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zu der Feststellung, dass weder die Heranziehung zur Wehrpflicht noch dessen Ausgestaltung, insbesondere die Strafbarkeit der Wehrdienstentziehung, flüchtlingsrelevante Verfolgung begründe, weil der algerische Staat damit keine asyl- bzw. flüchtlingsschutzrelevanten Ziele verfolge. Auch bestehe kein Anspruch auf subsidiären Schutz, weil dem Kläger bei Rückkehr nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden i. S. d. § 4 Abs. 1 AsylG drohe. Es stehe weder zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Grundvoraussetzungen für eine Strafbarkeit wegen Wehrdienstentziehung vorlägen, weil dem Kläger nicht geglaubt werden können, dass dieser einen Einberufungsbescheid erhalten habe, welcher Voraussetzung für die Strafbarkeit wegen Wehrdienstentziehung sei (UA S. 13 – 16). Noch drohe dem Kläger nach den vorliegenden jüngeren Erkenntnismitteln bei Unterstellung der Tatbestandsvoraussetzungen des Straftatbestandes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verurteilung zu einer Haftstrafe (UA S. 16 – 17) oder im Falle einer Verurteilung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegen Art. 3 EMRK verstoßende Misshandlungen (UA S. 17 bis 18). Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass beim Kläger als staatsgefährdend eingestufte bzw. terroristische Handlungen hinzuträten, die zu weiteren Repressalien führen könnten.
10In Anbetracht dieser umfangreichen, alle Gesichtspunkte des Klägervortrags aufgreifenden Prüfung und Würdigung ist nicht ansatzweise nachvollziehbar, welcher Teil des Klägervorbringens nicht zur Kenntnis genommen bzw. gehört sein soll. Ob das Verwaltungsgericht dem Vortrag des Klägers die richtige Bedeutung zugemessen und die richtigen Folgerungen daraus gezogen hat – wofür im Übrigen einiges spricht –, ist hingegen keine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern der Tatsachen- und Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO. Etwaige in diesem Zusammenhang stehende Fehler gehören nicht zu den in § 138 VwGO genannten und in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Bezug genommenen Verfahrensfehlern.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 2017– 1 A 1436/17.A –, juris, Rn. 28 ff., m. w. N.
12Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 83b AsylG.
13Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 83b AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 A 2199/16 1x (nicht zugeordnet)
- 1 A 1436/17 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 1x
- § 80 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 138 1x
- § 4 Abs. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 13 A 2557/13 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 108 1x